Einleitung

Akupunktur gehört zu den komplementärmedizinischen Therapieverfahren und wird von bis zu 23 % der europäischen Bevölkerung in Anspruch genommen [1]. In Deutschland nutzen ca. 9 % der Bevölkerung im Zeitraum von 12 Monaten Akupunktur [2]. Bis 1998 war die Wirksamkeit der Akupunktur nur bei postoperativer und chemotherapieinduzierter Übelkeit bzw. Erbrechen sowie postoperativem Zahnschmerz wissenschaftlich belegt [3].

In Deutschland wurden daher zwischen 2001 und 2005 drei große Modellvorhaben zu Akupunktur von gesetzlichen Krankenkassen in Kooperation mit mehreren medizinischen Universitätskliniken durchgeführt [4,5,6]. Ziel war es, die Wirksamkeit, Therapiesicherheit und gesundheitsökonomische Relevanz von Akupunktur bei chronischen Schmerzerkrankungen und initial auch bei anderen chronischen Erkrankungen, wie z. B. saisonaler allergischer Rhinitis (SAR), zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Modellvorhaben zeigten, dass Akupunktur bei allen Indikationen in der Routineversorgung wirksam ist und zusätzlich relativ nebenwirkungsarm. Trotz einer Zunahme der Therapiekosten erwies sich die Akupunktur als kosteneffektiv (Tab. 1).

Tab. 1 Wirksamkeit und Kosteneffektivität von Akupunktur bei 4 chronischen Schmerzerkrankungen. Wirksamkeit im Vergleich mit Routinebehandlung, Standardbehandlung und Sham-Akupunktur. Ergebnisse der drei Modellvorhaben zur Akupunktur 2000–2005 [4,5,6]. (Adaptiert nach Cummings [63])

Allerdings war unklar, ob die Akupunktur auch spezifische Effekte hat, die über eine Scheinbehandlung (Sham-Akupunktur: Akupunktur an Nichtakupunkturstellen, in der Regel mit Hautpenetration, oberflächlich, ohne Manipulation der Nadel) hinausgehen, denn nur in einer sham-kontrollierten Studie fand sich ein signifikanter Effekt der Akupunktur [4, 6, 7]. Dennoch wurde die Akupunktur als Kassenleistung bei Patienten mit chronischen Gonarthroseschmerzen und Lendenwirbelsäulen-(LWS-)Schmerzen anerkannt [8], weil sowohl die Akupunktur als auch die Sham-Akupunktur wirksamer war als die bisherige Standardtherapie mit einer Kombination aus Physiotherapiemaßnahmen und analgetischer Pharmakotherapie (Tab. 1). Nach Beendigung der Modellvorhaben wurde im Jahr 2005 die „Zusatzbezeichnung Akupunktur“ für Fachärztinnen und -ärzte von der Bundesärztekammer geschaffen, die u. a. eine 200 Zeitstunden umfassende Ausbildung in Akupunktur und ein positives Prüfungsgespräch vorweisen können.

Die Wirksamkeit von Akupunktur bei chronischen Schmerzerkrankungen wurde auch nach den Modellvorhaben weiterhin kritisch diskutiert, insbesondere aufgrund des z. T. fehlenden spezifischen Effektes, und es wurde auf die Nebenwirkungen und Komplikationen von Akupunktur hingewiesen [9]. In den letzten Jahren ist eine Vielzahl von neuen Studien und Reviews veröffentlicht worden, die eine aktualisierte Bewertung der Akupunktur zulassen.

Ziel dieses Übersichtsartikels ist es, (1) die Akupunktur als Therapieverfahren vorzustellen, (2) die aktuelle Evidenz von Akupunktur bei Schmerzen und allergischen Erkrankungen aus klinischen Studien darzustellen und (3) die praktische Umsetzung in Fortbildung und Anwendung in Deutschland aufzuzeigen.

