Einleitung

Vulnerabilität ist die Verwundbarkeit eines Menschen gegenüber negativen Einflüssen. Jeder Mensch ist im Laufe seines Lebens mehrmals Phasen einer erhöhten Vulnerabilität ausgesetzt [1].

Eine ungewollte Schwangerschaft stellt für viele Betroffene eine Zeit der grundsätzlichen Konfrontation mit Lebensplänen und -perspektiven dar. Besonders die Zeit bis zur Entscheidung bzw. Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs (SAB) wird als besonders belastend empfunden. Verschärft wird die Belastung durch Hürden, die den Betroffenen durch die deutschen gesetzlichen Vorgaben geschaffen werden. Vulnerable Gruppen, wie etwa Alleinerziehende und Schwangere mit niedrigem Bildungs‑/Einkommensniveau, sind davon in besonderem Maße betroffen.

Schwangerschaftsabbrüche (SAB) sind etwas Alltägliches in Deutschland. Im Jahr 2020 wurden rund 100.000 Abbrüche gemeldet [2]. Das sind etwa 273 pro Tag. Laut der Studie „frauen leben 3“ haben 13 % aller jemals Schwangeren schon einmal einen oder mehrere Abbrüche angegeben. Dies entspricht fast jeder achten dieser Frauen [3].

In diesem Diskussionsbeitrag wird den Fragen nachgegangen, welche (insbesondere gesetzlichen) Hürden in Deutschland für einen SAB zu überwinden sind, inwiefern vulnerable Gruppen von der Problematik besonders betroffen sind und welche aktuellen Entwicklungen es z. B. durch die COVID-19-Pandemie gibt. Außerdem wird die Rolle der Verhütung beleuchtet und die verschiedenen Methoden des SAB erklärt, inklusive neuer Ansätze wie einer telemedizinischen Begleitung.

Fakten und Zahlen zum Schwangerschaftsabbruch

Eine unbeabsichtigte (Synonym: ungeplante) SchwangerschaftFootnote 1 kann gewünscht oder ungewollt sein und wird vom United Nations Population Fund (UNFPA) wie folgt definiert: eine Schwangerschaft, die bei einer Frau eingetreten ist, die keine (weiteren) Kinder haben wollte, oder die zum falschen Zeitpunkt eingetreten ist, d. h. früher als gewünscht. Diese Definition gilt unabhängig vom Ausgang der Schwangerschaft (Schwangerschaftsabbruch, Fehlgeburt oder Geburt; [4]).

Die meisten Schwangeren, die sich für einen SAB entscheiden, sind zwischen 20 und 40 Jahre alt. Nur 3 % der Betroffenen sind unter 18 Jahre alt (Abb. 1). Fast 60 % der Frauen, die einen SAB durchführen lassen, haben schon Kinder [2]. Personen, die sich für einen SAB entscheiden, entscheiden sich also oft nicht grundsätzlich gegen Kinder.

Abb. 1
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Anteil verschiedener Altersgruppen bei Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland im Jahr 2021 [2], eigene Abbildung

2019 gaben 77 % der Bevölkerung unabhängig vom Einkommen die Familie als ihren wichtigsten Lebensbereich an, noch vor dem Beruf und dem Freundeskreis. Bei Eltern mit minderjährigen Kindern waren dies sogar 91 %. 2017 stimmten 68 % (Westdeutschland) und 78 % (Ostdeutschland) der Aussage zu, dass „ohne Kinder etwas im Leben fehlt“ [5].

2021 wurden in Deutschland fast 800.000 Geburten gemeldet [2], das Verhältnis von Geburten zu SAB beträgt damit 8:1. Pro Jahr finden rund 60 Abbrüche pro 10.000 Frauen im reproduktiven Alter statt. In anderen Teilen Europas liegen die Zahlen z. T. deutlich höher. So gibt es beispielsweise in England/Wales jährlich rund 625.000 Lebendgeburten und 215.000 SAB (Verhältnis 3:1). Die Rate pro 10.000 Frauen im reproduktiven Alter (15–44 Jahre) liegt dort bei 186 Abbrüchen [6].

