Zusätzlich zu den bevölkerungsbasierten Schutzmaßnahmen wurde bereits in der ersten Strategieergänzung vom März 2020 auf die Notwendigkeit individueller infektionshygienischer Maßnahmen und die Verantwortung jedes Einzelnen in der Gesellschaft für die erfolgreiche Umsetzung der Multikomponentenstrategie hingewiesen.
Zur Prävention von Infektionen ist die Minimierung von Kontakten durch jede Einzelne und jeden Einzelnen von entscheidender Bedeutung. Frühzeitig wurden daher bundesweit Informationskampagnen zur Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 m gestartet und auf die Notwendigkeit der Reduktion von Kontakten auch im privaten Umfeld hingewiesen.
Am 14.04.2020 aktualisierte das RKI die Strategieergänzungen zu empfohlenen Schutzmaßnahmen und Zielen (3. Update). Hierin empfiehlt das RKI „… ein generelles Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) in bestimmten Situationen im öffentlichen Raum als einen weiteren Baustein, um Risikogruppen zu schützen und den Infektionsdruck und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren“ [11]. Sachsen führte am 20.04.2020 als Erstes im gesamten Bundesland eine Pflicht zum Bedecken von Mund und Nase im Einzelhandel und im öffentlichen Nahverkehr ein. Ab dem 29.04.2020 galt in allen Bundesländern eine MNB-Pflicht (meist für Einkäufe sowie in Bussen und Bahnen). Damit wurde nach populationsbasierten Maßnahmen wie der Schließung von Schulen und Geschäften die Bedeutung individueller, zielgerichteter nichtpharmakologischer Maßnahmen hervorgehoben.
Ab dem 15.06.2020 war zudem die Corona-Warn-App verfügbar. Diese sollte helfen, Infektionen schneller zu entdecken, und der Bevölkerung die Möglichkeit geben, vom Kontakt mit einer infizierten Person rechtzeitig zu erfahren [12]. Bei einer Stabilisierung der Fallzahlen auf niedrigem Niveau hatte die App auch das Ziel, die Kontaktpersonennachverfolgung der Gesundheitsämter zu unterstützen, um Infektionsketten zu unterbrechen und damit SARS-CoV‑2 einzudämmen.
Bereits während der ersten Welle wurde bei der Untersuchung von Ausbrüchen sowie aufgrund von experimentellen Daten die Bedeutung der Übertragung durch Aerosole auch über größere Distanzen als 1,5 m deutlich. Daher wurden für Veranstaltungen und Kontakte in Innenräumen, insbesondere auch im Hinblick auf das bevorstehende Herbst- und Winterhalbjahr, die Abstandsregeln und das Tragen von Alltagsmasken bzw. eines Mund-Nasen-Schutzes durch den Hinweis auf intensives Lüften zur Reduktion der Aerosolbelastung ergänzt: A (bstand) + H (Händehygiene) + A (Alltagsmasken) + L (üften)-Regel.
Die nachfolgenden Abschnitte widmen sich den oben genannten individuellen nichtpharmakologischen Maßnahmen und geben einen Ausblick auf die pharmakologischen Schutzmaßnahmen.
Quarantäne und Isolierung
Quarantäne und Isolierung sind 2 Formen der Absonderung, die sich in ihrem Ansatz und ihrer Zielsetzung grundlegend unterscheiden. Empfehlungen zu ihrer Dauer erfolgen in Anpassung an den jeweils aktuellen Wissensstand.
Der Begriff der Quarantäne bezeichnet die zeitweilige Absonderung von symptomfreien Personen, bei denen eine Ansteckung erfolgt sein kann, da sie in Kontakt mit einer ansteckenden Person waren (Exposition). Während der Quarantäne wird die Entwicklung von Krankheitszeichen überwacht mit dem Ziel, das Risiko einer unbemerkten Infektion und damit einhergehenden Weiterverbreitung auf ein Minimum zu reduzieren. Die Dauer der Quarantäne hängt u. a. von der Inkubationszeit eines Erregers ab. Als „Inkubationszeit“ wird die Periode zwischen der Aufnahme des Infektionserregers (Ansteckung) und dem Auftreten der ersten Krankheitssymptome bezeichnet. Sie beträgt bei COVID-19 im Median 5–6 Tage (95. Perzentil bei 10–14 Tagen; [13,14,15,16,17,18]). Bei Auftreten von Symptomen oder einem positiven Erregernachweis wird die infizierte Person isoliert und somit das Risiko der Erregerverbreitung minimiert.
