Hintergrund und Ziel des Beitrags

Erfolge bei der Kariesprophylaxe lassen sich nur durch repräsentative, zahnmedizinische Vergleichsuntersuchungen beschreiben. Daher initiierte die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ) im Jahr 1993 die Epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe, die in Schlüsselgruppen wie 6‑ bis 7‑, 9‑, 12- oder 15-Jährige in möglichst allen Bundesländern repräsentativ durchgeführt werden sollten [3]. Die Epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe erfolgten daraufhin bisher in den Jahren 1994/1995, 1997, 2000, 2004, 2009 [1] sowie 2016 [2]. Sie erfassen in den einzelnen Bundesländern und auch auf nationaler Ebene die mittlere Karieserfahrung sowie die Kariesprävalenz in den verschiedenen Altersgruppen. Im Zuge des Kariesrückganges deutet sich eine im Wesentlichen sozial polarisierte Verteilung an. Deshalb wurde mit dem Significant Caries Index (SiC; [4]) ein Instrumentarium geschaffen, um das Drittel der Kinder mit dem höchsten Kariesbefall getrennt zu verfolgen und ihre Werte mit dem Mittelwert aller Kinder und Jugendlichen vergleichen zu können. Da aufgrund der Präventionserfolge jedoch die Kariesprävalenz in einigen Altersgruppen aktuell bereits unter 33 % liegt, wurde mit dem Specific Affected Caries Index (SaC; [5]) erst kürzlich zusätzlich ein weiterer Index eingeführt, um die Karieserfahrung in diesen Risikogruppen noch besser darzustellen.

Ziel dieses Übersichtsbeitrags ist die Beschreibung der aktuellen Karieserfahrung bei Kindern in Deutschland anhand nationaler Studien wie den Epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe (DAJ-Studie 2016) für 3 Referenzaltersgruppen (3-, 6‑ bis 7‑ und 12-Jährige).

Datengrundlage

Für diesen Übersichtsbeitrag wurden die aktuelle Mundgesundheit anhand der Epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe (DAJ-Studie; [1, 2]) sowie die Kariestrends anhand verschiedener weiterer in Deutschland durchgeführter nationaler und regionaler Studien zur Mundgesundheit bei Kindern (u. a. in Sachsen-Anhalt, Brandenburg) dargestellt [2]. Dazu gehören für die 12-Jährigen auch die Deutschen Mundgesundheitsstudien des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ; [6]) und weitere repräsentative Studien zur Kariesepidemiologie aus den 1970er- bzw. 1980er-Jahren [7, 8]. So konnten für die Referenzgruppe laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) von Jugendlichen (i. d. R. 12-Jährige; [9]) über 40 Jahre hinweg sowie für 6‑ bis 7‑jährige Grundschüler über knapp 20 Jahre hinweg die Entwicklungen in der Kariesprävalenz dargestellt werden. Erstmalig wurden in der aktuellen DAJ-Studie (Schuljahr 2015/2016) auch 95.127 3‑Jährige in Kindertagesstätten erfasst [2]. Die Befunderhebung in den Studien umfasst primär die Karieserfahrung anhand der WHO-Kriterien [10], d. h. für permanente Zähne den DMFT-Index bzw. bei Milchzähnen der dmft-Index („decayed“/kariöse, „missing“/extrahierte, „filled“/gefüllte „teeth“/Zähne), die erfassten Einzelkomponenten des Index sowie erstmalig 2016 auch die Initialkaries (i bzw. I). Die Kariesprävalenz bezeichnet den prozentualen Anteil der Kinder mit DMFT/dmft > 0. Hauptunterschiede zwischen der DAJ-Studie und der IDZ-Studie waren, dass bei der DAJ-Studie die Untersuchung als Begleituntersuchung zur Gruppenprophylaxe erfolgte, also unter Feldbedingungen in Kindertagesstätten und Schulen [2]. Bei der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) des IDZ konnte auf einem Zahnarztstuhl, also unter praxisähnlicheren Bedingungen, untersucht werden [6]. Für die DAJ-Studie 2016 wurden die Kariesdaten von 301.684 Kindern durch 482 kalibrierte zahnärztliche Untersucher (Onlinekalibrierung) verteilt auf 3 verschiedene Altersgruppen herangezogen [2], während in der DMS V eine national repräsentative Stichprobe gezogen wurde und lediglich 1468 12-Jährige (Geburtsjahrgang 2002) untersucht wurden [6].

