Hintergrund

Das erste Auftreten der neuen Infektionskrankheit COVID-19 manifestierte sich als Häufung schwerer Lungenentzündungen im Dezember 2019 in Wuhan, China [1]. Ende Januar 2020 traten die ersten Fälle in Deutschland als „Webasto-Cluster“ bei einer Automobilzulieferfirma im Münchner Umland auf: Eine chinesische Mitarbeiterin hatte dort bei einem Meeting mehrere Kollegen infiziert. Die Infizierten befanden sich im mittleren Lebensalter und wiesen leichte Verläufe mit milden respiratorischen Symptomen auf [2].

Mit der „Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und § 7 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes“ wurde als unmittelbare Reaktion auf das Auftreten einer neuen Infektionskrankheit in Deutschland zum 01.02.2020 die namentliche Meldepflicht für COVID-19-Verdachts- und Erkrankungsfälle sowie für labordiagnostische SARS-CoV-2-Nachweise eingeführt. Zwischenzeitlich wurden die §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), zuletzt im November 2020, im Rahmen der Änderungen des „Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung in einer epidemischen Lage“, angepasst. Am 04.03.2020 waren dem Robert Koch-Institut bereits 262 Infektionen aus 15 Bundesländern gemeldet worden [3].

Früh im Verlauf der Pandemie wurde erkannt, dass ein hohes Lebensalter mit einem deutlich erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf verbunden ist [3, 4]. Diese neue Infektionskrankheit traf hierzulande auf eine Bevölkerung mit einem hohen Anteil alter und hochbetagter Menschen: In Deutschland ist der demografische Wandel europaweit am weitesten fortgeschritten [5]. Dieser Wandel und die daraus resultierende Multimorbidität führten dazu, dass hierzulande im Jahr 2019 die Zahl pflegebedürftiger Menschen zum Jahresende 4,1 Mio. betrug [6]. Der weitere Anstieg ist unstrittig, die altersspezifischen Pflegeprävalenzen steigen mit zunehmendem Alter deutlich an: 80- bis 84-Jährige waren zu 20 % pflegebedürftig, 85- bis 89-Jährige zu 38 % und über 90-Jährige zu 60 % [7]. Die Ergebnisse der Bedarfsermittlung zur Pflege mit dem Basisjahr 2016 prognostizieren für München einen Anstieg der Anzahl der Pflegebedürftigen auf ca. 31.400 im Jahr 2025 [8]. Derzeit wird in der Landeshauptstadt München ein Viertel der Pflegebedürftigen in stationären Pflegeeinrichtungen versorgt, am Stichtag 15.12.2018 gab es 59 Einrichtungen mit 8048 vollstationären Pflegeplätzen [8].

Die Rahmenbedingungen in vollstationären Pflegeeinrichtungen haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich verändert. Sie wandelten sich von Einrichtungen mit alten, jedoch überwiegend mobilen und noch teilweise selbstständigen Bewohnern hin zu Einrichtungen, in denen Bewohner in Spätstadien komplexer, chronischer Erkrankungen mit schweren körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen versorgt werden [9]. Nach Berechnungen der Barmer-Krankenkasse verblieben nach einem Jahr Aufenthalt noch etwa 3 Fünftel der Bewohner in Pflegeeinrichtungen und nach 4 Jahren noch etwa ein Viertel [7].

Vor dem Hintergrund, dass insbesondere bei Hochbetagten schwere COVID-19-Verläufe vorkommen [10] und bereits in der ersten Welle der Pandemie Beiträge zu Ausbrüchen in Pflegeeinrichtungen publiziert wurden [11,12,13], entstand die Idee zur Durchführung dieser Studie.

Studienziel

Im Rahmen dieser Arbeit sollen die COVID-19-Sterbefälle der Bewohner vollstationärer Pflegeeinrichtungen mit denen der Allgemeinbevölkerung verglichen und folgende Fragen beantwortet werden:

  • Wie viele COVID-19-assoziierte Sterbefälle gab es bei Bewohnern Münchner Pflegeeinrichtungen?

  • Standen diese im Zusammenhang mit nosokomialen Ausbrüchen?

  • Wie hoch war das durchschnittliche Sterbealter und wie war die Geschlechtsverteilung?

  • Wie war die Verteilung der Sterbeorte? Wie häufig verstarben Erkrankte auf Intensivstationen?