Vergleicht man die drei Jahre vor der Pandemie mit den Jahren 2020/2021, hat sich die absolute Zahl der SAB in Deutschland nur unbedeutend verändert. In Abb. 2 werden die 1. Quartale der Jahre verglichen, für 2021 ist hier nur ein leichter Rückgang zu verzeichnen.

Abb. 2
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Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche (SAB) in Deutschland im 1. Quartal der Jahre 2017–2022 [2], eigene Abbildung

Die Gesetzeslage in Deutschland

In Deutschland gibt es 3 Indikationen für einen Schwangerschaftsabbruch (Tab. 1). Wichtig ist, dass alle drei Indikationen als Tötungsdelikt in den §§ 218 ff. Strafgesetzbuch verankert sind. Die medizinischen und kriminologischen Indikationen sind im Gegensatz zur „Beratungsregelung“ nicht rechtswidrig. Allerdings werden die Beteiligten – unter Einhaltung umfangreicher Vorgaben – nicht bestraft. Die Einbettung im Strafgesetzbuch hat weitreichende Konsequenzen, aus ihm leiten sich viele weitere Vorschriften ab, die Hindernisse für alle Beteiligten darstellen. So kann eine „strafbare Handlung“ z. B. keine Krankenkassenleistung sein, Ärzt*innen fürchten sich vor Anzeigen durch Abtreibungsgegner*innen und Abtreibungsmedikamente sind nicht über Rezept zu erhalten.

Tab. 1 Schwangerschaftsabbruch in Deutschland: Indikationen und gesetzliche Regelungen

96 % aller SAB werden nach der Beratungsregelung durchgeführt (Abb. 3). Meist finden diese in den ersten 12 Wochen nach Befruchtung statt.

Abb. 3
figure 3

Schwangerschaftsabbruch nach Indikation in Deutschland 2021 [2], eigene Abbildung

Welche Faktoren beeinflussen die Entscheidung zur Beendigung oder Fortführung einer Schwangerschaft?

Laut der Studie „frauen leben 3“ soll mit einem SAB die Geburt eines ersten oder weiteren Kindes entweder verschoben oder die Kinderzahl begrenzt werden. Faktoren, die die Entscheidung für einen SAB beeinflussen, sind vor allem [3]:

  • eine schwierige Partnersituation (an erster Stelle),

  • berufliche und finanzielle Unsicherheit,

  • die schwierige Vereinbarkeit von Familie bzw. Familienplanung und Beruf (insbesondere bei jüngeren Frauen),

  • eine unzureichende Wohnsituation.

Alleinerziehende – zu ca. 90 % sind es Frauen – sind überproportional häufig von Armut und damit von geringerer gesellschaftlicher Teilhabe betroffen [7]. So lag die Armutsrisikoquote der gesamten Bevölkerung im Jahr 2016 bei 16,5 % und bei Alleinerziehenden bei 32,5 % [8]. Ihr Einkommen sank während der Pandemie um fast 25 % [5]. Im Zuge der Coronakrise sank die Erwerbsbeteiligung von Frauen stärker als die von Männern. Frauen übernahmen mehr unbezahlte Sorgearbeit.

In der Studie „frauen leben 3“ wurde festgestellt, dass die Bildung eine Rolle bei der Häufigkeit von SAB spielt. So treiben Schwangere mit hohem Bildungsstand seltener ab als diejenigen mit niedrigem (5,9 % vs. 14,2 %). Hier wird ein Zusammenhang deutlich, denn ein niedriger Bildungsstand geht häufig mit einem niedrigen Einkommen einher [3].

Eine Befragung der Hans-Böckler-Stiftung ergab, dass 2020 pandemiebedingt „große Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation“ und eine „äußerst oder stark belastende finanzielle Situation“ umso stärker ausgeprägt waren, je niedriger das Haushaltseinkommen war.