Ergebnisse

3-Jährige in Kindertagesstätten

3‑Jährige in Kindertagesstätten (n =95.127) wurden erstmalig im Rahmen der Epidemiologischen Begleituntersuchungen untersucht und wiesen eine mittlere Karieserfahrung von 0,5 dmft auf. Der Anteil der Kinder, der in diesem Alter bereits eine manifeste Karies aufweist, schwankt je nach Bundesland zwischen 10,5 % und 16,2 % (Tab. 1), was sich unter Einbeziehung von Initialläsionen auf 14,4–24,6 % Kinder mit Karieserfahrung erhöht. Dies entspricht der Prävalenz von frühkindlicher Karies (ECC: Early Childhood Caries) aus zahlreichen regionalen Studien [11] und den in der Selbstbeschreibung der einzelnen Bundesländer angegebenen Daten zur Karieserfahrung bei 3‑Jährigen [2]. Das Ausmaß der Polarisation des Kariesbefalls wird insbesondere bei Betrachtung des SiC und SaC über alle Bundesländer hinweg deutlich (Tab. 1), da vergleichsweise wenige Individuen eine hohe Karieslast auf sich vereinen (11,4 %), während die große Mehrheit in diesem Alter (noch) gesunde Zähne aufweist. So lag die mittlere Karieserfahrung der Kinder mit Karieserfahrung (SaC) bereits bei 3,6 dmft. Zudem waren etwa Dreiviertel der kariösen Milchzähne bei den 3‑Jährigen nicht saniert [2] und folglich sowohl der Präventions- als auch der Therapiebedarf hoch. Klinisch tritt die ECC meist zunächst als sogenannte Nuckelflaschenkaries an den Oberkieferschneidezähnen auf, was auch erklärt, warum die von Karies betroffenen Kinder im Schnitt fast 4 kariöse Zähne haben.

Tab. 1 Ergebnisse zur Karieserfahrung bei 3‑Jährigen in Kindertagesstätten im Rahmen der Epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe 2016 in Deutschland. (Quelle: Team DAJ, 2017; modifiziert nach [2])

Trotz Einschränkungen bei der Gewinnung von 3‑Jährigen in Kinderkrippen und Kindergärten zur Studienteilnahme lässt sich durch zahnärztliche Untersuchungen schon hier eine Polarisation des Kariesbefalls auf eine Gruppe von ca. 15 % der Kinder bzw. eine Hochkariesrisikogruppe (dmft > 4) von etwa 5 % mit vorwiegend unbehandelten kariösen Defekten identifizieren.

Im Rahmen der DAJ-Studie sind keine nationalen Vergleichsdaten für die Altersgruppe der 3‑Jährigen aus früheren Untersuchungen verfügbar. Jedoch konnte für Mecklenburg-Vorpommern auf Vergleichsdaten aus der Gesundheitsberichterstattung der letzten 20 Jahre zurückgegriffen werden, die einen Kariesrückgang von 1,0 dmft (1992) um 50 % auf aktuell 0,5 dmft erkennen lassen [12]. Auch in Brandenburg lässt sich anhand der online verfügbaren Daten vom Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit in den letzten 10 Jahren eine leichte Verbesserung der Mundgesundheit verzeichnen: So stieg der Anteil naturgesunder Gebisse bei 3‑Jährigen von 83,4 % (2010) auf 87,2 % (2019) und zugleich sank in diesem Zeitraum die mittlere Karieserfahrung von 0,59 auf 0,52 dmft [13].