  • Wie häufig war die Erkrankung todesursächlich bzw. nicht todesursächlich – „Tod an oder mit COVID“?

  • Welche Todesursachen wurden bescheinigt?

  • Welche Grunderkrankungen bestanden?

Methode

Es erfolgte eine fortlaufende Sichtung aller für den Sterbezeitraum vom 01.03.–31.07.2020 (Kalenderwoche (KW) 10 bis KW 31) beim Gesundheitsreferat der Landeshauptstadt München (GSR) eingegangenen Todesbescheinigungen (TB). Da alle TB gemäß Art. 3a Bestattungsgesetz (BestG) bei den für den Sterbeort örtlich zuständigen Gesundheitsämtern archiviert werden, konnte eine vollständige Untersuchung aller Sterbefälle im Stadtgebiet München erfolgen. Diese umfassen sowohl die Verstorbenen mit Hauptwohnsitz München als auch Verstorbene mit einem auswärtigen Hauptwohnsitz. Vorab festgelegte Einschlusskriterien für die Studie waren die Angabe von „COVID-19 …, SARS-CoV-2 …“, „Corona …“ in den Rubriken „Todesursache/klinischer Befund“ bzw. „weitere bestehende Grunderkrankungen“ der TB. Bewohner vollstationärer Pflegeeinrichtungen (sP-Bewohner) wurden über die in der TB angegebene Münchner Adresse identifiziert. Eine Einstufung als COVID-19-Fall erfolgte ausschließlich anhand der von den leichenschauenden Ärzten gemachten Angaben. Alle Daten wurden direkt aus den TB erhoben. Die Angaben zu COVID-19-Ausbrüchen in den stationären Pflegeeinrichtungen wurden den im Referat auf der Grundlage von § 6 Abs. 3 IfSG vorliegenden Meldedaten entnommen. Die Dateneingabe erfolgte in Microsoft Excel (Microsoft Office 2011) gemäß eines für diese Studie entwickelten Codeplans. Die Auswertung wurde mit SPSS, Version 26.0, durchgeführt.

Im Zuge der deskriptiven Datenauswertung wurden für metrische Variablen jeweils Mittelwert, Median, Minimum, Maximum sowie Spannweite berechnet und für kategoriale Variablen Häufigkeiten und Prozentangaben ermittelt. Es wurde kein Ethikkommissionsantrag gestellt, da die Auswertung der Daten durch die Gesundheitsämter zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben gemäß Art. 3a BestG zulässig ist. Die Auswertung erfolgte anonymisiert in aggregierter Form.

Ergebnisse

Kollektive

Im Untersuchungszeitraum vom 01.03.–31.07.2020 (KW 10–KW 31) verstarben im Stadtgebiet München insgesamt 5840 Personen. Laut leichenschauenden Ärzten (LS) bestand bei 281 Verstorbenen (4,8 %) eine gesicherte COVID-19-Erkrankung. Von diesen 281 Sterbefällen hatten 205 (72,9 %) ihren Hauptwohnsitz im Stadtgebiet. Von den 205 verstorbenen Münchnern waren 72 (35,1 %) Bewohner vollstationärer Pflegeeinrichtungen.

Zeitlicher Verlauf der COVID-19-assoziierten Sterbefälle

Abb. 1 kann die epidemische Kurve der COVID-19-assoziierten Sterbefälle im Stadtgebiet München entnommen werden: Zu ersten Todesfällen in der Allgemeinbevölkerung kam es ab der 12. KW. Nach einem raschen Anstieg mit Maximum in der 15. KW kam es zu einem sukzessiven Rückgang, in der 29. KW war erstmalig kein Todesfall aufgetreten. Sterbefälle bei Bewohnern vollstationärer Pflegeeinrichtungen (sP-Bewohner) traten erstmalig in der 14. KW mit einem Maximum in der 17. KW auf. Ab der 26. KW bis zur 31. KW kam es zu keinem weiteren Todesfall.

