Einleitung

Allergische Erkrankungen betreffen in Deutschland ca. 30 Mio. Menschen [1]. Es ist von über 3 Mio. ärztlich diagnostizierten Asthmaerkrankungen auszugehen, für Heuschnupfen liegt die Zahl der laut Selbsteinschätzung Betroffenen bei über 12 Mio. (>20 % der erwachsenen Bevölkerung) [2]. Allergische Erkrankungen verlaufen fast immer chronisch oder chronisch rezidivierend und schränken die Lebensqualität sowie die berufliche und schulische Leistungsfähigkeit der Betroffenen erheblich ein [1, 2]. Aktuelle Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Statistischen Bundesamtes (DESTATIS) [2,3,4,5] zur Verbreitung von Allergien bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen sind in Infobox 1 zusammengefasst.

Infobox 1 Epidemiologie von Allergien in Deutschland [2,3,4,5]

Nach aktuellen Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Statistischen Bundesamtes (DESTATIS) [2, 3] wird bei 30,0 % der 18- bis 79-jährigen Bevölkerung (36 % der Frauen und 24 % der Männer) in Deutschland mindestens eine allergische Erkrankung im Laufe des Lebens ärztlich diagnostiziert. Erfragt wurden dabei Asthma bronchiale, Heuschnupfen, Neurodermitis, Urtikaria (Nesselsucht), Kontaktekzeme, Nahrungsmittelallergien und Insektengiftallergien [2, 3]: Heuschnupfen und Asthma bronchiale waren bei Erwachsenen mit einer Lebenszeitprävalenz von 15,6 % bzw. 8,7 % am häufigsten; die dritthöchste Lebenszeitprävalenz war für das Kontaktekzem zu verzeichnen (8,6 %) [2]. Weniger prävalent waren jemals gestellte Arztdiagnosen für Nahrungsmittelallergie (5,0 %), Neurodermitis (3,7 %), Urtikaria (3,6 %) und Insektengiftallergie (3,0 %) [2]. Außer von Neurodermitis waren Frauen häufiger von allergischen Erkrankungen betroffen als Männer; besonders deutlich waren die Prävalenzunterschiede beim Kontaktekzem. Jüngere Erwachsene (bis 49 Jahre) sind häufiger von allergischen Erkrankungen betroffen als ältere [2, 3]. Die Häufigkeit allergischer Erkrankungen bei Erwachsenen bleibt in den letzten 10 Jahren auf hohem Niveau konstant, nur bei Asthma bronchiale gibt es Anzeichen für eine Zunahme [3].

Die Lebenszeitprävalenz von Kindern und Jugendlichen (im Alter von 0 bis 17 Jahren), an einer der 3 atopischen Erkrankungen (Asthma bronchiale, Heuschnupfen oder Neurodermitis) zu erkranken, lag bei 23 % in der Basiserhebung (2003–2006) der RKI-Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS; [2]). Die Verbreitung von Heuschnupfen, Asthma und Neurodermitis bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland blieb zwischen der KiGGS-Basiserhebung (2003–2006) und KiGGS Welle 2 (2014–2017) weitgehend konstant [4]. Als Lebenszeitprävalenzen von allergischen Erkrankungen (KiGGS Welle 2) wurden 6 % für Asthma bronchiale, 11 % für Heuschnupfen, 12,8 % für Neurodermitis und 2,8 % für allergisches Kontaktekzem festgestellt [4]. In der Querschnittsuntersuchung (2014–2017; KiGGS Welle 2) lag der Anteil der Kinder und Jugendlichen in der Altersgruppe der 11- bis 17-Jährigen mit ärztlicher Heuschnupfen- oder Neurodermitisdiagnose, die nach einem positiven Allergietest eine Allergenimmuntherapie erhielten, bei 30,1 % [5].

Für die allergenspezifische Immuntherapie (AIT) zur Kausalbehandlung von Allergien stehen in Deutschland und den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) zugelassene oder verkehrsfähige Fertigarzneimittel für folgende Diagnosen (allergische Erkrankungen) zur Verfügung: Allergien gegen Inhalationsallergene (Rhinitis allergica, Conjunctivitis allergica, Asthma bronchiale) und Insektengiftallergien (Anaphylaxie) ([6]; Tab. 1). Einige Produkte verfügen auch über die Indikation „Prävention von allergischem Asthma bronchiale“ oder „Prävention von Neusensibilisierung gegen weitere Allergene“. Verfahren zur EU-weiten Zulassung erster AIT-Produkte zur Behandlung von Nahrungsmittelallergien wurden initiiert und sind derzeit bei den europäischen Zulassungsbehörden in Prüfung. Der vorliegende Beitrag gibt einen aktuellen Überblick zu a) immunologischer Wirkweise, b) Indikationen und Kontraindikationen der AIT, c) regulatorischen Voraussetzungen in Deutschland und der EU sowie d) neuen Wirkstoffen und Adjuvanzien.

