Hintergrund

Ziele des gemeinsamen Programms der Vereinten Nationen für HIV/AIDS (UNAIDS) sind bis zum Jahr 2020, dass 90 % der HIV-Infizierten von ihrer Infektion wissen, 90 % davon eine antiretrovirale Therapie (ART) erhalten und 90 % unter Therapie eine Viruslast unter der Nachweisgrenze aufweisen [1]. Im Jahr 2015 ging man in Deutschland von etwa 84.700 (78.300–91.100) Menschen mit einer HIV-Infektion aus. Etwa 15 % (12.600; 11.300–14.100) war ihre Infektion nicht bekannt. Diese Menschen müssen mit Testangeboten erreicht werden [2].

Das Ziel, dass möglichst allen HIV-Infizierten ihr Status so früh wie möglich bekannt wird, kann durch intensiviertes Testen von Personen mit HIV-Infektionsrisiko erreicht werden. Zu den unterschiedlichen Testmöglichkeiten in Deutschland zählen z. B. niedrigschwellige anonyme Angebote der Aidshilfen oder der Gesundheitsämter. Im Bereich der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung kann z. B. bei Erkrankungsverdacht oder im Rahmen des Schwangerschaftsscreenings auf HIV getestet werden. Aber auch die Testung auf eigene Kosten ist möglich. Diese unterschiedlichen Testmöglichkeiten machen es nahezu unmöglich zu ermitteln, wie viele Personen bundesweit insgesamt auf HIV getestet wurden und somit ihren HIV-Status kennen. Dieser Indikator ist jedoch unverzichtbar zur Evaluierung von Präventionsmaßnahmen oder auch zur Überprüfung, ob zunehmende HIV-Neudiagnosen auf mehr durchgeführte HIV-Tests zurückzuführen sind.

Das Robert Koch-Institut (RKI) hat mehrfach Befragungen bei Laboren durchgeführt, um zu ermitteln, wie viele HIV-Tests durchgeführt wurden [3,4,5]. In diesen Befragungen wurde die Anzahl durchgeführter Tests und nicht der getesteten Personen ermittelt. Hinzu kommt, dass aufgrund einer Stufendiagnostik oft mehrere Labore an der Diagnose einer HIV-Infektion beteiligt sind [6, 7]. Zudem soll ein positiver HIV-Bestätigungstest anhand einer weiteren Probe derselben Person bestätigt werden. Bei Laborerhebungen können daher Personen mit HIV-Tests mehrmals gezählt werden, wodurch die Anzahl der Getesteten überschätzt wird.

Seit 2015 werden in einem Projekt der Deutschen Aidshilfe und des RKI die in niedrigschwelligen Testeinrichtungen durchgeführten HIV-Tests ermittelt. Auch Gesundheitsämter wurden in der Vergangenheit zu diesem Thema befragt [8]. Die HIV-Testhäufigkeit im ambulanten, vertragsärztlichen Bereich ist bisher nicht bekannt. Für die Abschätzung der Anzahl der auf HIV getesteten Personen stehen hier vertragsärztliche Abrechnungsdaten als Routinedaten der ambulanten Versorgung zur Verfügung. Anhand dieser Datenquelle soll mit dieser Analyse ermittelt werden, wie viele Versicherte sich im Rahmen des ambulanten Leistungsangebots der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) innerhalb eines Jahres auf HIV haben testen lassen. Ziel ist es, damit die HIV-Testhäufigkeit in Deutschland besser beschreiben zu können und einen Indikator für die Umsetzung der UNAIDS-90–90–90-Strategie zu erhalten.

Methoden

Datenquelle und Datenbereitstellung

Datengrundlage sind bundesweite, pseudonymisierte, krankenkassenübergreifende, vertragsärztliche Abrechnungsdaten gemäß § 295 SGB V der Jahre 2010 bis 2015 (VDX-Daten; [9]). Die Generierung des Datenaggregats erfolgte schrittweise durch das Zentralinstitut für die kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland (Zi). Zunächst wurden GKV-Versicherte im Altersbereich 15–74 Jahre mit mindestens einem Arztkontakt im vertragsärztlichen Versorgungssektor zwischen 2010 und 2015 ermittelt, bei denen HIV-Suchtests (Nachweis von HIV-1- und HIV-2-spezifischen Antikörpern) durchgeführt worden waren. Anschließend wurden die Fälle mit HIV-Bestätigungstests (HIV-1-, HIV-2-Antikörper-Westernblot) ermittelt.

