In der Stadt zu leben bringt für viele Menschen seit Jahrhunderten Chancen und Vorteile – bei gleichzeitig damit einhergehenden Nachteilen und Risiken, die nicht zuletzt auch gesundheitlicher Art sein können. Anneliese Bödecker, eine in Berlin lebende und für ihre Verdienste zum Wohl der Allgemeinheit ausgezeichnete Sozialarbeiterin, brachte es für diese Stadt auf den Punkt: „Berlin ist abstoßend, laut, dreckig und grau, Baustellen und verstopfte Straßen, wo man geht und steht – aber mir tun alle Menschen leid, die nicht hier leben können!“ [1].

Der Trend, in die Städte zu ziehen, ist global betrachtet ungebrochen und auch in Deutschland verzeichnen Großstädte wie Berlin, Hamburg oder München einen anhaltenden Zustrom. Gerade junge Menschen zieht es in solche Metropolen, die daher oft auch als „echte Schwarmstädte“ bezeichnet werden [2].

Das Hauptgutachten des wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen sieht voraus, dass urbane Räume zur zentralen Organisationsform des 21. Jahrhunderts werden, dass wir gewissermaßen im „Jahrhundert der Städte“ leben [3]. Städte und insbesondere Großstädte und Metropolregionen stellen bereits heute den Lebensraum des Großteils der Weltbevölkerung dar. Dadurch haben Fragestellungen, die sich mit Gesundheitsaspekten des urbanen Lebensraums beschäftigen, jetzt und in Zukunft hohe Relevanz. Die Lebensqualität und das subjektive Wohlbefinden in Städten müssen dabei genauso betrachtet werden wie die gesundheitsschädlichen oder -förderlichen Eigenschaften dieser urbanen Lebensform.

Die Stadtplanung und Architektur, die Gestaltung von Plätzen und Infrastrukturen spielen eine zentrale Rolle bei der Beurteilung der Lebensqualität wie auch der gesundheitlichen Wirkungen einer Stadt. Dies betrifft im Besonderen den öffentlichen Raum, der einem ständigen Wandel unterliegt. Er ist in seiner Funktion an gesellschaftliche Transformationsprozesse geknüpft. Durch diese Prozesse kommt es im Laufe der Zeit zum einen zu Veränderungen des öffentlichen Raums und zum anderen auch zu einer modifizierten Wahrnehmung der Eigenschaften und Anforderungen an diesen Raum [2]. So ist bei einigen öffentlichen Plätzen zu beobachten, dass sich die Nutzung vom Spazieren oder Flanieren hin zu mehr sportlicher Betätigung und Unterhaltung verändert. Entsprechend wird die Planung des öffentlichen Raumes angepasst, was auch die Wahrnehmung durch die Nutzerinnen und Nutzer verändert. Beispiele sind neuere Parks in Berlin wie das Tempelhofer Feld oder der Park am Gleisdreieck – öffentliche Flächen, die multifunktionale Eigenschaften besitzen und auch als Outdoorvielzweckräume genutzt und wahrgenommen werden.

Nicht zuletzt sind die Entwicklung einer Stadt und der Infrastrukturen sowie deren Möglichkeiten und Grenzen für die Bewohnerinnen und Bewohner stark mit umwelthygienischen Fragestellungen verwoben. Hier sind die schon im vorletzten Jahrhundert getroffenen Maßnahmen oft noch bis heute maßgeblich für eine gesunde Stadt: Das betrifft Hygiene, Straßen- und Raumplanung sowie den Umweltschutz. Hygiene ist bezogen auf das Thema Stadt und Gesundheit schon sehr lange ein wichtiges Public-Health-Thema. So können wir hier in Berlin auf wegweisende städtebauliche Konzepte, wechselvolle Entwicklungen und viele große Namen zurückblicken.

Mit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert setzte in Berlin ein starkes Bevölkerungswachstum ein. Während Mitte des 19. Jahrhunderts knapp eine halbe Million Menschen in Berlin lebte, waren es zur Jahrhundertwende bereits fast 1,9 Mio. Damit verschlechterten sich die hygienischen Verhältnisse, die Versorgung der Bevölkerung und vor allem die Wohn- und Lebensbedingungen.

Stadtbaurat James Hobrecht (1825–1902) entwarf 1862 im sogenannten Hobrecht-Plan die systematische Erweiterung der Bebauung im damaligen Berliner Stadtgebiet und in den umgebenden Gemeinden. Der Hobrecht-Plan legte zunächst den Verlauf von Straßen fest und ermöglichte damit kurz vor der Jahrhundertwende auch den Bau einer zentralen Trinkwasserversorgung und einer modernen Stadtentwässerung. Dafür wurde nach Plänen von Hobrecht eine Kanalisation mit 12 Radialsystemen gebaut und die Berliner Rieselfelder wurden angelegt. Bedingt unter anderem durch Spekulationen mit Immobilien und fehlende Gesetze entstand schließlich eine sehr verdichtete Bebauung, große Blöcke mit Seiten- und Hinterhäusern und zum Teil 2–6 Höfen, die oft nur das Mindestmaß besaßen (5,34 m2). Das hatte negative Auswirkungen auf die Bewohnerinnen und Bewohner, die häufig dem Industrieproletariat angehörten. Hundertausende lebten in überfüllten, dunklen, schlecht geheizten Wohnungen. Typhus, Cholera, Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten grassierten.