Abb. 1
figure 1

Epidemische Kurve der COVID-19-Sterbefälle. (Eigene Abbildung)

Nosokomiale COVID-19-Ausbrüche in Pflegeeinrichtungen

Gemäß vorliegender IfSG-Meldedaten kam es im Untersuchungszeitraum in 18 von 59 Einrichtungen (30,5 %) zu Meldungen von COVID-19-Ausbrüchen, deren zeitlicher Verlauf Abb. 2 entnommen werden kann. Die Ausbruchsquelle konnte in 11 Fällen ermittelt und dem medizinischen Personal (Pflegekräfte, Ärzte, externes therapeutisches Personal) zugeordnet werden. Bei diesen Ausbrüchen wurde bei insgesamt 281 Bewohnern und 139 Mitarbeitern eine SARS-CoV-2-Infektion nachgewiesen. Die durchschnittliche Anzahl infizierter Bewohner betrug pro Ausbruch 15,6 (Median 9,5, Minimum 2, Maximum 51), die infizierter Mitarbeiter 7,7 (Median 5,0, Minimum 1, Maximum 26). Die Case Fatality Rate (CFR, fallbezogene Fatalitätsrate; Anzahl verstorbene Bewohner im Verhältnis zu infizierten Bewohnern) betrug 25,6 % (72 von 281). 12 Einrichtungen verfügten zum Zeitpunkt des Ausbruchs über keinen COVID-19-Hygieneplan, bei 6 Einrichtungen war er fachlich unzureichend.

Abb. 2
figure 2

Epidemische Kurve der nosokomialen COVID-19-Ausbrüche in Münchner Pflegeeinrichtungen. (Eigene Abbildung)

Demografische Daten und Sterbeorte

Der überwiegende Anteil der verstorbenen sP-Bewohner waren Frauen (43, 59,7 %; Tab. 1). Das durchschnittliche Sterbealter lag bei 87,8 Jahren (Median 89 Jahre, Minimum 68 Jahre, Maximum 101 Jahre). Demgegenüber war der überwiegende Teil der an bzw. mit COVID-19 verstorbenen Allgemeinbevölkerung männlich, das durchschnittliche Sterbealter lag dort knapp 12 Jahre niedriger. Die meisten Sterbefälle bei sP-Bewohnern fanden sich in der Altersgruppe der Hochbetagten mit einem Alter von ≥ 80 Jahren mit 60 Fällen (83,3 %), während in der Allgemeinbevölkerung 45 % der Sterbefälle ≥ 80 Jahre waren. Während Erkrankte der Allgemeinbevölkerung mit 206 Fällen (98,6 %) überwiegend in einer Klinik verstarben, verstarben sP-Bewohner mit 38 Fällen (52,8 %) etwa zur Hälfte in ihrer Einrichtung. Von den 34 sP-Bewohnern (47,2 %), die in einer Klinik verstarben, verstarben nur 3 Fälle auf einer Intensivstation – bei der Allgemeinbevölkerung waren es 94 Fälle (45,0 %).

Tab. 1 Ausgewählte Daten der COVID-19-Sterbefälle

Todesursachen

Als todesursächlich – Tod an COVID-19 – bewerteten die LS die COVID-19-Erkrankung bei 65 sP-Bewohnern (90,3 %), als nicht todesursächlich bei 7 (9,7 %). Bei der Allgemeinbevölkerung war der Anteil der nicht todesursächlichen Fälle mit 5,3 % nur etwa halb so hoch (Tab. 1).

Der überwiegende Anteil der 72 verstorbenen sP-Bewohner (75 %) erlag einer respiratorischen Insuffizienz, 9 (12,5 %) verstarben infolge eines Multiorganversagens (Tab. 2). Erkrankte der Allgemeinbevölkerung starben nach Einschätzung der LS hingegen in 200 Fällen (95,7 %) ursächlich an der Infektionskrankheit COVID-19. Auch in diesem Kollektiv waren akutes Lungenversagen („Acute Respiratory Distress Syndrome“ [ARDS])/respiratorische Insuffizienz (53,6 %) und Multiorganversagen (24,4 %) am häufigsten, es wurden jedoch zahlreiche weitere Todesursachen wie Sepsis, Myokarditis, Herzrhythmusstörungen, Hirnblutung, Apoplex oder Lungenembolie genannt. Bei 7 verstorbenen sP-Bewohnern (9,7 %) wurden vom LS Krankheiten des Kreislaufsystems als todesursächlich bewertet, was bei der Allgemeinbevölkerung mit 7 Fällen (3,3 %) nur zu einem Drittel der Fall war.

Tab. 2 In den Todesbescheinigungen angegebene Todesursachen

Dokumentierte Vorerkrankungen

In den Todesbescheinigungen der sP-Bewohner waren durchschnittlich 2 Vorerkrankungen angegeben worden, in denen der Allgemeinbevölkerung durchschnittlich 1,7. Detaillierte Informationen zu den dokumentierten Vorerkrankungen der COVID-19-Sterbefälle können dem Onlinematerial zu diesem Beitrag entnommen werden.