Akupunktur – Definition, Formen und Anwendung in Deutschland

Akupunktur – Definition

Akupunktur (chinesisch „zhenjiu“, Akupunktur-Moxibustion-Therapie) ist eine wichtige Therapieform der Traditionellen Chinesischen und ostasiatischen Medizin [10, 11]. Erstmals im 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung nach Funden von Texten im Mawangdui-Grab (Provinz Henan/China) schriftlich erwähnt [12], hat sich die Akupunktur im Lauf der Jahrhunderte in verschiedenen Formen weiterentwickelt [13]. Akupunktur (lat. „acus“ = Nadel, „pungere“ = stechen) kann definiert werden als Stimulation mit verschiedenen Techniken (wie z. B. Nadeln, Moxibustion, manuellem Druck, Gleich- und Wechselstrom) von definierten Punkten des Körpers in therapeutischer Absicht [11, 13, 14]. Akupunktur wird in der chinesischen Medizin der „äußeren Therapie“ (Wai Zhi) zugeordnet – als Gegenstück zur „inneren Therapie“ (Nei Zhi), unter die die Anwendung von Arzneimitteln fällt [11]. Den Grundlagen der chinesischen Medizin folgend soll durch die Akupunktur unter anderem ein Zugang zum energetischen Fließsystem des Körpers ermöglicht werden, um z. B. Blockaden zu lösen und überschüssige Energie abzuleiten [11]. Trotz der kulturellen Fremdheit der Theorie und der Therapiemethode hat sich die Akupunktur im Lauf der Jahrhunderte von einer kulturellen Kuriosität zu einer Therapieform entwickelt, die bei weiten Teilen der Bevölkerung in den westlichen Industrienationen Akzeptanz findet. In den letzten Jahrzehnten praktizieren zunehmend Ärztinnen und Ärzte Akupunktur unter gleichzeitiger Ablehnung des traditionellen Konzepts der chinesischen Medizin, welche als metaphysisch, antiquiert und überkommen angesehen wird. Nach einem physiologisch orientierten Ansatz werden die Akupunkturpunkte in Zusammenhang unter anderem mit myofaszialen Triggerpunkten, dem autonomen und zentralen Nervensystem und der segmentalen Zuordnung der Beschwerden ausgewählt und verwendet [15].

Akupunktur – Formen

Bei der Akupunktur werden verschiedene Formen unterschieden. Bei der Körperakupunktur werden meist feine Nadeln in definierte Punkte an der Körperoberfläche, sogenannte Akupunkturpunkte, eingestochen. Die Stimulation von Akupunkturpunkten mit Hitze durch das Abbrennen von Pflanzenextrakten aus Artemisia vulgaris (Beifußkraut) wird „Moxibustion“ genannt. Darüber hinaus kommen eine manuelle Massage von Akupunkturpunkten (Akupressur) sowie die Stimulation mit Gleich- oder Wechselstrom und Laserlicht zum Einsatz [16]. Neben der Körperakupunktur wurden spezielle Akupunkturformen, wie beispielsweise die Ohr‑, Schädel- und Handakupunktur, entwickelt [17, 18].

Die chinesische Medizin definiert 361 klassische Punkte auf 14 Hauptleitbahnen („Meridianen“), die nach der Theorie der chinesischen Medizin den Körper vor allem an der Oberfläche überziehen und miteinander verbunden sind [19]. Im Verlauf der letzten beiden Jahrtausende nahm die Anzahl von Leitbahnen [10, 20] und Akupunkturpunkten zu. In der täglichen Praxis wird schätzungsweise ein Repertoire von ca. 100 bis 150 Akupunkturpunkten von durchschnittlich ausgebildeten Therapeutinnen und Therapeuten eingesetzt [10]. Die Akupunkturpunkte werden nach der Theorie der chinesischen Medizin hinsichtlich Lokalisation, Stichtechnik, Möglichkeit der Moxibustion, Qualität des Punktes und therapeutischer Wirkung definiert [11].

In der Regel werden bei einer Körperakupunktur zwischen 1 und 25 Akupunkturnadeln eingesetzt, die im Verlauf eines Therapiezyklus nach individueller Diagnose variiert werden können [13]. Ein Therapiezyklus besteht bei chronischen Erkrankungen in der Regel aus 10 bis 12 Akupunktursitzungen über 3 bis 12 Wochen [13]. Häufig werden von Akupunkturärztinnen und -ärzten auch andere chinesische oder komplementärmedizinische Therapieverfahren, wie z. B. Schröpfen, Massage und Arzneimitteltherapie, in Kombination mit der Akupunktur eingesetzt.

