Einleitung

Kinder- und Jugendliche mit einer seltenen, schweren, komplexen chronischen Erkrankung benötigen in der ambulanten Versorgung neben einer hoch spezialisierten medizinischen Expertise auch die Möglichkeit einer professionellen psychosozialen Unterstützung.

Das Angebot der Versorgung chronisch kranker Kinder und Jugendlicher mit mehrdimensionaler Störung in einem Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) richtet sich nach dessen lokalen Gegebenheiten. Dabei sind die Fachlichkeit sowie die räumlichen und personellen Erfordernisse zu berücksichtigen. Für SPZ, die die sozialpädiatrische Dimension einer chronischen Erkrankung inhaltlich und personell abdecken können, nicht aber über die Expertise für Grunderkrankungen verfügen, kann zum Beispiel über eine Kooperation mit medizinischen Einrichtungen und Institutionen, die entsprechende Spezialsprechstunden anbieten, diese Versorgung gewährleistet werden. Diese Einrichtungen/Institutionen können Kinderkliniken angegliedert sein oder es handelt sich um universitäre Einrichtungen mit entsprechenden Spezialsprechstunden oder auch niedergelassene spezialisierte Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin mit Subspezialisierung bzw. Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Sozialpädiatrische Zentren für chronisch kranke Kinder und Jugendliche, angegliedert zumeist an universitäre Kinderkliniken, können das für diese besondere Patientengruppe erforderliche biopsychosoziale Betreuungskonzept sicherstellen [1].

Am Beispiel der im Folgenden genauer beschriebenen Multiorganerkrankung X‑chromosomale Hypophosphatämie (XLH) wird später das multiprofessionelle SPZ-Betreuungskonzept dargestellt.

Symptome der XLH

Die XLH ist mit einer Prävalenz von 1 auf 20.000 bis 25.000 Neugeborene eine seltene Erkrankung [2]. Das führt dazu, dass diese Patienten oftmals eine mehrjährige medizinische Odyssee hinter sich gebracht haben, bevor sie diagnostiziert werden. Die Symptome der Erkrankung sind durchaus unterschiedlich, zumeist steht aber ein verspätetes Laufalter, vergesellschaftet mit einer progredienten Beinachsenfehlstellung (O-Bein, Genua vara), im Vordergrund. Aber auch Zahnfisteln und Zahnabszesse und ein nachfolgender vorzeitiger Zahnverlust bei einem kariesfreien Gebiss oder ein progredienter, disproportionierter Kleinwuchs können bei einer XLH auftreten [3, 4]. Da die Säuglinge und Kleinkinder meist noch recht regelmäßig zu den Vorsorgeuntersuchungen beim Kinder- bzw. Hausarzt vorgestellt werden, kommt diesen die Lotsenfunktion im Gesundheitssystem zu.

Klinische Symptome, wie zum Beispiel progrediente Beinachsenfehlstellung, auffälliges breitbasiges Gangbild, Auftreibungen an den Handgelenken, Wachstumsstörung, ggf. auch schon Zahnabszesse oder Zahnfisteln sowie radiologische Auffälligkeiten mit Auffaserung und Becherung an den Wachstumsfugen, weisen auf das Vorliegen einer metabolischen Knochenerkrankung hin. Die laborchemische Konstellation aus zumeist nur leicht erhöhter alkalischer Phosphatase (ALP), aber deutlich erniedrigtem Serumphosphat, bei normalem 25-Hydroxy-Vitamin‑D und Parathormon und einem deutlich pathologisch verminderten tubulären Transportmaximum für Phosphat (TmP/GFR) erlaubt dann die Verdachtsdiagnose hypophosphatämische Rachitis. Die Diagnosesicherung erfolgt über die Bestimmung des PHEX-Gens (Phosphate-regulating Gene with Homologies to Endopeptidases on the X-chromosome; [5, 6]).