Bei den sP-Bewohnern waren Krankheiten des Kreislaufsystems am häufigsten vertreten (47 Fälle, 65,3 %), gefolgt von Krankheiten des Nervensystems (35 Fälle, 48,6 %) und Stoffwechselkrankheiten (11 Fälle, 15,3 %; Tab. 3). Die beiden häufigsten Krankheiten des Kreislaufsystems waren arterielle Hypertonie und koronare Herzerkrankung (18 Fälle, 25,0 % respektive 17 Fälle, 236 %), die des Nervensystems waren demenzielle Erkrankungen und Morbus Parkinson (26 Fälle, 36,1 % respektive 6 Fälle, 8,3 %). Bei den Stoffwechselkrankheiten war mit 7 Fällen (9,7 %) ein Diabetes mellitus am häufigsten. Krankheiten des Atmungssystems hatten 5 (6,9 %) der sP-Bewohner, es handelte sich in allen Fällen um eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung.

Tab. 3 Auswahl dokumentierter Vorerkrankungen der COVID-19-Sterbefälle. Eine detailliertere Tabelle befindet sich im Onlinematerial

Bei der verstorbenen Allgemeinbevölkerung waren ebenfalls Krankheiten des Kreislaufsystems am häufigsten vertreten (107 Fälle, 51,1 %), jedoch gefolgt von Stoffwechselkrankheiten (42 Fälle, 20,1 %), bösartigen Neubildungen (32 Fälle, 15,3 %) und Krankheiten des Nervensystems (29 Fälle, 13,9 %). Krankheiten des Atmungssystems waren in dieser Gruppe fast doppelt so häufig wie bei den sP-Bewohnern vertreten (27 Fälle, 12,9 %).

Diskussion

Fall- und Sterbezahlen

Dem Robert Koch-Institut wurden im Untersuchungszeitraum bis Ende Juli 2020 für ganz Deutschland 208.436, für Bayern 50.867 und für München 7289 Infektionen mit SARS-CoV‑2 gemeldet. An COVID-19 verstarben in diesem Zeitraum bundesweit 9141, in Bayern 2622 und 222 Personen mit Hauptwohnsitz München. Im Ergebnisteil dieser Untersuchung werden 205 verstorbene Münchner aufgeführt. Diese Differenz resultiert daraus, dass Fälle, die außerhalb des Stadtgebietes verstarben, hier nicht inbegriffen sind.

Die Fallsterblichkeit (CFR) im Untersuchungszeitraum betrug für die Bevölkerung auf Bundesebene 4,4 %, auf Landesebene 5,2 % und auf Stadtebene 3,1 % [3, 14]. Die CFR für infizierte Bewohner vollstationärer Pflegeeinrichtungen ist deutlich höher als die der Allgemeinbevölkerung: In den USA betrug sie 45 %, in Schweden um die 30 %, im Vereinigten Königreich (UK) rund 20 %, in Belgien und Frankreich 50 %, in Spanien 66 % [15,16,17,18]. Bundesweit lag die für sP-Bewohner über die Meldedaten erhobene CFR bei 19 % [19]. In dieser Untersuchung lag die CFR der verstorbenen sP-Bewohner mit knapp 26 % in der entsprechenden Größenordnung nationaler und internationaler Studien. Alle 72 an COVID-19 verstorbenen Münchner sP-Bewohner waren im Zusammenhang mit nosokomialen Ausbrüchen verstorben.

