Suchstrategie
Zur Identifikation aller für die Analyse relevanten Artikel zur Inanspruchnahme von Leistungen bei Demenz oder Krankheitskosten von MmD wurde eine systematische Literaturrecherche auf PubMed und Springer Link im Dezember 2018 durchgeführt. Die Suchstrategie ist im Online-Zusatzmaterial dargestellt. Die genutzten Suchbegriffe waren „Alzheimer“ und „Dementia“. Der Begriff „Dementia“ wurde verwendet, um alle Formen der Demenz, wie die vaskuläre oder die frontotemporale Demenz, neben der Alzheimererkrankung mit einzuschließen. Beide Begriffe wurden über „Und-“ bzw. „Oder-“Verknüpfungen mit den Begriffen „Resource Utilization“ („Inanspruchnahme“) und „Cost“ („Kosten“) in Verbindung gebracht. Bei den Begrifflichkeiten wurde auf Unterschiede in der britischen und amerikanischen Schreibweise geachtet. Die Suche inkludierte Studien in englischer und deutscher Sprache. Einschlägige Studien mussten in Deutschland durchgeführt worden sein oder Daten aus Deutschland beinhalten sowie in den letzten zehn Jahren (30.11.2009–01.12.2019) publiziert worden sein.
Selektion der Literatur
Artikel wurden in die Analyse einbezogen, wenn sie a) Angaben zur Inanspruchnahme von medizinischen, pflegerischen und nichtmedizinischen Leistungen oder aber zur informellen Pflege und den Produktivitätsverlusten (Reduktion der Arbeitszeit, frühzeitige Aufgabe der Arbeit) pflegender Angehöriger oder b) Krankheitskosten sowie die Möglichkeit zur Ermittlung der Daten zur Inanspruchnahme aus diesen Kosten, z. B. über standardisierte Bewertungssätze, beinhalteten. Studien, die die Zusatzkosten der Demenz über einen Vergleich mit gleichaltrigen Menschen ohne eine Demenz ermittelt haben, wurden ebenfalls über die oben genannte Suchstrategie gefunden und eingeschlossen.
Studien, welche keine Daten aus Deutschland beinhalteten sowie keine Möglichkeit der Ermittlung der Inanspruchnahme von Leistungen ermöglichten, wurden ausgeschlossen. Aufgrund dessen, dass sich das Inanspruchnahmeverhalten von zu Hause und im Heim lebenden MmD stark unterscheidet und eine Berechnung der gesamten Krankheitskosten der Demenz nur über eine separierte Berechnung der Kosten der beiden Wohnsituationen möglich ist, wurden zudem Studien ausgeschlossen, die keine klare Trennung zwischen zu Hause lebenden und im Heim lebenden MmD auswiesen.
Extraktion der Daten
Die Daten zur Inanspruchnahme von folgenden Leistungen wurden extrahiert: Ambulante ärztliche Versorgung, Krankenhaus und Rehabilitation, Antidementiva und sonstige Medikamente, Heilmittel, Hilfsmittel, ambulante, teilstationäre und vollstationäre Pflege, informelle Pflege und Produktivitätsverluste. Transportkosten und Kosten für den Menübringdienst wurden aufgrund von nur sehr wenigen Daten nicht berücksichtigt. Zur Darstellung der Inanspruchnahme wurden die Studien selektiert und den unterschiedlichen Wohnsituationen (zu Hause lebend vs. im Heim lebend) sowie der Exposition (MmD vs. Menschen ohne Demenz) zugeordnet. Der Einbezug von Stichproben gleichaltriger Menschen ohne eine Demenz ermöglichte einen Rückschluss auf die Zusatzkosten der Demenz, die sich lediglich aufgrund des Vorhandenseins dieser Erkrankung ergeben. Eine Übersicht über die jeweiligen genutzten Ressourcen und die Art und Weise der Extraktion ist in der Tab. 1 dargestellt.
Tab. 1 Standardisierte Bewertungssätze für die Berechnung der jährlichen Pro-Kopf-Kosten für Menschen mit Demenz (MmD) Neben den Daten zur Inanspruchnahme wurden auch studien- und patientenbezogene Basisdaten extrahiert. Zur Charakteristik der Patienten wurden neben dem Alter und dem Geschlecht auch die Lebenssituation (alleine vs. nicht alleine lebend), die Art und Weise der Erkennung der Demenz (Diagnose, kognitive Einschränkungen etc.) sowie der Demenzschweregrad unter Nutzung des Mini-Mental Status Test (MMST) erfasst [18]. Zu den studienbezogenen Daten gehörten das Jahr der Publikation, der Studienname, die Stichprobengröße, die Natur der Daten (sekundär vs. primär), der Erhebungszeitraum, der Zeithorizont der Datenabfrage (Zeitraum, in dem die angegebenen Ressourcen genutzt wurden) sowie die Perspektive (Kostenträger vs. Gesellschaft). Während die Perspektive der Kostenträger sämtliche direkte medizinische und nichtmedizinische Leistungen und deren Kosten beinhaltet, welche durch die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen getragen werden, inkludiert die gesamtgesellschaftliche Perspektive zusätzlich auch die von den Angehörigen geleistete informelle Pflege sowie die Produktivitätsverluste pflegender Angehöriger.