6- bis 7-Jährige in der 1. Klasse

Insgesamt wurden in der aktuellen DAJ-Studie [2] 151.555 6‑ bis 7‑Jährige in der 1. Klasse untersucht. Die Kariesprävalenz im Milchgebiss sank von 65 % im Jahr 1994 auf 44 % im Jahr 2016 (Tab. 2), während die mittlere Karieserfahrung von 2,89 auf 1,73 dmft (dt = 0,74, mt = 0,19, ft = 0,80) sank (Tab. 3). Der Sanierungsgrad der kariösen Zähne betrug 57,5 %, und der SiC 4,84 dmft. Je nach Region variierte der mittlere dmft stark und lag zwischen 1,37 und 2,31 (Tab. 3). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass trotz des allgemeinen Kariesrückgangs bei den 6‑ bis 7‑Jährigen in Deutschland in den letzten 10 Jahren nur geringe Kariesreduzierungen beobachtet wurden, wobei ein immer noch hoher Anteil an unbehandelter Karies besteht [2]. Dies tritt klinisch mitunter als multiple approximale kariöse Läsionen an Milchmolaren in Erscheinung und stellt bei einer Kariesprävalenz von knapp jedem zweiten Kind in der 1. Klasse somit kein ausschließlich soziales Randphänomen dar. Effektivere präventive und restaurative Maßnahmen mit Schwerpunkt Milchgebiss sind daher nötig [14].

Tab. 2 Kariestrends im Milchgebiss (mittlerer dmft) bei 6‑ bis 7‑jährigen Schülern in der 1. Klasse von 1994 bis 2016 im Rahmen der Epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe für die 15 verschiedenen Bundesländer sowie die Regionen Nordrhein und Westfalen-Lippe und gemittelt für Deutschland. Tabelle adaptiert nach Santamaria et al. [14]
Tab. 3 Ergebnisse zur Karieserfahrung im Milchgebiss bei 6‑ bis 7‑Jährigen im Rahmen der Epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe 2016 in Deutschland. (Quelle: Team DAJ, 2017; modifiziert nach [2])

Jugendliche (12-Jährige)

Im zeitlichen Verlauf sind insbesondere in dieser Altersgruppe deutliche Verbesserungen der Mundgesundheit zu beobachten. In den letzten knapp 20 Jahren, in denen die DAJ-Studie durchgeführt wurde, konnte der mittlere DMFT von 2,44 um ungefähr 80 % reduziert werden (Tab. 4). So wiesen 12-Jährige der Klassenstufe 6 in der aktuellen DAJ-Studie 2015/2016 [2] eine mittlere Karieserfahrung von 0,44 DMFT auf, wobei 79 % der Kinder keine kavitierten kariösen Läsionen hatten (DMFT = 0, Tab. 5). Diese Ergebnisse liegen sehr nahe den ermittelten Werten der DMS V (Untersuchungsjahr 2014), in der die 12-Jährigen einen DMFT von 0,5 und eine Kariesprävalenz von 19 % aufwiesen [6]. Dies verdeutlicht trotz unterschiedlicher Methodik und potenziellen Selektionsbias in beiden Studien die Robustheit der Kariesmarker (insbes. des DMFT). Zudem konnte anhand zusätzlicher Daten aus Sachsen-Anhalt, wo im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung 12-Jährige unabhängig von der Klassenstufe 6 untersucht wurden, ein einfacher Adjustierungsfaktor (DMFT + 15 %) zur Kompensation des Selektionsbias im Rahmen der DAJ-Studie ermittelt werden (s. DAJ-Gutachten, Kap. 7.3.3 [2]).

Tab. 4 Karieserfahrung bei Jugendlichen (DMFT, Subkomponenten, Significant Caries Index (SiC), initiale Kariesläsionen (IT) und mittlerer DMFT bei Kindern mit Karieserfahrung (SaC) laut verschiedener Zahngesundheitsstudien in Deutschland über einen Zeitraum von knapp 40 Jahren)
Tab. 5 Karieserfahrung im permanenten Gebiss bei 12-Jährigen in der 6. Klasse im Rahmen der Epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe 2016 in Deutschland. (Quelle: Team DAJ, 2017; modifiziert nach [2])

Die von Karies betroffenen Kinder haben im Schnitt (SaC [5]) 2,1 DMFT und dieser Wert liegt somit deutlich über dem Mittelwert von 0,5 DMFT bei allen 12-Jährigen. Zudem waren etwa 30 % der kariösen bleibenden Zähne bei den 12-Jährigen nicht saniert [2]. Die mittleren Karieswerte sind bei Hauptschülern oder Förderschülern deutlich höher als bei Gymnasialschülern (je nach Bundesland ca. 3–5-fach; [2]).