Die Studie zitiert: „Gut, wäre man alleine ohne Kinder, wäre es nicht so schlimm, das Finanzielle. Aber wenn man schon Kinder hat und wenn man weiß, was ein Kind kostet, da hat man echt Angst irgendwie, dass es doch am Geld fehlen könnte“ [9].

Hier soll noch angemerkt werden, dass ein Schwangerschaftsabbruch nach der Beratungsregelung nicht zu den Leistungen der Krankenkassen gehört. Er kostet je nach Methode zwischen 250 € und 650 €. Allerdings kann nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) bei einem geringen Nettoeinkommen (Stand 2021: ≤ 1258 €) eine Kostenübernahme beantragt werden [10].

Die Zahl derjenigen, die von dieser Kostenübernahme Gebrauch machen, liegt bei ca. 60–70 %. Hierfür gibt es keine offiziellen Daten. Sie beruht auf persönlichen Statistiken aus der gynäkologischen Praxis bzw. Schätzungen von Konfliktberatungsstellen, nach deren Angaben etwa jede dritte Betroffene Anspruch auf eine Kostenübernahme hat.

Allerdings trifft der Zusammenhang zwischen Armut und unbeabsichtigter Schwangerschaft nicht automatisch zu, obgleich er häufig benannt wird. Viele Frauen, die in Armut leben, betrachten Schwangerschaften ggf. als unausweichlich, leben unter Bedingungen, die große Familien begünstigen, oder sehen durch den Transfer von Sozialleistungen Kinder evtl. auch als weitere Einkommensquelle an.

Der Abbruch oder die Fortführung einer Schwangerschaft sind mit dem jeweiligen Wohnort und dessen Einwohnerzahl assoziiert. So unterscheiden sich die Schwangerschaftsabbruchzahlen in den verschiedenen Bundesländern deutlich: Zum Beispiel gibt es in Berlin 116 Abbrüche pro 10.000 fertilen Frauen gegenüber z. B. 44 Abbrüchen pro 10.000 in Baden-Württemberg [2]. Laut „frauen leben 3“ ist es u. a. in Großstädten (> 500.000 Einwohner*innen) am wahrscheinlichsten und bei Orten mit unter 2000 Einwohner*innen am unwahrscheinlichsten, dass eine Schwangere sich zu einem Abbruch entscheidet [3]. Wirtschaftliche Faktoren sind auch hier ein möglicher Erklärungsansatz.

Beispiel Baden-Württemberg: Zusammen mit Bayern hat dieses Bundesland die niedrigsten Abbruchzahlen in Deutschland. Es ist ein Flächenstaat mit großer Wirtschaftskraft, niedriger Erwerbslosen- und Armutsgefährdungsquote. Die durchschnittliche Gemeinde in Baden-Württemberg hat rund 5000 Einwohner, 20 % leben in Städten über 100.000, rund 14 % in unter 5000 und 36 % in 5000 bis 20.000 Einwohner*innen großen Gemeinden [11].

Beispiel Berlin: Laut statistischem Bundesamt liegt Berlin bei den Abbruchzahlen regelmäßig an der Spitze. Die dicht besiedelte, urbane Metropole hat eine hohe Verschuldung, Armutsgefährdungs- und SGB-II-HilfequoteFootnote 2 sowie ein niedriges Durchschnittseinkommen. Berlin hat einen höheren Anteil von Kinderlosen, Alleinstehenden mit und ohne Kinder und nicht konventionellen Lebensformen. Die Selbstständigkeit der Frauen mit starker Erwerbsorientierung hat hier einen höheren Stellenwert als in ländlichen Regionen Deutschlands. In Berlin spielen in Hinblick auf die hohen Abbruchzahlen sicher besondere sozioökonomische Faktoren eine Rolle.

Welche Rolle spielt die Verhütung?