Vertragsärztliche Leistungen werden über Gebührenordnungspositionen (GOP) auf Basis des einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) quartalsweise abgerechnet [10]. Die im EBM enthaltenen GOP für die Labordiagnostik (HIV-Suchtests und HIV-Bestätigungstests) sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1 Gebührenordnungspositionen (GOP) nach einheitlichem Bewertungsmaßstab (EBM) für den Nachweis einer HIV-Infektion, Stand 4. Quartal 2015 [10]

Die HIV-Diagnostik erfolgt in Stufen [6], sodass auch Personen mit einem auf den Suchtest zeitnah im selben Quartal bzw. im Folgequartal folgenden HIV-Bestätigungstest (im Folgenden Such- und Bestätigungstest) ermittelt werden konnten. Die aggregierten Datentabellen umfassten 5‑Jahres-Altersgruppen, Geschlecht und Quartal der abgerechneten Leistung. Zellenbesetzungen mit Werten unter 30 konnten aus Datenschutzgründen nicht ausgegeben werden, sodass teilweise Aggregationsebenen mit größeren Altersgruppen gewählt wurden. Abgerechnete Leistungen mit widersprüchlichen oder fehlenden Informationen zum Alter oder Geschlecht wurden ausgeschlossen. HIV-Tests im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge (GOP 01811) wurden nur für den Altersbereich der 15- bis 49-jährigen Frauen eingeschlossen. Um die Anzahl der schwangeren Frauen unter den weiblichen Versicherten zu ermitteln, wurden Daten des Statistischen Bundesamtes genutzt. Die Anzahl der Lebendgeborenen, Totgeborenen und der durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche eines Jahres bei Frauen im Alter von 15–49 Jahren wurden als Gesamtanzahl von Schwangerschaften zusammengefasst [11, 12].Footnote 1 Anschließend wurde der Anteil der GKV-versicherten Frauen [13] des Altersbereichs 15–49 Jahre unter allen Einwohnerinnen Deutschlands [14] bestimmt und bei den Schwangerschaften berücksichtigt.

Vergleich mit HIV-Neudiagnosen gem. Infektionsschutzgesetz (§7.3 IfSG)

Im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes erfolgt eine nichtnamentliche Meldung (IfSG §7, Absatz 3) aller labordiagnostisch bestätigten HIV-Infektionen in Deutschland direkt an das Robert Koch-Institut; daraus ergibt sich die Anzahl der jährlichen HIV-Neudiagnosen. Um die Übereinstimmung der Verteilung der getesteten Personen nach Alter und Geschlecht mit den neudiagnostizierten HIV-Infektionen abzuschätzen, wurden die Personen mit HIV-Such- und Bestätigungstest mit den gemäß Infektionsschutzgesetz gemeldeten HIV-Neudiagnosen (IfSG §7.3) verglichen [15].

Statistische Auswertung

Die Analyse der Daten erfolgte am RKI. Die Ergebnisse wurden deskriptiv dargestellt. HIV-Bestätigungstests sind nur dann abrechnungsfähig, wenn diese zur Abklärung positiver oder fraglich positiver Antikörpernachweise durchgeführt werden [10]. Indirekt ergibt sich somit der Anteil reaktiver Suchtests (Reaktivrate). Um zeitliche Trends zu erkennen, wurden lineare Regressionen durchgeführt, wobei das Jahr des Tests die unabhängige Variable und Alter oder Geschlecht jeweils die abhängige Variable darstellten. Bei einem p-Wert ≤0,05 wurde ein signifikant steigender bzw. sinkender linearer Trend angenommen. Die Anzahl der getesteten Personen je 100.000 GKV-Versicherte wurde nach Alter und Geschlecht stratifiziert ermittelt [13]. Die Auswertung erfolgte mit Excel und Stata Version 14.2.

