Blei (lateinisch Plumbum, englisch „lead“, Symbol Pb, Ordnungszahl 82) ist ein giftiges Schwermetall, welches in der Erdkruste mit einem Gehalt von ca. 0,0018 % meist in Form von Erzen (als Sulfide, Carbonate u. a., selten auch in reiner Form) vorkommt. Die stabilen Bleiisotope 206Pb, 207Pb und 208Pb stellen die jeweiligen Endnuklide der 3 radioaktiven Zerfallsreihen dar.
Bleiverbindungen werden durch eine Vielzahl natürlicher, aber vor allem anthropogener Prozesse in die natürliche Umwelt freigesetzt und verteilt. Blei hat toxische Effekte auf Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere und Menschen und kann bioakkumulieren [1, 2].
Anthropogene Quellen für Blei waren und sind der Abbau, das Verhütten, Raffinieren und Recyceln, aber aktuell auch der vielfältige Einsatz in verschiedensten industriellen und gewerblichen sowie anderen zivilen und militärischen Bereichen (Bleiakkumulatoren, Strahlenabschirmung, Apparatebau, Legierungsbestandteil, Bleifarben, Lötlot, Geschosse, Schrot u. v. a. m.). Über den bis 1973 erlaubten Einsatz reiner Bleirohre oder auch von bleilässigen verzinkten Eisenrohren im Bereich der Trinkwasserinstallation von Gebäuden kam und kommt es immer noch zu nennenswerten Belastungen des Trinkwassers [3].
Aufgrund seiner chemisch-physikalischen Eigenschaften wie guter Verformbarkeit, niedrigen Schmelzpunkts und hoher Korrosionsbeständigkeit [1, 4] ist Blei bereits seit dem Altertum ein häufig verwendeter Werkstoff für Wasserleitungen, u. a. wurde es für innerstädtische römische Wasserverteilungssysteme verwendet, aber auch für Überlandleitungen, wie z. B. bei Lyon [5]. Der römische Architekt und Autor Vitruvius riet in seinem Werk De architectura libri decem (ca. 30 v. Chr.) bereits von der Nutzung von Bleirohren aus gesundheitlichen Gründen und wegen des schlechten Geschmacks ab [6], was darauf schließen lässt, dass Rohre dieses Materials zu jener Zeit in größerem Umfang eingesetzt wurden. Die gesundheitsschädliche Bedeutung von Bleirohren im Trinkwassersystem gilt nach heutigem toxikologischen Kenntnisstand als erwiesen.
Blei gilt nach internationaler Einschätzung als „major public health concern“ und ist damit von großer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit: Im Jahre 2017 wurden weltweit ca. 1.060.000 Todesfälle und 24.400.000 DALYs (Disability Adjusted Life Years = durch Behinderung beeinträchtigte Lebensdauer) durch Bleiexposition verursacht [3].
Für die Allgemeinbevölkerung steht die Aufnahme von Blei über Lebensmittel und Trinkwasser im Vordergrund [2]. Diese wird für Deutschland mit etwa 0,5–30 Mikrogramm pro Kilogramm (µg/kg) Körpergewicht und Tag angegeben [7]. Lebensmittel, die mehr als 80 % zur täglichen Bleiaufnahmemenge beitragen können, variieren in ihrem Bleigehalt: Tierische Lebensmittel, vor allem Innereien, können bis zu 1000 µg/kg enthalten, abhängig von dem Bleigehalt des Futters. Pflanzliche Lebensmittel können bis zu 600 µg/kg enthalten [7].
Die Bleiaufnahme über den Pfad Trinkwasser ist von verschiedenen Faktoren abhängig: Länge der Trinkwasserinstallation, Stagnationszeit des Wassers in den Leitungen, pH-Wert, Wasserhärte und anderen Wassereigenschaften.
Die Resorptionsrate von oral aufgenommenem Blei wurde lange auf etwa 8–10 % bei Erwachsenen und bis zu 50 % bei Kindern geschätzt [2, 7]. In der neueren Literatur wird für Erwachsene sogar eine Resorptionsrate von 20–70 % angegeben; für Kinder kann sie altersabhängig noch höher als 70 % liegen (Säuglinge, Ungeborene; [1]).
Im Blut wird resorbiertes Blei überwiegend an Hämoglobin gebunden [10] und schnell im Körper verteilt [2]. Zielorgane sind im toxikologischen Sinne das Gehirn, die Leber und die Nieren. In Knochen und Zähnen ersetzt nicht ausgeschiedenes Blei das vorhandene Calcium und akkumuliert dort mit Halbwertszeiten von mehreren Jahren [2, 3, 8].
Obwohl akute Intoxikationen ab einer Blutkonzentration von 1 µg/l (Referenzwert Erwachsene < 250 µg/l) vorkommen [9], stehen bei der trinkwasserbedingten Bleiexposition die chronischen Effekte im Vordergrund.
Zu diesen zählen hämatologische Effekte (Anämie, Ikterus), neurologische Effekte (Kopfschmerzen, Depression, Krampfanfälle, Muskelschwäche), gastrointestinale Effekte (Magenschmerzen und Koliken) sowie Nierenschädigungen [3]. Ob Blei auch negative immunologische Effekte hat, ist gegenwärtig unklar [10]. Anorganisches Blei wird von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „wahrscheinlich krebserregend“ (Gruppe 2A) eingestuft [11].