Akupunktur – Anwendung in Deutschland

Akupunktur wird in Deutschland von Ärztinnen und Ärzten, Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern und Hebammen praktiziert. In Deutschland praktizieren nach einer Publikation aus dem Jahr 2002 zwischen 30.000 bis 40.000 Ärztinnen und Ärzte Akupunktur [21], im Jahr 2018 hatten 14.648 Ärztinnen und Ärzte nach einer Anfrage bei der kassenärztlichen Bundesvereinigung eine Zusatzbezeichnung. Im Rahmen einer Befragung aus dem Jahr 1995 bei 800 Ärztinnen und Ärzten gaben 80 % der Befragten an, Kenntnisse von Akupunktur zu haben, 46 % beschäftigten sich mit Akupunktur. Akupunktur wird seit 1996 von der Privaten Krankenversicherung im Rahmen v. a. der Schmerztherapie erstattet, seit 2005 ist sie bei chronischem Knieschmerz und Rückenschmerzen im Katalog der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgeführt. Die meisten Akupunkturärztinnen und -ärzte werden in Deutschland von insgesamt mehr als zehn Akupunkturgesellschaften ausgebildet, nur ein kleiner Teil erhält teilweise oder die ganze Ausbildung in China. In Deutschland setzt das Erlangen der Zusatzbezeichnung Akupunktur eine 200-stündige Weiterbildung voraus. Vor Einführung der Zusatzbezeichnung durch den Ärztetag wurde die Akupunkturausbildung in A‑Diplom (140 h) und B‑Diplom (350 h) unterteilt. In einigen Gesellschaften, wie z. B. der Internationalen Gesellschaft für Chinesische Medizin, gibt es mittlerweile ein Chinesisches Master-Diplom (1000 h). Darüber hinaus gibt es an zwei Universitäten (TU München und UKE Hamburg) seit wenigen Jahren eine postgraduelle Ausbildung in chinesischer Medizin für Ärzte. Wie viele Heilpraktiker und Hebammen in Deutschland Akupunktur praktizieren, ist derzeit unklar; Schätzungen gehen von ca. 10.000 Heilpraktikern und -praktikerinnen aus.

Akupunktur in klinischen Studien

Die verstärkte wissenschaftliche Erforschung der Akupunktur begann nach dem bahnbrechenden Artikel einer Konsensusgruppe aus dem US-amerikanischen National Institut of Health (NIH) im Jahr 1998, in dem eine Zunahme der Inanspruchnahme von Akupunktur festgestellt wurde, gleichzeitig ein Mangel an qualitativ hochwertigen Studien zur Wirksamkeit [3]. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es eine positive Evidenz nur für postoperative und chemotherapieinduzierte Übelkeit bzw. Erbrechen sowie postoperativen Zahnschmerz. Es wurden andere Indikationen aufgelistet, bei denen Akupunktur nach der damals vorliegenden wissenschaftlichen Literatur möglicherweise wirksam sein konnte: Sucht und Abhängigkeit, Apoplexrehabilitation, Kopfschmerz, Dysmenorrhö, Tennisellenbogen, Fibromyalgie, myofaszialer Schmerz, Gonarthrose, LWS-Schmerzen, Karpaltunnelsyndrom und Asthma.

Die Autoren forderten qualitativ hochwertige klinische Studien, die sich mit der Wirksamkeit unter Routinebedingungen, der spezifischen Wirksamkeit, der Therapiesicherheit und den Kosten von Akupunktur auseinandersetzen. Etwa zur gleichen Zeit wurde nach Analyse der bisher in China publizierten Studien bekannt, dass diese nicht den methodischen Ansprüchen für qualitativ hochwertige Forschung genügten, in der Regel positiver waren als die westlichen Studien und dass ein erheblicher Publikationsbias vorlag [22].

Seit dem Artikel des NIH im Jahr 1998 ist die Anzahl von Publikationen wissenschaftlicher Artikel zur Akupunktur exponentiell gestiegen: Wurden bis 1999 etwa 3000 Artikel zur Akupunktur publiziert, waren es 20 Jahre später schon etwa 30.200 (Abb. 1). Auch die Qualität der Studien nahm, zunächst in den westlichen Industrienationen wie Deutschland, Großbritannien, Spanien, Schweden und den USA deutlich zu. In den letzten Jahren hat sich die Studienqualität in China ebenfalls deutlich verbessert (siehe Akupunktur bei anderen Erkrankungen).