Der Begriff Isolierung bezieht sich auf die Absonderung von kranken oder nachweisbar infizierten Personen. Die Dauer der Isolierung richtet sich nach der infektiösen Periode, d. h. der Phase der Ansteckungsfähigkeit. Die Dauer der infektiösen Periode kann nur indirekt abgeleitet werden, bspw. durch die Analyse von nachweislichen Übertragungspaaren (jeweils Infektionsquelle und Folgefall mit definiertem Zeitpunkt des Kontakts) oder durch Surrogatuntersuchungen, wie bspw. der Anzüchtbarkeit des Virus im Labor. Typischerweise beginnt die Ansteckungsfähigkeit bei COVID-19 bereits 3–5 Tage nach Symptombeginn zu sinken. „Bei mild-moderater Erkrankung gilt eine Ansteckungsfähigkeit später als 10 Tage nach Symptombeginn als äußerst unwahrscheinlich und ist nur in Einzelfällen beschrieben. Bei schweren Erkrankungen oder Immunsuppression gibt es Hinweise, dass die Patienten auch noch deutlich später als 10 Tage nach Symptombeginn ansteckend sein können“ [19].
Eine Verkürzung der Quarantäne- (derzeit 14 Tage) oder Isolierungsdauer (mindestens 10 Tage, je nach Krankheitsschwere) geht grundsätzlich mit einem größeren Risiko der Ansteckung weiterer Personen einher. Andererseits können Strategien, die Quarantäne mit SARS-CoV-2-Tests kombinieren, dazu beitragen, die Nachteile einer Quarantäneverkürzung auszugleichen. Wenn sie gut konzipiert sind, können sie Vorteile für die Infektionsprävention bieten [20]. Kombinierte Quarantäne- und Teststrategien könnten daher die sozioökonomische Belastung von COVID-19 verringern.
Die Abwägung des Infektionsschutzes gegenüber anderen berechtigten sozialen, gesellschaftlichen und ökonomischen Aspekten durch eine Verkürzung von Quarantäne- und Isolierungsdauer ist auch Teil politischer Entscheidungsprozesse.
Kontaktpersonenmanagement bei SARS-CoV-2-Infektionen
Nach einem Zusammentreffen mit einer infektiösen Person (Quellfall) kommt es – je nach Dauer und Intensität des Kontakts – im gepoolten Mittel bei ca. 4 % der engen Kontaktpersonen zu einer Infektion [21]. Bei Haushaltsmitgliedern liegt die Rate mit ca. 18 % im Mittel höher [22]. Insgesamt sind die Ergebnisse heterogen, in verschiedenen Umfeldern wurden auch deutlich höhere und niedrigere sekundäre Infektionsraten berichtet. Der Anteil der Übertragungen unterscheidet sich deutlich zwischen Haushaltskontakten, engen Kontakten außerhalb des Haushalts und sonstigen sozialen Kontakten. Bei Bekanntwerden einer Infektion des Quellfalls werden die Kontaktpersonen vom Gesundheitsamt ermittelt und über die Notwendigkeit und Dauer der Quarantäne informiert. Die Quarantäne sollte möglichst frühzeitig nach Exposition beginnen, vor Beginn der infektiösen Phase (s. unten), falls es zu einer Erkrankung oder Ausscheidung des Virus kommt. In diesem Fall würde die Infektionskette unterbrochen werden. Als „Kontaktperson“ gelten alle Personen, die 2 Tage vor bis 10 Tage nach Symptombeginn des Quellfalls Kontakt zu diesem hatten [23].