Pathophysiologie

Inaktivierende Mutationen im PHEX-Gen führen zu einer verminderten Expression und gestörten Funktion des PHEX in den Osteozyten, Osteoblasten und Odontoblasten mit der Folge einer Akkumulation von Inhibitoren der Mineralisation, wie z. B. ASARM-Peptiden und Osteopontin (OPN) in bereits kalzifizierter Knochenmatrix, sowie einer vermehrten Synthese und Sekretion des Fibroblastenwachstumsfaktors 23 (FGF23; [7]).

Das FGF23 hat eine zentrale Rolle in der Regulation der Phosphathomöostase. Unter den erhöhten Konzentrationen des zirkulierenden FGF23 wird die Phosphatrückresorption über die Beeinflussung der Funktion und Expression der Natrium-Phosphat-Co-Transporter in der Niere gestört und es kommt zu einem vermehrten renalen Verlust von Phosphat. Das erhöhte FGF23 hemmt zudem die Umwandlung von 25-Hydroxyvitamin D in das aktive 1,25-Dihydroxyvitamin D, sodass der betroffene Organismus nicht in der Lage ist, über eine verstärkte Calcitriolbildung vermehrt Phosphat enteral zu resorbieren und damit den vermehrten renalen Phosphatverlust zu kompensieren (Abb. 1). Als Folge des Phosphatmangels kommt es bei der XLH zu einer Mineralisierungsstörung der Knochen und der Zähne betroffener Kinder mit einer Vielzahl klinischer und organischer Auswirkungen auf den Gesamtorganismus, sodass die XLH der Kategorie der Multiorganerkrankungen zuzuordnen ist.

Abb. 1
figure 1

Pathophysiologie der X‑chromosomalen Hypophosphatämie (XLH)

Die Erkrankung wird zumeist X‑chromosomal-dominant vererbt [8].

Medikamentöse Therapie

Bis zur Zulassung einer zielgerichteten Therapie mit einem FGF23-Antikörper im Jahr 2018 bestand die konventionelle Therapie der XLH aus der Substitution von Phosphat und der Zugabe von aktivem Vitamin D. Die Dosierung von Phosphat beträgt täglich 20–40 mg/kg Körpergewicht (KG), welches wegen seiner kurzen Halbwertszeit und besseren Verträglichkeit auf mindestens 5 Einzelgaben über den Tag hinweg verteilt werden sollte. Die zusätzliche Einnahme von Calcitriol in einer Dosierung von täglich 20–30 ng/kg Körpergewicht, verteilt auf 1–2 Einzeldosen pro Tag [9], alternativ wegen der besseren Dosierbarkeit besonders bis zum Schulkindalter von Alfacalcidol in der Dosierung 50 ng/kg Körpergewicht pro Tag, dient zur Förderung der enteralen Phosphatresorption über eine Normalisierung des aktiven Vitamins D. Zu Beginn der Therapie stehen zudem die Linderung von Knochenschmerzen (in den ersten Wochen) und später eine Normalisierung der ALP-Aktivität (nach 6–12 Monaten), eine Verbesserung der Wachstumsgeschwindigkeit (nach einem Jahr) und eine Beinbegradigung (nach 3–4 Jahren) im Vordergrund [5, 10]. Die langfristigen Therapieziele bei Kindern mit XLH sind vor allem das Erreichen eines normalen Knochenumsatzes mit einer vollständigen Mineralisation des Skelettsystems, eine altersgerechte Zahnmineralisation sowie eine Endgröße im Normalbereich.

Die bisherige konventionelle medikamentöse Therapie der XLH ist mit verschiedenen Herausforderungen und Nebenwirkungen verbunden. Neben einer häufig begrenzten Wirksamkeit ist die Belastung der Patienten durch die mehrmals tägliche Einnahme der oralen Medikation und die damit verbundene niedrige Therapieadhärenz hervorzuheben. Eine Auswertung von Patientendaten des Odenser Universitätskrankenhauses ergab, dass 33 % der pädiatrischen Patienten mit einer hypophosphatämischen Rachitis eine ungenügende Therapieadhärenz aufwiesen (definiert als Einnahme von 3 oder weniger Phosphateinzeldosen pro Tag).