Abb. 1
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Zunahme der Anzahl von Publikationen zu Akupunktur von 1990 bis Mai 2019. (Datenquelle: PubMed)

Im Jahr 2007 entwickelten zwei Forschergruppen für Verfahren der komplementären Medizin, wie z. B. für die Akupunktur, die sogenannte Reverse Research Strategy: Anders als bei der üblichen pharmakologischen Forschung sieht diese Strategie vor, bei traditionellen Therapieverfahren wie der Akupunktur, für die es durch die z. T. jahrhundertelange Anwendungstradition ein großes Erfahrungswissen gibt, zunächst die Therapiesicherheit und dann die Wirksamkeit unter Routinebedingungen zu untersuchen, bevor die spezifische Wirksamkeit und der Wirkmechanismus Gegenstand der Forschung sind [23, 24].

Diese Forschungsstrategie wurde auch in die Research Roadmap für Komplementärmedizin im von der EU geförderten CAMbrella Projekt aufgenommen [25] und bildet die Grundlage für die weitere Erforschung der Akupunktur. Im Weiteren wird auf die aktuelle Evidenzlage der Akupunktur bei Schmerzerkrankungen, Allergien und weiteren Erkrankungen eingegangen.

Akupunktur bei chronischen Schmerzen

Die Modellvorhaben zur Akupunktur in Deutschland zeigten die Wirksamkeit bei den untersuchten vier chronischen Schmerzerkrankungen Migräne, Spannungskopfschmerz, Gonarthrose und LWS-Schmerzen unter Routinebedingungen ([4, 6]; Tab. 1). Allerdings fand sich nur in einer der großen acht randomisierten Acupuncture Randomised Trials (ART) und German-Acupuncture-Trials-(GERAC-)Studien, die im Rahmen der Modellvorhaben in Deutschland durchgeführt wurden, ein eindeutiger Hinweis auf eine spezifische Wirksamkeit, was von vielen Kritikern [9] bemängelt wurde: Ist die Akupunktur lediglich eine Placebotherapie?

Dies war auch der Hintergrund, vor dem die mit internationalen Experten besetzte und in den USA primär angesiedelte Acupuncture Trialist’s Cooperation (ATC-Gruppe) gegründet wurde mit dem Ziel, im Rahmen einer großen Metaanalyse von Patientendaten die Therapieeffekte von Akupunktur bei chronischen Schmerzerkrankungen in den zur Verfügung stehenden qualitativ hochwertigen Studien zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Studien wurden in sogenannten Effektgrößen angegeben, wobei eine Effektgröße bis 0,40 als „kein therapeutischer Effekt“ interpretiert wurde und Werte von 0,4 bis 0,6 als „mittlerer“ bzw. größer 0,6 als „großer therapeutischer Effekt“. Die Ergebnisse von den 29 eingeschlossenen Studien bei 17.922 Patientinnen und Patienten zeigten, dass Akupunktur bei allen Schmerzindikationen in der Routineversorgung mit mittleren Effektgrößen von 0,42–0,57 wirksam ist [26]. Es zeigten sich auch in allen Studien signifikante Effekte von Akupunktur gegenüber Sham-Akupunktur bei allen Schmerzerkrankungen; allerdings wurden bei diesem Vergleich nur kleine Effektgrößen von 0,15–0,25 ermittelt.

Auch ein Update der genannten Studie im Jahr 2018 zeigte unter dem Einschluss von 39 Studien mit 20.827 aufgenommenen Patientinnen und Patienten ein nahezu identisches Bild mit einer kleinen Effektgröße von 0,2, mit einem signifikanten Unterschied von Akupunktur vs. Sham-Akupunktur bei allen Schmerzindikationen (alle p < 0,001) und einer mittleren Effektgröße von 0,5 Akupunktur in der Routineversorgung [27]. Dabei waren die Effektgrößen der Akupunktur in der Routineversorgung bei den verschiedenen Schmerzerkrankungen sehr unterschiedlich: Arthroseschmerzen: 0,63 (95 %-Konfidenzintervall (KI) 0,56–0,69), muskuloskelettale Schmerzen: 0,54 (95 %-KI 0,50–0,57), chronische Kopfschmerzen: 0,44 (95 %-KI 0,39–0,48). Auch beim Vergleich der Akupunktur zur Sham-Akupunktur fanden sich je nach Diagnose Unterschiede in den Effektgrößen: Arthroseschmerz: 0,24 (95 %-KI 0,17–0,31), muskuloskelettaler Schmerz: 0,30 (95 %-KI 0,21–0,38), Schulterschmerz: 0,57 (95 %-KI 0,44–0,69), chronischer Kopfschmerz: 0,16 (95 %-KI 0,08–0,25). Es fand sich auch eine eindeutige Evidenz zur Wirkdauer des Akupunktureffekts mit einem Wirkverlust von ca. 15 % nach einem Jahr.