Tab. 1 In Deutschland (A) zugelassene oder (B) unter der Übergangsvorschrift der Therapieallergene-Verordnung (TAV) verkehrsfähige AIT-Produkte von 8 pharmazeutischen Unternehmen (pU). Darüber hinaus werden Individualrezepturen als aluminiumadsorbierte AIT-Produkte (durch 4 Pharmaunternehmen), tyrosinadsorbierte oder tyrosinadsorbierte/MLP-adjuvantierte AIT-Präparate (durch 1 Pharmaunternehmen) zur subkutanen Applikation, in Tropfenform (durch 5 Pharmaunternehmen) und in Tablettenform (durch 1 Pharmaunternehmen) zur sublingualen Verabreichung auf individuelle Verschreibung bereitgestellt (dies betrifft ausschließlich Allergenquellen, die nicht in der TAV genannt sind, z. B. Beifuß, Ragweed, weitere Kräuter, Olivenpollen, weitere Baumpollen, Tierhaare, Schimmel, Vorratsmilben)

Immunologische Wirkweise der AIT

IgE-vermittelte Soforttypallergien wie Rhinokonjunktivitis allergica mit/ohne Asthma [7, 8], Insektengiftallergien [9] und Nahrungsmittelallergien [8] beruhen auf komplexen Gen-Umwelt-Interaktionen [10] und immunologisch vermittelter Überempfindlichkeit (Tab. 2). Nach initialer Sensibilisierung gegen definierte (Glyko)Proteine entsteht eine allergenspezifische T‑Helfer-Typ-2-(Th2-)Immunantwort. Bei erneutem Allergenkontakt aggregieren neu gebildetes IgE und seine Rezeptoren auf Mastzellen und basophilen Granulozyten, deren Granulation die (u. a. histaminvermittelte) Sofort- oder Frühreaktion auslöst. Anschließend infiltrieren weitere Leukozyten das Gewebe und setzen weitere Mediatoren frei (Spätphase der allergischen Entzündung). Sowohl allergische Überreaktion (Tab. 2) als auch AIT (Tab. 3) beruhen auf dem Zusammenwirken diverser Zellen und Mediatoren. Tab. 2 und Tab. 3 geben einen aktuellen Überblick über den derzeitigen Kenntnisstand zu den wichtigsten wirksamen immunologischen Mechanismen.

Tab. 2 Zellen, Mediatoren und ihre Beteiligung an Mechanismen der IgE-vermittelten allergischen Reaktion am Beispiel von Inhalationsallergien im Überblick. (Nach [7, 8])
Tab. 3 Aktueller Kenntnistand zu AIT-Mechanismen. (Nach [7, 8])

Bei einer AIT wird eine Immunmodulation durch verschiedene Mechanismen (Tab. 3) erzielt: Der Einfluss der AIT auf Effektorzellen wurde besonders nach nasaler Allergenprovokation und während saisonaler Pollenbelastung untersucht [11]. Sowohl die subkutane (SCIT) als auch die sublinguale Immuntherapie (SLIT) hemmen frühe und späte Reaktionen nach einer Allergenexposition. Die hochdosierte Allergenzufuhr bei der AIT stellt die Funktion allergenpräsentierender dendritischer Zellen und deren Interleukin-(IL-)12-, IL-27- und IL-10-Produktion wieder her. Das fördert eine Immundeviation von einer Th2- zur Th1-Reaktion und aktiviert regulatorische Immunzellen (Treg, Breg) und andere B‑Zellen, die allergenspezifische blockierende Immunglobulin-(Ig‑)A-, IgG- und IgG4-Antikörper produzieren (Tab. 3).

Trotz intensiver Suche gibt es bisher keinen Biomarker, der zu Beginn oder nach Abschluss der AIT eine verlässliche Aussage zum Ansprechen auf die Behandlung zulässt [12, 13].

Indikationen/Kontraindikationen von AIT-Produkten

AIT ist die einzige krankheitsmodifizierende und kurative Therapieform bei der Behandlung von Soforttypallergien (Typ-I-Allergie). Im Gegensatz zu symptomatischen pharmakologischen Therapien verfolgt die AIT das Ziel einer anhaltenden immunologischen Toleranz gegen die Allergieauslöser.

Die klinische Indikation besteht bei nachgewiesener IgE-vermittelter Sensibilisierung mit zughörigen klinischen Symptomen, sofern geeignete AIT-Produkte zur Verfügung stehen. Dabei werden Vorerkrankungen, Medikation und zusätzliche (relative) Kontraindikationen berücksichtigt, die in klinischen Leitlinien der wissenschaftlichen Fachgesellschaften erläutert werden [11, 14,15,16,17,18,19]. Im Folgenden werden aktuelle produktseitige Aspekte zu ausgelobten Indikationen/Kontraindikationen thematisiert.

Klinische Studien als Basis der produktspezifischen Indikationen

Die jeweilige Indikation, für die ein AIT-Produkt zugelassen wird, muss durch mindestens zwei klinische Phase-III-Studien in ihrer Wirksamkeit und Sicherheit mit einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis belegt sein. Bei herausragender Ergebnisqualität kann in Ausnahmefällen eine klinische Phase-III-Studie ausreichend sein [20]. Die produktspezifischen Indikationen und Kontraindikationen sind der jeweiligen Fachinformation (unter 4.1 Anwendungsgebiete und unter 4.3 Gegenanzeigen) zu entnehmen. Welche Indikationen geltend gemacht werden können, basiert auf der erbrachten klinischen Datenlage in Abhängigkeit von Studiendesign/-dauer ([21]; Tab. 4).

Tab. 4 Indikation und Anforderung an das Design der klinischen Pivotalstudie(n). (Nach [21])

Insbesondere auch bei einer geplanten Zulassung zur Behandlung von Kindern („Kinderindikation“) ist die Durchführung von klinischen Studien zum Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit in der entsprechenden Patientengruppe notwendig. Bei Kindern und Jugendlichen handelt es sich um eine Personengruppe mit eigenen Erfordernissen, die für die Arzneimittelentwicklung gesetzlich verankert sind (Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 vom 12.12.2006) [22, 23]. Seit ihrem Inkrafttreten im Januar 2007 [22] muss ein pharmazeutisches Unternehmen für jedes neue Arzneimittel auch ein pädiatrisches klinisches Prüfprogramm auflegen oder begründen, warum dies nicht möglich oder nicht erforderlich ist.

