Hintergrund

„Vor dem Virus sind alle gleich“, lautete eine der frühen Einschätzungen des Infektionsgeschehens mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV‑2 in der Fach- und medialen Öffentlichkeit [1]. Internationale Studien zeigten hingegen alsbald, dass vor allem Personen in sozioökonomisch benachteiligten Regionen von höheren Inzidenzen und höherer Mortalität betroffen waren [2]. Für Deutschland wurden diese Befunde bereits ab der zweiten Pandemiewelle sowie im weiteren Verlauf deutlich, sowohl in ökologischen Studien als auch auf Individualebene [3,4,5]. Auch Menschen mit MigrationsgeschichteFootnote 1 [6] waren häufiger von erhöhten Inzidenz- und Mortalitätsraten durch COVID-19 betroffen, wie die internationale Forschung [7,8,9,10,11,12] und erste Befunde aus Deutschland zeigten [12,13,14]. Zurückführen lässt sich dies nicht auf die Migrationsgeschichte selbst, sondern insbesondere auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen [12].

Über die direkten Folgen der Pandemie – wie etwa Infektionen oder die durch COVID-19 verursachte Mortalität – hinaus, zeigen sich indirekte Folgen des Pandemiegeschehens, wie Arbeitsplatz- oder Einkommensverluste. Schwierige wirtschaftliche Entwicklungen und behördlich angeordnete Maßnahmen zur Eindämmung des Virus sorgten landesweit für Arbeitsausfälle. Auch hier stellt sich die Frage, ob diese indirekten Pandemiefolgen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich stark wirken. Im Frühsommer 2020 waren laut Erwerbstätigenbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) deshalb etwa 20 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Kurzarbeit, insbesondere Beschäftigte mit einem geringeren Haushaltseinkommen oder niedrigerer Bildung [15]. Beschäftigte im Niedriglohnsektor waren häufiger in Kurzarbeit [16], aber auch von Arbeitslosigkeit bedroht [17].

Menschen mit Migrationsgeschichte waren in Deutschland schon vor der Pandemie häufiger von Bildungsbenachteiligung, niedrigen Löhnen und von Armut oder Armutsrisiko betroffen [18]. Daten des IAB zeigen darüber hinaus, dass Menschen mit Migrationshintergrund, und insbesondere Geflüchtete, häufiger in befristeten Beschäftigungsverhältnissen oder Zeitarbeit tätig waren als Personen ohne Migrationshintergrund [19]. Außerdem arbeiten sie häufiger im Gesundheits- und Pflegebereich mit direktem Kontakt zu Patient:innen sowie in weiteren systemrelevanten Berufen [20] mit verminderten Schutzmöglichkeiten sowie auch in volatilen, krisenanfälligen Berufen [21].

Schon in der frühen Phase der Pandemie zeigten verschiedene Erhebungen, dass das Vorhandensein eines Migrationshintergrundes mit vermehrten Einkommenseinbußen assoziiert war [22, 23] und hier entsprechend häufiger von Sorgen über die eigene wirtschaftliche Situation berichtet wurde [23]. Wie sich diese indirekten sozioökonomischen Folgen der Pandemie auf die Gesundheit von Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland auswirken, wurde bisher nicht untersucht.

Gleichwohl sind Zusammenhänge zwischen sozioökonomischer Benachteiligung sowie ungünstigen Arbeitsbedingungen und deren Auswirkungen auf die Gesundheit in der Literatur hinreichend beschrieben [24, 25]. Es kann daher angenommen werden, dass sich auch die sozioökonomischen Benachteiligungen während der Pandemie auf den Gesundheitszustand auswirken können. Die Lebenszufriedenheit ist hierfür ein guter Indikator, da sie ein „Bilanzmaß des subjektiven Wohlbefindens“ [26] darstellt. Sie spiegelt die subjektive Bewertung der eigenen aktuellen Lebenssituation wider und gilt als wichtiger Aspekt des psychischen Wohlbefindens [26,27,28,29]. Die Studienlage deutet auf Zusammenhänge zwischen geringeren Risiken für chronische Erkrankungen und geringeren Mortalitätsraten bei einer höheren Lebenszufriedenheit hin [27, 29]. In einem Review konnten mehrheitlich Zusammenhänge zwischen einer hohen Lebenszufriedenheit und einem selteneren Auftreten psychischer Störungen bei Menschen mit Migrationsgeschichte identifiziert werden [30].

Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel dieses Beitrags, zu untersuchen, wie sich antizipierte oder bereits eingetretene Veränderungen in der Arbeits- und Einkommenssituation infolge der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie auf die Lebenszufriedenheit von Menschen mit ausgewählten Staatsangehörigkeiten auswirken.

Methoden

Datenbasis: Befragungsstudie GEDA Fokus

Die vorliegenden Analysen basieren auf Daten der mehrsprachigen Befragungsstudie „Gesundheit in Deutschland aktuell: Fokus“ (GEDA Fokus; November 2021 – Mai 2022), die unter Menschen mit italienischer, kroatischer, polnischer, syrischer oder türkischer Staatsangehörigkeit im Alter von 18 bis 79 Jahren in 99 Städten und Gemeinden in ganz Deutschland am Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführt wurde. Die Auswahl der Staatsangehörigkeitsgruppen (Grundgesamtheit) erfolgte anhand von Modellrechnungen unter Berücksichtigung der Gruppengröße sowie der Dynamik in Form von Zu- und Fortzügen [31].

Mittels einer Einwohnermeldeamtsstichprobe wurden Studienpersonen nach dem Merkmal der Staatsangehörigkeit per Zufall aus den Einwohnermelderegistern gezogen. Studienpersonen konnten sequentiell online, schriftlich sowie in den größeren Städten auch persönlich oder telefonisch mit teilweise mehrsprachigen Interviewenden an der Befragung teilnehmen. Neben Deutsch wurden Arabisch, Italienisch, Kroatisch, Polnisch und Türkisch als Studiensprachen angeboten [31].

Die Studie verfolgte das Ziel, umfassende Daten zu Gesundheitszustand, Gesundheitsverhalten, Lebensbedingungen und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen zu erheben und differenzierte Aussagen nach soziodemografischen und migrationsbezogenen Merkmalen zu ermöglichen. Zudem wurden Daten zum SARS-CoV-2-Infektions- und COVID-19-Impfstatus erhoben und Fragen gestellt, die auf die indirekten sozioökonomischen Folgen der Pandemie abzielten [31].

Insgesamt nahmen 6038 Personen (2983 Frauen, 3055 Männer) an GEDA Fokus teil. Die Rücklaufquote betrug nach den Standards der American Association for Public Opinion Research (AAPOR) 18,4 % (Response Rate 1; [32]). Weitere Details zum Studiendesign von GEDA Fokus sind an anderer Stelle beschrieben [31].

Indikatoren

Outcomevariable

Die Lebenszufriedenheit wurde anhand der Frage erfasst: „Wie zufrieden sind Sie, alles in allem, mit Ihrem Leben?“ Die Befragten wurden gebeten, sich auf einer 11-stufigen Skala (0 = „ganz und gar unzufrieden“; 10 = „ganz und gar zufrieden“) einzuordnen. Die Angaben zur Lebenszufriedenheit wurden anhand des Medians dichotomisiert. Als Outcome wurden Angaben vom Median aufwärts (7–10; kodiert mit 1) denjenigen unterhalb des Medians (0–6; kodiert mit 0), gegenübergestellt. Berichtet wird die hohe Lebenszufriedenheit (Skalenpunkte 7–10).

Prädiktorvariablen

Demografische Determinanten: Alter und Geschlecht.

Für die Variable Geschlecht wurde das gemäß Selbstangabe bei der Geburt in die Geburtsurkunde eingetragene Geschlecht herangezogen. Das Alter der Befragten wurde in die Kategorien 18 bis 39 Jahre, 40 bis 59 Jahre und 60 bis 79 Jahre eingeteilt.

Sozioökonomische Determinanten: Bildungsniveau und Nettoäquivalenzeinkommen.

Das Bildungsniveau wurde anhand der Selbstangaben zu schulischen und beruflichen Abschlüssen anhand der Internationalen Standardklassifikation für das Bildungswesen (International Standard Classification of Education, ISCED 2011 [33]) gruppiert in untere (ISCED 1–2), mittlere (ISCED 3–4) und obere (ISCED 5–8) Bildungsgruppen.

