Einleitung

Aktuelle wissenschaftliche Studien verweisen darauf, dass die im Zuge der COVID-19-Pandemie eingeführten Kontaktbeschränkungen und die damit verbundenen Schließungen von Bildungs- und Freizeiteinrichtungen für Kinder und Jugendliche besonders belastend sein können. Dazu zählen neben körperlichen Auswirkungen wie Bewegungsmangel und Gewichtszunahme auch psychische Probleme wie Verhaltensauffälligkeiten und Depressionen [1,2,3,4].

In der Region Hannover werden jährlich im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung (SEU) mehr als 10.000 Kinder untersucht, um rechtzeitig vor Schuleintritt gesundheitliche Auffälligkeiten aufzudecken und entsprechende Maßnahmen in die Wege zu leiten. Dazu gehören neben einer körperlichen Untersuchung und der Überprüfung der sprachlichen, motorischen und kognitiven Entwicklung auch die Beurteilung des Verhaltens und der sozial-emotionalen Kompetenzen des Kindes.

Mit der hier vorgestellten Studie soll anhand der Schuleingangsdaten gezeigt werden, ob sich nach dem ersten Lockdown im März 2020 vermehrt Auffälligkeiten in den unterschiedlichen Entwicklungsbereichen und in der Gesundheit der Kinder in der Region Hannover zeigten. Ferner sollen die Ergebnisse eines Fragebogens für Eltern zum Alltag und Wohlergehen der Kinder und ihren Familien während der Coronapandemie vorgestellt werden.

Die SEU zählt zu den wichtigsten sozialpädiatrischen Aufgaben des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes (KJGD) im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). Die SEU ist in Niedersachsen eine verpflichtende Untersuchung aller schulpflichtig werdenden Kinder (NGöGD § 5, § 8, NSchG § 56; [5, 6]) und somit eine Vollerhebung eines Jahrgangs. Sie ermöglicht, Aussagen über den Entwicklungs- und Gesundheitszustand einer gesamten Alterskohorte zu machen. Präventive Angebote können somit (weiter-)entwickelt werden. In der Region Hannover (1,2 Mio. Einwohner*innen) hat das Team „Sozialpädiatrie und Jugendmedizin“ des Fachbereichs Jugend den gesetzlichen Auftrag zur Durchführung der SEU für alle 21 Städte und Gemeinden.

Im Folgenden wird zunächst das Studiendesign beschrieben und die Methodik der SEU näher erläutert. Anschließend werden die aus den Auswertungen resultierenden Ergebnisse präsentiert und im Diskussionsteil anderen Studien gegenübergestellt, kritisch beleuchtet und letztendlich ein Fazit gezogen.

Methodik

Studiendesign und Studienpopulation

Es handelt sich um eine Vergleichsanalyse der Schuleingangsdaten der Einschulungsjahrgänge 2017/2018 bis 2020/2021 der Region Hannover.

Mit der zuletzt erfolgten Vollerhebung wurden für den Einschulungsjahrgang 2019/2020 in der Region Hannover 10.925 Untersuchungen von September 2018 bis August 2019 durchgeführt. Bis zum Beginn des Lockdowns Mitte März 2020 konnten für den Jahrgang 2020/2021 bereits 6604 Kinder untersucht werden. Aufgrund der COVID-19-Pandemie ab Mitte März 2020 wurde das Team „Sozialpädiatrie und Jugendmedizin“ im Fachbereich Gesundheit für die Fallbearbeitung eingesetzt und die SEU vorübergehend ausgesetzt. Da erst im Juni 2020 die Untersuchungen wieder aufgenommen wurden, konnten nicht mehr alle Kinder vor Schulbeginn dazu eingeladen werden. Aufgrund dessen wurde ein sozialkompensatorischer Ansatz verfolgt und vorrangig sozial benachteiligten Familien eine SEU angeboten. Damit konnten weitere 2339 SEU nach Wiederaufnahme der SEU von Juni bis Ende September 2020 nachgeholt werden, dieser Datensatz repräsentiert die Nach-Lockdown-Situation. Für die nachzuholenden SEU wurden folgende Auswahlkriterien festgelegt, um vorrangig Kindern mit erhöhtem Förderbedarf eine Untersuchung und Beratung anzubieten:

  • Kinder aus Stadtteilen/Schuleinzugsgebieten mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Familien,

  • Kinder, die nach Einschätzung des pädagogischen Personals aus Kindertageseinrichtungen einen besonderen Förderbedarf haben und mit Einverständnis der Eltern vermittelt wurden,

  • Eltern, die eine Untersuchung ihrer Kinder und/oder eine Beratung wünschten.