Vor allem für Ungeborene, Säuglinge und Kleinkinder ist Blei von besonderer toxikologischer Bedeutung, da Blei die Plazentaschranke überwinden und zu Schädigungen des blutbildenden Systems sowie des Nervensystems führen kann. Darüber hinaus kann es zur Minderung der Intelligenzentwicklung kommen. Bei schwangeren Frauen kann Blei aus den Knochen z. B. aus früheren Intoxikationen ins Blut remobilisiert werden und so das Ungeborene schädigen.
Zur Therapie von akuten und chronischen Bleivergiftungen eignen sich Chelatbildner [12]. Da die Therapie der chronischen Bleivergiftung langwierig ist und auch Residuen vorkommen [1], gilt die Expositionsprophylaxe (als Primärprävention) schließlich als geeignete und vordringliche Maßnahme. Für den Trinkwasserbereich bedeutet das ein konsequentes Substituieren von bleihaltigen Trinkwasserinstallationen (Bleirohren, bleihaltigen verzinkten Eisenleitungen) sowie von bleilässigen Bauteilen wie Fittings, Rohrverbindern, Armaturen, Wasserzählern oder Probennahmeventilen [13, 14].
Bleirohre wurden bereits im 19. Jahrhundert im Süden des Deutschen Reichs aus präventivgesundheitlichen Gründen verboten, während man im Norden die Nutzung aufgrund der technischen Vorteile weiter gestattete [13]. Auch spielte die – zum Teil bis heute erhaltene – Vorstellung einer angeblich bleiundurchlässigen „Kalkschutzschicht“ eine Rolle, welche sich leider als unrichtig erwies. Der endgültige Verzicht auf Bleirohre wurde allerdings erst in der DIN 2000 (Deutsche Industrie-Norm) von 1973 formuliert: „Die Verwendung von Bleirohren ist gesundheitlich bedenklich, da sich Blei lösen und im Trinkwasser anreichern kann. Für neue Trinkwasserleitungen sollen daher Bleirohre nicht mehr verwendet werden“ [15].
Für Bestandsanlagen bis 1973 wurden parallel die internationalen und nationalen Anforderungen bezüglich der Leit- bzw. Parameterwerte für Blei im Trinkwasser zunehmend verschärft (Abb. 1).
Die letzte Überarbeitung der Leitlinien für Trinkwasserqualität der WHO (Guidelines for Drinking-Water Qualitiy, GDWQ) fand im Jahre 2017 statt. Der seit 1993 bestehende Leitwert für Blei von 10 µg/l wurde beibehalten, jedoch nun als „provisorischer Leitwert“ bezeichnet, der sich aus der technischen und analytischen Machbarkeit ergibt, und explizit nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes [16]. Hintergrund dieser Änderung in der Argumentation ist die Tatsache, dass der vorläufig tolerierbare wöchentliche Aufnahmewert PTWI (Provisional Tolerable Weekly Intake) im Jahr 2011 durch den Gemeinsamen Sachverständigenausschuss für Lebensmittelzusatzstoffe (JECFA) der WHO und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) revidiert wurde, da ein PTWI von 25 µg/kg Körpergewicht pro Woche im Mittel mit einer Beeinträchtigung des Intelligenzquotienten von 3 Punkten und einem systolischen Blutdruckanstieg von 3 mm Hg einherging [17]. Da aus toxikologischer Sicht weder ein Schwellenwert noch ein PTWI-Wert festgelegt werden kann [13, 18], müssen alle vernünftigerweise ergreifbaren Maßnahmen zur Senkung der wöchentlichen Bleiaufnahme, besonders bei Risikogruppen wie Kindern und Schwangeren, im Sinne des sogenannten ALARA-Prinzips (As Low As Reasonably Achievable = so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar) umgesetzt werden.
Die novellierte Trinkwasserrichtlinie der Europäischen Union (EU), die über eine Neufassung der Trinkwasserverordnung in Deutschland rechtlich bindend wird, wurde am 23.10.2020 vom Rat der Europäischen Union beschlossen und wurde am 15.12.2020 vom Europäischen Parlament verabschiedet [19]. Bezugnehmend auf das ALARA-Prinzip wurde eine weitere Senkung des Bleiparameterwertes auf 5 µg/l festgelegt mit einer Übergangsfrist von 15 Jahren nach Inkrafttreten der Richtlinie [19].
Zur adäquaten und EU-einheitlichen Erfassung von Trinkwasserbelastungen wurde das Verfahren „Zufallsstichprobe (Z-Probe)“ festgelegt [20]. Diese ermöglicht lediglich eine grobe Übersicht, ob in einem Versorgungsgebiet Auffälligkeiten hinsichtlich einer erhöhten Nachweisfrequenz von Blei vorliegen, jedoch keine Aussage, ob eine Grenzwertüberschreitung an einer einzelnen Entnahmestelle vorliegt [14, 20], weshalb hierfür die „gestaffelte Stagnationsbeprobung (S-Probe)“ angewendet werden soll.
In dieser Arbeit soll anhand einer retrospektiven Auswertung (1997–2019) von Routineproben eines akkreditierten Trinkwasserlabors untersucht werden, welche Bleikonzentrationen in den letzten 20 Jahren in Trinkwasserproben der Stadt Bonn auftraten. Es soll aufgezeigt werden, wie sich eine weitere Übergangsfrist von mehreren Jahren bei Verschärfung des Grenzwertes für Blei im Trinkwasser auswirken kann. Ferner soll diskutiert werden, welche Maßnahmen aus Public-Health-Perspektive notwendig und hinreichend erscheinen, um eine Gesundheitsgefährdung abzuwenden.