Dies gilt auch für AIT-Produkte. Die Entwicklung von sicheren und wirksamen AIT-Produkten zum Einsatz bei Kindern und Jugendlichen erfordert die Durchführung von entsprechenden klinischen Studien. Diese erfolgen zeitlich versetzt zu den klinischen Untersuchungen bei Erwachsenen, wenn bereits aus diesen Erfahrungen zu Wirksamkeit und Sicherheit vorliegen. Es wird dabei eine Datengrundlage angestrebt, die mittelfristig eine Extrapolation von Studienergebnissen von Erwachsenen auf Kinder und Jugendliche zulässt [24]. Dafür ist es notwendig, insbesondere zu krankheitsmodifizierenden Langzeiteffekten der AIT-Behandlung eine Datenbasis zu schaffen. So hat jedes pharmazeutische Unternehmen die Langzeitwirksamkeit bei Erwachsenen und zeitlich um ein Jahr versetzt bei Kindern für ein von ihm gewähltes AIT-Produkt aus dem Gesamtportfolio der Firma zu untersuchen. Details finden sich in der derzeit gültigen Version des durch das Pediatric Committee (PDCO) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) genehmigten pädiatrischen Prüfplans (Standard PIP; [25]). Wird für dieses Referenzprodukt eine Langzeitwirksamkeit gezeigt, müssen für die anderen Produkte des Herstellers keine weiteren Langzeitstudien nach PIP durchgeführt werden. Diese wenigen Langzeitstudien, die parallel bei Erwachsenen und zeitlich versetzt bei Kindern und Jugendlichen mit demselben Produkt durchgeführt werden, sind notwendig, um die bestehende wissenschaftliche Lücke zu schließen und den Nachweis eines ähnlichen, krankheitsmodifizierenden Therapieeffektes bei Kindern und Erwachsenen zu erbringen, der dann zukünftige Extrapolationen ermöglicht [24].

Wissenschaftliche Leitlinien und indikationsgemäßer AIT-Einsatz

Der Einsatz der in Deutschland zugelassenen AIT-Produkte dient der kausalen Behandlung von IgE-vermittelten Allergien und Prävention von Krankheitsprogression [11, 15]. Es handelt sich um zugelassene First-Line-Therapien, die ihre überlegene klinische Wirksamkeit im Zulassungsverfahren gegenüber Placebo in einem randomisierten, placebokontrollierten Doppelblinddesign belegen müssen [21, 26]. Sie enthalten keine Restriktionen ihres Einsatzes im Sinne von Second- oder Third-Line-Therapeutika z. B. nur bei Versagen einer pharmakologischen symptomatischen Therapie [27]. Die Besonderheit des direkten Facharztzugangs im deutschen Gesundheitssystem ermöglicht eine frühzeitige indikationsgerechte Nutzung der AIT unter Ausnutzung krankheitsmodifizierender Effekte dieser Therapieform [11, 27].

Wissenschaftliche Leitlinien und produktspezifische Kontraindikationen

Die produktspezifische Bewertung der im Zulassungsdossier vorgelegten Daten erfolgt im Rahmen des Zulassungsverfahrens durch die zuständige Behörde, basierend auf dem jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft, geltenden Gesetzen und regulatorischen Leitlinien. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse finden dabei entsprechende Berücksichtigung. Beispielsweise erfolgte in der aktuellen europäischen Leitlinie zur Behandlung von Insektengiftallergien [17], der eine evidenzbasierte systematische Datenauswertung zugrunde liegt, eine Neubewertung der seit Langem für die Insektengiftimmuntherapie bestehenden Kontraindikation (KI) der Einnahme von Betablockern oder ACE-Hemmern: Die neuen Leitlinienempfehlungen sprechen sich dafür aus, dass diese Medikamente nach entsprechender Aufklärung über ein potenziell erhöhtes Risiko für starke Nebenwirkungen unter AIT mit Insektengiften weiter eingenommen werden können. Dies führte (vorübergehend) zu einer Diskrepanz zwischen den Fachinformationen der in Deutschland zugelassenen Insektengifttherapieallergene und der europäischen Leitlinie bezüglich Betablockern und ACE-Hemmern als KI, was in Fachkreisen die medizinrechtliche Frage aufwarf, ob Leitlinie oder Fachinformation bindend ist [28]. Entscheidend ist der Inhalt der Fachinformation. Leitlinien haben in diesem Sinne allenfalls beratende Bedeutung und können nicht die Aussagen der Fachinformation relativieren oder aufheben. Die Anwendung eines Insektengiftproduktes, das die entsprechenden KI in den Gegenanzeigen enthält, stellt bei Patienten unter Betablockertherapie einen „off label use“ dar [28].

Basierend auf den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die der o. g. Leitlinie [17] zugrunde liegen, ist es jedoch möglich, eine zustimmungspflichtige Änderungsanzeige (in der Regel Typ-II-Variation) zur bestehenden Zulassung bei der zuständigen Zulassungsbehörde zu stellen, die nach entsprechender wissenschaftlicher Bewertung und Genehmigung ermöglicht, die Angaben zu besagten KI in der jeweiligen Fachinformation zu ändern.