Auf die Frage: „Wie hoch ist das monatliche Netto-Einkommen Ihres Haushalts insgesamt?“, konnten Befragte entweder einen konkreten Betrag angeben oder sich in verschiedene Kategorien einordnen. Fehlende Einkommensangaben wurden mittels regressionsanalytischer Verfahren mit Informationen zu Alter, Geschlecht, Haushaltszusammensetzung, Bildung, Erwerbsstatus und beruflicher Stellung sowie mit regionalen Informationen zur Arbeitslosigkeit und Einkommenssteuer imputiert [34]. Nachfolgend wurden für die Auswertungen niedrige (Quintil 1), mittlere (Quintil 2 bis 4) und hohe Einkommensgruppen (Quintil 5) gebildet.

Migrationsbezogene Determinante: selbst eingeschätzte Deutschkenntnisse.

Auf die Frage: „Welche Sprache ist Ihre Muttersprache?“, konnten Befragte Deutsch oder eine andere Sprache (oder beides) angeben. Diejenigen, die Deutsch nicht als Muttersprache nannten, wurden anschließend gebeten, ihre Deutschkenntnisse auf einer 5‑stufigen Skala einzuschätzen. Für die vorliegenden Analysen wurden die Kategorien „Muttersprache/sehr gut“, „gut/mittelmäßig“ und „schlecht/sehr schlecht“ jeweils zusammengefasst.

Operationalisierung der indirekten sozioökonomischen Folgen der Pandemie.

Als Variable der indirekten sozioökonomischen Pandemiefolgen wurde zunächst die Veränderung in der Einkommenssituation betrachtet. Teilnehmende wurden im Anschluss an die Erfassung ihres monatlichen Haushaltsnettoeinkommens gefragt: „Hat sich das monatliche Einkommen Ihres Haushalts seit der Corona-Pandemie …“ „… verbessert“/„… verschlechtert“/„… ist es gleich geblieben?“ (3 Antwortoptionen).

Zudem wurde in GEDA Fokus ein Instrument aus der Studie „Sozio-ökonomische Faktoren und Folgen der Verbreitung des Coronavirus in Deutschland“ (SOEP-CoV-Studie; [35]) eingesetzt, um pandemiebedingte sozioökonomische Veränderungen zu erfassen. Die Teilnehmenden wurden gefragt: „Für wie groß halten Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Sie in Folge der Maßnahmen zur Bekämpfung und langsameren Verbreitung des Corona-Virus innerhalb der nächsten 12 Monate …“ i) „… Ihren Arbeitsplatz aufgrund einer Kündigung oder Betriebsschließung verlieren werden?“, ii) „… in Zahlungsschwierigkeiten geraten werden, so dass Sie auf Sparrücklagen oder Kredite zurückgreifen müssen?“, iii) „… in ernsthafte Geldprobleme geraten werden und möglicherweise Sozialleistungen beantragen müssen?“ und iv) „… Ihren Lebensstandard drastisch einschränken müssen?“ Befragte konnten jeweils einen Prozentwert zwischen 0 % und 100 % nennen oder angeben: „Das ist bereits passiert.“ Die Antworten wurden wie folgt kategorisiert: „0 %“ (für: gänzlich unwahrscheinlich), „1–49 %“ (für: eher unwahrscheinlich), „50–100 %“ (für: eher wahrscheinlich) und: „Das ist bereits passiert.“.

Statistische Analyse

Für alle vorgestellten Prädiktorvariablen wurden in der deskriptiven Analyse die jeweiligen Prävalenzen sowie die dazugehörigen 95 %-Konfidenzintervalle (95 %-KI) der selbst eingeschätzten hohen Lebenszufriedenheit ausgewiesen. Von einem signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen wird ausgegangen, wenn der mittels Chi-Quadrat-Test ermittelte p-Wert kleiner als 0,05 ist.

Zudem wurden für alle drei Einkommensgruppen die indirekten sozioökonomischen Pandemiefolgen mittels bivariater Analysen untersucht. Dargestellt werden die Ergebnisse als Mengenflüsse (Sankey-Diagramme), die unter Verwendung des Onlinetools SankeyMATIC erstellt wurden. Abgetragen werden die gewichteten Anteile der gruppierten Wahrscheinlichkeitsangaben jeweils für alle 3 Einkommensgruppen.