Trotz der Behandlung leiden viele betroffene Kinder aufgrund verschiedener Beschwerden wie Beinachsenfehlstellung, Kleinwuchs, Knochenschmerzen unter einer verminderten Lebensqualität [8, 9]. Nicht selten sind kinderorthopädische Interventionen notwendig [11]. Darüber hinaus birgt die Therapie langfristig das Risiko für verschiedene renale Komplikationen wie Nephrokalzinose, Nephrolithiasis und Hypertonus [12, 13].

Basierte die bisherige Standardtherapie der XLH auf dem Versuch, den renalen Phosphatverlust durch die Einnahme von aktivem Vitamin D und Phosphat soweit zu kompensieren, dass der Knochenumsatz nur wenig gesteigert war, so steht mit der Entwicklung des rekombinanten humanen monoklonalen IgG1-Antikörpers Burosumab nun erstmals ein kausaler Ansatz zur Behandlung der XLH, derzeit noch beschränkt vom 2. Lebensjahr bis zum Schluss der Wachstumsfugen, zur Verfügung.

Burosumab neutralisiert das im Überschuss vorhandene FGF23 und hemmt dadurch dessen Aktivität am FGF23-Rezeptor am Nierentubulus [14, 15]: Über die Normalisierung der renalen Phosphatrückresorption kommt es zum Anstieg des Serumphosphats in den unteren Normbereich, im Knochen kommt es konsekutiv über das nunmehr wieder ausgeglichene stöchiometrische Kalzium-Phosphat-Verhältnis zur altersgerechten Mineralisation des Knochens sowie der Zähne. Unterstützt wird der Mineralisierungsprozess noch zusätzlich durch die nunmehr wieder mögliche vermehrte Synthese von Calcidiol zu Calcitriol, welches die Absorption von Phosphat im Dünndarm steigert.

Für die Patienten verbessert sich die Lebensqualität unter der neuen medikamentösen Therapie. Anstatt der bis zu 5‑mal täglich erforderlichen Medikamenteneinnahmen wird der spezifische Antikörper nur einmal alle 14 Tage subkutan appliziert. Traten bisher besonders unter der Phosphatsubstitution erhebliche gastrointestinale Nebenwirkungen auf, welche die Adhärenz der regelmäßigen Medikation bestimmten, so sind unter der Antikörpertherapie Akzeptanz und Adhärenz hervorragend. In einer Vergleichsstudie zwischen konventioneller und Burosumab-Therapie [16] fand sich eine signifikante Überlegenheit der neuen zielgerichteten Therapie. Nennenswerte Nebenwirkungen fanden sich unter der neuen Therapie nicht.

Die Multiorganerkrankung XLH

Organspezifische Probleme – Skelettsystem

Die Patienten fallen zumeist im 2. Lebensjahr durch ein verspätetes oder auch ausbleibendes Laufen, durch zunehmende Beinachsenfehlstellungen und ein charakteristisches Gangbild, „Watschelgang“, auf. Dieser resultiert aus der Kombination einer Fehlstellung am coxalen Femurende, einer Coxa vara sowie der Antekurvation des Oberschenkels. Ursächlich dafür ist die Hypophosphatämie, aus der neben einer schweren Mineralisationsstörung des Knochens auch eine Schwäche der beinbetonten proximalen Muskulatur [17, 18] resultiert.

Bei einer Diagnosestellung in den ersten 3 Lebensjahren besteht bei guter Stoffwechseleinstellung in den darauffolgenden 2–3 Jahren eine gute Chance der Ausgradung der Beinachsen. Gemäß dem Betreuungsprotokoll (Tab. 1) sollen regelmäßige physiotherapeutische Untersuchungen u. a. mit der Beurteilung der Intermalleolar- und Intercondylarabstände, aber auch des Gelenkstatus durchgeführt werden. Eine regelmäßige standardisierte Fotodokumentation ist wichtig und reduziert die Frequenz der Röntgenganzbeinstandaufnahmen, die aber in bestimmten Abständen indikationsbezogen erfolgen sollen [11].