Alle untersuchten Kinder wurden in den Datensätzen zur SEU erfasst und als anonymisierte Fälle in die Auswertung einbezogen.

Um einen Vergleich der Nach-Lockdown-Situation mit den vorangegangenen Einschulungsjahrgängen herzustellen, wurden die Datensätze der Schuleingangsjahrgänge 2017/2018 bis 2020/2021 angeglichen. So mussten Kinder mit oder mit drohender Behinderung ausgeschlossen werden (rund 400 Kinder pro Jahrgang), da diese Kinder in der Region Hannover vom Team „Teilhabeplanung“ des Fachbereichs Soziales untersucht werden und dieses Team aufgrund des Verbleibs in der Coronafallbearbeitung die SEU im Juni 2020 nicht wieder aufnehmen konnte.

Da der Datensatz für die Nach-Lockdown-Situation aufgrund des oben aufgeführten Selektionsfokus eine Verzerrung beinhaltet, wurde dieser Datensatz entsprechend der letzten Vollerhebung des Einschulungsjahrgangs 2019/2020 (Referenzdatensatz) simultan nach den beiden Variablen Haushaltbildungsindex (Index aus höchst erreichtem Schul- und Berufsabschluss beider Elternteile) und Migrationshintergrund gewichtet. Fälle, in denen keine Angaben zu diesen Variablen vorlagen, wurden aus den Datensätzen ausgeschlossen.

Nach diesen Anpassungen verblieben 9704 Kinder des Einschulungsjahrgangs 2019/2020, 8582 Kinder des Einschulungsjahrgangs 2018/2019 und 8973 Kinder des Einschulungsjahrgangs 2017/2018 für die Vor-Lockdown-Situation und 2178 Kinder für die Nach-Lockdown-Situation (Abb. 1, Tab. 1). Zwei bedeutende Verzerrungen wurden somit eliminiert. Es werden jeweils die Prävalenzen zu den Untersuchungsergebnissen eines Einschulungsjahrgangs mit dem vorherigen Jahrgang verglichen. Dazu werden die 95 %-Konfidenzintervalle und die Signifikanz der Unterschiede mit dem Chi-Quadrat-Test berechnet. Das Signifikanzniveau (p-Wert) wurde auf < 0,05 festgelegt. Zur Berechnung der Signifikanzen wurden die unten aufgeführten Variablen dichotomisiert (z. B. auffällige und grenzwertige Ergebnisse versus unauffällige Ergebnisse, mit Befund versus ohne Befund). Zur weiteren Interpretation wurden die Ergebnisse in der Sprachkompetenz in Deutsch (Präpositions- und Pluralbildung) nach Migrationshintergrund und die Ergebnisse zum Übergewicht nach Haushaltbildungsindex stratifiziert, um zu überprüfen, ob die Gruppen, die bereits vor der Coronapandemie einen hohen Anteil auffälliger Befunde gezeigt hatten, durch den Lockdown in besonderer Weise betroffen waren.

Abb. 1
figure 1

Flussdiagramm zur Anzahl der in die Studie eingeschlossenen Kinder pro Einschulungsjahrgang mit Angaben der Ausschlusskriterien. (Quelle: Region Hannover)

Tab. 1 Charakteristika der Schulanfängerkohorten der Einschulungsjahrgänge 2019/2020 und 2020/2021 nach dem 1. Lockdown. Der Jahrgang 2020/2021 wurde gewichtet nach Migrationshintergrund und Haushaltbildungsindex mittels Jahrgang 2019/2020 als Referenzdatensatz

Seit September 2020 werden in allen Dienststellen des Teams „Sozialpädiatrie und Jugendmedizin“ Fragebögen ausgelegt, die die Eltern freiwillig und anonym ausfüllen können. Die Fragen beziehen sich auf den Alltag und das Wohlbefinden der Kinder seit der Coronapandemie (siehe Elternfragebogen im Onlinematerial). Diese Daten konnten nicht mit den Schuleingangsdaten gekoppelt werden, da es sich hier um eine von der SEU losgelöste Erhebung handelte. 1238 Fragebögen wurden für den Zeitraum September bis Oktober 2020 und 2049 Fragebögen für November bis Februar 2021 deskriptiv ausgewertet und die 95 %-Konfidenzintervalle berechnet. Alle Auswertungen erfolgten mit dem Programm SPSS (V.22).