Zeitlicher Verlauf der Ausbrüche – Ursachen und Konsequenzen für sP-Bewohner

Zeitlich um knapp 2 Wochen zu den Sterbefällen in der Allgemeinbevölkerung versetzt stiegen die Sterbefälle bei den sP-Bewohnern ab der 14. KW bis zu einem Maximum in der 17. KW an. Die letzten Fälle traten in der 26. KW auf. Bundes- und bayernweit zeigte sich ein ähnlicher zeitlicher Verlauf wie in München [19, 20]. Ein knappes Drittel der Münchner Einrichtungen war von COVID-19-Ausbrüchen betroffen. Im März 2020 waren 4, im April 2020 12 Ausbrüche gemeldet worden. In einer anderen Großstadt, Frankfurt am Main, kam es im April 2020 hingegen nur in 3 von 48 Einrichtungen zu Ausbrüchen mit 22 Sterbefällen [21], die Gründe hierfür sind unklar. In der Literatur wird in einer großen Untersuchung berichtet, dass von knapp 2000 US-amerikanischen Pflegeeinrichtungen 31,4 % von COVID-19-Ausbrüchen betroffen waren [22]. Die durchschnittliche Anzahl infizierter Bewohner lag bei den Münchner Ausbrüchen bei 15,6, bundesweit lag sie mit 18,8 in der gleichen Größenordnung [19]. Vergleichszahlen aus der internationalen Literatur fanden sich hierzu bei der Literaturrecherche über die PubMed-Datenbank nicht.

Die Einrichtungen des Gesundheitswesens mit dem höchsten Anteil an nosokomialen COVID-19-Infektionen sind Pflegeeinrichtungen [23]. Dieser Sachverhalt ist nicht ganz überraschend: In einem vor 10 Jahren publizierten Literaturreview wird dargestellt, dass Ausbrüche in Pflegeeinrichtungen zu einer hohen Anzahl Infizierter, verbunden mit einer hohen Mortalitätsrate führen. Influenza‑, Noro- und respiratorische Synzytial-(RS-)Viren verursachten die meisten Ausbrüche [24]. Eine kanadische Studie, welche Ausbrüche mit respiratorischen Erregern untersuchte, erhob eine Infektionsrate von 0,42 Infektionen pro 1000 Bewohnertage. Auch hier waren virale Erreger wie Influenza‑, Parainfluenza- und RS-Viren am häufigsten [25]. Zahlreiche Faktoren begünstigen Ausbrüche in diesem Umfeld: Respiratorische Infektionen werden über Tröpfchen- und Schmierinfektionen leicht übertragen [26].

In Pflegeeinrichtungen leben viele suszeptible, multimorbide, alte Menschen auf engem Raum zusammen und werden durch teilweise nicht adäquat ausgebildetes und geschultes Pflegepersonal versorgt [23, 27]. In Bayern wurde in der ersten Pandemiewelle die Fachkraftquote für das Pflegepersonal ausgesetzt, die sonst basierend auf § 15 Abs. 1 der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (AVPfleWoqG) mindestens 50 % beträgt. In Pflegeeinrichtungen sind Surveillance-Systeme nicht bzw. nicht adäquat umgesetzt, das betrifft neben Deutschland auch viele andere europäische Staaten [15, 28]. Ebenfalls unzureichend umgesetzt sind zur Prävention nosokomialer Infektionen erforderliche Maßnahmenbündel mit adäquater Händehygiene, Isolierungsmaßnahmen, Schulungen und Antibiotic Stewardship (ABS; [29]).

Weitere Faktoren begünstigten in der 1. Pandemiewelle eine schnelle Ausbreitung von SARS-CoV‑2 in den Pflegeeinrichtungen. Eine Untersuchung aus UK ergab mit 39,8 % positiv getesteten Bewohnern und mit 20,9 % positiv getestetem Personal eine hohe Prävalenz Infizierter [12]. Infizierte Bewohner waren wenig bzw. unspezifisch symptomatisch, asymptomatisch waren zwischen 43,8 % und 69,7 % [30]. Asymptomatische Fälle begünstigen eine schnelle Ausbreitung in der Einrichtung, da die Diagnose oft zu spät erfolgt, wenn sich schon weitere Bewohner angesteckt haben [31]. Nicht zu unterschätzen ist, dass demente Bewohner die Hygienemaßnahmen mangels kognitiven Verständnisses meistenteils nicht einhalten können und so eine Weiterverbreitung begünstigt wird [32].