Tab. 1 Betreuungskonzept für Kinder und Jugendliche mit X‑chromosomaler Hypophosphatämie (XLH)

Die Beinachsenfehlstellung führt zur

  • Fehlbelastung der Gelenke und Ausbildung einer präarthrotischen Deformität,

  • Schmerzen,

  • Vermeidung von körperlicher Aktivität mit der Folge:

  • Hypo‑/Atrophie der Muskulatur und

  • Adipositas.

Kommt es trotz guter Stoffwechseleinstellung bei den jüngeren Patienten nicht zu einer signifikanten Ausgradung, so ist die temporäre Epiphyseodese als Option in Betracht zu ziehen.

Sind bei den zumeist jugendlichen Patienten Fehlstellungen in mehreren Ebenen und ggf. auch Torsionsfehler vorhanden, wird eine Operation nach Ilizarov mit Anlage eines Fixateur externe durchgeführt [19].

Der Zeitpunkt chirurgischer orthopädischer Interventionen sollte in enger Abstimmung zwischen Endokrinologie und Orthopädie erfolgen. Bei Patienten unter der neuen FGF23-Antikörpertherapie ist nach 9–12 Monaten von einem gut mineralisierten Knochen auszugehen, der eine hervorragende Grundlage für eine erfolgreiche Operation darstellt.

Das bis vor einigen Jahren praktizierte Vorgehen, die Patienten erst nach Abschluss des Längenwachstums/Schluss der Epiphysenfugen zu operieren, ist wegen der bis dahin zumeist erfolgten pathologischen Adaptationen der Gelenke verlassen worden.

Konservative orthopädische Maßnahmen zur Begradigung der Achsenfehlstellung, wie z. B. Orthesen oder Lagerungsschienen, haben sich hingegen in den meisten Fällen als nicht erfolgreich erwiesen. Gelegentlich werden sie aber zur Schmerzlinderung eingesetzt.

Bei älteren Patienten, zumeist ab der 5. Lebensdekade, ist zu beachten, dass es allgemein u. a. durch eine Hyperplasie der Fibrochondrozyten in den Bändern und Sehnen, durch Ablagerung von Kalk oder knöcherne Anbauten im Bereich der Wirbelsäule zur Ausbildung einer Spinalstenose mit neurologischen Symptomen (z. B. Lähmungserscheinungen, Empfindungsstörungen) kommen kann. Speziell kommen als Ursachen der Spinalstenose in Betracht: Hypertrophie der Facettengelenke, Verdickung der vertebralen Laminae, Verkalkung der spinalen Ligamente, z. B. posteriores longitudinales Ligamentum [20].

Organspezifische Probleme – Zähne

Das Auftreten von rezidivierenden Zahnabszessen und Zahnfisteln im kariesfreien Milchzahn- und Permanentgebiss kann ein Hinweis auf eine XLH sein [21]. Patienten mit XLH weisen eine Fehlbildung der Zahnhartsubstanz Dentin auf. Histologisch finden sich im Dentin mit dem sogenannten Interglobulardentin nicht vollständig mineralisierte Anteile.

Zur Pathogenese werden 2 Hypothesen angenommen: Durch die PHEX-Mutation kommt es in den Odontoblasten zu einer Fehlbildung des Dentins bzw. kommt es über die ausgeprägte Hypophosphatämie zu einer Mineralisationsstörung der Zahnhartsubstanz (Dentin, Schmelz; [22]).