Deutschland gehört zu den Ländern, in denen relativ sicher verhütet wird. Bei einer Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gaben 2018 über 70 % der sexuell aktiven Bevölkerung an, ein Verhütungsmittel zu verwenden. Bei den 18- bis 30-Jährigen benutzten 58 % das Kondom bzw. 56 % die Pille, davon 35 % das Kondom als alleiniges Verhütungsmittel [12]. Dies bestätigt auch die Studie „KiGGS Welle 2“ (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, Robert Koch-Institut): 76,5 % der Frauen zwischen 18 und 31 Jahren geben an, Verhütungsmittel zu verwenden. Frauen in fester Partnerschaft verhüten mit 68,2 % weniger häufig als ohne feste Beziehung (79 %; [13]).

Dagegen zeigte eine Auswertung aus dem Jahr 2021, dass bei fast 62 % der unbeabsichtigten Schwangerschaften kein Verhütungsmittel benutzt wurde. Betrachtet man alle Schwangerschaften, ist fast jede fünfte Schwangerschaft aufgrund unterlassener Verhütung entstanden, obgleich kein Kinderwunsch bestand [14]. Von den unbeabsichtigt Schwangeren wurden drei hauptsächliche Motive für die unterlassene Verhütung genannt [14]:

  • latenter Kinderwunsch, eine Schwangerschaft wird nicht grundsätzlich abgelehnt (betrifft ca. ein Drittel der Befragten),

  • individuelle und strukturelle Hürden bei der Benutzung von Verhütungsmitteln, wie z. B. gesundheitliche Vorbehalte oder eine zu hohe finanzielle Belastung,

  • die irrtümliche Annahme, nicht schwanger werden zu können.

Die biografische Situation spielte für die Befragten dabei eine große Rolle. Bei fast 20 % lagen keine statistisch verwertbaren Motive vor.

Beim Zugang zu Verhütung sind finanziell schlechter gestellte vulnerable Gruppen häufiger benachteiligt, da Verhütungsmittel nur für unter 22-Jährige eine Krankenkassenleistung sind. Frauen mit niedrigem Bildungsniveau und mit Bezug staatlicher Unterstützungsleistungen (vor allem Arbeitslosengeld II) berichten häufiger davon, auf Verhütungsmittel zu verzichten [14].

Mit dem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Modellprojekt „biko“ wurde 2017/2018 ein Zugang zu einer Kostenübernahme für Verhütung erprobt. Jede zweite Frau gab an, sie würde ohne die finanzielle Unterstützung durch „biko“ entweder gar nicht oder mit einer deutlich unsichereren Methode verhüten. Die zweitgrößte Nutzerinnengruppe von „biko“ waren Frauen, die trotz Berufstätigkeit über ein geringes Einkommen verfügen. Über 50 % entschieden sich für Langzeitverhütungsmethoden (z. B. Spiralen). Etwas mehr als ein Viertel erhielt eine erstmalige Kostenübernahme für die Pille [15].

Hürden für einen Schwangerschaftsabbruch

Entgegen den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und der von der Bundesregierung unterschriebenen menschenrechtlichen Verpflichtung im UN-Frauenrechtsausschuss in Deutschland gibt es viele gesetzliche Vorgaben und Hürden für den Abbruch einer Schwangerschaft. Diese sind medizinisch unbegründet. Es gibt Hürden, die die Schwangere betreffen, aber auch Schwierigkeiten für Ärzt*innen, die Leistung eines SAB anzubieten (Tab. 2).

Tab. 2 „Hürden“ beim Schwangerschaftsabbruch für Schwangere und Ärzt*innen

Die Vorstellung, dass Hürden, Verbote bzw. strenge Gesetze Schwangerschaftsabbrüche vermeiden, ist eine frauenfeindliche Haltung. Sie unterstellt den Betroffenen, sich leichtfertig für einen Abbruch zu entscheiden. Die Realität in Ländern mit restriktiver Gesetzgebung zeigt, dass weder die Anzahl der Lebendgeburten höher noch die Zahl der Abbrüche niedriger ist. Anzunehmen ist, dass die Konsequenz von Restriktionen lediglich ist, dass Betroffene „unsichere Abbrüche“ wählen und damit ihre Gesundheit und z. T. ihr Leben aufs Spiel setzen.