An weiteren ausbruchsbegünstigenden Faktoren werden in der Literatur genannt, dass die Einrichtungen häufig nicht über eine ausreichende Menge an persönlicher Schutzausrüstung für das Personal verfügten [19], keine Erfahrungen im Ausbruchsmanagement hatten [33] und die fachliche Beratung durch Hygienefachpersonal im Gegensatz zu anderen medizinischen Einrichtungen nicht verbindlich vorgeschrieben ist. Dieses spiegelte sich auch darin wider, dass 12 der 18 betroffenen Münchner Einrichtungen zum Zeitpunkt des Ausbruchs über keinen COVID-19-Hygieneplan verfügten, bei 6 Einrichtungen war er fachlich unzureichend. Beispiele hierfür waren: keine konkrete Benennung eingesetzter Desinfektionsmittel, keine Vorgaben zu Desinfektionsfrequenzen, Schlussdesinfektion, Abfallentsorgung, Medizinprodukte‑, Wäsche- und Geschirraufbereitung, zum Umgang mit Verstorbenen, kein nachvollziehbares Ausbruchsmanagement. Den Autoren sind hierzu aus der Literatur keine Vergleichsdaten bekannt; als Hinweis auf eine falsche Risikoeinschätzung und inadäquate Pandemievorbereitung kann eine US-amerikanische Untersuchung zitiert werden, die feststellte, dass nur 45 % der befragten Pflegeeinrichtungen einen Influenzapandemieplan hatten [34].

Risikofaktoren für einen schweren Verlauf

Männer und Frauen sind von einer SARS-CoV-2-Infektion etwa gleich häufig betroffen, Männer erkranken jedoch häufiger schwerer [35, 36]. Laut den Meldedaten des Robert Koch-Institutes beträgt in der Allgemeinbevölkerung der Anteil der verstorbenen Frauen an den Sterbefällen 45 % [3]. Der in dieser Studie erhobene Anteil der verstorbenen weiblichen sP-Bewohner war mit 60 % höher. Das dürfte zum einen daran liegen, dass Frauen aufgrund ihrer etwas höheren Lebenserwartung mit einer höheren Wahrscheinlichkeit am Lebensende in ein Heim aufgenommen werden. Zum anderen haben sie, wenn in fortgeschrittenem Alter eine Pflegebedürftigkeit eintritt, häufig keinen Ehemann oder Partner mehr, der die dann notwendige Versorgung übernimmt [37]. Das durchschnittliche Sterbealter der sP-Bewohner liegt mit 87,5 Jahren etwas über den demografischen Zahlen in Deutschland [38].

Neben männlichem Geschlecht ist hohes Alter ein unabhängiger Risikofaktor für einen schweren Verlauf [4]. Eine Untersuchung aus Italien zeigt ein konstantes Ansteigen der Sterblichkeit an COVID-19 von 8,6 % bei den 60- bis 69-Jährigen über 35,6 % bei den 70- bis 79-Jährigen bis zu 52,3 % bei den über 80-Jährigen [39]. Passend hierzu waren in der vorliegenden Untersuchung rund 80 % der verstorbenen sP-Bewohner und 45 % der Sterbefälle der Allgemeinbevölkerung 80 Jahre und älter. Die Tatsache, ein Heimbewohner zu sein, ist ein eigenständiger Risikofaktor für schwere Verläufe mit Todesfolge. Eine kanadische Untersuchung zeigte, dass das relative Risiko, an der COVID-19-Erkrankung zu versterben, für dieses Kollektiv 13-mal höher war als für die Allgemeinbevölkerung über 69 Jahre [40].

Todesursachen

Laut Einschätzung der leichenschauenden Ärzte war die COVID-19-Erkrankung in dieser Untersuchung bei rund 90 % der Sterbefälle unmittelbar todesursächlich. Als die 3 häufigsten Todesursachen wurden von ihnen ein ARDS/eine respiratorische Insuffizienz, gefolgt von Multiorganversagen und Sepsis genannt. Bei 6 % der Verstorbenen dieser Untersuchung war COVID-19 als Begleiterkrankung, Tod „mit“ COVID-19, genannt worden. Todesursächlich in diesen Fällen waren nach Bewertung durch den LS meist Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, wobei es sich möglicherweise um eine „Routinediagnose“ ohne genaue Prüfung gehandelt haben könnte. Eine solche Bewertung ist nach fachlicher Einschätzung durch die Autoren jedoch kritisch zu sehen und kann nur durch eine Obduktion abschließend geklärt werden. Ein Myokardinfarkt – eine arterielle Thrombose – kann selbstverständlich auf dem Boden einer vorbestehenden koronaren Herzerkrankung (KHK) entstehen, denkbar ist ein solches klinisches Bild jedoch auch aufgrund einer COVID-19-assoziierten Gerinnungsstörung [41,42,43].