Zusammenfassung der aktuellen Mundgesundheit bei Kindern in Deutschland

Mit sinkender Kariesprävalenz in Deutschland ist eine zunehmende Polarisation der Karies zu verzeichnen. So tritt Karies an Milchzähnen (Tab. 6) schon früh auf (ca. 10–17 % der 3‑Jährigen bei sehr niedrigem Sanierungsgrad) und ist insgesamt noch weitverbreitet (ca. 40–60 % der 6‑ bis 7‑Jährigen; [2]). Somit lässt sich hier kaum von einem ausschließlich sozialen Randphänomen sprechen. Auch wenn sich die dmft-Werte bei den 6‑ bis 7‑Jährigen seit Beginn der Erfassung 1994 deutlich (um ca. 40 %) reduziert haben, sind jedoch in den letzten 10 Jahren kaum Verbesserungen der Mundgesundheit im Milchgebiss zu verzeichnen [2, 13]. Dies gilt ebenfalls für die erstmalig im Rahmen der DAJ-Studie erfasste Altersgruppe der 3‑Jährigen, deren Prävalenzdaten vergleichbar mit denen früherer regionaler Studien zur ECC sind [13, 18]. Die Karieswerte bei 12-Jährigen in Deutschland sind dagegen extrem gesunken: Im Zeitraum 1994 bis 2016 sank der mittlere DMFT von 2,4 um ca. 80 % auf 0,4 bei knapp 80 % kariesfreien Gebissen (Tab. 4und Tab. 6). Diese Beobachtungen decken sich für die 12-Jährigen mit den Daten aus den Deutschen Mundgesundheitsstudien [6] und somit liegt Deutschland zusammen mit Dänemark international an der Spitze in dieser Altersgruppe [19].

Tab. 6 Aktuelle Mundgesundheit im Kindesalter. Zentrale Ergebnisse der Epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe 2016 in Deutschland. (Datenquelle [2])

Diskussion

Vergleichbarkeit der DMFT-Werte aus den verschiedenen Studien

Interessanterweise liegen die Werte für die Kariesprävalenz und die mittlere Karieserfahrung in der Gruppe der 12-Jährigen in 2 unabhängigen Studien mit verschiedener methodischer Herangehensweise (DAJ-Studie [2] und DMS V [6]), deren Untersuchungszeitpunkt nur knapp 2 Jahre auseinanderliegen, sehr nah beieinander (0,44 vs. 0,5 DMFT; 21 % vs. 19 % Kariesprävalenz [2, 6]). Die Karieswerte waren bereits bei der DMS IV (2005) und der vorangegangenen DAJ-Studie (2009) sehr ähnlich (0,72 vs. 0,7 DMFT [6, 22]). Für das Milchgebiss existieren keine anderen nationalen Daten neben der DAJ-Studie. Dennoch liegen die Karieswerte sowohl für das Milchgebiss als auch für die bleibenden Zähne (Tab. 1, 3und Tab. 5) in den einzelnen Bundesländern ebenfalls relativ nah beieinander [14] und der Trend ist vergleichbar [13, 21], was neben den validen Werten bei 12-Jährigen ein weiterer Hinweis auf eine robuste Darstellung der Karieserfahrung ist.