Für multivariable Analysen wurden Poisson-Regressionsmodelle berechnet, um relevante Assoziationen zwischen einer hohen Lebenszufriedenheit und den vorgestellten Prädiktorvariablen zu identifizieren. Es wurden die sozioökonomischen, die migrationsbezogenen sowie die Variablen zu den indirekten sozioökonomischen Pandemiefolgen aufgrund der bivariat bestehenden Assoziationen mit der Lebenszufriedenheit eingeschlossen; für die demografischen Variablen sowie die Staatsangehörigkeit nach EinwohnermeldeamtFootnote 2 wurde statistisch kontrolliert. Die Items des vorgestellten Instruments aus der SOEP-CoV-Studie wurden jeweils in ein separates Regressionsmodell eingeschlossen; Modell 1 beinhaltet demnach die Wahrscheinlichkeit, den Arbeitsplatz zu verlieren, Modell 2 diejenige, in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten, Modell 3 die Wahrscheinlichkeit, Sozialleistungen beantragen zu müssen, und Modell 4 diejenige, den Lebensstandard drastisch einschränken zu müssen. Die mittels Poisson-Regression ermittelten Prevalence Ratios (PR) sowie die dazugehörigen 95 %-KI werden im Ergebnisteil als Forest-Plots dargestellt. Von statistisch signifikanten Assoziationen mit dem Outcome ist dann auszugehen, wenn die jeweiligen 95 %-KI den Wert 1 nicht einschließen.

Fälle mit mindestens einem fehlenden Wert in einer der untersuchten Variablen wurden aus den Analysen ausgeschlossen (n = 1924)Footnote 3, was in einem finalen Analysesample von n = 4114 resultiert. In die Auswertungen wurde ein Gewichtungsfaktor einbezogen, der die Stichprobe hinsichtlich folgender Merkmale an die Bevölkerung mit entsprechenden Staatsangehörigkeiten angleicht: Region, Geschlecht, Alter, Bildung und Aufenthaltsdauer. Diese Randverteilungen wurden dem Mikrozensus 2018 [36] entnommen, nachdem die Daten auf die ausgewählten 5 Staatsangehörigkeitsgruppen (einschließlich doppelter Staatsangehörigkeit) eingegrenzt wurden. Um die Clusterung der Teilnehmenden innerhalb der Studienorte und die Gewichtung angemessen bei der Berechnung von Konfidenzintervallen und p-Werten zu berücksichtigen, wurden in allen Analysen Survey-Prozeduren für komplexe Stichproben verwendet [37].

Alle Analysen wurden mit Stata 17.0 (Stata Corp., College Station, TX, USA, 2015) durchgeführt.

Ergebnisse

Stichprobenbeschreibung

Die Studienpopulation ist in Tab. 1 dargestellt. Von den eingeschlossenen 4114 Teilnehmenden waren 43,5 % weiblich, der Altersmedian lag bei 38 Jahren (Range: 18–79 Jahre). 40,2 % konnten der unteren und 43,5 % der mittleren Bildungsgruppe zugeordnet werden. Der Median des monatlichen Nettoäquivalenzeinkommens lag bei 1333 €. Etwa die Hälfte berichtete muttersprachliche bzw. sehr gute Deutschkenntnisse (49,5 %). Die Mehrheit der Teilnehmenden berichtete keine Veränderungen des Haushaltsnettoeinkommens seit der Corona-Pandemie (66,7 %). Jeweils mehr als die Hälfte schätzte die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der vier verschiedenen indirekten sozioökonomischen Pandemiefolgen für sich selbst als gänzlich unwahrscheinlich ein (Tab. 1).

Tab. 1 Stichprobenbeschreibung und Prävalenzen einer hohen Lebenszufriedenheit unter Menschen mit italienischer, kroatischer, polnischer, syrischer oder türkischer Staatangehörigkeit stratifiziert nach den eingeschlossenen Prädiktorvariablen; GEDA Fokus (2021–2022), n = 4114

Deskriptive Analysen

Lebenszufriedenheit.

Fast zwei Drittel der Teilnehmenden berichteten eine hohe Lebenszufriedenheit (64,4 %; 95 %-KI: 61,9–66,8 %). Statistisch signifikante Unterschiede nach Geschlecht oder Altersgruppen zeigten sich dabei nicht (Tab. 1). Für alle anderen Prädiktorvariablen konnten hingegen signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt werden, wobei insbesondere das Einkommen, die selbst eingeschätzten Deutschkenntnisse sowie die Indikatoren der indirekten sozioökonomischen Pandemiefolgen starke Zusammenhänge mit der selbst eingeschätzten Lebenszufriedenheit zeigten.

