Aspekte einer ausgewogenen und gesundheitsfördernden Ernährung werden in allen Bundesländern und Schulformen in den RLP in unterschiedlichem Ausmaß und Tiefe aufgegriffen. Dabei werden Humanbiologie und Ernährung vorrangig bis Klasse 8 unterrichtet, komplexere Themen ab Klasse 9. Umfang und Komplexität der Themenfelder steigen dabei mit den Klassenstufen bzw. beim Vergleich von Mittelschule und Gymnasium. Während die naturwissenschaftlichen Fächer in Theorie und Praxis auf naturwissenschaftliche Aspekte abzielen, bieten die Hauswirtschaftsfächer eine multiperspektivische Betrachtungsweise. Sie behandeln theoretisch und praktisch die Bereiche Haushalt, Mahlzeitenzubereitung und Konsum. Obwohl viele Themenfelder bereits in den RLP verankert sind, gibt es auch Aspekte, die in den aktuell vorliegenden Versionen zu wenig Beachtung finden, um gezielt eine ausgewogene Ernährung und die Prävention von Übergewicht und seinen Folgeerkrankungen zu fördern.
Die Ergebnisse dieser Arbeit decken sich mit denen von Dankers et al., die zeigen konnten, dass EB zwar in allen Bundesländern Teil der RLP, aber nicht durchgängig und mehrperspektivisch in ihnen verankert ist [27].
Kenntnisse und Kompetenzen zu gesunder Ernährung besitzen besondere Relevanz, wenn es um ihre Anwendung im Alltag geht, wie dem Einkauf qualitativ hochwertiger Lebensmittel, der Zubereitung gesunder Mahlzeiten, der Prävention und Behandlung von Erkrankungen, dem Wechsel zu neuen Ernährungsformen und Diäten oder der Berücksichtigung von ökologischen Aspekten bei der Lebensmittelauswahl. Ein häufig vernachlässigtes Thema sind zudem Nahrungsergänzungsmittel, obgleich das Angebot von ihnen vielfältig ist. Da ihre Einnahme bei einer ausgewogenen Ernährung jedoch nicht notwendig ist, sollten sich die Schüler:innen mit Nutzen und Risiken solcher Präparate auseinandersetzen. Da schulinterne Curricula und Materialien variieren können, wäre es angeraten, konkrete Schlagwörter und Definitionen zum Themenfeld Ernährung in den einzelnen RLP zu ergänzen.
Ergänzung finden könnten auch Lerninhalte zu den Zusammenhängen von Ernährung, Stoffwechselprozessen und Krankheitsentstehung. Diese werden bislang hauptsächlich in den unteren Jahrgängen unterrichtet und folglich in Altersklassen, in denen die Mahlzeitenversorgung vorrangig durch Eltern oder Schulmensen erfolgt. Es ist daher fraglich, ob die Schüler:innen am Ende ihrer Schullaufbahn in Klasse 10 bzw. 12 auf umfassende alltagstaugliche Kenntnisse und Kompetenzen zu Ernährung zurückgreifen können, um später gesundheitsbewusst ihre eigene Versorgung zu gestalten.
Grundlagen der Verbraucherbildung und des Lebensmittelrechts werden ausschließlich in den Hauswirtschaftsfächern vermittelt. Da die Bundesländer MV und TH sowie Gymnasien keine Hauswirtschaftsfächer anbieten, besitzen sie an dieser Stelle Defizite in den Bereichen Verbraucherbildung, Konsum, Haushalt und Mahlzeitenzubereitung. Die Verbraucherbildung hat eine hohe Alltagsrelevanz, da sie die Menschen befähigt, Marketingstrategien zu durchschauen, Produktkennzeichnungen zu verstehen sowie Qualitätsmerkmale wie Haltbarkeitsangaben und Zugabe von Zusatzstoffen beurteilen und souverän Risikobewertung von Schadstoffen vornehmen zu können. Diese Inhalte sollten daher zwingend in die RLP aufgenommen werden.