Methodik der erhobenen Variablen

Die Methodik der SEU basiert auf den Arbeitsrichtlinien der niedersächsischen Anwendergemeinschaft SOPHIA (Sozialpädiatrisches Untersuchungsprogramm Hannover, Jugendärztliche Aufgaben) und beinhaltet das sozialpädiatrische Entwicklungsscreening SOPESS (Sozialpädiatrisches Entwicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen), ein standardisiertes und normiertes Verfahren [7]. Zur SEU gehören neben einer körperlichen Untersuchung (Größe, Gewicht, Seh- und Hörtest) die Erfassung möglicher Entwicklungsdefizite u. a. in der Sprachentwicklung und den kognitiven schulischen Vorläuferfähigkeiten, die wichtige Voraussetzungen für das spätere Erlernen von Lesen, Schreiben und Rechnen sind [8,9,10].

Für die vorliegende Studie wurden die Entwicklungsbereiche in den Fokus genommen, die als schul- und gesundheitsrelevant gelten: die Sprachkompetenz in Deutsch, die motorischen Kompetenzen (Fein- und Grobmotorik), die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit, das Verhalten und die Gewichtsbeurteilung.

Aus allen im Folgenden beschriebenen Tests wird ein ärztliches Gesamturteil zu den jeweiligen Entwicklungsbereichen gebildet, das bei auffälligen Ergebnissen zu einer weiteren fachärztlichen Abklärung führt oder, im Falle von leichten Auffälligkeiten, zu einer entsprechenden Beratung der Eltern. Zudem werden Kinder, die sich bereits in Behandlung befinden, statistisch erfasst.

Die deutsche Sprachkompetenz des Kindes wird durch die beiden SOPESS-Untertests zur Sprache, der Präposition- und Pluralbildung, überprüft. Den verschiedenen Untertests liegen bestimmte Cut-off-Werte zugrunde, wonach eine Einteilung in auffällige, grenzwertige und unauffällige Ergebnisse erfolgt. Zur Gesamtbeurteilung der deutschen Sprachkompetenz stehen weitere 5 Kategorien zur Verfügung (Kind spricht deutsch fehlerfrei, mit leichten Fehlern, mit erheblichen Fehlern, radebrechend, kein Deutsch). Die Grobmotorik bzw. Ganzkörperkoordination wird durch die Anzahl der Sprünge über eine Mittellinie und die Feinmotorik durch die grafomotorische Kompetenz, die Stifthaltung und Kraftdosierung beurteilt. Zur Beurteilung des Verhaltens wird neben dem SOPESS-Test zur selektiven Aufmerksamkeit der international validierte Elternfragebogen „Strength and Difficulties Questionnaire“ (SDQ) eingesetzt. Der SDQ-Fragebogen besteht aus 25 Items und wird den Eltern vor Ort ausgehändigt, bei Bedarf auch in anderen Sprachen. Es werden hier die Cut-off-Werte der britischen Normierungsstichprobe für die Altersgruppe von 4 bis 17 Jahre zugrunde gelegt [11].

Zur Gewichtsbeurteilung werden Körpergewicht und Körpergröße der Kinder standardisiert gemessen. Aus Körpergewicht und Körpergröße wird der Body-Mass-Index (BMI) errechnet und entsprechend dem geschlechts- und altersbezogenen Referenzsystem nach Kromeyer-Hauschild den Kategorien starkes Untergewicht (BMI-Wert unterhalb des 3. Perzentils), Untergewicht (BMI-Wert unterhalb des 10. Perzentils), Normalgewicht, Übergewicht (BMI-Wert oberhalb der 90. Perzentile) und Adipositas (BMI-Wert oberhalb der 97. Perzentile) zugeordnet [12].