Zwischenzeitlich wurden entsprechende Änderungsanzeigen von 2 der 3 Hersteller der in Deutschland zugelassenen Insektengiftpräparate gestellt und bewilligt: Die Ausführungen zu Betablockern und ACE-Hemmern sind bei den betreffenden Produkten jetzt unter 4.4 (Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung) bzw. 4.5 (Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstige Wechselwirkungen) der Fachinformation aufgeführt.

Regulatorische Voraussetzungen

Gesetzliche Rahmenbedingungen für die Zulassung von AIT-Produkten

Allergene unterliegen seit 1989 europäischem Recht (Richtlinie 89/342/EWG; [29]). Nach der Definition der Richtlinie 2001/83/EG [23] sind sowohl Test- als auch Therapieallergene Arzneimittel. Nach Artikel 6 dieser europäischen Richtlinie darf ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats eine Genehmigung dafür erteilt hat. Alle EU-Mitgliedstaaten verfügen über mindestens eine eigene nationale Zulassungsbehörde, die im Netzwerk der europäischen Arzneimittelbehörden oder unter EMA-Koordination kooperieren [30].

In Deutschland ist der Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83/EG im Arzneimittelgesetz (AMG; [31]) umgesetzt. Gemäß § 21 Abs. 1 AMG dürfen Arzneimittel in Deutschland nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie von der zuständigen Bundesoberbehörde zugelassen worden sind. Für die Zulassung muss nach dem jeweils aktuellen Stand des Wissens belegt werden, dass die Arzneimittel eine angemessene Qualität besitzen sowie wirksam und sicher sind. Zuständige Bundesoberbehörde für Test- und Therapieallergene ist das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) mit Sitz in Langen bei Frankfurt/Main (www.pei.de), in dessen Zuständigkeitsbereich Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel fallen [30].

Die Anforderungen an die Zulassung eines Arzneimittels (somit auch für Test- und Therapieallergene) sind innerhalb der EU harmonisiert und gelten daher sowohl für die Bundesrepublik Deutschland als auch für alle weiteren Mitgliedstaaten (MS) der EU [32]. In der EU bestehen prinzipiell 4 verschiedene Verfahren, um ein Arzneimittel zuzulassen [30, 32]:

  • nationales Zulassungsverfahren: Zulassung in einem MS,

  • Mutual Recognition Procedure (MRP, Verfahren der gegenseitigen Anerkennung): Ausweitung einer in einem MS bestehenden Zulassung auf einen weiteren oder mehrere MS,

  • Decentralized Procedure (DCP, dezentrales Zulassungsverfahren): gleichzeitige Zulassung in mehreren MS,

  • Centralized Procedure (CP, zentrales Zulassungsverfahren): gleichzeitige Zulassung in allen MS.

Nicht nur bei nationalen, sondern auch bei multinationalen Zulassungsverfahren kommt den nationalen Arzneimittelbehörden als Reference Member State, Concerned Member State, Rapporteur oder Co-Rapporteur eine wesentliche Aufgabe bei der Bewertung von Zulassungsdossiers im Hinblick auf Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit zu [30].

Anforderungen im Zulassungsverfahren

Grundsätzlich müssen für jedes Arzneimittel eine ausreichende Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit im Zulassungsverfahren belegt werden und das sogenannte Nutzen-Risiko-Verhältnis muss positiv sein [23]. Hierbei entspricht im Wesentlichen die Wirksamkeit des jeweiligen Arzneimittels dem anzurechnenden Nutzen; die Nebenwirkungen oder eine mangelnde/nicht vorhandene Wirksamkeit entsprechen dem gegebenen Risiko. Sollte die Wirksamkeit eines Produktes nicht oder nicht ausreichend belegt werden, kann bereits aus diesem Grund kein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis vorliegen.

Die spezifischen Anforderungen ergeben sich aus den gesetzlichen Vorgaben (unter anderem aus dem deutschen AMG [31], bspw. § 22 ff.), dem Europäischen Arzneibuch [33] sowie anerkannten wissenschaftlichen Leitlinien (bspw. EMA Guideline on Allergen Products: Production and Quality Issues (CHMP/BWP/304831/07) [34]). Dabei ist zu beachten, dass es sich bei Therapieallergenen um biologische Arzneimittel handelt. Die Eigenschaften derartiger Arzneimittel bezüglich ihrer Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit sind in hohem Maße davon abhängig, wie diese Arzneimittel vom jeweiligen pharmazeutischen Unternehmen hergestellt und kontrolliert werden. Insbesondere die Herstellung ist jedoch für jedes Produkt verschiedener Hersteller unterschiedlich, sodass hier keine Übertragbarkeit von Daten zur Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit zwischen Arzneimitteln vorgenommen werden kann. Diese Einschätzung wurde durch zahlreiche klinische Studien bestätigt, die klar belegen, dass diese Faktoren nur individuell produktspezifisch bewertet werden können [10]: Wenn ein AIT-Produkt nachweislich wirksam ist, kann sich dies bei einem anderen AIT-Produkt, das gegen dieselbe Allergenquelle gerichtet ist, aber einem anderen Herstellungsgang unterzogen wurde, völlig anders verhalten. Nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen, beispielsweise wenn Arzneimittel verwandte (kreuzreaktive) Allergene enthalten, die Teil einer sogenannten homologen Gruppe sind (siehe EMA-Leitlinie Allergen products: production and quality issues (CHMP/BWP/304831/07) [34]), und bestimmte weitere Anforderungen erfüllt sind (u. a. gleiche Herstellung, gleiche Darreichungsform), kann eine Übertragung bestimmter klinischer Daten erfolgen. Die allgemeinen Anforderungen an klinische Studien für Therapieallergene sind in der EMA Guideline on the clinical development of products for specific immunotherapy for the treatment of allergic diseases (CHMP/EWP/18504/2) dargelegt [21].