Nach einer einfachen Adjustierung des DMFT (Anpassung um 15 %) in der DAJ-Studie wg. der Beschränkung auf Klassenstufe 6 [23] liegt der korrigierte DMFT-Wert bei 0,5, was genau dem Wert in der DMS V entspricht [6]. Der Sanierungsgrad der Zähne war ebenfalls ähnlich (DAJ: 70,5 % vs. IDZ: 74,6 % [2, 6]). Es ist trotzdem kritisch anzumerken, dass aufgrund der schiefen Verteilung von Karies der mittlere DMFT eigentlich nicht (mehr) der korrekte Marker zur Darstellung der Erkrankungslast ist. Nichtsdestoweniger stellt der mittlere DMFT als historisch gewachsener und verwendeter Index [10], wie beschrieben, die Karieserfahrung valide, zuverlässig und einfach verständlich dar, sodass Limitationen [24], die zudem nur teilweise bei der Erfassung von Karies bei Kindern zum Tragen kommen, vor allem im Hinblick auf die Vorteile dieses Index hingenommen werden können.

Änderungen in den Rahmenbedingungen

Über den Zeitraum von mehreren Jahrzehnten verändern sich selbstverständlich die Rahmenbedingungen im politischen und gesellschaftlichen Umfeld sowie im Gesundheitssystem. Einige Änderungen im zahnärztlichen Setting können einen wesentlichen Einfluss auf die Mundgesundheit ausgeübt haben. So stellt eine Präventionssäule die halbjährliche Individualprophylaxe (IP) dar, die im Jahr 1989 für 12- bis 17-Jährige in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) integriert wurde. 1993 wurde diese Leistung für alle Kinder ab 6 Jahren zugänglich und um die präventive Fissurenversiegelung an Molaren (IP5) erweitert. Die IP-Leistungen sind wahrscheinlich ein wesentlicher Faktor für die Verbesserung der DMFT-Werte bei 12-Jährigen. 2004 wurden dann auch erstmalig für Kinder ab zweieinhalb Jahren kariespräventive Leistungen in den GKV-Katalog aufgenommen, allerdings in erheblich geringerem Umfang als im IP-Programm [25].

Bei den jüngeren Kindern bestand – wie die DAJ-Studie zeigte – ein polarisierter Kariesbefall im Milchgebiss, welcher ein deutliches Problem darstellt [26]. Hierbei wird es insbesondere problematisch, wenn kariöse Zähne eine Pulpabeteiligung, also Schmerzsymptomatik und z. B. dentogene Fisteln bzw. Abszesse, aufweisen. Aufgrund des geringen Alters, eingeschränkter Kooperationsfähigkeit und deutlicher Erkrankungslast (Polarisation) ist bei vielen dieser von Karies betroffenen Kleinkinder eine umfangreiche Zahnbehandlung nur unter Narkose durchzuführen [27]. Dies ist auf individueller Ebene und gesellschaftlich sicherlich nicht primär erwünscht, denn es führt neben den Narkoserisiken [28] auch zu deutlichen Kosten für das Gesundheitssystem [29].

Implementierung neuer Präventionsmaßnahmen

Mitte 2019 wurden daher die kariespräventiven Leistungen für das Milchgebiss durch neue zahnärztliche Frühuntersuchungen bereits ab 6 Monaten (FU1a–c) sowie die risikounabhängige Fluoridlackapplikation (FLA) und das praktische Putztraining mit der Betreuungsperson (FUPr) weiter ausgebaut. In der Zukunft wird sich zeigen, inwieweit Karies bei Kleinkindern vermieden werden kann. Denn es muss auch immer berücksichtigt werden, dass die IP im Vergleich zur Gruppen- und Kollektivprävention kostenintensiver und ihr Erfolg abhängig vom Erscheinen der Patienten in der Zahnarztpraxis ist. Dies kann gerade in Risikogruppen problematisch sein [25, 30, 31]. Ein zentraler Baustein für eine optimierte Kariesprävention im Milchgebiss könnte dabei also die Zahnpasta spielen: So enthielt Kinderzahnpasta in Deutschland lange maximal 500 ppm und somit nur ein Drittel des Fluorids von Erwachsenenzahnpasta. Neueste Empfehlungen der deutschen zahnmedizinischen Fachgesellschaften [32] sehen vor, dass bei Kindern ab dem Durchbruch des 1. Milchzahnes bis zum 2. Geburtstag mit einer reiskorngroßen Zahnpastamenge mit 1000 ppm Fluorid geputzt werden sollte. Alternativ dazu kann auch empfohlen werden, zweimal täglich mit einer erbsengroßen Zahnpastamenge mit 500 ppm Fluorid zu putzen. Vom 2. bis 6. Geburtstag sollten die Zähne dann zweimal täglich mit einer erbsengroßen Zahnpastamenge mit 1000 ppm Fluoridgehalt geputzt werden [32].