Ergebnisse

Personen mit abgerechneten HIV-Suchtests

Für insgesamt 5.487.703 Personen mit abgerechneten HIV-Suchtests zwischen 2010 und 2015 konnten weitere Analysen durchgeführt werden (Abb. 1). In Abb. 1 und in Tab. 2 ist die Anzahl der jährlich getesteten Personen zu finden, diese schwankte zwischen 864.065 und 999.465 jährlich getesteten Personen (getestete Männer: 150.073–176.215; getestete Frauen: 713.992–823.250).

Abb. 1
figure 1

Darstellung der Studienpopulation von gesetzlich krankenversicherten (GKV) Personen zwischen 15 und 74 Jahren mit mindestens einem abgerechneten HIV-Test zwischen 2010 und 2015. (Quellen: VDX-Daten, 2010–2015 [9]; KM-6-Statistik, 2010–2015 [13])

Tab. 2 Anzahl der Personen mit abgerechneten HIV-Leistungen und HIV-Neudiagnosen nach Infektionsschutzgesetz §7.3 nach Geschlecht, Jahr sowie Darstellung nach 100.000 gesetzlich krankenversicherten (GKV) Personen bzw. Einwohnern Deutschlands, 2010–2015

Für die Analyse der HIV-Suchtests, die im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge (GOP 01811) durchgeführt wurden, wurden insgesamt 3134 abgerechnete Leistungen mit fehlenden, unplausiblen oder widersprüchlichen Informationen (Frauen über 50 Jahren n = 1161, unbekanntes Geschlecht und Alter n = 1291, Männer n = 682) von den weiteren Analysen ausgeschlossen. Weitere 12.211 abgerechnete Leistungen von Personen, bei denen eine Angabe zum Geschlecht oder zum Alter fehlte, wurden ebenfalls ausgeschlossen.

Jährlich wurden im Durchschnitt 1,7 % der GKV-Versicherten (2,7 % Frauen und 0,6 % Männer) auf HIV getestet (Abb. 1). Die Anzahl der getesteten Personen stieg im Zeitverlauf um 15 % (p = 0,003) an, für Frauen um 15,2 % (p = 0,002) und für Männer um 16,6 % (p = 0,003; Tab. 2). Im Durchschnitt entfielen 82,5 % der jährlichen HIV-Suchtests auf Frauen und davon 81,2 % auf HIV-Suchtests im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge (Tab. 2). Vergleicht man die Anzahl der Schwangerschaften mit der Anzahl der durchgeführten HIV-Tests im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge, ist zu erkennen, dass sowohl die Anzahl der Schwangerschaften bei gesetzlich versicherten Frauen als auch der Anteil der schwangeren Frauen mit einem HIV-Suchtest im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge (Anstieg um 7,2 % bzw. 15,5 %; p = 0,017 bzw. p = 0,004) angestiegen ist (Tab. 3).

Tab. 3 Ermittlung der schwangeren Frauen unter den gesetzlich versicherten (GKV) Frauen sowie Anteil der Schwangeren mit einem HIV-Suchtest im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge bei Frauen zwischen 15 und 49 Jahren, 2010–2015

Die Anzahl der HIV-Suchtests je 100.000 gesetzlich Versicherte stieg bei Männern und Frauen in den meisten Altersgruppen an. Ausnahmen bildeten bei Männern die Altersgruppen 15–24 Jahre (p = 0,077) und 25–29 Jahre (p = 0,363) und bei Frauen die Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen, in der die Anzahl der Suchtests im Zeitverlauf sogar signifikant abnahm (Abb. 2a,b).

Abb. 2
figure 2

Zeittrends der abgerechneten HIV-Suchtest und HIV-Such- und Bestätigungstests bei gesetzlich krankenversicherten Männern und Frauen zwischen 2010 und 2015. a Männer mit HIV-Suchtests, b Frauen mit HIV-Suchtests, c Männer mit HIV-Such- und Bestätigungstests, d Frauen mit HIV-Such- und Bestätigungstests

HIV-Bestätigungstests

Zwischen 2010 und 2015 wurde bei 17.405 Personen mindestens ein HIV-Bestätigungstest abgerechnet. Davon hatten 7,9 % (n = 1371 Personen) einen HIV-Bestätigungstest ohne vorherigen Suchtest (Tab. 2). Insgesamt 16.034 Personen hatten sowohl einen HIV-Such- als auch einen Bestätigungstest. Diese werden nun weiter betrachtet. HIV-Bestätigungstests wurden häufiger bei Männern durchgeführt, im jährlichen Durchschnitt lag der Anteil bei 51,2 %.