Nach 20 Jahren intensiver klinischer Forschung zeigt sich, dass die Akupunktur bei vielen untersuchten Indikationen in der Routineversorgung wirksam ist und spezifische Effekte zeigt (Tab. 2). Aus diesem Grund wurde sie zunehmend interessanter für die Darstellung und Publikation in hochrangigen wissenschaftlichen Journalen [28]. Seit einigen Jahren wird Akupunktur, insbesondere bei chronischen Schmerzerkrankungen, auch zunehmend in medizinische Leitlinien aufgenommen, z. B. bei chronischen LWS-Schmerzen [29, 30].

Tab. 2 Evidenz für Akupunktur bei chronischen Schmerzerkrankungen: Stand Mai 2019

Für das Gesundheitssystem ist vor allem relevant, ob durch die Akupunktur Kosten reduziert werden können. Bei den gesundheitsökonomischen Analysen zeigte sich, dass die Durchführung von Akupunktur in der Regel mit mehr Kosten verbunden ist. Allerdings zeigte sich in allen Schmerzstudien, dass Akupunktur kosteneffektiv ist, d. h., dass die Patientinnen und Patienten als Gegenwert eine deutlich bessere Lebensqualität erhalten (gemessen in qualitätskorrigierten Lebensjahren, QALYs; [31,32,33,34]).

Sham-kontrollierte Studien bei Schmerzerkrankungen sind seit längerer Zeit bei Akupunkturforschern in der Diskussion, da die Sham-Akupunktur keinem inerten Placebo entspricht. Zudem wird immer wieder kritisch darauf hingewiesen, dass in der Akupunktur, wie bei vielen anderen komplexen Therapieverfahren, keine doppelt verblindeten Studien möglich wären, da eine bewusste oder unbewusste Beeinflussung der Patientinnen und Patienten durch die Prüfärztinnen und Prüfärzte nicht vermieden werden kann. Die Ergebnisse einer Metaanalyse von 37 Studien mit 5754 Patientinnen und Patienten zeigte, dass auch Sham-Akupunktur eine Effektgröße von −0,45 vs. „keine Behandlung“ hat und dass Studien mit einem größeren Effekt der Sham-Akupunktur vs. „keine Behandlung“ zugleich einen signifikant kleineren Effekt (p = 0,029) der Akupunktur vs. Sham-Akupunktur haben [35].

Daher wird zunehmend der primäre Vergleich von Akupunktur vs. Standardtherapie oder Routinebehandlung bei Schmerzerkrankungen in klinischen Studien empfohlen. Insgesamt muss davon ausgegangen werden, dass ein eher kleinerer Teil des Akupunktureffekts durch einen spezifischen Effekt verursacht wird und ein größerer Teil durch sogenannte unspezifische bzw. Kontextfaktoren. Wie diese Faktoren durch die Verbesserung der Kommunikation bzw. Empathie gesteigert werden, konnte in einer Studie eindrucksvoll bewiesen werden [36], ebenfalls, dass ein großer Teil des Effekts durch die Erwartungshaltung maßgeblich beeinflusst wird [37].

Akupunktur bei allergischen Erkrankungen

Zwischen 27 % und 46 % der Patientinnen und Patienten mit saisonaler allergischer Rhinitis (SAR) nehmen komplementärmedizinische Methoden in Anspruch: Akupunktur wird bei Allergien mit einer Lebenszeitprävalenz von ca. 19 % relativ häufig eingesetzt [38]. Dabei war die Evidenz von Akupunktur lange Zeit unklar. Das zeigten auch die Ergebnisse einer systematischen Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2008, in die insgesamt 7 randomisierte Studien eingeschlossen wurden; bis auf 2 Studien hatten alle anderen eine niedrige Studienqualität [39]. Die Schlussfolgerung der Autoren war, dass die damalige Evidenz nicht ausreichte, um den Einsatz der Akupunktur bei Allergien zu unterstützen. Die Autoren empfahlen die Initiierung von qualitativ hochwertigen Studien zur Verbesserung der Evidenz.