Neben dem Zeitpunkt des Kontaktes ist die Art des Kontaktes relevant: Man unterscheidet einen Kontakt mit höherem Risiko für eine Übertragung (Kontaktperson der Kategorie 1, KP1) von Kontakten mit niedrigerem Risiko (KP2). Personen der Kategorie 1 hatten entweder längeren und engeren Kontakt zu einem Quellfall (z. B. längeres Gespräch oder gemeinsames Essen) oder waren länger in einem schlecht belüfteten Raum mit einem Quellfall zusammen. Bei einem kurzen direkten engen Kontakt kann das Risiko durch das korrekte und durchgehende Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (MNS) oder einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) reduziert werden, sodass diese Kontaktpersonen in vielen Fällen in die Kategorie 2 eingruppiert werden. Falls die Kontaktperson sich in einem Raum mit infektiösem Aerosol aufgehalten hat (z. B. Chorprobe bei schlechter Belüftung), ist ein Schutz durch MNS/MNB nicht gegeben, da diese keinen Schutz gegenüber der Aufnahme von Aerosolen gewährleisten.
Da die Inkubationszeit kurz ist, im Median 5–6 Tage, und die infektiöse Phase bereits 1–3 Tage vor Symptombeginn einsetzt, ist die Schnelligkeit der Ermittlung von Kontaktpersonen entscheidend. Der Erfolg der Kontaktpersonennachverfolgung steht und fällt somit mit der raschen Testung des Quellfalls, der zeitnahen Übermittlung des Ergebnisses und der unmittelbaren Information der Kontaktpersonen (siehe dazu auch Infobox 1). Hierdurch kann die Dauer zwischen Exposition und Quarantänebeginn so weit verkürzt werden, dass die infektiöse Periode im Falle einer Infektion der Kontaktperson noch nicht begonnen hat.
Unterstützung der Containmentaktivitäten vor Ort mithilfe der Containment Scouts
Die zentrale Rolle zur Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes durch das Management von Kontaktpersonen tragen die Gesundheitsämter. Um deren personelle Kapazitäten kurzfristig und möglichst effektiv zu stärken, wurde innerhalb weniger Wochen am Robert Koch-Institut (RKI) die „Containment-Scout-Initiative“ ins Leben gerufen. Ab April 2020 wurden dafür rund 500 „Containment Scouts“ (CS) bundesweit den Behörden zur Verfügung gestellt und basierend auf der Einwohnerzahl auf die verschiedenen Bundesländer aufgeteilt. Daneben sind weitere 25 „mobile“ Containment Scouts (mCS) unter Koordination des Robert Koch-Instituts bundesweit auch in anderen Gesundheitsämtern bei kurzfristigen Überlastungen unterstützend tätig.
Um die CS bestmöglich auf ihre Tätigkeit vorzubereiten, wurde ihnen zum Einstellungsbeginn Onlineschulungsmaterial zu verschiedenen Themenblöcken zur Verfügung gestellt (u. a. Kontaktpersonennachverfolgung, Meldewesen, Infektionsepidemiologie, Software zur Falldokumentation und Ausbruchsuntersuchungen). Eine unter den Gesundheitsämtern durchgeführte Umfrage deutet darauf hin, dass neben einem medizinischen Hintergrundwissen auch soziale Kompetenzen wie Motivation, Kommunikationsfähigkeiten und Stresstoleranz relevante Fähigkeiten für die Tätigkeit als CS darstellen.
Insgesamt zeigt sich, dass die CS-Iniative neben anderen Containmentaktivitäten einen wichtigen Beitrag leisten konnte. Auch ein längerfristiger Effekt der CS-Iniative zeichnet sich ab: Einige der CS mit bereits beendetem Arbeitsverhältnis wurden von den Gesundheitsämtern übernommen. Klar ist jedoch auch, dass dies nur eine vorübergehende Maßnahme ist, die eine langfristige Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes nicht ersetzen kann.
Mund-Nasen-Bedeckung und Mund-Nasen-Schutz in der Allgemeinbevölkerung
Als ergänzende Maßnahme zu den Hygiene- und Abstandsregelungen wurde im April 2020 das Bedecken von Mund und Nase für möglichst alle Menschen in Deutschland empfohlen. In vielen asiatischen Kulturkreisen ist es üblich, dass erkrankte Personen Masken tragen, mit dem Ziel, die Ansteckung weiterer Personen zu verhindern. Hintergrund der Empfehlung im Rahmen der COVID-19-Pandemie war die Tatsache, dass die unbemerkte Übertragung von SARS-CoV‑2 durch asymptomatisch und präsymptomatisch infizierte Personen als ein entscheidender Faktor bei der Ausbreitung des Erregers identifiziert wurde. Das Bedecken von Mund und Nase bewirkt ein Zurückhalten und ein Abbremsen der ausgestoßenen respiratorischen Tröpfchen.