Mit der Einladung zur SEU erhalten die Eltern einen Fragebogen, über den die wesentlichen soziodemografischen Daten erfasst werden. Dazu zählen der Bildungsgrad, der sich nach der internationalen Standardklassifikation für Bildung (ISCED; [13]) aus dem höchst erreichten Schul- und Berufsabschluss beider Elternteile zusammensetzt (Haushaltbildungsindex niedrig, mittel, hoch), und der Migrationshintergrund, der die familiäre Herkunft der Familie, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, erfasst. Vor Ort bekommen die Eltern einen weiteren Fragebogen zum Freizeitverhalten und Umgang mit Medien, den sie vor Beginn der Untersuchung des Kindes ausfüllen sollten. Zum Medienkonsumverhalten werden 2 Fragen gestellt. Zum einen wird danach gefragt, ob das Kind in seinem Kinderzimmer einen eigenen Fernseher, Computer oder ähnliches Gerät hat (Ja oder Nein). Zum anderen: „Wieviel Zeit verbringt Ihr Kind täglich vor einem Bildschirmgerät (Fernseher, Computer, Tablet oder Smartphone)?“ Hierzu sind die Antwortkategorien „selten oder nie“, „bis ungefähr 1 h pro Tag“, „ungefähr 1–2 h pro Tag“ und „mehr als 2 h am Tag“ festgelegt.

Ergebnisse

Schuleingangsdaten

Die Ergebnisse zu den zentralen Entwicklungsbereichen sind in der Tab. 2 dargestellt.

Tab. 2 Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen (SEU) zu den Jahrgängen 2017/2018–2020/2021 in Prozent (95 %-Konfidenzintervall), Signifikanzen (p-Wert), Differenz der Prävalenzen zum vorherigen Jahrgang

Die statistischen Auswertungen des Datensatzes nach dem ersten Lockdown zeigen im Vergleich zu den Einschulungsjahrgängen 2017/2018 bis 2019/2020 eine deutliche Zunahme auffälliger Ergebnisse in einzelnen Entwicklungsbereichen. So ist zwar ein jährlicher Anstieg an auffälligen und grenzwertigen Ergebnissen in den Sprachkompetenzen der Kinder bereits in den älteren Jahrgängen zu erkennen, dieser fällt jedoch nach dem ersten Lockdown deutlich größer aus. In den Untertests zur Erfassung der deutschen Sprachkompetenz hat der Anteil auffälliger und grenzwertiger Ergebnisse in der Präpositionsbildung von 21,9 % (95 %-KI 21,1–22,7) auf 26,4 % (95 %-KI 24,5–28,3) und in der Pluralbildung von 27,9 % (95 %-KI 27,0–28,8) auf 30,9 % (95 %-KI 28,9–32,9) zugenommen. Der Anteil der Kinder mit einem Sprachförderbedarf ist von 18,4 % (95 %-KI 17,6–19,2) auf 21,2 % (95 %-KI 19,5–22,9) angestiegen. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass mit 22,2 % (95 %-KI 20,4–24,0) mehr Kinder nur eingeschränkt, radebrechend oder gar kein Deutsch sprechen. Dieser Anteil lag zuvor bei 19 % (95 %-KI 18,2–19,8). 30 % (95 %-KI 28,1–31,9) der Kinder hatten einen feinmotorisch auffälligen Befund und damit mehr als 2019 mit 26,7 % (95 %-KI 25,8–27,6). Übergewicht und Adipositas sind bei den einzuschulenden Kindern von 9,5 % (95 %-KI 8,9–10,1) auf 13,4 % (95 %-KI 12,0–14,8) angestiegen. Alle Unterschiede sind signifikant (Tab. 2).

In den Bereichen Sprachentwicklung, Grobmotorik sowie Verhalten zeigen die gesamtärztlichen Befundungen (fachärztliche Abklärungsempfehlung und Kinder in Behandlung) hingegen kaum Unterschiede.

Die Stratifizierung der Ergebnisse nach Haushaltbildungsindex und Migrationshintergrund zeigt eine deutlichere Zunahme von Übergewicht und Adipositas bei Kindern aus bildungsfernen im Vergleich mit denen aus bildungsaffinen Familien (Abb. 2, Tab. 3). Eine Zunahme von Sprachauffälligkeiten zeigt sich überwiegend bei Kindern mit Eltern nichtdeutscher Herkunft. 60,2 % der Kinder mit Eltern nichtdeutscher Herkunft hatten nach dem ersten Coronalockdown einen auffälligen und grenzwertigen Befund in der Pluralbildung (Präpositionsbildung 54,7 %), der Anstieg ist deutlich stärker ausgeprägt (+8,1 %) als bei den Kindern mit deutscher Herkunft (+2,0 %; Tab. 3).