Beschriebene Vorerkrankungen

Neben den oben bereits diskutierten Risikofaktoren für einen schweren Verlauf wie männliches Geschlecht, höheres Alter und sP-Bewohner werden in der internationalen Literatur weitere Risikofaktoren für einen schweren Verlauf beschrieben: Rauchen [44], Adipositas [45] und andere bestimmte Vorerkrankungen. Zu diesen zählen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems wie KHK, arterielle Hypertonie, zerebrale und periphere arterielle Verschlusskrankheit, Lungenerkrankungen wie chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), chronische Nieren- und Lebererkrankungen, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, Krebserkrankungen und Alkoholkrankheit [46,47,48,49,50]. Im untersuchten Kollektiv der sP-Bewohner fanden sich alle oben genannten Vorerkrankungen wieder, am häufigsten waren mit rund 60 % Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei mehr als der Hälfte der Verstorbenen bestand eine Demenz, dritthäufig waren Stoffwechsel- und Nierenerkrankungen. Demenz bzw. kognitive Einschränkungen werden in der Literatur auch als Risikofaktor neben den oben schon genannten Erkrankungen genannt [51, 52]. Auch in der Allgemeinbevölkerung waren Herz-Kreislauf-Erkrankungen am häufigsten, jedoch gefolgt von Stoffwechselkrankheiten und bösartigen Neubildungen.

Sterbeorte

Nach den Daten dieser Untersuchung verstarben 98 % der COVID-19-Sterbefälle der Allgemeinbevölkerung in einer Klinik, davon knapp die Hälfte auf einer Intensivstation. Von den sP-Bewohnern verstarben hingegen mehr als die Hälfte in ihrer Einrichtung, während unter den Kliniksterbefällen nur 3 Personen waren, die auf einer Intensivstation verstarben. Bei den COVID-19-Sterbefällen in der Allgemeinbevölkerung wurde erwartungsgemäß ein deutlich höherer Anteil des Sterbeortes Klinik als in bisherigen Sterbeortuntersuchungen erhoben: Eine populationsbezogene deutsche Studie aus dem Jahr 2011 stellte fest, dass 51,2 % der Sterbefälle im Krankenhaus verstorben waren [53], ähnliche Zahlen kommen aus Kanada und dem Vereinigten Königreich [54, 55]. Interessanterweise zeigte eine Münchner Untersuchung zu Sterbeorten von Pflegeheimbewohnern und betagter Allgemeinbevölkerung, dass vor COVID-19 ein mit 75 % deutlich höherer Anteil der sP-Bewohner im Krankenhaus verstarb, allerdings auch hier nur 4 % auf einer Intensivstation [56].

Die Ursachen für die veränderte Häufigkeitsverteilung der Sterbeorte von Heimbewohnern in der Pandemie sind nicht abschließend geklärt, möglicherweise verzichteten die behandelnden Ärzte bei infauster Prognose und vorliegender Patientenverfügung auf eine stationäre Einweisung. Gestützt wird diese Annahme durch den Sachverhalt, dass viele Leichenschauer auf der TB dieses Kollektives eine „palliative Situation“ vermerkten. In Norwegen verstarben im April 2020 von knapp 7000 SARS-CoV-2-Infizierten 162, davon 3 zu Hause, 64 im Krankenhaus und 95 in Pflegeeinrichtungen [57]. Es gibt eine Empfehlung der obersten norwegischen Gesundheitsbehörde, dass bei sP-Bewohnern keine intensivmedizinische Behandlung mit künstlicher Beatmung stattfinden soll.

Limitationen

Es handelt sich um eine Untersuchung, bei der alle in München Verstorbenen unabhängig von ihrem Wohnort erfasst wurden. Eindeutig konnten nur die sP-Bewohner aus dem Stadtgebiet München identifiziert werden, da die Anschriften vollstationärer Pflegeeinrichtungen im Münchner Umland nicht bekannt sind. Als Datenquelle standen nur die Angaben der leichenschauenden Ärzte in den TB zur Verfügung. Es kann angenommen werden, dass die Eintragungen in den TB nicht vollständig sind, sodass hier, wie in anderen Studien auch, von fälschlich zu niedrigen Zahlen, beispielsweise bei der Anzahl der angegebenen Begleiterkrankungen, ausgegangen werden muss. Patientenunterlagen standen für die Auswertung nicht zur Verfügung, sodass keine Informationen zum Krankheitsverlauf und zur Diagnostik vorlagen. Somit konnte auch keine Einzelfallprüfung hinsichtlich der Todesursächlichkeit einer COVID-19-Erkrankung erfolgen. Ebenso wenig ist die tatsächliche Anzahl aller Erkrankten im Untersuchungszeitraum bekannt, somit fehlt der Nenner und es konnten weder Prävalenzen berechnet noch Risikofaktoren statistisch analysiert werden. Die gezeigten Unterschiede zwischen sP-Bewohnern und der Allgemeinbevölkerung sind nicht dazu geeignet, strukturelle Probleme zu identifizieren, sondern können aufgrund der bestehenden Unterschiede beider Kollektive nur rein deskriptiver Natur sein.