Indirekte sozioökonomische Pandemiefolgen für verschiedene Einkommensgruppen.

Hinsichtlich der indirekten sozioökonomischen Pandemiefolgen werden für alle vier betrachteten Items aus der SOEP-CoV-Studie Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen deutlich (Abb. 1; Tabelle A1 im Onlinematerial). In ernsthafte Geldprobleme zu geraten und möglicherweise Sozialleistungen beantragen oder den Lebensstandard drastisch einschränken zu müssen, halten Befragte aus der hohen Einkommensgruppe häufiger für gänzlich unwahrscheinlich. Demgegenüber berichten Befragte aus der niedrigen und mittleren Einkommensgruppe bei allen betrachteten indirekten sozioökonomischen Pandemiefolgen häufiger, dass sie dies für eher wahrscheinlich halten oder dass dies bereits passiert sei. Ähnliche Zusammenhänge, wenn auch nicht für alle vier betrachteten Items der indirekten sozioökonomischen Pandemiefolgen, zeigen sich auch in Bezug auf Bildung und selbst eingeschätzte Deutschkenntnisse (Ergebnisse nicht gezeigt).

Abb. 1
figure 1

Zusammenhänge zwischen der Höhe des Äquivalenzeinkommens (jeweils links) und der eingeschätzten Wahrscheinlichkeit, selbst von den vier verschiedenen indirekten sozioökonomischen Folgen der Pandemie (a Verlust des Arbeitsplatzes, b Zahlungsschwierigkeiten, c Sozialleistungen beantragen, d Lebensstandard einschränken) betroffen zu sein – Ergebnisse bivariater Analysen; GEDA Fokus (2021–2022), n = 4114. Eigene Abbildung. (ad jeweils links Einkommensgruppen. Nach rechts abgehend Anteile derjenigen, die die entsprechenden sozioökonomischen Pandemiefolgen für gänzlich unwahrscheinlich (0%), eher unwahrscheinlich (1–49%) oder eher wahrscheinlich (50–100%) halten, bzw. Anteil derjenigen, die angaben, dass die Folge „bereits passiert“ sei)

Multivariable Poisson-Regressionen

Alle vier Poisson-Regressionsmodelle zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen einem hohen Einkommen und einer hohen Lebenszufriedenheit (Abb. 2; Tabelle A2 im Onlinematerial). Demgegenüber sind als (sehr) schlecht eingeschätzte Deutschkenntnisse jeweils negativ mit einer hohen Lebenszufriedenheit assoziiert. Auch die Einschätzung, dass die indirekten sozioökonomischen Pandemiefolgen eher wahrscheinlich eintreten werden oder bereits eingetreten sind, ist jeweils negativ mit der Lebenszufriedenheit assoziiert. Negative Zusammenhänge mit der Lebenszufriedenheit zeigen sich ebenfalls für ein niedriges Einkommen sowie mit der Verschlechterung des Einkommens im Zuge der Pandemie, wenn auch nicht in allen vier Modellen.

Abb. 2
figure 2

Mit der Angabe einer hohen Lebenszufriedenheit assoziierte Faktoren. Ergebnisse der multivariablen Poisson-Regressionen; GEDA Fokus (2021–2022), n = 4.114. Eigene Abbildung. (Alle Modelle schließen jeweils ein anderes Item der indirekten sozioökonomischen Pandemiefolgen ein und sind adjustiert für Staatsangehörigkeit nach Einwohnermelderegister. Ref. Referenzkategorie, Prevalence Ratios sowie 95 %-Konfidenzintervalle; grün signifikant positive Assoziation, lila signifikant negative Assoziation)

Diskussion

Die vorliegenden Analysen konnten in einer Stichprobe von Menschen mit ausgewählten Staatsangehörigkeiten Zusammenhänge zwischen der Lebenszufriedenheit und dem Nettoäquivalenzeinkommen, den selbst eingeschätzten Deutschkenntnissen sowie erstmals auch den indirekten sozioökonomischen Pandemiefolgen zeigen. Insgesamt zeigte sich, dass die Mehrheit der Befragten eine hohe Lebenszufriedenheit berichtet. Im Vergleich zur Studie „Corona-Monitoring bundesweit – Welle 2“ (November 2021–Februar 2022) war sie jedoch geringer. Hier gaben 81,3 % der 18- bis 79-Jährigen einen Wert von über 6 an; auch der Median der selbst eingeschätzten Lebenszufriedenheit lag in dieser Studie mit 8 um einen Punkt höher als im vorliegenden Sample (eigene Berechnungen).