Ebenso wie die Kategorie Lebensmittelqualität finden auch Ernährungsformen bislang kaum Beachtung. Veränderungen der Ernährungsweisen im Wandel der Zeit, ökologische und ethische Aspekte der Nahrungsmittelauswahl oder kulturelle Unterschiede werden wenig berücksichtigt. Zwar sprechen einige RLP „Ernährungsweisen“ an, charakterisieren diese jedoch nicht näher. Dabei gab es noch nie so viele Ernährungsformen, Diäten und Ernährungstrends wie heute. Auch Kinder und Jugendliche setzen sich immer häufiger mit diesen Themen im Alltag auseinander, z. B. durch soziale Medien oder den Einfluss von Mitschüler:innen aus anderen Kulturkreisen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Vielfalt der heutigen Ernährungsformen kann die Schüler:innen dazu befähigen, deren positive und negative Gesundheits- und Umweltfolgen abschätzen zu können sowie sich eigener Ernährungsgewohnheiten bewusst zu werden und diese zu hinterfragen.
Viele der oben angesprochenen Aspekte finden sich auch in dem Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung (NAP BNE) wieder [30]. Danach soll BNE langfristig und als Querschnittsaufgabe in den Bildungsstrukturen verankert und verantwortungsbewusstes Denken und Handeln ermöglicht werden. Schulen stellen hierbei zentrale Handlungsfelder dar. BNE sollte sowohl in der Aus‑, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften integriert als auch in den Lehr- und Bildungsplänen verankert werden. Dies wäre nicht nur im Interesse von Politik und Gesellschaft, sondern würde auch Schüler:innen für eine ernährungsphysiologisch wertvolle und bewusste Ernährung sensibilisieren, die zudem ein zunehmendes Engagement für eine nachhaltige Lebensweise zeigen.
In die schulische Bildung könnten z. B. die Nachhaltigkeitsziele „Gesundheit und Wohlergehen“, „nachhaltige/r Konsum und Produktion“ und „Maßnahmen zum Klimaschutz“ einbezogen werden. Mögliche Anknüpfungspunkte stellen dabei vorhandene Initiativen wie IN FORM, „Zu gut für die Tonne!“ oder „Gut Essen macht stark“ dar, auf die zurückgegriffen werden könnte. Erste Ansätze finden sich in den untersuchten RLP. Diese ließen sich jedoch deutlich ausweiten. Dabei besteht die Möglichkeit auf vorhandene Materialien und Unterrichtskonzepte (z. B. „Umwelt im Unterricht“) zurückzugreifen oder Multiplikator:innen einzubinden. Darüber hinaus könnten die schulischen Lehrkräfte als Multiplikator:innen fungieren.
Möglichkeiten zu einer entsprechenden Fort- und Weiterbildung bieten sowohl Angebote staatlicher wie auch privater Träger. Dies geschieht u. a. im Rahmen der oben genannten Initiativen, welche sich sowohl auf den konkreten Unterricht beziehen als auch inhaltliche Vorschläge umfassen, was von den Lehrkräften als besonders gewinnbringend erachtet wurde [31]. Eine mögliche Schwierigkeit zur flächendeckenden Einführung stellt dabei die Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer für die Aus‑, Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte sowie für die Erstellung der RLP dar. Dies zeigt sich u. a. darin, dass die Verankerung von BNE im Sinne einer übergreifenden Strategie, der Implementierung in den RLP sowie der Lehramtsausbildung und der Angebote an Weiterbildungsprogrammen in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich stark vorangeschritten ist. Erfreulicherweise zeigt sich ein allgemeines Interesse der Kultusminister:innen dergestalt, dass sich die KMK als Mitgliedsinstitution der Nationalen Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung (NP BNE) an der (Weiter‑)Entwicklung von Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten beteiligt.
Wahlthemen, Wahlbereiche oder Leistungskurse stellen gute Möglichkeiten dar, die Lehrplaninhalte thematisch zu ergänzen und oben Genanntes zu vertiefen, finden sich jedoch nicht in allen RLP. So enthalten ST und TH keine Wahlmöglichkeiten und BE/BB nennen keine inhaltlichen Unterschiede für Grund- und Leistungskurse. Die untersuchten Vertiefungsmöglichkeiten erweitern v. a. die Kenntnisse zur Gesunderhaltung des Körpers, Erkrankungen, Lebensmittelproduktion in der Landwirtschaft und Ernährungsweisen. Da die in dieser Arbeit betrachteten RLP besonders bei diesen Themen Lücken aufweisen, wäre eine obligatorische Integration der Wahlthemen in die RLP empfehlenswert.