Abb. 2
figure 2

Prävalenzen von Übergewicht (einschließlich Adipositas) bei Einschulungskindern stratifiziert nach Haushaltbildungsindex. (Quelle: Region Hannover)

Tab. 3 Zusammenhang zwischen Übergewicht/Adipositas und Haushaltbildungsindex sowie Sprachkenntnissen und Migrationshintergrund

Die im Rahmen der SEU zusätzliche Erhebung zum Freizeitverhalten zeigt eine deutliche Zunahme des Medienkonsums. 2019 konsumierten 4,7 % (95 %-KI 4,3–5,1) der Kinder täglich mehr als 2 Stunden Medien, nach dem Lockdown lag dieser Anteil bei 7,1 % (95 %-KI 6,0–8,2). Gleichzeitig haben mittlerweile 12,5 % (95 %-KI 11,1–13,9) der Kinder einen eigenen Fernseher im Kinderzimmer, im Vergleich zu 10,7 % (95 %-KI 10,1–11,3) des Einschulungsjahrgangs 2019/2020.

Zusatzbefragung der Eltern

Von September bis Anfang November 2020 wurden insgesamt 1238 Fragebögen zum Alltag und Wohlbefinden der Kinder während der Coronapandemie ausgewertet. Gemessen an den durchgeführten Untersuchungen im selben Zeitraum ergibt sich daraus eine Teilnahmerate von 86,5 %. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Mehrzahl der Kinder darunter litt, während des ersten Lockdowns ihre Freunde (80 %; 95 %-KI 77,8–82,2), ihre Großeltern (72,3 %; 95 %-KI 69,8–74,8) und ihre Schule oder Kita nicht besuchen zu können (74,5 %; 95 %-KI 72,1–76,9), ihren Hobbys nicht nachgehen zu können (68,4 %; 95 %-KI 65,9–70,9) und nicht auf den Spielplatz gehen zu können (77,9 %; 95 %-KI 75,6–80,2).

27 % (95 %-KI 24,5–29,5) der Eltern gaben an, dass ihre Kinder während des Lockdowns häufiger traurig waren, mehr Ängste zeigten (25 %; 95 %-KI 20,2–29,8) und häufiger Wutanfälle hatten (21,3 %; 95 %-KI 19,0–23,6). Eine größere Belastung in den Familien während des ersten Lockdowns zeigte sich darin, dass 58 % (95 %-KI 57,3–62,7) der befragten Eltern keine Betreuungsmöglichkeit und 20,6 % (95 %-KI 18,4–22,8) häufiger Streitigkeiten in der Familie hatten. 21,8 % (95 %-KI 19,5–24,1) hatten außerdem durch die Krise zusätzliche finanzielle Sorgen.

Zu Konflikten kam es häufiger, wenn es in den Familien keine Rückzugsmöglichkeiten gab. Außerdem zeigen die Auswertungen häufigere Streitigkeiten bei zusätzlichen Belastungsfaktoren wie fehlender Kinderbetreuung oder finanziellen Sorgen.

Im Verlauf des zweiten Lockdowns von November 2020 bis Februar 2021 wurden weitere 2049 Fragebögen ausgefüllt und ausgewertet. In diesem Zeitraum lag die Teilnahmerate bei 74 %. Die Auswertung zeigt, dass der Anteil der Kinder, die häufiger traurig sind, von 27 % auf 32,1 % angestiegen ist und der Anteil der Kinder, die häufiger Wutanfälle haben, von 21,3 % auf 24,9 % zugenommen hat. Zudem kommt es häufiger zu Streitigkeiten (von 21,8 % auf 24,5 %) und die Kinder vermissen zunehmend ihre Hobbys (von 68,4 % auf 73,5 %) Im Vergleich zur ersten Befragung haben Kinder vermehrt Ein- und Durchschlafprobleme (von 12,4 % auf 15,3 %) und es klagen mehr Kinder über Bauch- und Kopfschmerzen, Übelkeit oder Appetitlosigkeit (von 6,5 % auf 8 %; Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Ergebnisse aus der Befragung zum Wohlergehen und Alltag während der Coronapandemie, Befragungszeitraum Sept.–Okt. 2020 (n = 1238) im Vergleich zum Befragungszeitraum Nov. 2020–Febr. 2021 (n = 2049). (Quelle: Region Hannover)