Es ist durchaus vorstellbar, dass beide Hypothesen ursächlich verantwortlich für die Zahnprobleme sind. Des Weiteren finden sich in der Zahnpulpa sogenannte Pulpenhörner und vergrößerte Pulpenkaven, die eine Pulpainfektion begünstigen. Die eindringenden Bakterien können über eine Infektion des Zahnnervs zum Absterben desselben führen. Über den Wurzelkanal sind entzündliche Veränderungen bis zu Abszessen in der Wurzelspitze möglich. In den jüngeren Jahren sind zumeist die Schneidezähne, während dann bei den älteren XLH-Patienten zumeist die Backenzähne betroffen sind.

Die Beurteilung des Zahnstatus dieser Patienten setzt eine Kenntnis der Erkrankung voraus. Nicht selten werden Zahnabszesse und Zahnfisteln im kariesfreien Gebiss übersehen mit der Folge des frühen Verlustes permanenter Zähne. Prophylaktisch wird den Eltern eine konsequente und intensive Zahnpflege mit dem Auftragen von Fluorid bei ihren Kindern/Jugendlichen empfohlen [23]. Beim Auftreten von Rissen in der Zahnhartsubstanz sollte eine Fissurenversiegelung erfolgen. Bei den Zähnen ist eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Endokrinologen und dem Zahnspezialisten unbedingt erforderlich. Die Intervalle der Zahnuntersuchungen sind in Tab. 1 aufgeführt.

Organspezifische Probleme – Niere

Als unerwünschte Therapiefolge wird bei der XLH in 33–80 % der Patienten, die mit der konventionellen Therapie behandelt werden, eine Ablagerung von Kalziumsalzen im Parenchym der Niere (Nephrokalzinose) beobachtet [12]. Diese hat zumeist eine multifaktorielle Genese:

  • Hyperkalziurie als Folge der Therapie mit aktivem Vitamin D [24],

  • Hyperphosphaturie als Folge der hohen Phosphatsubstitution mit tubulären Kalzium‑/Phosphatausfällungen [25],

  • Hyperoxalurie als Folge der Phosphatsubstitution [26],

  • sekundärer Hyperparathyreoidismus als Folge der Phosphatsubstitution [27],

  • FGF23 stimuliert über die enteralen TRPV5-Kanäle im Übermaß die zelluläre Aufnahme von Kalzium [28, 29].

Berichteten Stickler und Morgenstern [30] noch über 3 behandelte Patienten, die terminal niereninsuffizient wurden, so sind in den letzten 2 Jahrzehnten keine derartigen Verläufe beschrieben [31]. Auch ausgeprägte Nephrokalzinoseformen enden zumeist nicht in einer Nierenfunktionseinschränkung. Allerdings gibt es Berichte über das erhöhte Hypertonusrisiko. Dieses könnte allerdings auch noch zusätzlich durch die nicht unerhebliche Adipositas mitgetriggert werden, welche die Patienten zumeist ab dem Pubertätsalter entwickeln. Die nunmehr initiierten Patientenregister unter Einschluss der erwachsenen Patienten werden hoffentlich Aussage zur Langzeitnierenfunktion der Patienten geben.

Zur möglichen Verhinderung der Ausbildung einer Nephrokalzinose werden die konsequente Aufteilung der Phosphatdosen über den Tag, das Einhalten eines <0,6 mmol/mmol Kreatinin, ein normales Parathormon und ein Absetzen der Medikation bei Immobilisation empfohlen. Die Kontrollintervalle zur Nierenfunktion sind in Tab. 1 dargestellt. Möglicherweise wird unter der zielgerichteten FGF23-Antikörpertherapie das Nephrokalzinoserisiko kaum noch eine Rolle spielen, wenngleich eine abschließende Bewertung der unter dieser Therapieform beobachteten zumeist erhöhten 1,25-Dihydroxyvitamin-D-Konzentrationen noch nicht vorliegt.