Die Anzahl der Personen mit Such- und Bestätigungstest sank zwischen 2010 und 2015 um 14,9 % (Tab. 2). Bei den Männern sank er um 27,9 % (p = 0,007). Männer mit einem Such- und Bestätigungstest waren am häufigsten zwischen 30 und 34 Jahre alt. In 4 Altersgruppen sank die Anzahl der Such- und Bestätigungstests pro 100.000 gesetzlich versicherter Männer signifikant (15–24 Jahre p = 0,002; 25–29 Jahre p = 0,015; 30–34 Jahre p = 0,027; 40–44 Jahre p = 0,039). Bei den Frauen sank die Anzahl der Such- und Bestätigungstests in der Altersgruppe der 55- bis 74-Jährigen (p = 0,038) signifikant (Abb. 2c,d).

Ermittlung der reaktiven Suchtests

Im Durchschnitt wurde zwischen 2010 und 2015 bei 0,3 % der Versicherten mit einem HIV-Suchtest auch ein HIV-Bestätigungstest durchgeführt, die Reaktivrate schwankte dabei zwischen 0,26 % und 0,35 % (Tab. 2). Der Anteil der reaktiven HIV-Suchtests lag bei den Frauen bei 0,2 % und blieb im Zeitverlauf stabil. Der Anteil der reaktiven Suchtests bei Männern sank von 1,1 % in 2010 auf 0,7 % in 2015 (Abb. 2; Tab. 2).

Vergleich mit HIV-Neudiagnosen, die an das RKI gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG §7.3) gemeldet wurden

Zwischen 2010 und 2015 wurden insgesamt 18.446 HIV-Neudiagnosen gemäß IfSG ans RKI gemeldet. 15.273 (82,8 %) der HIV-Neudiagnosen wurden für Männer und 3173 (17,2 %) für Frauen übermittelt. Die Anzahl der GKV-versicherten Frauen mit abgerechneten Such- und Bestätigungstests ist zwei- bis dreimal höher als die Gesamtzahl aller gemeldeten HIV-Neudiagnosen bei Frauen (Tab. 2). Unter den HIV-Neudiagnosen lag 2010 der Anteil der Frauen bei 14,5 % und 2015 bei 20,2 %. Bei den Such- und Bestätigungstests lag der Anteil der Frauen bei 45,8 % in 2010 und bei 53,6 % in 2015.

Die Anzahl der abgerechneten Such- und Bestätigungstests bei GKV-versicherten Männern ist niedriger als die Anzahl der an das RKI übermittelten HIV-Neudiagnosen bei Männern (Tab. 2). Im zeitlichen Verlauf sank die Anzahl der abgerechneten Such- und Bestätigungstests bei Männern (p = 0,007), im selben Zeitraum stieg die Anzahl der HIV-Neudiagnosen (p = 0,001; Tab. 2).

Diskussion

Mit der vorliegenden Untersuchung konnte erstmalig im Bereich der GKV der ambulant auf HIV getestete Versichertenanteil im Zeitverlauf ermittelt werden. Am häufigsten wurden Frauen im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge getestet. Im Vergleich zu den an das RKI gemeldeten HIV-Neudiagnosen bei Männern fiel auf, dass die Anzahl der Männer mit einem Such- und Bestätigungstests niedriger ist als die Anzahl der ans RKI übermittelten HIV-Neudiagnosen.