Eine der bekanntesten Persönlichkeiten, die sich für die Gesundheit der Stadtbevölkerung in dieser Zeit einsetzten, war der Arzt und Berliner Stadtverordnete Rudolf Virchow (1821–1902). Er betonte den Zusammenhang von Armut und Krankheit und setzte sich auch politisch stark für die Verbesserung der Lebens- und gesundheitlichen Lage der „einfachen Leute“ in Berlin ein, u. a. initiierte er den Bau von öffentlichen Krankenhäusern. Mehrere Generationen von engagierten Persönlichkeiten in Politik, Stadtplanung und Public Health waren seitdem tätig und haben durch ihre verantwortungsvolle Arbeit dazu beigetragen, dass große Gesundheitsgefahren eingedämmt und dass das Leben in Berlin attraktiver und „gesünder“ wurde.

Neben den hygienischen Voraussetzungen sollen Städte den Menschen einen gesunden Lebensraum bieten. Damit sie das in Zukunft besser als heute können, müssen sie insbesondere auch umweltfreundlich agieren. Die Nachhaltigkeit der Lebensweise in Städten garantiert in der Zukunft mehr denn je den Wohlstand, die Lebensqualität und auch die Gesundheit der Stadtbevölkerung. Zu den bekannten Herausforderungen zählen neben der teils mangelhaften Luftqualität in den Städten und dem Lärm auch neuere Einflüsse wie Veränderungen durch den fortschreitenden Klimawandel, wie häufiger auftretende Starkregenereignisse oder Hitzewellen. Bei Hitzewellen kommt es insbesondere in Städten oft zur Entwicklung von urbanen Wärmeinseln. In dicht bebauten Gebieten fällt die nächtliche Abkühlung geringer aus, was den menschlichen Organismus belastet.

Die jüngsten weltweiten Entwicklungen in der Folge der Coronakrise zeigen, dass auch die Ausbreitung einer Erkrankung, welche zunächst und vor allem als Infektionskrankheit imponiert, damals wie heute sehr stark von den Lebensbedingungen der Bevölkerung abhängig ist. Dabei spielt auch das städtische Wohnumfeld eine große Rolle. Die Coronakrise zeigt gerade in den Großstädten in Deutschland deutlich, dass zu wenig städtisches Grün für eine wohnungsnahe Freizeitgestaltung und Erholung im Freien vorhanden ist, wenn alle daran teilhaben wollen. Die Zeit dieser Pandemie ist mit ihrer globalen Ausbreitung, ihren zahlreichen Einschränkungen, mit den bei vielen Menschen ausgelösten Ängsten um die Gesundheit und Existenz sowie mit ihren noch nicht absehbaren langfristigen Folgen beispiellos. Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus dieser Zeit sollten künftig in Gestaltung und Entwicklung von Städten einfließen.

Das Wachstum der urbanen Räume stellt die Gesellschaft, die Politik und das Gesundheitswesen vor viele Aufgaben. Das vorliegende Schwerpunktheft soll dabei unterstützen, Fragestellungen zu schärfen, Zusammenhänge und Entwicklungen besser zu verstehen und schließlich Antworten zu finden. Das Heft beleuchtet den aktuellen Stand der Wissenschaft zum Thema „Stadt und Gesundheit“ mit einem Fokus auf deutsche Großstädte und Ballungszentren.

Im ersten Themenblock „Konzeptionelles und Forschungsmethodik zu Stadt und Gesundheit“ werden wichtige Determinanten für eine gesundheitsförderliche Stadtentwicklung herausgestellt und die Bedeutung von Satellitendaten für Forschungsprojekte im Bereich Umwelt und Gesundheit diskutiert. Sodann werden die Bedeutung der Stadtplanung für die Förderung einer aktiven, gesundheitsdienlichen Alltagsmobilität dargestellt und in einem weiteren Beitrag Konzepte und Beispiele zur Gestaltung einer nachhaltigen Stadtgesundheit aufgezeigt.

Im zweiten Themenblock „Auswirkungen von Umweltfaktoren auf die Gesundheit in der Stadt“ werden gesundheitsrelevante Ereignisse in Großstädten betrachtet. Anhand des Zusammenwirkens von Luftverschmutzung mit weiteren Umweltfaktoren, wie Lärm, Außentemperatur und Grünflächen, wird im ersten Beitrag dieses Blocks die Bedeutung von Interaktionen verschiedener Umweltfaktoren näher beleuchtet. Danach wird diskutiert, wie Stadtarchitektur das Wohlbefinden in der Stadt beeinflusst und wie die menschlichen Bedürfnisse nach Stimulation, Identifikation und Privatheit mit Stadtarchitektur zusammenhängen. Im dritten Beitrag werden die Auswirkungen von sozialer Stressexposition auf Emotionen, Verhalten und psychische Gesundheit ausgeführt. Als weiterer Umweltfaktor wird dann Lärm in den Mittelpunkt gestellt und dessen gesundheitliche Auswirkungen aufgezeigt sowie Ansätze zum Verständnis gesundheitsförderlicher akustischer Qualität von Städten beschrieben. Die Beiträge zur Bedeutung der gefühlten Temperatur bei Hitzewellen und zur Frage, was Länder und Kommunen bislang zur Anpassung an Hitzeextreme unternommen haben, bilden den Abschluss des Heftes.

Damit wünschen wir Ihnen eine anregende und spannende Lektüre. Und als Ausblick: Weil das Thema noch weitaus facettenreicher ist, plant das Bundesgesundheitsblatt, das Thema Stadt und Gesundheit in der näheren Zukunft noch einmal aufnehmen.