Organspezifische Probleme – Schädel

Der prämature Verschluss der Schädelnähte, Kraniosynostose, führt zu einem ungleichmäßigen Schädelwachstum und einer auffälligen Kopfform, z. B. Trigonocephalus bei Frontalnahtsynostose. Es können einzelne, aber auch mehrere Nähte gleichzeitig von der vorzeitigen Verknöcherung betroffen sein. Bei einem Teil der Patienten kann es über einen erhöhten intrakraniellen Druck zur Verlagerung der Kleinhirntonsillen in das Foramen magnum (Chiari-I-Malformation) kommen. Neben kognitiven Störungen, Verhaltensauffälligkeiten, Sehstörungen oder chronischen Kopfschmerzen kann eine Kraniosynostose zu ästhetischen Symptomen wie auffälligen Kopfformen oder Gesichtsdeformationen führen.

Rothenbuhler et al. [32] fanden in ihrer XLH-Kohorte von 44 Patienten bei 59 % eine komplette oder partielle Fusion der Sagitalnaht und bei 25 % einen Kleinhirntonsillentiefstand. Eine neurochirurgische Intervention erfolgte bei 9 % der 44 Patienten. Als Ursache der vorzeitigen Fusion der Schädelsuturen wird eine Cross-Bindung von FGF23 mit FGFR2 und FGFR3 diskutiert. Da Kraniosynostose und Chiari-I-Malformation mit der Schwere der XLH assoziiert sind [33], eine Korrelation zwischen einer Kraniosynostose und aufgetretenen Zahnabszessen besteht, ist davon auszugehen, dass die Entwicklung der kranialen Komplikationen vom Serumphosphat abhängen.

Die Erfassung des Kopfumfanges sowie die Beurteilung der Schädelform sollten regelmäßig durchgeführt werden (Tab. 1). Kopfschmerzen, Sehstörungen, Schlafstörungen, Übelkeit/Erbrechen, Parästhesien oder Kleinhirnsymptome sollten unverzüglich eine radiologische Diagnostik (MRT, ggf. 3‑D-CCT) nach sich ziehen.

Physiotherapeutisches Konzept

Die Einbeziehung der Physiotherapeuten erfolgt bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung (s. Infobox 1). Dabei sollten im Rahmen einer ausführlichen Statuserhebung das Ausmaß der Beinachsenfehlstellung, die erhöhte bzw. eingeschränkte Gelenkbeweglichkeit, Muskelkraft, Koordination und körperliche Belastbarkeit, z. B. mittels des 6‑Minuten-Gehtestes, erfasst werden. Bei den XLH-Patienten finden sich aufgrund der ausgeprägten Hypophosphatämie eine Mineralisationsstörung des Skelettsystems mit Achsenfehlstellungen der unteren Extremitäten sowie eine zum Teil erhebliche Muskelschwäche mit deutlicher Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit [17, 18]. Spezielle Ganganalysen der Kölner Kinder-Knochen-Arbeitsgruppe um Schönau/Semler/Starke zeigen, dass die Hüfte der Patienten relativ stabil bleibt, das watschelnde Gangbild vor allem aus dem Rumpfpendeln resultiert. Darüber hinaus finden sich aber noch weitere Muskelgruppen der unteren Extremitäten mit einer reduzierten Muskelkraft. Die Patienten sollten je nach Beteiligung der im Vordergrund stehenden Muskelgruppen und instabilen Gelenke und ggf. zusätzlich vorhandener Koordinationsstörung ausführliche (schriftliche) Anleitungen zum häuslichen Training (Abb. 2) erhalten. Dabei sind mögliche Hemmnisse der Aktivitätssteigerung, wie Disproportionierung und Adipositas, bei der individuellen Trainingsplanerstellung zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit zur zusätzlichen Verordnung einer professionellen Physiotherapie und/oder eines Vibrationstrainings ist individuell zu entscheiden.