Mit 96 % erfolgt ein SAB am häufigsten nach der Beratungsregelung (Abb. 2). Hierbei werden die Betroffenen aufgefordert, ihre persönlichen Gründe bei einer Beratungsstelle darzulegen und bekommen danach einen Beratungsschein. Obwohl die Beratung ergebnisoffen sein soll, ist doch folgendes im Schwangerschaftskonfliktgesetz formuliert: „Die Schwangerschaftskonfliktberatung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen“ [10].

Diese Verpflichtung zur Beratung bedeutet eine zusätzliche Hürde, die mit Terminvereinbarung, Anfahrt, ggf. psychischem Stress, vor einer fremden Person persönliche Dinge preiszugeben, um einen Beratungsschein zu erhalten, verbunden ist.

Die Entwicklung der Versorgung in den letzten Jahren

In Hinblick auf das Angebot an Einrichtungen, die SAB durchführen, ist im § 13 (2) SchKG lediglich die gesetzliche Sicherstellung eines „ ausreichenden Angebot(s) ambulanter und stationärer Einrichtungen“ gefordert. Dieses Angebot wird im Allgemeinen so ausgelegt, dass es für die Schwangeren möglich sein sollte, an einem Tag hin und wieder zurück nach Hause zu kommen. Ärzt*innen, die SAB durchführen, müssen jeden Abbruch an das statistische Bundesamt melden. Danach hat sich die Gesamtzahl der Meldestellen seit 2003 von 2050 auf 1089 im Jahr 2022 fast halbiert [2, 23]. Ende 2020 gab es fast 12.000 niedergelassene Gynäkolog*innen in Deutschland [16]. Das heißt, dass nur etwa jede*r 12. Frauenärzt*in in der Praxis Abbrüche durchführt.

Um die Informationslage für die Betroffenen zu verbessern, beschloss der Bundestag im Februar 2019, eine Liste der SAB durchführenden Ärzt*innen auf der Internetseite der Bundesärztekammer zu veröffentlichen. Der Eintrag in diese Liste ist freiwillig. Von den rund 1100 Meldestellen waren Mitte 2022 nur etwa ein Drittel auf dieser Liste aufgeführt [17]. Dies stellt eine weitere Hürde dar, sind doch durchführende Ärzt*innen für die Betroffene – vor allem wohnortnah – schwer zu finden. Hinzu kommt die ungleiche geografische Verteilung. So gibt es in Großstädten wie Berlin und Hamburg ausreichend Praxen, die auch die verschiedenen Methoden anbieten. In bestimmten Gebieten – vor allem im ländlichen Bayern – sieht es ganz anders aus: 48 Ärzt*innen führen ca. 11.500 SAB pro Jahr durch, davon praktizieren fast zwei Drittel in München [18].

Im Jahr 2020 führten in Niedersachsen 90 Ärzt*innen fast 9000 Abbrüche durch. Im Rundbrief 48 des Netzwerkes Frauen, Mädchen und Gesundheit aus Niedersachsen vom Juli 2022 wird davon ausgegangen, dass Betroffene in bestimmten Gebieten bis zu 150 km Fahrt in Kauf nehmen müssen, um zu einer SAB-Praxis zu kommen [19]. Dies war vor der COVID-19-Pandemie so und verschärft sich in Zukunft eher, da viele dieser Ärzt*innen ins Rentenalter kommen und die Nachfolger*innen keine SAB mehr machen (wollen oder können). Noch gibt es keine belastbaren Zahlen, warum immer weniger Ärzt*innen einen SAB anbieten. Eine vom Bundesgesundheitsministerium unterstützte Studie wird erst 2023 belastbare Daten vorlegen können (https://elsa-studie.de).