HIV-Suchtests

Von 2010 bis 2015 wurden im Durchschnitt 1,7 % Versicherte (2,7 % Frauen und 0,6 % Männer), also zwischen 864.065 und 960.529 Personen jährlich ambulant auf HIV getestet. Es wurden mehr Frauen als Männer auf HIV getestet, was wahrscheinlich auf das Angebot der HIV-Testung im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge zurückzuführen ist. Das RKI schätzte, dass 2015 etwa 69.500 (64.500–74.600) Männer in Deutschland mit einer HIV-Infektion leben, davon wissen 58.800 (54.800–63.500) Männer von ihrer HIV-Infektion und etwa 15 % (10.500; 9400–11.900) der Männer sind infiziert, aber nicht diagnostiziert [2]. Vor diesem Hintergrund sind die Anzahl und der Anteil der gesetzlich versicherten Männer, bei denen sowohl ein HIV-Suchtest als auch ein Bestätigungstest durchgeführt wurde, sehr gering, da weniger als 1 % der gesetzlich versicherten Männer im ambulanten Bereich auf HIV getestet wurde.

Der signifikante Anstieg der abgerechneten Suchtests bei Frauen ist auf die Testungen im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge zurückzuführen, da gleichzeitig ein Anstieg der Schwangerschaften und der Inanspruchnahme des HIV-Schwangerenscreenings beobachtet wurde. Der Anteil schwangerer Frauen in der GKV mit einem HIV-Suchtest ist von 84,0 % im Jahr 2010 auf 90,5 % in 2015 angestiegen, erscheint im Vergleich zu anderen Ländern aber noch immer zu niedrig. So lag der Anteil der schwangeren Frauen mit HIV-Tests in London im Jahr 2007 bei 95,1 % [16], in den Niederlanden 2006–2008 bei 99,8 % [17] und in Ontario (Kanada) 2010 bei 96 % [18].

Seit September 2007 soll jeder schwangeren Frau vom niedergelassenen Arzt ein HIV-Test angeboten und im Mutterpass als „Beratung der Schwangeren zum HIV-Antikörpertest“ dokumentiert werden [19]. Ob tatsächlich jeder schwangeren Frau ein HIV-Test angeboten wurde, ist jedoch unklar. Eine 10-prozentige Ablehnungsrate erscheint angesichts der hochwirksamen Interventionsmöglichkeiten zur Verhinderung einer HIV-Übertragung auf das Kind schwer vorstellbar. Es ist jedoch somit nicht auszuschließen, dass schwangere Frauen andere HIV-Testangebote außerhalb der Versorgung im GKV-Sektor wahrnehmen. 2015 wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beschlossen, dass die Durchführung des HIV-Antikörpertests im Mutterpass dokumentiert werden soll. Es bleibt abzuwarten, ob sich der Anteil der getesteten Schwangeren dadurch weiter erhöht [20].

HIV-Bestätigungstest

Nicht hinter jedem abgerechneten Such- und Bestätigungstest steht eine positive Diagnose, die an das RKI gemeldet wird. Insbesondere bei der Testung von Schwangeren, einer Bevölkerungsgruppe mit sehr niedriger HIV-Prävalenz, gelangt man mit den zur Verfügung stehenden HIV-Suchtests selbst bei einer sehr hohen Spezifität in einen Bereich, in dem der positive Vorhersagewert eines reaktiven Suchtestergebnisses wahrscheinlich kleiner als 50 % ist.

Bei Männern ist die HIV-Prävalenz in Deutschland deutlich höher als bei Frauen. Daher ist auch der positive Vorhersagewert eines reaktiven Suchtestergebnisses deutlich besser. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es bei Männern kein Routinescreening wie bei Schwangeren gibt, sodass sich überwiegend Männer testen lassen, die für sich auch ein Infektionsrisiko vermuten. Auch dies erhöht den positiven Vorhersagewert eines reaktiven Suchtestergebnisses. Trotzdem bleibt die Zahl der reaktiven Suchtests bei gesetzlich Versicherten deutlich unter der Zahl der gemeldeten HIV-Neudiagnosen von Männern.

Dem RKI werden alle bestätigten HIV-Neudiagnosen gemeldet, auch wenn diese in anderen Testsettings (z. B. öffentlicher Gesundheitsdienst, Krankenhäuser) diagnostiziert wurden, sodass HIV-Neudiagnosen aus dem niedergelassenen Bereich nur einen Teil aller Neudiagnosen darstellen.