Des Weiteren befindet sich eine Leitlinie in Ausarbeitung, die speziell auf die Entwicklung von Allergenprodukten ausgerichtet ist, die nur kleine Patientenpopulationen betreffen (Concept paper on a guideline for allergen products development in moderate to low-sized study-populations; [35]). Diese Leitlinie soll sowohl Therapie- als auch Testallergene behandeln.

Ausnahme von der Zulassungspflicht (Individualrezepturen)

Nach der europäischen Richtlinie 2001/83/EG sind Ausnahmen von der Zulassungspflicht für Arzneimittel nach Artikel 5 (Richtlinie 2001/83/EG; [23]) möglich: „Ein Mitgliedstaat kann gemäß den geltenden Rechtsbestimmungen in besonderen Bedarfsfällen Arzneimittel von den Bestimmungen der Richtlinie ausnehmen, … die nach den Angaben eines zugelassenen praktizierenden Arztes hergestellt werden und zur Verabreichung an dessen eigene Patienten unter seiner unmittelbaren persönlichen Verantwortung bestimmt sind“ (Individualrezepturen). Auch das in Deutschland gültige AMG enthält nach § 21 (2) eine Ausnahmeregelung [31]: „Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die … § 21 (2), 1g: als Therapieallergene für einzelne Patienten aufgrund einer Rezeptur hergestellt werden“. Diese Ausnahmeregelung ist sinnvoll und wichtig für die Verfügbarkeit von allergenspezifischen Immuntherapien für Allergien auf seltene Allergenquellen [30]. Nachdem in den MS die Auslegung und Umsetzung von Artikel 5 (Richtlinie 2001/83/EG) sehr uneinheitlich erfolgte, erscheinen gegenwärtig die regulatorischen Rahmenbedingungen für die Zulassung und das Inverkehrbringen von Allergenpräparaten in der EU inhomogen. Die Durchdringung der Marktsituation bezüglich der Verfügbarkeit von bestimmten Allergenpräparaten und eine gegenseitige Anerkennung (MRP-Verfahren) in verschiedenen EU-Ländern ist dadurch erschwert. Die Europäische Kommission hat daher die Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures – Human (CMDh) damit beauftragt, eine Harmonisierung auf europäischer Ebene anzustreben. Eine entsprechende Guideline (Recommendations on common regulatory approaches for allergen products CMDh/399/2019, Rev. 0 (July 2020)) wurde im CMDh unter Federführung des PEI erarbeitet und nach erfolgreichem Freigabeverfahren kürzlich publiziert [36].

Therapieallergene-Verordnung (TAV)

Die TAV, seit 14.11.2008 in Deutschland in Kraft, stellt sicher, dass die o. g. Ausnahmeregelung nach AMG § 21 (2), 1g nicht auf AIT-Produkte für die in Deutschland häufigen Allergenquellen (Süßgräser ohne Mais sowie auf Birke, Erle, Hasel, Hausstaubmilben, Bienengift, Wespengift) angewandt werden kann.

Für diese häufigen Therapieallergene müssen in Deutschland die Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit belegt und in einem Zulassungsverfahren überprüft werden.

Für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der TAV auf dem Markt befindlichen Individualrezepturen (n = 6654), die eine oder mehrere der aufgeführten Allergenquellen enthielten, mussten die pharmazeutischen Unternehmen entscheiden, ob sie eine Zulassung anstreben oder nicht [37]. Bis zum Stichtag (01.12.2010) wurden Zulassungsanträge für 123 dieser Individualrezepturen, die unter die TAV fallen, im PEI eingereicht. Im Rahmen der gesetzlichen Übergangsfristen der TAV muss für diese verkehrsfähigen Produkte der Nachweis von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit gemäß der o. g. Anforderungen im Zulassungsverfahren erbracht werden [38]. Zusätzlich unterliegen besagte „TAV-Produkte“ der staatlichen Chargenprüfung. Dies unterscheidet sie von regulären Individualrezepturen mit Wirkstoffen anderer (als der o. g., nach TAV geregelten) Allergenquellen. Letztere unterliegen nicht der staatlichen Chargenprüfung, sondern generellen Anforderungen der Good Manufacturing Practice (GMP), die von pharmazeutischen Unternehmen eingehalten werden müssen.

Sollten aufgrund der im laufenden TAV-Verfahren erhobenen klinischen Studiendaten begründete Zweifel an der Wirksamkeit eines Produktes bestehen, werden keine weiteren Chargen durch das PEI freigegeben. Sollten in einer klinischen Prüfung die primären Endpunkte nicht erreicht worden sein, sind neben einer möglichen mangelnden Wirksamkeit weitere Faktoren zu prüfen (bspw. Schwächen im Studiendesign, Rekrutierungsproblematik geeigneter Probanden, Probleme in der Studiendurchführung, Pollenflug), die hierfür ausschlaggebend sein können. Eine entsprechende Bewertung kann ausschließlich nach Prüfung der jeweiligen Unterlagen zu den betreffenden klinischen Studien erfolgen. Das PEI ist dazu verpflichtet, die Unterlagen und Daten von Antragstellern vertraulich zu behandeln, und kann somit grundsätzlich keine Informationen zu noch im Verfahren befindlichen Zulassungsanträgen an Dritte geben. Vorgaben zur Information der Öffentlichkeit ergeben sich insbesondere aus § 34 (AMG). Gemäß diesen Vorgaben ist auch keine rechtliche Grundlage gegeben, wonach das Versagen von Chargenfreigaben (im Gegensatz zu einer Rücknahme oder eines Widerrufs einer Chargenfreigabe) öffentlich kommuniziert werden dürfte, weshalb von außen die vom PEI ergriffenen Maßnahmen mitunter nicht unmittelbar wahrgenommen werden können.