Obwohl in allen RLP auf Experimente, Exkursionen oder andere praktische Übungen hingewiesen wird, kann nicht abschließend beurteilt werden, ob und in welchem Umfang sie in den Unterricht einfließen. Mögliche Unterschiede ergeben sich u. a. durch interne Curricula, örtliche Bedingungen (z. B. Schulküchen, Schulgarten), finanzielle Mittel und Zeitmangel, die jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht erfasst wurden. Weiterhin sind die Hauswirtschaftsfächer zwar stark projekt- und praxisorientiert, allerdings könnte deutlicher gekennzeichnet werden, welche Lehrplaninhalte und Kompetenzen theoretisch (z. B. Angaben der Nährwertkennzeichnung) oder tatsächlich praktisch (z. B. Anwendung der Nährwertkennzeichnung beim Einkaufstraining) vermittelt werden sollen. Da Gymnasien keine Hauswirtschaftsfächer anbieten, könnte für sie erwogen werden, Mahlzeitenzubereitungen ebenfalls praktisch in den RLP und den Unterricht einzubeziehen, da die Zubereitung ausgewogener Mahlzeiten unabhängig von der Schulart alle Kinder und Jugendlichen betrifft. Hier kann ebenfalls auf vorhandene Angebote des NAP BNE zurückgegriffen werden, wie z. B. Exkursionen zu Demonstrationsbetrieben Ökologischer Landbau [30].
Zu diskutieren wäre letztlich, konkrete Zeitvorgaben für die einzelnen Lernbereiche in allen Bundesländern verpflichtend zu machen. Durch einen festgelegten Stundensatz könnte dem Thema Ernährung mehr Gewicht verliehen werden.
Stärken und Schwächen
Die in dieser Studie durchgeführte detaillierte Inhaltsanalyse der RLP, welche nicht nur die Lehrplaninhalte beschreibt, sondern diese auch mit Klassenstufen, Praxis und Vertiefungsmöglichkeiten verknüpft, ermöglicht einen umfassenderen Überblick über die Ernährungsbildung in Schulen als die alleinige Betrachtung der Inhaltsvorgaben. Die Erkenntnisse zu den Schwächen der EB können Anhaltspunkte für die verbesserte und nachhaltigere Übergewichts- und Krankheitsprävention bei Kindern und Jugendlichen bieten.
Allerdings wurden in dieser Arbeit nur RLP untersucht. Diese geben zwar zu erwerbende Lehrplaninhalte und Kompetenzen verbindlich vor, stellen jedoch keine starre Checkliste dar, welche Lehrkräfte zu erfüllen haben. Um individuelle, schulische, finanzielle, örtliche und gesellschaftliche Gegebenheiten berücksichtigen zu können, entwerfen die Schulen eigene schulinterne Curricula. Folglich können zwischen den einzelnen Schulen eines Bundeslandes mehr oder weniger große Unterschiede bezüglich der Umsetzung und des Einsatzes von Unterrichtsmaterialien bestehen. Darüber hinaus sind Lehrpläne dynamischen Veränderungen unterworfen und die Ergebnisse dieser Arbeit stellen nur eine Momentaufnahme dar, da Lehrpläne je nach aktuellem Stand der Forschung, Anforderungen der Gesellschaft oder gesetzlichen Rahmenbedingung aktualisiert und verändert werden.
In dieser Arbeit wurden zudem nicht alle Bundesländer betrachtet. Aufgrund länderspezifischer Unterschiede sollten die Ergebnisse daher nicht für die gesamte Bundesrepublik verallgemeinert werden. Darüber hinaus untersucht die Arbeit nur eine Auswahl bestimmter Schulfächer. Es ist nicht auszuschließen, dass Fächer wie Chemie, Geografie oder Sprachen ebenso relevante Informationen zu Teilaspekten der Ernährung liefern. Diese Fächer sollten in weiterführenden Arbeiten in die Betrachtungen eingeschlossen werden. Gleiches gilt für einen Vergleich mit den RLP anderer Bundesländer.
Durch die alleinige Fokussierung auf die RLP konnte nicht geprüft werden, inwiefern diese tatsächlich mit dem Ernährungswissen und der Ernährungskompetenz der Schüler:innen korrelieren. Es ist nicht auszuschließen, dass durch den Spielraum, den die RLP bieten, Schulen und Lehrkräfte ernährungsbezogene Themen bereits deutlich detaillierter behandeln, als es auf den ersten Blick wirkt. Daher scheint auch eine weiterführende Untersuchung zur individuellen Ausgestaltung der Rahmenvorgaben sinnvoll. Diese konnte allerdings im Rahmen der vorliegenden Studie nicht durchgeführt werden. Um die tatsächliche Wissens- und Kompetenzvermittlung angemessen abbilden zu können, wäre eine weiterführende Untersuchung erforderlich.