Abb. 2
figure 2

Der kindliche/jugendliche Patient mit X‑chromosomaler Hypophosphatämie (XLH) mit seinem familiären Netzwerk sowie den Professionen des multidisziplinären Teams im Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ). Der Arzt und Experte für die Erkrankung XLH leitet und koordiniert das SPZ-Team

Soziale Arbeit

Ein nicht unerheblicher Anteil der Patienten ist körperlich in seinen Alltagsaktivitäten eingeschränkt. Mitarbeiter der sozialen Arbeit können die Eltern über die Möglichkeit des Antrages auf Schwerbehinderung (Für und Wider) beraten und ggf. Hilfestellung bei Antragstellung leisten (insbesondere bei Analphabeten oder Sprachbarrieren), aber auch eine Abschätzung der Erfolgsaussichten einer solchen Antragsstellung geben. Die Beratung der Eltern über den Integrationsstatus in Kita bzw. Schule, die Unterstützung in Behördenangelegenheiten (Schuldnerberatung, Jugendamt, Sozialamt, Ausländerbehörde etc.), aber auch das Anfertigen von Stellungnahmen für die öffentlichen Gesundheitsdienste sind mögliche Aufgaben der Sozialarbeiter. Über die Möglichkeit der Zuordnung der Patienten zum Personenkreis § 53 Abs. 1 SGB XII durch das SPZ haben die Eltern das Recht auf Eingliederungshilfen. Eine wichtige Unterstützungsmöglichkeit stellt z. B. die Einzelfallhilfe dar, die aber leider nicht in allen Bundesländern verfügbar ist. Aufgaben und Ziele der Einzelfallhilfe sollten sein:

  • Aktivierung zu Alltagsbewegung,

  • Förderung der sportlichen Aktivitäten,

  • Förderung der Selbstwahrnehmung und Selbstständigkeit,

  • Begleiten bei Alltags- und Entwicklungsprozessen,

  • Förderung sozialer Kontakte und Interaktionen,

  • Unterstützung in Schule und Freizeitgestaltung.

Psychologie

Die Berufsgruppe der Psychologen ist integraler Bestandteil des multiprofessionellen Betreuungskonzepts chronisch kranker Kinder im SPZ. Es ist sinnvoll, sie möglichst schon in das Erstgespräch bei Diagnoseeröffnung mit den Eltern und den Patienten einzubeziehen. Die Familie soll von Anfang an begleitet und unterstützt werden, um den Verarbeitungsprozess der Krankheit günstig zu beeinflussen und unerwünschten sekundären Krankheitsfolgen frühzeitig entgegenwirken zu können. Treten in bestimmten Lebensphasen Probleme mit der Adhärenz u. a. der z. T. lebensnotwendigen Einnahme/Applikation von Medikamenten auf, so ist die Einbeziehung psychologischer Unterstützung unbedingt sinnvoll. Einzelgespräche, therapeutische Vereinbarungen oder Verhaltensübungen könnten dann zur Problemlösung beitragen. Des Weiteren gehören zum Betreuungsangebot der Psychologen in Abhängigkeit vom Lebensalter die sozial-emotionale und kognitive Diagnostik im Vorschulalter, eine Schulleistungsdiagnostik sowie die Diagnostik und Schullaufbahnberatung.

Ziele der multiprofessionellen Behandlung der Patienten im SPZ

Durch das multiprofessionelle Behandlungskonzept für Patienten mit komplexen chronischen Erkrankungen im SPZ (Abb. 2) für chronisch kranke Kinder und Jugendliche sollte erreicht werden [34]:

  • die Sicherstellung eines weitgehend selbstbestimmten Lebens des Kindes und der Familie, die Stärkung seiner Eigenaktivität sowie eine altersentsprechende Partizipation,

  • die Verbesserung der Qualität der medizinischen und therapeutischen Behandlung und der psychosozialen Betreuung,

  • die Verringerung von Komplikationen bei chronischen Erkrankungen mit mehrdimensionalen Störungen,

  • in der Langzeitbetreuung eine Reduktion kostspieliger stationärer Krankenhausaufenthalte,

  • die Integration in die Gesellschaft und in ein nachhaltiges, altersentsprechendes Umfeld einschließlich der Berufsfindung.