Vergleich mit der Situation in der 2. Pandemiewelle

Das GSR hatte die von Ausbrüchen betroffenen Einrichtungen fortlaufend telefonisch und vor Ort beraten, COVID-19-Hygienepläne angefordert, gesichtet und fachlich bewertet. Ebenso fanden mit den Trägern der Einrichtungen wöchentliche Telefonkonferenzen rund um das Thema COVID-19 statt. Trotzdem kam es in der 2. Pandemiewelle ab Mitte Oktober 2020 erneut und in wesentlich stärkerem Umfang zu nosokomialen Ausbrüchen mit COVID-19 in den Pflegeeinrichtungen. 56 der 59 Einrichtungen (94,9 %) waren bis zum 15.01.2021 teils erneut betroffen, insgesamt infizierten sich 1552 Bewohner und 848 Pflegekräfte [58]. 408 Bewohner mit gesicherter SARS-CoV-2-Infektion (26,3 %) verstarben, bei 353 Fällen (86,8 %) schätzte der leichenschauende Arzt die Infektion als unmittelbar todesursächlich ein. Im Unterschied zum Frühjahr verfügten die Einrichtungen über eine ausreichende Ausstattung mit persönlicher Schutzausrüstung (PSA) und Desinfektionsmitteln, ein regelhaftes Screening von Personal und Bewohnern war etabliert und trotzdem konnten die Ausbrüche nicht verhindert werden. Wo sind Schwachstellen, die behoben werden müssen, um COVID-19-assoziierte Sterbefälle in den Pflegeeinrichtungen minimieren zu können?

Wie die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene in ihrer aktuellen Mitteilung zu den Ursachen nosokomialer Ausbrüche in Pflegeeinrichtungen ausführt [58], müssen die entsprechenden Strukturen geschaffen werden, hierzu zählen ein adäquates Hygienemanagement, die Etablierung einer standardisierten Surveillance nosokomialer Infektionen, die Umsetzung eines Ausbruchmanagements entsprechend den Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO), die Betreuung durch Hygienefachpersonal und der Erlass einer Hygieneverordnung analog der für Kliniken und ambulant operierende Einrichtungen, in der die Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Betreiber festgelegt sind. Testungen auf und Impfungen gegen SARS-CoV‑2 können die bestehenden strukturellen Hygieneprobleme in den Einrichtungen, die durch die Coronapandemie mit erschreckender Deutlichkeit mit all ihren Konsequenzen für die Bewohner offenbar wurden, nicht lösen.

Fazit

Ein Drittel der Münchner COVID-19-Sterbefälle in der ersten Pandemiewelle waren Bewohner vollstationärer Pflegeeinrichtungen. Es handelte sich bei ihnen erwartungsgemäß um Menschen mit zahlreichen Vorerkrankungen. Die leichenschauenden Ärzte gaben als häufigste Grunderkrankungen Herz-Kreislauf- und demenzielle Erkrankungen an. Alle Sterbefälle waren im Zusammenhang mit nosokomialen Ausbrüchen aufgetreten. Ein knappes Drittel der Münchner Einrichtungen war in der ersten Pandemiewelle von diesen betroffen. Es ergaben sich Hinweise auf eine nicht adäquate Risikoeinschätzung: Die überwiegende Zahl der betroffenen Einrichtungen verfügte zum Zeitpunkt des Ausbruchs über keinen COVID-19-Hygieneplan, bei den restlichen Einrichtungen war er fachlich nicht ausreichend. sP-Bewohner verstarben überwiegend in ihrer Einrichtung; verstarben sie in der Klinik, dann in der Regel auf einer Allgemeinstation. Diese Untersuchung zeigt erneut, dass Todesbescheinigungen eine wichtige Informationsquelle für die öffentliche Gesundheit und die Überwachung meldepflichtiger Infektionskrankheiten sind [59].