Aufgrund der klaren Dosis-Wirkung-Beziehung [33] ist es sehr wahrscheinlich, dass ein Teil der Milchgebisskaries bei Erhöhung des Fluoridgehalts in der Kinderzahnpasta reduziert werden kann. Insbesondere bei (Klein‑)Kindern mit erhöhter Kariesaktivität oder erhöhtem Kariesrisiko wäre die Nutzung einer Kinderzahnpasta mit 1000 ppm Fluorid oder gar einer Juniorzahnpasta (1250–1450 ppm) sinnvoll.

In letzter Zeit haben verschiedene Akteure intensiv daran gearbeitet, die bis dato bestehende Präventionslücke bei Kleinkindern zu verkleinern. Neben der Empfehlung eines höheren Fluoridgehalts in der Zahnpasta, also eine Angleichung deutscher Empfehlungen an europäische Standards [34], wurden in der Zahnarztpraxis abrechnungsfähige kariespräventive Maßnahmen im Kleinkindalter bis zweieinhalb Jahre eingeführt. Die Neufassung der FU-Richtlinie beinhaltet neue Frühuntersuchungen, praktisches Training zur Mundhygiene und Fluoridierungsmaßnahmen [35]. Dies war angesichts der hohen Raten von ECC [2] und damit assoziierten Zahnsanierungen in Narkose bei schweren Fällen für ein hochentwickeltes Land überfällig. Zudem sollen Kinderärzte mithilfe der seit 2016 verfügbaren überarbeiteten gelben Kinderuntersuchungshefte während der verpflichtenden U‑Untersuchungen (U5–U7) auf die zahnärztlichen Frühuntersuchungen bei Kleinkindern verweisen und somit die ECC-Prävention fördern [36]. Ein Pilotprojekt in Jena konnte die Wirksamkeit früh ansetzender Prävention bereits zeigen [37].

Oben genannte Maßnahmen stehen im Einklang mit der „International Association for Paediatric Dentistry (IAPD) Bangkok Declaration“ [38] zur ECC. So sollten zur Vermeidung von ECC Eltern, Zahnärzte, Ärzte und viele andere Beteiligte bezüglich ECC sensibilisiert werden, eine vorbeugende Beratung möglichst innerhalb des ersten Lebensjahres des Kindes durch einen Angehörigen eines Gesundheitsberufs erfolgen oder idealerweise ein Verweis an einen Zahnarzt für eine umfassende Betreuung stattfinden. Schlüssel zur Vermeidung von ECC sind „Zweimal täglich Zähne putzen mit fluoridierter Zahnpasta (mindestens 1000 ppm)“ und eine limitierte Zufuhr zuckerhaltiger Getränke und Speisen [38].

Rolle der Fluoride in der Kariesprävention

Weiterhin geben die evidenzbasierten Empfehlungen eines systematischen Reviews eine gute Übersicht, welche Maßnahmen für das Milchgebiss im Allgemeinen und bei erhöhtem Kariesrisiko sowohl in der Praxis als auch häuslich eingesetzt werden sollten [39]. Diese Empfehlungen weisen Fluorid in diversen Applikationsformen eine zentrale Bedeutung zu. Hier sollte der primäre Fokus in der Kariesprävention liegen. Andere Maßnahmen sind eher additiv. Eine hohe Fluoridierungsquote wäre auch für eine zeitgemäße und wirksame Gruppenprophylaxe essenziell [40], wie erfolgreiche Pilotprogramme in Greifswald oder Osnabrück-Land belegen [41, 42]. Die sich zurzeit in Überarbeitung befindende deutsche Leitlinie zu den Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe wird voraussichtlich auch Annäherungen an die internationalen Empfehlungen mit Verschiebungen zur Fluoridzahnpasta enthalten, da bei Fluoriden die lokale Applikation vorrangig genutzt werden sollte [40].