Seit dem genannten Review sind weitere Studien publiziert worden. Im Rahmen einer großen dreiarmigen teilrandomisierten pragmatischen Multicenterstudie mit 5237 Allergiepatienten konnte gezeigt werden, dass die Gruppe der Patientinnen und Patienten, die (randomisiert oder nichtrandomisiert zugeteilt) Akupunktur in den ersten drei Monaten zusätzlich zur Routinebehandlung erhielten, nach 12 Wochen ein besseres Ergebnis erzielte als die Gruppe, die nach Randomisierung in den ersten 3 Monaten nur die Routinetherapie, aber keine Akupunktur erhielt [40]. In einer dreiarmigen randomisierten kontrollierten Multicenterstudie mit 422 Patientinnen und Patienten fanden sich Hinweise auf eine spezifische Wirksamkeit der Akupunktur bei SAR. Patientinnen und Patienten in der Akupunkturgruppe hatten nach 8 Wochen eine höhere spezifische Lebensqualität und nahmen weniger Antihistaminika als Bedarfsmedikation ein im Vergleich zu denen, die eine Sham-Akupunktur oder nur Bedarfsmedikation erhalten hatten [41]. Interessanterweise fanden sich in dieser Studie auch im Folgejahr noch signifikant bessere Effekte in der Akupunkturgruppe im Vergleich zur Sham-Akupunkturgruppe, ohne dass die Patientinnen und Patienten weitere Akupunkturbehandlungen erhielten. Dies bestätigt die Erfahrungen von Therapeutinnen und Therapeuten und weist auf einen Langzeiteffekt der Akupunktur bei SAR hin.

Auch in einer weiteren randomisierten kontrollierten Studie bei 175 Patientinnen und Patienten mit SAR war die Akupunktur der Sham-Akupunktur hinsichtlich der Symptomreduktion und der Verbesserung der spezifischen Lebensqualität überlegen [42]. Ergebnisse einer koreanisch-chinesischen randomisiert kontrollierten Multicenterstudie bei 238 Patientinnen und Patienten mit persistierender allergischer Rhinitis (PAR) zeigten ebenfalls spezifische Effekte der Akupunktur bei nasalen Beschwerden im Vergleich zu einer Sham-Kontrolle; allerdings fanden sich in dieser Studie keine Unterschiede bei den nichtnasalen Beschwerden, wie z. B. Konjunktivitis [43].

In einem systematischen Review wurden die Ergebnisse von 13 RCT-Studien (publiziert bis Juni 2013) mit insgesamt 2365 Allergiepatienten zusammengefasst: Es zeigte sich ein signifikanter Unterschied der Akupunktur gegenüber den Kontrollgruppen hinsichtlich der Verbesserung der nasalen Beschwerden, der Einnahme von antiallergischer Bedarfsmedikation und dem Rückgang der IgE-Antikörper [44], nicht aber hinsichtlich der spezifischen Lebensqualität. Die Autoren kamen zu der Schlussfolgerung, dass Akupunktur eine sichere und valide Therapieoption bei Patientinnen und Patienten mit allergischer Rhinitis sein kann.

In den USA wurde die Akupunktur unter dem Statement 13 in die klinische Leitlinie für die Hals-Nasen-Ohren-(HNO-)Praxis aufgenommen [45]: Die Schlussfolgerung dieser Empfehlung ist, dass Kliniker Patienten, die an einer nichtpharmakologischen Therapie interessiert sind, entweder selber Akupunktur anbieten oder sie an einen Akupunkturtherapeuten verweisen. In der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie wird die Akupunktur derzeit noch nicht empfohlen, auch weil es inzwischen qualitativ hochwertige Studien zur Wirksamkeit und Verträglichkeit der spezifischen Immuntherapie gibt [46], sodass dieser Therapie der Vorzug gegenüber einer symptomatischen Therapie gegeben wird.