Diskussion

Anhand der Schuleingangsdaten von vor und nach dem ersten Lockdown konnte eine Zunahme an Auffälligkeiten in der Sprachkompetenz, der feinmotorischen Kompetenz und ein Anstieg des Anteils übergewichtiger und adipöser Kinder gezeigt werden. Gleichzeitig konsumieren Kinder deutlich mehr Medien als vor der Pandemie. Eine Zusatzbefragung zum Wohlergehen und Alltag der Kinder zeigt eine vermehrte psychosoziale Belastung von Kindern und Familien während der Coronapandemie.

In ihrer Konsistenz und den über die Entwicklungen der Vorjahre deutlich hinausgehenden Veränderungen geben die Ergebnisse Hinweise, dass es sich dabei um Auswirkungen des Lockdowns handelt: Denn mit den Coronaeinschränkungen fielen für Kinder viele Bewegungsmöglichkeiten weg, wie Spielplätze und die Angebote in den Sportvereinen. Stattdessen wurden vermehrt Medien konsumiert. Aber auch die vorschulische Förderung in Kitas und damit die Förderung der feinmotorischen Kompetenz und die Sprachförderung konnten aufgrund der Kitaschließungen nicht stattfinden. Kinder aus nichtdeutschsprachigen Familien und mit eingeschränkten Deutschkenntnissen hatten in der Zeit der Kontaktbeschränkungen und Fokus auf die eigene Familie somit auch kaum Möglichkeiten, sich in der deutschen Sprache zu üben.

Eine Zunahme von Auffälligkeiten in anderen Entwicklungsbereichen, wie z. B. Verhaltensauffälligkeiten, konnte durch diese Auswertung nicht gezeigt werden. Psychosoziale Folgen für Kinder sind noch nicht vollständig erfasst, jedoch deuten Studien bereits darauf hin [1, 2, 14,15,16]. Insofern werden weitere Förderbedarfe möglicherweise erst durch Auswertungen zu einem späteren Zeitpunkt sichtbar. Zudem muss in den vorliegenden Ergebnissen von einer Untererfassung abklärungsbedürftiger bzw. bereits therapierter Befunde ausgegangen werden, da Kinder mit oder mit drohender Behinderung aus den Datensätzen ausgeschlossen wurden. Gerade diese Kinder sind in der Regel bereits in Behandlung oder es wird für sie eine Therapie empfohlen. Eine weitere Untererfassung auffälliger Befunde in der Grobmotorik ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass bei der Untersuchung aufgrund der besonderen Coronahygieneanforderungen nicht in jeder Dienststelle das seitliche Hin- und Herspringen durchführbar war. Weitere statistische Auswertungen zu einem späteren Zeitpunkt sind daher erforderlich, um festzustellen, ob tatsächlich der Anteil an Kindern mit abklärungsbedürftigen Auffälligkeiten zunimmt oder zukünftig sogar mehr Kinder bereits eine Therapie in Anspruch (Logopädie, Ergotherapie) nehmen. Die Ergebnisse, die im Rahmen der Befragung zum Wohlergehen und Alltag der Kinder während der Coronapandemie erhoben wurden, könnten auf eine zukünftige Zunahme von (Verhaltens‑)Auffälligkeiten hindeuten.

Eine Limitation der Studie liegt darin, dass es sich bei den Datensätzen der SEU um einen Vergleich von Querschnittdaten handelt und kausale Schlussfolgerungen nicht zulässig sind. Dennoch liefern die Auswertungen über mehrere Jahrgänge und der Vergleich mit anderen Studien deutliche Hinweise auf mögliche Auswirkungen des Lockdowns auf die Kindergesundheit. Über Langzeiteffekte liegen zwar noch keine Studien vor, jedoch über bestimmte Effekte, die bereits vor der Coronapandemie bestanden und durch den Lockdown verstärkt wurden, z. B. psychosomatische Störungen [2, 3, 17] oder Probleme, die mit hohen Mediennutzungszeiten assoziiert sind, wie Verhaltensauffälligkeiten, Sprachdefizite, Bewegungsmangel und Übergewicht [18,19,20,21,22,23,24,25,26]. Eigene multivariable Regressionsanalysen aus den Schuleingangsdaten der Region Hannover verdeutlichen ebenso, dass neben einem geringen Bildungsgrad ein hoher Medienkonsum mit Sprachdefiziten korreliert [27]. Der mangelnde Kontakt zur deutschen Sprache während des Lockdowns betrifft in erster Linie Kinder mit Migrationshintergrund und deren Spracherwerb, was sich langfristig negativ auf deren Bildungserfolg auswirken kann [28]. Durch die Stratifizierung nach Haushaltbildungsindex und Migrationshintergrund konnte gezeigt werden, dass der Gradient in den Ergebnissen nach dem Lockdown noch deutlicher sichtbar wird im Vergleich zu den Jahrgängen davor.