Produkte, für die vom Hersteller zum Stichtag keine Zulassung angestrebt wurde, waren noch bis 14.11.2011 verkehrsfähig, danach nicht mehr, da zu diesem Zeitpunkt die Übergangsfrist für das Inverkehrbringen endete [37, 38].

AIT-Produkte im deutschen Markt

Aktuell (Stand: 01.07.2020) sind in Deutschland 62Footnote 1 AIT-Produkte zugelassen zur Behandlung von Typ-I-Allergien (Tab. 1A), davon 55 ab einem Lebensalter von 5 Jahren, ein Produkt ab 12 Jahren, 6 Produkte ab 18 Jahren [39]. Dies umfasst Therapieallergene gegen Birke, Erle, Hasel, Frühblühermischungen, Gräsermischungen, Gräsermischung/Birke, Gräser/Bäumemischung, Gräsermischung/Roggen, Gräsermischung/Getreide, verschiedene Gräsermischungen/Roggen oder Getreide/Birke oder Beifuß u./o. Wegerich, Ragweed (Traubenkraut), Beifuß, Wegerich, Glaskraut, Dermatophagoides (D.) pteronyssinus, D. farinae, Milbenmischungen, Bienengift, Wespengift.

Die Mehrheit (n = 53) der zugelassenen 62 AIT-Produkte erhielt die Zulassung vor 2005 in einem nationalen Zulassungsverfahren. Nach 2005 erhielten in Deutschland 4 AIT-Produkte ihre Zulassung in einem nationalen Zulassungsverfahren, 3 Produkte in einem dezentralen europäischen Zulassungsverfahren (DCP) und 2 Produkte im Rahmen der gegenseitigen Anerkennung (MRP).

Neben den o. g. zugelassenen AIT-Produkten befinden sich 61 Therapieallergene (gegen Birke, Frühblühermischung (Birke/Erle/Hasel), Wiesenlieschgras, Gräsermischung, Wiesenlieschgras/Roggen, Gräsermischung/Roggen, Gräsermischung/Birke, Gräsermischung/Roggen und Beifuß, Gräsermischung/Roggen und Birke/Erle/Hasel, Gräsermischung/Bäumemischung, Milbenmischung, D. farinae, D. pteronyssinus) derzeit gemäß der gesetzlichen Übergangsfristen in einem laufenden Zulassungsverfahren unter der TAV (Tab. 1B) und sind bis zur Entscheidung über die Zulassung verkehrsfähig [38, 40].

Der aktuelle Stand der in Deutschland zugelassenen Therapieallergene und verkehrsfähigen Therapieallergene unter der Übergangsvorschrift der TAV ist jeweils der PEI-Homepage zu entnehmen. Die Liste erlaubt jedoch keine Rückschlüsse über die tatsächliche Verfügbarkeit der Produkte oder, ob für diese Produkte seitens des PEI Chargenfreigaben erteilt werden.

Neue Entwicklungen

Neue Wirkstoffe

Molekulare Allergenkomponenten und Peptide in der AIT

Bezüglich Potenzial und Limitationen von hochreinen nativen Allergenen, rekombinanten Allergenen und synthetischen Peptiden und ihren Einsatz in klinischen Phase-II- und Phase-III-Studien wird auf den Beitrag von Holzhauser et al. in diesem Themenheft verwiesen. Bislang hat kein gereinigtes Allergenmolekül oder ein molekular definiertes Allergenderivat ein Zulassungsverfahren in Deutschland oder einem anderen EU-Mitgliedstaat durchlaufen. Regulatorisch sind unter gereinigten Allergenen alle reinen Allergene zu verstehen, unabhängig davon, ob sie aus nativen Extrakten isoliert oder durch rekombinante DNA-Technologie hergestellt wurden [21]. Darüber hinaus werden regulatorisch auch chemisch synthetisierte Peptide, die von Allergensequenzen abgeleitet sind, als gereinigte Allergenkomponenten betrachtet [21]. In bisherigen Phase-III-Studien waren die Ergebnisse im Hinblick auf eine klinische Wirksamkeit unterschiedlich [39].

Aber selbst erfolgreiche Studien, die eine klinische Wirksamkeit der rekombinanten AIT-Produkte im Symptom-Medikations-Score (SMS) während der Pollenflugzeit zeigten, erzielten in vergleichenden Kopf-an-Kopf-Studien keinen größeren Behandlungseffekt im Vergleich zu konventionellen Extrakten, jedoch waren verkürzte Behandlungsschemata möglich [41]. In den bislang durchgeführten klinischen Studien mit rekombinanten Allergenen erfolgte durch die Auswahl einzelner oder mehrerer Allergenkomponenten, die anhand ihrer auf Publikationen und zusätzlichen Untersuchungen der jeweiligen Hersteller abgeleiteten Bedeutung ausgewählt wurden, die Behandlung gegenüber natürlichen Allergenextrakten mit einem eingeschränkten Allergenspektrum. Möglicherweise ist das Potenzial einer Allergenkomponenten-basierten AIT in den bisherigen Ansätzen noch nicht vollständig ausgeschöpft. Patienten weisen ein individuelles Sensibilisierungsmuster gegenüber Allergenen einer Allergenquelle auf, die für die allergische Erkrankung bei einzelnen Personen relevant sind [21].