Die Ergebnisse der Kostenanalyse in einer Studie [41] zeigten, dass Akupunktur in den ersten 4 Monaten nach Beginn der Intervention mit höheren Kosten verbunden ist. Die Patientinnen und Patienten der Akupunkturgruppe hatten jedoch auch signifikant höhere QALYs im Vergleich zur Bedarfsmedikationsgruppe, allerdings war die Akupunktur nach 4 Monaten nicht kosteneffektiv [47].

Der Wirkmechanismus von Akupunktur bei allergischer Rhinitis ist derzeit unklar und bedarf weiterer Erforschung. Eine Hypothese ist, dass Akupunktur durch ein komplexes neuroendokrinimmunologisches Netzwerk wirkt, da bekannt ist, dass Akupunktur auf verschiedenen Ebenen antiinflammatorische Effekte (z. B. antihistaminerge Effekte, Down-Regulation von proinflammatorischen Zytokinen und proinflammatorischen Neuropeptiden) in Untersuchungen aufweist [48]. Trotz der derzeitig positiven klinischen Evidenz der Akupunktur bei allergischen Erkrankungen wird diese erst dann vollständig akzeptiert sein, wenn es gelingt, mindestens eine der oben genannten Hypothesen zum spezifischen Wirkmechanismus zu bestätigen.

Akupunktur bei anderen Erkrankungen

Akupunktur wird bei einer Vielzahl von weiteren Erkrankungen eingesetzt, darunter insbesondere Erkrankungen des Bewegungsapparates, aber auch internistische Erkrankungen (z. B. koronare Herzerkrankung, Reizdarmsyndrom, chronisch entzündliche Darmerkrankungen), neurologische (Polyneuropathie, multiple Sklerose, Schlaganfall) und psychische Erkrankungen (Depression). Ziel einer australischen Arbeitsgruppe war es, sich einen Überblick über den Forschungsstand zu verschaffen. Zu diesem Zweck wertete sie insbesondere systematische Reviews mit Metaanalysen aus, darunter insgesamt 159 qualitativ hochwertige Cochrane-Reviews [49]. Eine positive Evidenz fand sich nach der Analyse der Daten bei den folgenden Indikationen: allergische Rhinitis, Migräneprophylaxe, Spannungskopfschmerz, Halswirbelsäulen-(HWS-) und LWS-Schmerzen, Knieschmerzen, Schmerzen und Übelkeit nach einer Operation sowie chemotherapieinduzierte Übelkeit. Bei 38 anderen Indikationen lagen positive RCTs vor (u. a. ambulante Anästhesie, Menopausensyndrom, Reizdarmsyndrom, Apoplexie), bei 71 Indikationen war die Evidenz nicht ausreichend (u. a. bei Alzheimer, Tinnitus), bei 5 Indikationen gab es keinen Hinweis auf Wirksamkeit (u. a. bei Alkohol‑, Nikotin- und Kokainentzug).

Im letzten Jahrzehnt wurden in China zunehmend hochwertige RCT-Studien zur Wirksamkeit von Akupunktur bei großen Patientenpopulationen mit unterschiedlichen Erkrankungen durchgeführt, u. a. eine negative Studie beim polyzystischen Ovarsyndrom [50], eine positive Studie bei schwerer funktionaler Obstipation [51], eine positive Studie bei Stressharninkontinenz [52], eine positive Studie bei klimakterischen Beschwerden mit einem klinisch nicht relevanten Effekt [53] und eine positive Studie bei stabiler Angina-Pectoris-Symptomatik [54].

Studien zur Wirksamkeit von Moxibustion

Es liegen sehr viel weniger Studien zur Moxibustion vor im Vergleich zur Akupunktur. Das liegt zum einen daran, dass sehr viel weniger Moxibustion als Akupunktur durchgeführt wird, aber auch weil sich Moxibustion aufgrund der Kombination aus der Wärme- und Geruchskomponente sehr viel schlechter verblinden lässt. Außerdem wird Moxibustion oft in Kombination mit Akupunktur angewendet und nicht als singuläres Verfahren. Bisher ist es auch nicht gelungen, ein Sham- oder Placeboverfahren für Moxibustion zu entwickeln [55]. In der Praxis wird Moxibustion über den Akupunkturpunkt Bl 67 häufig ohne Kombination mit Akupunktur bei Beckenfehllage in der späten Schwangerschaft eingesetzt. In einer italienischen RCT-Studie mit 130 Patientinnen in der 33. Schwangerschaftswoche (SSW) fand sich nach 1‑ bis 2‑wöchiger Moxibustion eine signifikant höhere Wendungsrate im Vergleich zu der Gruppe, die nur eine Routinebehandlung erhielt [56]. Diese Ergebnisse wurden durch eine spanische dreiarmige RCT-Studie mit 409 Frauen in der 32.–35. SSW bestätigt. Hier kam es unter der Moxibustion des Punktes Bl 67 häufiger zur Wendung (58 %) als unter der Moxibustion des Punktes Mi 1 (43 %) und unter Routinebehandlung (45 %; [57]). Weitere Studien liegen z. B. zur Wirksamkeit von Moxibustion bei Herpes Zoster [58] und in Kombination mit Akupunktur bei Morbus Crohn vor [59].