Auf die Problematik des Bewegungsmangels und der gleichzeitigen Zunahme der Medienzeit bei Kindern und Jugendlichen während der Pandemie verweist eine Studie des Universitätsklinikums Münster [4]. Eine Zunahme des Medienkonsums während der Pandemie bestätigt außerdem die aktuelle Studie der DAK-Gesundheit für die Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen [29].

Laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts gaben 68 % der Eltern von Kindern im Kindergartenalter an, dass der tägliche Medienkonsum während der Pandemie häufiger geworden ist [30]. Der Zusammenhang von Bewegungsmangel, Medienkonsum und psychischen Erkrankungen wird in weiteren Studien belegt [31, 32].

Als weitere Limitation der hier vorgestellten Studie muss darauf hingewiesen werden, dass möglicherweise nicht alle Verzerrungen, die durch die Selektion der Nach-Corona-Kohorte bedingt sind, eliminiert wurden. Bekannt war, dass der Nach-Corona-Datensatz auch eine andere Altersverteilung als die vorangehenden Datensätze aufweist. Da die Wiederaufnahme der SEU in den Monaten Juni bis September 2020 stattfand, war die Mehrzahl der Kinder bereits 6 Jahre alt (71,3 %), wohingegen im Referenzdatensatz dieser Anteil bei 21,6 % lag. Es wäre zu erwarten gewesen, dass ältere Kinder bessere Ergebnisse in den diversen Tests erzielen, was aber nicht der Fall war. Gerade das sozialpädiatrische Entwicklungsscreening SOPESS differenziert im unteren Leistungsspektrum und ist so konzipiert, dass vorwiegend jüngere Kinder getestet werden können. Durch eine weitere Gewichtung nach Altersverteilung wären die Abweichungen vermutlich zwar noch deutlicher hervorgetreten, da sich jedoch die Anzahl der vergleichbaren Fälle dadurch stark reduziert hätte, wurde darauf verzichtet.

Die im Rahmen der SEU durchgeführte Befragung zum Wohlergehen und Alltag der Kinder und Familien während der Coronapandemie und deren Ergebnisse sind nicht repräsentativ. Zudem ist der eingesetzte Fragebogen nicht validiert, da er keinem Pretest unterzogen wurde. Dennoch sind die Ergebnisse mit anderen repräsentativen Erhebungen konform, wie beispielsweise der COPSY-Studie zur psychischen Gesundheit während der Pandemie von Kindern und Jugendlichen im Alter von 7–17 Jahre [1, 16]. Die COPSY-Studie zeigt, dass „27 % berichten, sich häufiger zu streiten. 37 % der Eltern gaben an, dass Streits mit ihren Kindern öfter eskalieren. Bei 39 % der Kinder und Jugendlichen verschlechterte sich das Verhältnis zu den Freunden durch die eingeschränkten persönlichen Kontakte, was fast alle Befragten belastete“ [1]. Besondere Belastungen zeigten sich für Kinder aus Elternhäusern mit geringem Bildungsgrad, Migrationshintergrund oder beengten Wohnverhältnissen. Diese Kinder und Jugendlichen gaben häufiger psychosomatische Beschwerden, eine deutlich geminderte Lebensqualität und ausgeprägte Symptome von Angst und Depression an. Das Risiko für psychische Auffälligkeiten stieg von 18 % auf 30 % [1, 16]. Auch bei 2‑ bis 7‑jährigen Kindern konnten signifikant mehr Verhaltensauffälligkeiten festgestellt werden. Dazu zählen nicht nur Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit, sondern auch Probleme mit Gleichaltrigen und prosozialem Verhalten. Insbesondere sind durch die Coronakrise mehr jüngere Kinder von Ein- und Durchschlafproblemen betroffen [14].