Während das Konzept einer komponentenbasierten Allergiediagnostik basierend auf gereinigten Allergenkomponenten (z. B. molekulare Allergiediagnostik, „component-resolved diagnostics“, CRD) Eingang in die Praxis der allergologischen Routinediagnostik gefunden hat [42, 43], konnte das Konzept einer komponentenbasierten AIT („component-resolved immunotherapy“, CRIT; [44]), bei der die Allergene individuell nach dem Sensibilisierungsprofil des Patienten zur Behandlung zusammengestellt werden, nicht verwirklicht werden. Dies mag nicht zuletzt an regulatorischen Erfordernissen gelegen haben. In den letzten Jahren hat sich jedoch die regulatorische Sicht in Bezug auf personalisierte Therapieansätze insbesondere durch Entwicklungen in der Onkologie stark verändert: In diesem Bereich werden bereits einzelne Moleküle, die nach Good Manufacturing Practice (GMP) hergestellt werden, individuell für einzelne Patienten gemischt (personalisierte Medizin) und im Rahmen von Korb- und Dachstudien angewandt [41]. Ähnliche Ansätze im Bereich der Allergie sind nun aus regulatorischer Sicht hypothetisch möglich [41].

Nahrungsmittelallergene in der AIT

In zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen wurden Ansätze der AIT zur Behandlung von IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien verfolgt. Es wurden überwiegend orale Immuntherapie (OIT), aber auch sublinguale (SLIT) und epikutane (EPIT) Verabreichungsformen eingesetzt. Die Ergebnisse einer systematischen Datenauswertung wurden in einer aktuellen Leitlinie zusammengefasst [19]. Wissenschaftliche Schlüsselerkenntnisse [19, 45] sind:

  • AIT bei Lebensmittelallergien sollte aufgrund von potenziellen allergischen Nebenwirkungen nur von erfahrenem Personal in klinischen Zentren mit umfangreicher Vorerfahrung in diesem Bereich durchgeführt werden.

  • AIT gegen Nahrungsmittelallergie sollte in Erwägung gezogen werden bei Kindern im Alter ab ca. 4–5 Jahren mit einer persistierenden IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie gegen Kuhmilch, Hühnerei oder Erdnuss zur Erhöhung der Reaktionsschwelle unter Therapie.

  • Ein anhaltender Effekt nach Beendigung der Therapie wird angenommen, ist aber nicht belegt.

  • Die orale Immuntherapie (OIT) bietet eine bessere Wirksamkeit als die SLIT, jedoch ist die OIT mit einer höheren Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen assoziiert als SLIT, obwohl die meisten nicht schwerwiegend sind.

  • Die Anfangsdosis und jede Dosissteigerung während der Aufbauphase sollte im klinischen Umfeld verabreicht werden.

  • Patienten und ihre Familien sollten über die Anwendung der AIT bei IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien informiert werden, damit sie eine wohlüberlegte Therapieentscheidung treffen können.

  • Prospektive, gut konzipierte Längsschnittstudien sind erforderlich, um die zahlreichen Erkenntnislücken zu schließen mit dem Ziel, AIT-Protokolle in der klinischen Praxis als Routinetherapie für Nahrungsmittelallergien zu implementieren.

  • Es gibt nur wenige Belege für den erfolgreichen Einsatz von AIT gegen Nahrungsmittelallergie bei Erwachsenen.

In klinischen Studien mit Erdnussallergenen (OIT und EPIT) sprachen Erwachsene und Jugendliche in der Regel schlechter an als Kinder [46, 47], was Hinweis auf ein unterschiedliches Ansprechen des Immunsystems von Erwachsenen und Kindern gibt. Dies verdeutlicht, dass eine Extrapolation von Kindern auf Erwachsene und vice versa nicht ohne entsprechende Datenlage aus parallel durchgeführten klinischen Studien möglich ist (s. oben „Kinderindikation“; [24, 25]).