Aus der persönlichen Erfahrung der Autorinnen gibt es – neben sehr persönlichen Motiven – verschiedene weitere Gründe für diesen Rückgang: Strafanzeigen und Internethetze durch Abtreibungsgegner*innen, sog. „Gehsteigdemonstrationen“ vor den Praxen, der hohe organisatorische Aufwand, Einschränkungen durch die gesetzlichen Bestimmungen oder länderspezifischen Gegebenheiten, die nichtkostendeckende Vergütung der Abbrüche und das Gefühl „sich im gesetzlichen Graubereich zu befinden“. Außerdem wird es immer schwieriger, Praxispersonal zu finden, das den SAB mitträgt bzw. sich ggf. den Anfeindungen aussetzt.

Zu der Schwierigkeit, eine*n Ärzt*in zu finden, können für Schwangere auch weitere Hürden durch Fahrtkosten, den Termin in der Beratungsstelle, Kosten bzw. bürokratischer Aufwand für eine Kostenübernahme des SAB, Fehlen am Arbeitsplatz, Unterbringung der Kinder, Probleme bei der Rechtfertigung der Abwesenheit und vor allem Probleme mit der häufig gewünschten „Geheimhaltung“ hinzukommen.

In der Pandemie verschlechterte sich die Lage für die Betroffenen noch mehr: Die Kinderbetreuung fand zu Hause statt, Schulen und Kitas waren geschlossen, die Bewegungs- und Reisefreiheit war z. T. eingeschränkt, Quarantänen mussten eingehalten werden und obgleich ein SAB möglichst früh in der Schwangerschaft durchgeführt werden sollte, wurden viele Schwangere vertröstet.

Methoden des Schwangerschaftsabbruchs

Vorgestellt werden die Methoden für einen frühen SAB (bis zur 12. Woche nach Befruchtung bzw. 14. Woche nach letzter Menstruation). 96 % dieser SAB werden nach der Beratungsregelung durchgeführt (Abb. 3). Rund 32 % der Schwangerschaftsabbrüche werden medikamentös (mSAB) und 64 % operativ (opSAB) beendet [2]. Der unterschiedliche Ablauf der beiden Methoden wird in Tab. 3 erklärt.

Tab. 3 Abläufe bei medikamentösem und operativem Schwangerschaftsabbruch im Vergleich

Operativer Abbruch (opSAB).

Der Eingriff wird im Allgemeinen unter einer kurzen Vollnarkose durchgeführt, dauert 2–10 min, ist risikoarm und findet zu über 80 % ambulant in Praxen niedergelassener Gynäkolog*innen [2] statt.

Medikamentöser Abbruch (mSAB).

Beim mSAB kommen zwei Substanzen zum Einsatz: Mifepriston und Misoprostol. Sie bewirken eine künstliche Gelbkörperschwäche und führen zu Gebärmutterkontraktionen. Dadurch wird die Schwangerschaft beendet und abgeblutet.

Im Vergleich zu anderen Ländern werden in Deutschland nur 32 % aller Schwangerschaften medikamentös beendet. In der Schweiz – die Zulassung von Mifepriston erfolgte 1999 gleichzeitig mit Deutschland – werden mehr als 80 % so durchgeführt. Bemerkenswert ist, dass es auch innerhalb Deutschlands große regionale Unterschiede gibt. In Berlin werden fast 50 % der Schwangerschaften mit dieser Methode beendet, in Bremen nur knapp 20 % [2]. Hier zeigt sich, dass nicht der Wunsch der Schwangeren bestimmend ist, sondern das ärztliche Angebot. Die Wahlmöglichkeit der Betroffenen bezüglich der Abbruchmethode wird somit z. T. stark eingeschränkt.

Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch zu Hause

Um besonders in der Pandemiezeit den Zugang für viele Betroffene zu ermöglichen, hat das „Familienplanungszentrum Balance e. V.“, Berlin in Kooperation mit dem Verein „Doctors for Choice, Germany“ 2020 das wissenschaftlich begleitete Projekt „Schwangerschaftsabbruch-zuhause.de“ gestartet, die telemedizinische Begleitung von mSAB. Die Autorinnen sind betreuende Ärztinnen dieses Projekts.