Dieser abbremsende Effekt lässt sich bereits mit einfachen Materialien erreichen und benötigt nicht zwingend den Einsatz von Medizinprodukten oder einer persönlichen Schutzausrüstung. Mund-Nasen-Bedeckungen (MNB; auch „Alltagsmasken“ oder „Communitymasken“) können kommerziell und privat hergestellt und individuell gestaltet werden. Dadurch konnte die Umsetzung zeitnah und flächendeckend erfolgen, ohne die zu dem Zeitpunkt knappe Verfügbarkeit von medizinischem Mund-Nasen-Schutz (MNS) und Atemschutzmasken für das Gesundheitswesen weiter zu verschärfen.
Zu Beginn der Pandemie war die Evidenz für die Empfehlung von MNB sehr gering; die Empfehlung erfolgte daher primär aufgrund von plausiblen Ableitungen und Laboruntersuchungen. Implementiert wurde die „Maskenpflicht“ dann in Coronaschutzverordnungen auf lokaler Ebene. Die Evidenz für das Rückhaltevermögen unterschiedlicher Varianten wurde in den folgenden Monaten in zahlreichen Publikationen geschaffen, wobei sich deutlich abzeichnet, dass z. B. Visiere und andere nicht eng anliegende Bedeckungen oder der Einbau von Ausatemventilen die angestrebte Rückhaltewirkung nicht in vergleichbarer Weise erzielen [24, 25]. Die bestmögliche Rückhaltung von Tröpfchen erfolgt, wenn die MNB eng an Wangen und Kinn abschließt und durchgehend und über Mund und Nase eng anliegend getragen wird [26,27,28]. Auch MNS sind bei ausreichender Verfügbarkeit einsetzbar.
Voraussetzung für einen Erfolg der Gesamtmaßnahme ist, dass alle Menschen Mund und Nase situationsgerecht, konsequent und korrekt bedecken. Insbesondere gilt dies in Innenräumen bzw. wenn der Abstand nicht eingehalten werden kann. Diese Maßnahme ersetzt nicht das Einhalten des Abstandes, welcher auch für das Individuum selbst das Risiko einer Ansteckung verringert, sondern ergänzt diese im Sinne eines Gesamteffektes, der auf einem Drittschutz (Schutz der Kontaktpersonen) aller beruht aufgrund der grundsätzlichen Verringerung der Tröpfchenfreisetzung. Wichtig für die nachhaltige Akzeptanz dieser Maßnahme ist, dass die Indikationen und Ziele des Tragens von MNB von der Bevölkerung verstanden und dauerhaft umgesetzt werden.
Hinweise, dass das Bedecken von Mund und Nase mit einer MNB oder einem MNS zu gesundheitlichen Beschwerden führen könnte, liegen bisher nicht vor (Stand November 2020). Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP) hat in einer Stellungnahme gesundheitliche Aspekte erörtert [29]. Empfehlungen für die sichere und hygienische Handhabung gibt u. a. das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Besonderheiten und möglichen Risiken gibt es bei der Verwendung von FFP2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes durch Nichtfachkundige, insbesondere durch Menschen, die einer Risikogruppe angehören (z. B. ältere Personen, Immunsupprimierte). Informationen dazu befinden sich auf der Website des RKI unter der häufig gestellten Frage (FAQ): „Ist die Verwendung von FFP2-Masken während der COVID-19-Pandemie außerhalb der Indikationen des Arbeitsschutzes sinnvoll?“ [30].
Der Erfolg dieser Maßnahme lässt sich derzeit noch nicht abschließend bewerten, jedoch liegen Hinweise und Modellierungen vor, welche einen abbremsenden Effekt auf die COVID-19-Pandemie in Deutschland nahelegen [31]. Aufgrund der Implementierung der Maskenpflicht als ein Bestandteil eines Maßnahmenbündels mit mehreren Komponenten gestaltet sich die Quantifizierung des Einzeleffektes im Bündel der Schutzmaßnahmen jedoch schwierig [32].