In einer repräsentativen Forsa-Studie zum Homeschooling gaben 33 % der Eltern von 10- bis 12-jährigen Kindern an, während der Pandemie oft oder sehr oft Streit in der Familie zu haben, 35 % der Kinder in dieser Altersgruppe hatten Ein- und Durchschlafprobleme und 28 % klagten über Bauch- und Kopfschmerzen [33]. Die KiCo-Studie zeigt mit ihrer Befragung von Eltern von unter 15-jährigen Kindern, dass durch die Coronapandemie überproportional mehr Einelternhaushalte von Geldsorgen betroffen sind, und weisen darauf hin, dass sich durch die Pandemie „… bestehende Ungleichheiten verschärfen“ [34]. Laut Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) stimmt über ein Viertel der Eltern (26,6 %) der Aussage zu, dass sich ihr Kind einsam fühlt. Generell konnten die Kinder besser mit der Situation zurechtkommen, wenn sie Zugang zu einem Garten oder einer Terrasse bzw. Rückzugsmöglichkeiten hatten [30].

Neben diesen hier aufgeführten Studien gibt es weitere nationale und internationale Studien, die auf die Auswirkungen der Coronapandemie und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hinweisen [2, 35,36,37,38,39,40]. Allerdings müssen Ergebnisse aus anderen Ländern vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kulturen und Staatssysteme interpretiert werden.

Die hohe Teilnahmerate von 86,5 % bzw. 74 % an der Zusatzbefragung zum Wohlergehen und Alltag der Familien während der Coronapandemie zeigt, dass die SEU für Befragungen ein geeignetes Setting mit hoher Responserate ist. Durch die losgelöste und komplett separat gehaltene anonymisierte Befragung kann ein Responsebias (wie etwa die Beantwortung nach sozialer Erwünschtheit) nahezu ausgeschlossen werden.

Fazit

Die Auswertungen der Schuleingangsdaten zeigen eine Zunahme an Auffälligkeiten in bestimmten Entwicklungsbereichen und geben deutliche Hinweise, dass der Lockdown negative Effekte auf die Kindergesundheit hatte. Sprachförderung konnte nicht stattfinden, insbesondere fehlte für Kinder nichtdeutscher Herkunft in dieser Zeit der Kontakt zur deutschen Sprache. Bewegungsmangel und hoher Medienkonsum stehen möglicherweise in Zusammenhang mit einer eingeschränkten feinmotorischen Entwicklung und einer deutlichen Gewichtszunahme bei Kindern. Die oben aufgeführten Studien bestätigen diese Hinweise. Der Vergleich der Jahrgänge verdeutlicht außerdem, dass Sprachauffälligkeiten und Übergewicht gerade bei Kindern aus Familien mit geringem Haushaltbildungsindex oder Migrationshintergrund in der Nach-Lockdown-Situation überproportional zugenommen haben.

Verhaltensauffälligkeiten werden möglicherweise erst durch einen länger anhaltenden Lockdown manifest. Weitere Auswertungen sind daher erforderlich, um festzustellen, ob der Anteil an Auffälligkeiten sich auch tatsächlich in einem höheren Anteil fachärztlicher Behandlungen niederschlägt. Die Auswertung des kommenden Einschulungsjahrgangs 2021/2022 wird zudem aussagekräftigere Ergebnisse liefern, da es sich dabei wiederum um eine Vollerhebung handelt. Trotz der aufgeführten Limitationen verdeutlichen die Ergebnisse, dass die Coronapandemie und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen für Kinder und Familien besonders belastend waren. Kinder sollten daher während der Pandemie als vulnerable Gruppe verstärkt in den Fokus genommen werden. Konzepte müssen erarbeitet werden, die neben dem Infektionsschutz insbesondere die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigen.

Die Ergebnisse unterstreichen die sozialkompensatorische Bedeutung der SEU. Beratungen von Eltern, Vermittlung von Angeboten der Frühen Hilfen, der Familien- und Erziehungsberatung, der Sprachförderung und der Hausfrühförderung werden zunehmen. Diese präventiven Maßnahmen gilt es, verstärkt anzubieten, um die gesundheitliche Entwicklung der Kinder auch bei weiteren Wellen der COVID-19-Pandemie langfristig zu unterstützen.