In vielen Ländern (u. a. Frankreich, Spanien, dem Vereinigten Königreich und der Schweiz) ist eine Variante des mSAB – auch „home use“ genannt – seit dem Jahr 2000 legal und viele Studien weisen seine Sicherheit nach [20]. Dabei findet der zweite Teil des Abbruchs – das Abbluten der Schwangerschaft – nicht in der Praxis, sondern „zu Hause“ statt. Durch die vielen gesetzlichen Vorschriften und Auflagen in Deutschland bedeutet der „home use“ bzw. telemedizinisch begleitete Abbruch jedoch deutlich mehr organisatorischen Aufwand als in anderen Ländern.

Eine telemedizinische Begleitung von ungewollt Schwangeren wird von der kanadischen Nichtregierungsorganisation „Women on Web“ (WoW) schon seit über 15 Jahren praktiziert. 2020 hatte die Organisation bereits mehr als 30.000 Personen weltweit begleitet [21]. Obwohl ursprünglich Länder ausgeschlossen wurden, in denen es einen legalen Zugang zu den Medikamenten gibt, werden seit 2019 auch Anfragen aus Deutschland bearbeitet. Die Anfragen aus dem Jahr 2019 wurden in einer Studie ausgewertet [22]. Insgesamt hat es 1090 Anfragen aus Deutschland gegeben, obwohl diese Form der SAB hier illegal ist. Etwa die Hälfte der Personen wählte diese Form mit der Begründung „Notwendigkeit der Geheimhaltung“ („need for secrecy“), die andere Hälfte gab den Wunsch nach Diskretion („wish for privacy“) an. Insbesondere vulnerable Gruppen wie Jugendliche oder illegalisierte Migrant*innen wenden sich an WoW.

Nach persönlicher Kommunikation mit „Women on Web“ hat sich die Anzahl der Anfragen aus Deutschland in den Jahren der Pandemie verdoppelt und lag 2020 bei 2285 und 2021 bei 2041. Dies sind 10-mal mehr Anfragen als im Berliner Projekt. Ein Grund dafür könnten die Hürden der gesetzlichen und bürokratischen Vorschriften sein, die das Projekt „Schwangerschaftsabbruch-zuhause“ einhalten muss. Diese sind für einen nicht unerheblichen Teil von ungewollt Schwangeren immer noch zu hoch.

Fazit

Schwangere, die das Abbrechen der Schwangerschaft erwägen, befinden sich meist in einer Ausnahmesituation. In dieser Situation ist es notwendig, eine empathische Begleitung zu ermöglichen und Hürden aus dem Weg zu nehmen, damit die Betroffenen in Ruhe entscheiden können, ob sie die Schwangerschaft austragen oder abbrechen möchten. Besonders Frauen mit niedrigem Bildungsniveau, geringem Einkommen und Alleinerziehende verzichten u. a. aus Kostengründen auf Verhütung, werden häufiger schwanger und haben höhere Abbruchzahlen.

Es gibt viele Hinweise darauf, dass die Versorgung von ungewollt Schwangeren in Deutschland unzureichend ist. Außer in Großstädten gibt es selten die Möglichkeit, zeit- und wohnortnah eine betreuende Ärzt*in zu finden und zwischen den verschiedenen Methoden für die Beendigung einer Schwangerschaft zu wählen. Insbesondere für vulnerable Gruppen sind die gesetzlichen Hürden, wie etwa die Vereinbarung eines Termins in einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle, die Beantragung der Kostenübernahme bei der Krankenkasse und die Suche nach einer Einrichtung, die schließlich den Abbruch durchführt, hoch. Die COVID-19-Pandemie hat diese Problematik in einigen Regionen für Einzelne verschärft. Dies zeigen Projekte wie „Schwangerschaftsabbruch-zuhause“ oder „Women on Web“.