Metaanalyse
Die Metaanalyse wurde auf Grundlage der Vorgaben der PRISMA-Empfehlungen (Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses) durchgeführt [19]. Die durchschnittliche Inanspruchnahme (IØ) wurde separiert für die jeweiligen Wohnsituationen sowie die Exposition für jede einzelne Leistungsart (j) unter Nutzung der Stichprobengröße der jeweiligen Studien (ni) als relatives Gewicht berechnet. Alle verfügbaren Inanspruchnahmedaten (Iij) wurden mit der jeweiligen Stichprobengröße (ni) multipliziert und durch die aufsummierte Gesamtstichprobengröße (∑ni) dividiert. Je höher die Stichprobe einer Studie, desto höher die Gewichtung. Die Berechnung der gewichteten Inanspruchnahme unterschiedlicher Leistungen ist in der nachfolgenden Formel dargestellt.
$$I^{\varnothing} = \frac{\sum_{i=0}^{n} I_{ij} \ast{} n_{i} }{ \sum_{i=0}^{n} n_{i}}$$
-
I
Ø
:
-
Gewichtete Inanspruchnahme
-
I
ij
:
-
In der Studie i jeweils ausgewiesene Inanspruchnahme der Leistung j
-
n
i
:
-
Stichprobengröße der Studie i
Kostenberechnung
Unter der Nutzung standardisierter Bewertungsansätze [20] konnten die jährlichen Pro-Kopf-Kosten der MmD sowie der gleichaltrigen Menschen ohne Demenz ermittelt werden. Die Kosten wurden aus der Kostenträgerperspektive sowie der gesamtgesellschaftlichen Perspektive zusammengefasst.
Die Kosten für die informelle Pflege wurden nach dem Substitutionskostenansatz unter der Annahme berechnet, dass die Pflege von einer professionellen Pflegefachkraft durchgeführt wurde, mit einem Bruttostundenlohn zzgl. Nebenkosten eines in der Pflege arbeitenden Arbeitnehmers von 22,69 €. Dabei wurde lediglich der Zeitaufwand für die Unterstützung bei den Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) sowie für die instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL) berücksichtigt. Produktivitätsverluste pflegender Angehöriger wurden über die Opportunitätskosten als entgangener Nutzen an Arbeitszeit unter Verwendung des durchschnittlichen Bruttostundenlohnes der Arbeitnehmer in Deutschland zzgl. Nebenkosten berechnet (26,35 € pro Stunde; [21]).
In einer Sensitivitätsanalyse wurde zur monetären Bewertung der informellen Pflege die informelle Pflegezeit, inklusive der benötigten Zeit für die Supervision des MmD, unter Verwendung der Opportunitätskosten für den entgangenen Nutzen an Freizeit herangezogen (Ø in Mitteleuropa: 11,83 € pro Stunde; [22]). Lagen die Bewertungssätze für das Jahr 2019 nicht vor, wurden die Sätze inflationiert. Die standardisierten Bewertungssätze sowie die Substitutions- und Opportunitätskosten sind in Tab. 1 dargestellt.
Die Gesamtkosten der MmD in Deutschland sind abhängig vom Verhältnis der im Heim bzw. in der Häuslichkeit lebenden Personen. Die Alzheimer Gesellschaft gab an, dass etwa ein Drittel der MmD in vollstationärer Pflege lebt [1]. Dem Statistischen Bundesamt zufolge leben 29 % der über 65-Jährigen in einem Pflegeheim [23]. Dieser Prozentsatz wurde genutzt, um die jährlichen Pro-Kopf-Kosten der MmD zu berechnen. Diese wurden im Anschluss den Kosten der nicht an Demenz erkrankten Vergleichspersonen gegenübergestellt, um die Zusatzkosten der Demenz zu ermitteln.
Vorausberechnung
Basierend auf der Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes und der vorausberechneten Prävalenz der Demenz konnten die Kosten aller MmD im Vergleich zu den Kosten der gleichaltrigen Bevölkerung von heute und für die Zukunft vorausberechnet werden [23]. Aufgrund der Möglichkeit einer Doppelzählung der Kosten der Produktivitätsverluste aufgrund der informellen Pflege sowie der Kosten der informellen Pflege selbst wurden die Produktivitätsverluste nicht in der Gesamtkostenberechnung berücksichtigt. Die Vorausberechnung wurde inflationsbereinigt durchgeführt.