Aktionsplan und Ausblick

Ein stringenter evidenzbasierter Handlungsplan „Prävention im Milchgebiss“ wäre daher für Deutschland sinnvoll. Dieser umfasst den frühen Verweis vom Kinderarzt zum Zahnarzt, die Erhöhung des Fluoridgehalts auf 1000 ppm in der Kinderzahnpasta, die Nutzung der neuen Früherkennungsuntersuchungen (FUs) und die Fluoridlackapplikation bei Kindern. Dabei sollten alle Möglichkeiten der Kollektiv‑, Gruppen- und Individualprophylaxe genutzt werden [25]. Wie bereits beschrieben sind in den letzten Jahren einige wichtige Strategien entwickelt und Präventionsmaßnahmen insbesondere für das Milchgebiss implementiert worden [32, 35, 36].

Der positive Mundgesundheitstrend in der Gruppe der 12-Jährigen wird sich wohl noch weiter fortsetzen, auch wenn die Kurve abzuflachen scheint [20, 21], da für eine wirksame Prävention in der verbliebenen Kariesrisikogruppe bei 12-Jährigen andere Strategien notwendig sind. Das Optimierungspotenzial der Mundgesundheit bei 12-Jährigen in Deutschland ist aufgrund der niedrigen Karieswerte [2, 6] deutlich kleiner und eine weitere Verbesserung wohl fast nur über kariesrisikospezifische Präventionsmaßnahmen in Risikoeinrichtungen/Schulen möglich, wie z. B. regelmäßiges Zähneputzen und zusätzlich hochfrequente Applikationen höher konzentrierter Fluoridpräparate (z. B. durch Einbürstung von Fluoridgelee; [43]).

Welchen genauen Einfluss die neu eingeführten oben genannten Maßnahmen, wie beispielsweise der Verweis vom Kinderarzt zum Zahnarzt, der erhöhte Fluoridgehalt (1000 ppm) in der Kinderzahnpasta, die neuen Früherkennungsuntersuchungen und die Einführung der Fluoridlackapplikation bei Kindern unter 6 Jahren, auf die Kariesprävalenz haben werden, ist nicht genau vorhersagbar. Jedoch wird wahrscheinlich bereits bei den nächsten Untersuchungen im Rahmen der Epidemiologischen Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe eine (leichte) Verbesserung zu verzeichnen sein.

Fazit

  • Die kariesepidemiologische Literatur zeigt, dass Karies im Milchgebiss immer noch hochprävalent ist, bei Jugendlichen dagegen nur noch relativ kleine Kariesrisikogruppen existieren. Durch früh ansetzende Kariesprävention, Empfehlungen für einen höheren Fluoridgehalt (1000 ppm) in der Kinderzahnpasta, regelmäßige Verweise der Kleinkinder vom Kinderarzt zum Zahnarzt für adäquate zahnärztliche Frühuntersuchungen schon ab dem 6. Lebensmonat und verbesserte Leistungen in der zahnärztlichen IP scheinen die Ziele, ECC sowie Milchzahnkaries in allen Altersgruppen zu reduzieren, näher zu rücken. Für eine weitere Verbesserung der Zahngesundheit in der permanenten Dentition sollte der Fluorideinsatz insbesondere in Schulen mit höherem Anteil an Kariesrisikogruppen über das tägliche Zähneputzen und weitere Fluoridimpulse mit höher konzentrierten Fluoridpräparaten implementiert werden. Ein regelmäßiges Monitoring der Mundgesundheit ist lokal, aber auch deutschlandweit weiterhin nötig.

  • Diese gemeinsam erzielte, aktuell schon recht gute Mundgesundheit bei Kindern und die bislang neu implementierten strukturellen Maßnahmen stellen ein gutes Beispiel für die Innovationsfähigkeit der Zahnmedizin dar, bei der weitere Verbesserungen, insbesondere für das Milchgebiss, realistisch erscheinen und in den nächsten Jahren zu erwarten sind.