Transition in die Erwachsenenbetreuung

Für Patienten mit einer XLH gibt es bisher noch kein standardisiertes Transitionsverfahren, wie es für Diabetes mellitus Typ 1 oder komplexe hypothalamisch-hypophysäre Erkrankungen im Berliner Transitionsprogramm bereits vorliegt [35]. Dies liegt u. a. daran, dass es bis zur Publikation einer europäischen Konsensusgruppe [36] keine nationalen bzw. internationalen Konsensusempfehlungen zur konzeptionellen Weiterbetreuung der Patienten im Erwachsenenalter gab. Klinische Studien an erwachsenen XLH-Patienten aus der letzten Zeit zeigen aber, dass die Patienten aufgrund der z. T. ausgeprägten gesundheitlichen Folgen ihrer Erkrankung (u. a. Pseudofrakturen, Knochen‑/Gelenkschmerzen, deutlich verminderte körperliche Belastbarkeit, Enthesopathien, Osteoarthritis; [37]) unbedingt eine Fortsetzung der medikamentösen Therapie als auch ein multiprofessionelles Betreuungskonzept benötigen. Im Zuge der erfolgreichen Implementierung eines sinnvollerweise an die Fachgesellschaften angegliederten XLH-Patientenregisters für das Kindes- und Jugendalter (Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie, DGKED/Gesellschaft für Pädiatrische Nephrologie, GPN) sollte nun auch ein standardisiertes Transitionsverfahren etabliert werden.

Fazit

Der multiprofessionelle Betreuungsansatz eines SPZ für chronisch kranke Kinder und Jugendliche, exemplarisch dargestellt an der XLH, berücksichtigt neben der (bio-)medizinischen auch die psychosozialen Facetten der schweren Multiorganerkrankung auf universitärem Wissens- und Forschungsstand.

Mit der neuen medikamentösen Therapieoption – Burosumab – sowohl im Kindes- und Jugendalter sowie voraussichtlich auch ab Ende 2020 im Erwachsenenalter [38] wird sich zeigen müssen, ob die bisherigen klinischen Probleme der Patienten, wie z. B. Knochenmineralisationsstörung, vorzeitiger Zahnverlust, Kraniosynostose, disproportionierter Kleinwuchs, zu reduzieren oder gar zu vermeiden sind.

Das SPZ-Team wird die Patienten sicherlich auch zukünftig begleiten und nicht in seinen Aktivitäten nachlassen, z. B. durch Informationsveranstaltungen für pädagogische Fachkräfte in Kitas und Schulen, das Wissen über chronische Erkrankungen zu erhöhen, und versuchen, Ängste im Umgang mit den ihnen anvertrauten chronisch kranken Kindern und Jugendlichen zu nehmen. Die Verknüpfung von fachlicher Expertise einer zumeist tertiären medizinischen Versorgungseinrichtung mit den Möglichkeiten der Sozialpädiatrie bietet den XLH-Patienten eine realistische Möglichkeit auf eine altersentsprechende Partizipation ohne größere Teilhabestörung.

Infobox 1 Physiotherapiekonzept bei X-chromosomaler Hypophosphatämie (XLH)

Eingangsuntersuchung:

  • Bestimmung der Achsabweichungen (Malleolar‑/Interkondylarabstand)

  • Gelenkstatus

  • Muskelkraftmessung (Sprungplatte, Handdynamometer)

  • Gangdokumentation

  • 6‑Minuten-Gehtest

Anleitung zum häuslichen Training:

  • Stärkung der Glutealmuskulatur

  • Stärkung der Rückenmuskulatur

  • Stärkung der Bauchmuskulatur

  • Übungen auf dem Balancebrett (Stärkung Bein‑/Rumpfmuskulatur, Verbesserung der Koordination)

  • Übungen zur Verbesserung der Gelenkstabilität

Unterstützende Maßnahmen:

  • Physiotherapie (fakultativ)

  • Vibrationstraining („Galileo“)

Kontrolluntersuchungen alle 3–6 Monate

  • Siehe Eingangsuntersuchung