Es wurde deutlich, dass Befragte aus der mittleren und niedrigen Einkommensgruppe die indirekten Folgen der Pandemie häufiger für wahrscheinlicher hielten (bzw. diese sich bereits in ihrem Leben manifestiert hatten) als die Befragten aus der hohen Einkommensgruppe. Ein sozialer Gradient, der bereits eingangs für die Allgemeinbevölkerung beschrieben wurde [16, 17], hat sich auch in einer Stichprobe von Menschen mit ausgewählten Staatsangehörigkeiten bestätigt.

Zusammenhänge zwischen der Einkommenssituation und der Lebenszufriedenheit sind in der Literatur beschrieben [26, 38, 39], wobei ein höheres Einkommen mit einer höheren Lebenszufriedenheit einhergeht. Ein hohes Einkommen dürfte dadurch, dass Grundbedürfnisse gedeckt sind, zu einem weniger sorgenvollen Leben beitragen und damit positiv auf die Lebenszufriedenheit wirken [39, 40]. Demgegenüber sind, wie erwähnt, Zusammenhänge zwischen Armut und schlechteren Gesundheitsoutcomes vielfach belegt [25].

Dass bessere Deutschkenntnisse mit einer höheren Lebenszufriedenheit einhergehen, zeigte sich sowohl in einer Studie unter Arbeitsmigrant:innen in Österreich [41] als auch unter Geflüchteten in Deutschland [42], jedoch zu präpandemischen Zeiten. Deutschkenntnisse stellen einen Indikator für soziale Teilhabe dar; sie ermöglichen besseren Zugang zu Informationen, zu Rechten und auch zur Gesundheitsversorgung [6]. Geringere Deutschkenntnisse können demnach auch mit struktureller Benachteiligung und systematischen Ausschlüssen einhergehen, welche sich wiederum auf die Lebenszufriedenheit auswirken können. Gerade in Krisenzeiten kann dies Unsicherheiten verstärken, auch dadurch, dass Menschen sich die zumeist auf Deutsch angebotenen Informationen in Bezug auf die Pandemie (z. B. Informationen zu COVID-19 allgemein, aber auch zu staatlichen Unterstützungsangeboten) vermutlich weniger gut zunutze machen können.

Von Einkommens- und Arbeitsplatzverlusten im Zuge der Pandemie sind einem Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge vor allem ohnehin benachteiligte Bevölkerungsgruppen betroffen, wie Jüngere, gering Qualifizierte oder auch Migrant:innen [43]. Ergebnisse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) verweisen auch in Bezug auf die Allgemeinbevölkerung in Deutschland darauf, dass insbesondere Menschen mit geringerer Bildung oder niedrigem Einkommen von indirekten sozioökonomischen Folgen der Pandemie betroffen waren [44]. Wie eingangs erwähnt, bestätigen dies Daten aus Deutschland auch für Menschen mit Migrationshintergrund [19, 22, 23]. Hinsichtlich der Betroffenheit von den indirekten sozioökonomischen Pandemiefolgen nach Einkommensgruppen bestätigen die vorliegenden Analysen diese Befunde auch erstmals innerhalb einer Stichprobe von Menschen mit ausgewählten Staatsangehörigkeiten. Gleichzeitig sehen wir in den vorliegenden Daten jedoch ohnehin eine Einkommensbenachteiligung. Während der Median des Nettoäquivalenzeinkommens der 18- bis 79-Jährigen deutschsprachigen Allgemeinbevölkerung in der Studie „GEDA 2019/2020“ 1700 € betrug (eigene Berechnungen), lag er in der vorliegenden Stichprobe mit 1333 € mehr als 20 % niedriger.