Therapiesicherheit

Kein komplementärmedizinisches Therapieverfahren ist bezüglich der Nebenwirkungen so gut untersucht wie die Akupunktur. Alle bisherigen Untersuchungen zeigen, dass Akupunktur ein relativ sicheres und nebenwirkungsarmes Therapieverfahren ist, wenn es fachgerecht appliziert wird. Allerdings kann es in seltenen Fällen auch z. T. zu schweren Komplikationen kommen. In einer englischen Studie mit 9408 Patientinnen und Patienten und nach insgesamt über 30.000 Akupunkturbehandlungen, die von nichtärztlichen Therapeutinnen und Therapeuten durchgeführt wurden, wurden insgesamt 10,7 % Nebenwirkungen dokumentiert. Neben Hämatomen und Blutungen traten v. a. Ermüdung (3,6 %) und verlängertes Schmerzempfinden (1,6 %) auf [60]. Autoren einer deutschen Studie fanden nach Berichten von 7050 Ärzten insgesamt 7,1 % Patienten mit Nebenwirkungen bei 760.000 Behandlungen, zumeist Nadelschmerz (3,3 %) und Hämatome (3,2 %; [61]). Studienergebnisse einer mit 229.230 Patienten noch größeren Population, die ca. 2,2 Mio. Behandlungen erhielt, zeigten in 8,6 % mindestens eine Nebenwirkung, wobei die häufigsten Nebenwirkungen Blutungen/Hämatome (6,2 %), Schmerz (1,7 %) und vegetative Symptome (0,7 %) waren [62]. In dieser Studie fanden sich auch 2 Patienten mit einem durch Akupunktur verursachten Pneumothorax (Häufigkeit 1:1 Mio. Behandlungen), der aber nicht lebensgefährlich war und nicht invasiv behandelt werden musste. Die Autoren dieser Arbeit wiesen in ihrer Zusammenfassung auf die Bedeutung einer adäquaten Aufklärung mit Einholen eines schriftlichen Einverständnisses der Patientinnen und Patienten hin und präsentierten eine Version einer solchen Patienteninformation [62]. Dieser Patienteninformation kommt eine wichtige Bedeutung zu, da zwar in seltenen Fällen, aber immer wieder von schweren Komplikationen berichtet wird, die insbesondere Organverletzungen und die Übertragung von Infektionskrankheiten betreffen; Todesfälle sind beschrieben worden [9].

Fazit

Akupunktur hat sich in den letzten 3 Jahrzehnten von einer Außenseitermethode – aus der Traditionellen Chinesischen Medizin kommend – zu einem zunehmend akzeptierten Therapieverfahren in der westlichen Welt entwickelt, insbesondere bei Schmerzerkrankungen, aber auch bei anderen Indikationen, wie z. B. bei allergischen Erkrankungen. Akupunktur ist zudem eine relativ sichere Therapiemethode. Die zusätzlichen Gesamttherapiekosten erscheinen insbesondere bei den Schmerzindikationen durch den Gewinn an Lebensqualität gerechtfertigt. Die spezifische Wirksamkeit von Akupunktur ist aktuell Gegenstand von vielen experimentellen Studien, die das komplizierte System der Wirkmechanismen untersuchen. Erst wenn die Wirkmechanismen eindeutig und nachvollziehbar identifiziert sind, wird die Akupunktur vorbehaltlos in die konventionelle Medizin integriert werden und der Weg vom Mythos zur Evidenz somit erfolgreich abgeschlossen sein.