Eines der beiden o. g. Erdnussprodukte (AR101; [46]), das als aktiven Wirkstoff einen standardisierten Erdnusspuder enthält, wurde kürzlich basierend auf den Ergebnissen eines Entwicklungsprogramms mit 2 randomisierten doppelblinden, placebokontrollierten klinischen Phase-III-Studien in den USA zur OIT der Erdnussallergie bei Kindern und Jugendlichen mit Erdnussallergie von der Food and Drug Administration (FDA) zugelassen [8]. Dasselbe Produkt befindet sich derzeit in einem zentralen europäischen Zulassungsverfahren mit dem PEI als Rapporteur. Im Falle einer positiven Nutzen-Risiko-Bewertung und eines entsprechenden positiven Abschlusses des Zulassungsverfahrens würde es sich um das erste Therapieallergen handeln, das in einem zentralen Zulassungsverfahren gleichzeitig eine Zulassung in allen europäischen MS erhält. Weitere Nahrungsmittelallergene wurden in klinischen Entwicklungsprogrammen in Phase-II- und -III-Studien mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt [19]. Es handelt sich bei Nahrungsmittelallergenen regulatorisch um eine neue Wirkstoff- und Produktklasse, für die noch keine spezifische EMA-Leitlinie existiert. Die bereits erwähnte EMA-Leitlinie zur klinischen Entwicklung von AIT-Produkten [21] adressiert bereits die Bedeutung von IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien als wichtige Ursache für akute Anaphylaxie und anaphylaxiebedingte Todesfälle und weist auf den bestehenden Mangel einer etablierten kausalen Behandlung hin [21]. Dem Potenzial laufender klinischer Studien zur AIT von Nahrungsmittelallergien wurde Rechnung getragen durch Aufnahme der spezifischen Immuntherapie für Nahrungsmittelallergie in das 7. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung der Europäischen Union [21]. Die bestehende EMA-Leitlinie umreißt orientierend eine Herangehensweise für zukünftige Zulassungsverfahren [21]: Zur Diagnosestellung und für die Bewertung der Wirksamkeit der Behandlung wird als Goldstandard die Durchführung einer doppelblinden, placebokontrollierten Nahrungsmittelprovokation (DBPCFC) zur Identifikation der symptomlos vertragenen Nahrungsmitteldosis definiert [21]. Aufgrund der Tatsache, dass die spezifische Verabreichung von Allergenen an Patienten mit bestehender Nahrungsmittelallergie ein hohes Risiko für allergische Reaktionen birgt und nur begrenzte Erfahrungen mit der AIT bei Nahrungsmittelallergien vorliegen, wird empfohlen, für entsprechende klinische Studien fallbezogen individuelle wissenschaftliche Beratung bei den zuständigen Behörden einzuholen [21]. Dieser Vorgehensweise wurde bei beiden genannten Erdnussprodukten gefolgt. Die regulatorische Bewertung erfolgt hierbei auf dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Als primäre Endpunkte wurden die nach Behandlung im DBPCFC vertragenen Einzeldosen im Vergleich zum Ausgangsbefund vor Behandlung definiert, wobei ein Responder im europäischen Zulassungsverfahren durch eine vertragene Einzeldosis von 1000 mg (EU), im amerikanischen Verfahren von 600 mg (USA) definiert wird. Bezüglich der Therapiedauer ist bisher kein Zeitraum definiert. Im Gegensatz zur AIT für allergische Rhinitis fehlt derzeit die Evidenz, dass AR101 nach Absetzen der OIT eine Langzeittoleranz induzieren kann [8].

Neue Adjuvanzien

Neben dem aktiven Wirkstoff sind Adjuvanzien für die Wirkung von AIT-Produkten von Bedeutung. Während zahlreiche Adjuvanzien als interessante Kandidaten für die AIT in klinischen Prüfungen untersucht werden [48, 49] und weitere aus der Impfstoffentwicklung ein Potenzial für einen Einsatz in der AIT haben könnten [50], werden derzeit 3 Adjuvanzien in den in Deutschland zugelassenen/verkehrsfähigen AIT-Produkten eingesetzt: Aluminiumhydroxid Al(OH)3 ist das am häufigsten verwendete Adjuvans, während mikrokristallines Tyrosin (MCT) und Monophosphoryl-Lipid‑A (MPL) weniger häufig verwendet werden (Tab. 1; [48]). Gegenwärtig befinden sich keine AIT-Produkte mit anderen als den 3 genannten Adjuvanzien in einem Zulassungsverfahren für den deutschen Markt. Das Potenzial jedes einzelnen Adjuvans für die AIT muss individuell bewertet werden. Dabei kann insbesondere ihre Sicherheitsbewertung aufgrund der extrem unterschiedlichen Art der Substanzen (bezüglich Herkunft, Zusammensetzung, Herstellung, Antigenität) und unterschiedlicher Funktions‑/Aktionsweisen eine besondere regulatorische Herausforderung darstellen. Aufgrund dessen sind teilweise verschiedene Guidelines heranzuziehen (z. B. [51, 52]). Bei der Bewertung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass im Gegensatz zu Impfstoffen die Applikation von adjuvantierten AIT-Produkten über mehrere Jahre hinweg repetitiv erfolgt.

Fazit

Erkrankungen durch Soforttypallergien zeigen in Deutschland bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern eine hohe Prävalenz mit zunehmender Tendenz bezüglich Asthma bronchiale. Sie sind mithilfe einer AIT kausal behandelbar. Nach aktuellen Zahlen des Robert Koch-Instituts erhalten derzeit nur 30 % der Kinder und Jugendlichen in der Altersgruppe der 11- bis 17-Jährigen mit ärztlicher Heuschnupfen- oder Neurodermitisdiagnose nach einem positiven Allergietest eine AIT. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen europäischen Ländern ist in Deutschland für Betroffene ein unmittelbarer Zugang zu allergologisch versierten Facharztgruppen und die frühzeitige Einleitung einer AIT möglich. Zugelassene und verkehrsfähige AIT-Produkte zur subkutanen oder sublingualen AIT stehen zur Behandlung von Allergien gegen häufige Allergenquellen (Birke, Erle, Hasel, Gräser, Hausstaubmilben, Biene und Wespengift) und verschiedene Kräuter als Fertigprodukte zur Verfügung. Daneben besteht für seltene Allergenquellen die Möglichkeit der Individualrezeptur. Das Spektrum der mittels AIT kausal behandelbaren Erkrankungen könnte bei positivem Nutzen-Risiko-Verhältnis in absehbarer Zeit auch Nahrungsmittelallergien betreffen; ein erstes OIT-Produkt zur Behandlung der Erdnussallergie wird aktuell in einem zentralen europäischen Zulassungsverfahren auf Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit überprüft. Bei der Entwicklung von AIT-Produkten – insbesondere in einem neuen Indikationsgebiet, wie z. B. Asthmaprävention und -behandlung oder mit Nahrungsmittelallergenen als neuer Wirkstoffklasse – sind klinische Forschung und behördliche Regulation eng verzahnt und erfahren idealerweise eine gemeinsame Weiterentwicklung.