Dass Einkommenseinbußen oder Arbeitsplatzverluste einen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit haben, zeigen sowohl Ergebnisse aus Deutschland [45,46,47] als auch internationale Befunde [48,49,50]. Langfristig kann sich eine geringere Lebenszufriedenheit auf das psychische Wohlbefinden [26,27,28,29,30], z. B. in Form von Depressivität oder chronischem Stress, und damit auch auf die körperliche Gesundheit [27, 29] niederschlagen. Die vorliegenden Ergebnisse geben Hinweise darauf, dass Verhältnisprävention vermehrt in den Fokus rücken sollte. Planbarkeit der sozioökonomischen Lebensbedingungen, wie Arbeitsplatz- oder Einkommenssicherheit, sollte für alle Menschen gleichermaßen gewährleistet sein, um gesundheitlichen Ungleichheiten entgegenzuwirken. Gleichzeitig sollten Aspekte wie strukturelle und alltägliche Diskriminierung adressiert werden, die ebenfalls auf die Gesundheit wirken [6], zusätzlich aber auch mit Vertrauensverlusten in öffentliche Institutionen und behördliche Maßnahmen einhergehen und so als Katalysator für Zukunftsängste und verminderte Lebenszufriedenheit wirken können, die indirekt mit einer Reihe zentraler Gesundheitsoutcomes im Zusammenhang stehen. Um dem entgegenzuwirken, sollten Unterstützungs- und Beratungsangebote mehrsprachig, communityorientiert und aufsuchend gestaltet werden, um gerade in Zeiten der Unsicherheit ohnehin bestehende Ungleichheiten nicht noch weiter zu verschärfen.

Limitierend ist hinsichtlich der vorliegenden Ergebnisse anzumerken, dass anhand von Querschnittsdaten keinerlei Rückschlüsse auf die Wirkrichtung von Zusammenhängen möglich sind. Entsprechend wäre es wichtig, die beobachteten Zusammenhänge auch langfristig in Kohortenstudien zu untersuchen. Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Arbeitsplatzverlustes ist anzumerken, dass nicht für alle Befragten bekannt ist, ob sie zum Befragungszeitpunkt tatsächlich erwerbstätig waren, da nach der Haupttätigkeit gefragt wurde. Gleichwohl können auch Menschen in Rente oder auch Studierende nebenher erwerbstätig sein, weshalb auf eine Einschränkung der Stichprobe auf Haupterwerbstätige verzichtet wurde. Eine weitere Limitation besteht darin, dass wir anhand der vorliegenden Daten lediglich Aussagen über Menschen mit den ausgewählten Staatsangehörigkeiten, nicht jedoch über alle Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland treffen können. Dennoch handelt es sich hierbei um große Gruppen unter den hierzulande lebenden Menschen mit Migrationsgeschichte und das bisher größte migrationsspezifische Sample in Deutschland, welches tiefgehende Analysen zwischen der gesundheitlichen Lage, migrationsbezogenen, sozialen und strukturellen Determinanten der Gesundheit ermöglicht. Gleichzeitig konnten wir anhand dieses Samples erstmals für den deutschen Kontext zeigen, dass sich auch bei Menschen mit Migrationsgeschichte Ungleichheiten hinsichtlich der indirekten sozioökonomischen Pandemiefolgen und deren Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit zeigen.

Fazit

Der vorliegende Beitrag konnte die Ungleichverteilung indirekter Pandemiefolgen, wie Arbeitsplatz- oder Einkommensverluste, die für die Allgemeinbevölkerung bereits bekannt ist, auch in einer Stichprobe von Menschen mit ausgewählten Staatsangehörigkeiten zeigen. Darüber hinaus konnte der Beitrag nachweisen, dass die Lebenszufriedenheit – ein Faktor, der für eine Reihe von gesundheitlichen Outcomes relevant ist – bei Personen geringer ist, die von diesen Auswirkungen betroffen sind oder diese mit einer hohen Wahrscheinlichkeit antizipieren, als bei denjenigen, die keine Arbeitsplatz- oder Einkommensverluste befürchten. Da eine geringere Lebenszufriedenheit auch mit Folgen für die allgemeine und psychische Gesundheit einhergeht, gilt es, strukturelle Ursachen sozioökonomischer und sozialer Benachteiligungen abzubauen, um damit auch gesundheitliche Ungleichheiten nachhaltig zu adressieren und für künftige Krisen als gesamte Gesellschaft besser vorbereitet zu sein.