Zudem sind etwa 15 % der Bevölkerung nicht in der GKV, sondern in der privaten Krankenversicherung (PKV) versichert. HIV-Neudiagnosen aus diesem Personenkreis tauchen somit nicht in den Abrechnungsdaten des GKV-Sektors auf. So hat das Wissenschaftliche Institut der PKV 2013 festgestellt, dass unter privat versicherten Personen der Anteil der HIV-Infizierten höher ist als in der Gesamtbevölkerung [21].

Am häufigsten wurden schwangere Frauen im niedergelassenen Bereich getestet, wohingegen sich die meisten HIV-Neudiagnosen bei Männern, vor allem bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), finden [22]. Der Anteil von HIV-Infektionen unter schwangeren Frauen ist sehr niedrig [17, 18], daher entspricht die geringe Anzahl reaktiver Suchtests den Erwartungen.

Im Jahr 2015 befanden sich unter den HIV-Neudiagnosen 79,6 % Männer und davon waren 63,3 % MSM [22]. Bei einer Befragung von MSM gaben 44 % der Befragten an, dass sie ihren letzten HIV-Test bei einem niedergelassenen Arzt hatten [23]. Dies ist mit den Ergebnissen dieser Studie durchaus vereinbar und würde bedeuten, dass ein großer Teil der HIV-Tests bei MSM, aber auch bei Männern mit anderen Transmissionsrisiken andernorts erfolgt, z. B. in Krankenhäusern, Gesundheitsämtern und HIV-Testeinrichtungen, die sich speziell an MSM richten. Die abnehmende Reaktivrate bei Männern könnte darauf hindeuten, dass HIV-Tests zunehmend in solchen Einrichtungen erfolgen. Dafür spricht auch, dass beispielsweise in einer niedrigschwelligen Testeinrichtung für MSM eine HIV-Positivrate von 2,9 % gefunden wurde [24], und das Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen (NRW) berichtet von einer HIV-Positivrate von 1,0 % in 2011 und 1,2 % in 2014 für Gesundheitsämter in NRW [25].

Limitationen

Die Daten beinhalten nur ambulant abgerechnete Leistungen aus dem Bereich der GKV. HIV-Tests für privat versicherte Personen oder die HIV-Tests, die von Personen in Arztpraxen selbst bezahlt oder in anderen Testsettings durchgeführt wurden, sind in dieser Analyse nicht enthalten. Um die Gesamtanzahl der getesteten Personen in Deutschland zu erhalten, muss zu den vertragsärztlich veranlassten HIV-Tests noch eine unbekannte Anzahl von HIV-Tests aus anderen Sektoren hinzugerechnet werden. Daten zu HIV-Diagnosen im Anschluss an die HIV-Stufendiagnostik konnten aufgrund des am Zi verfügbaren Datenbestands nicht mit ausreichender Sicherheit zugeordnet werden, sodass ein abschließender Vergleich von Personen mit Such- und Bestätigungstests und anschließender HIV-Diagnose im niedergelassenen Bereich mit den HIV-Neudiagnosen nicht möglich war. Weiterhin liegen am Zi ausschließlich pseudonymisierte Daten (nach Vorname, Nachname, Geburtsdatum) vor, sodass beispielsweise bei der Änderung des Nachnamens ein neues Pseudonym entstehen kann und Personen mehrmals gezählt werden können. Der HIV-Test in der Schwangerschaft soll zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in der Schwangerschaft durchgeführt werden [26]. Daher sind HIV-Tests bei Schwangeren auch im Jahr vor der Geburt möglich, was in dieser Untersuchung über einen 6‑Jahres-Zeitraum jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeglichen wird.

Schlussfolgerung und Empfehlung

Auch wenn die Anzahl durchgeführter Such- und Bestätigungstests in Arztpraxen niedrig erscheint, spielt die Arztpraxis dennoch eine zentrale Rolle bei der Identifikation und Versorgung von HIV-infizierten Personen, denn fast 90 % der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands besuchen mindestens einmal im Jahr einen niedergelassenen Arzt [27]. Da etwa 50 % der HIV-Neudiagnosen spät erfolgen [28, 29], könnte die intensivere Propagierung von HIV-Tests im ambulanten vertragsärztlichen Bereich dazu beitragen, Infektionen frühzeitig zu erkennen, zu behandeln und Übertragungen zu verhindern [30].