Ausgangslage

Gesundheitsförderung und Prävention gelten im Setting der stationären pflegerischen Versorgung in Deutschland nach wie vor als eher nachrangige Themen. Diesem Umstand liegt eine Denkweise zugrunde, wonach Gesundheitsförderung den Beginn einer idealtypisch vorgestellten Versorgungskette markiert und sich vorrangig an noch gesunde Menschen richtet, während Pflege am Ende eines Versorgungsverlaufs bereits eingetretene Einschränkungen oder Behinderung versorgen und so weit wie möglich kompensieren soll [1]. Letzteres gilt in besonderer Weise für die stationäre pflegerische Langzeitversorgung, die sich – was die gesundheitliche Lage der Heimpopulation betrifft – erheblich wandelt, befördert auch durch die Einführung der Pflegeversicherung Mitte der 1990er-Jahre.

Anfang der 1970er-Jahre lag das durchschnittliche Heimeintrittsalter noch bei rund 72 Jahren und stieg bis Mitte der 2000er-Jahre bereits auf deutlich über 80 Jahre an [2]. Die in der Pflegeversicherung angelegten Prinzipien zum Vorrang der ambulanten gegenüber der stationären Versorgung haben – verbunden mit dem verbreiteten Wunsch pflegebedürftiger Menschen, so lange wie möglich in der eigenen Häuslichkeit versorgt zu werden [3] – diese Entwicklung forciert. Gleichzeitig wird – bei einer insgesamt jedoch recht dürftigen Datenlage – eine abnehmende Verweildauer in stationären Pflegeeinrichtungen befundet. So verbrachten einer Studie zufolge Pflegebedürftige 2014 im Schnitt 27,1 Monate in einer Einrichtung – über 5 Monate weniger als noch 2007 [4].

Sowohl der spätere Heimeintritt als auch kürzere Verweildauern sind Indikatoren für eine veränderte Klientel in der stationären pflegerischen Versorgung, die durch sehr hohes Alter, chronische Erkrankungen, erhebliche Funktionseinschränkungen, häufig auch kognitive Beeinträchtigungen und multimorbide Zustände gekennzeichnet ist [5]. Hieraus resultieren höchste Vulnerabilität und erhebliche Pflegebedarfe, die sich in den – im Vergleich zur häuslichen Versorgung – verbreitet höheren Pflegegraden in der Heimversorgung abbilden.

Vor diesem Hintergrund erscheint eine intensivere Beschäftigung mit Gesundheitsförderung und Prävention insbesondere in der stationären Pflege zunächst nicht vorrangig. Eine Expertenbefragung zur nutzerorientierten Gesundheitsförderung in der stationären Langzeitversorgung [6] belegt zum einen die verbreitete Priorisierung zugunsten notwendiger therapeutischer und medizinisch-pflegerischer Versorgung und gibt zum anderen Hinweise auf ein uneinheitliches und eher diffuses Verständnis von Gesundheitsförderung und Prävention seitens der Pflegenden. Hierbei erscheint insbesondere die Abgrenzung von gesundheitsförderlichem, präventivem und medizinisch-pflegerischem Handeln teilweise unklar. Eine nachrangige Beschäftigung mit Gesundheitsförderung in der Pflege ist jedoch nicht angemessen. Für das Konzept der Gesundheitsförderung ist konstituierend, dass Menschen in unterschiedlichsten Gesundheitszuständen, Lebenslagen und Altersgruppen sinnvolle Adressaten für gesundheitsbewahrendes und -förderndes Denken und Handeln sind.

Zielsetzung dieses Beitrags ist es, Überlegungen zu einem spezifischen Verständnis von Gesundheitsförderung im Setting der stationären pflegerischen Versorgung – im Sinne von Herausforderungen und Möglichkeiten – darzustellen, dabei die hohe Relevanz von Gesundheitsförderung in Institutionen aufzuzeigen und daran anknüpfend grundlegende Ansatzpunkte für gesundheitsförderliches Handeln in der Langzeitversorgung in Bezug auf eine höchst vulnerable Zielgruppe zu reflektieren.

Gesundheitsförderung im hohen Lebensalter

Die Begriffe Gesundheitsförderung und (primäre, sekundäre sowie tertiäre) Prävention werden häufig unscharf und bisweilen auch synonym verwendet. In diesem Beitrag wird im Weiteren der Begriff der Gesundheitsförderung als handlungsleitendes Prinzip zur Aufrechterhaltung und Stärkung gesundheitsrelevanter Potenziale, Funktionen und Kompetenzen gewählt, der Begriff der Prävention findet in diesem Zusammenhang keine weitere Anwendung. An dieser Stelle nur ein knapper Abriss zur Abgrenzung beider Konzepte:

Beide Begriffe stehen für grundlegend unterschiedliche Konstrukte mit je eigenen theoretischen Implikationen und Perspektiven auf Gesundheit und Krankheit. Während Prävention einem klassisch pathogenetischen Denken entspringt, welches vor dem Hintergrund (potenziell) krankheitsverursachender Risiken bemüht ist, schädigende Einflüsse auf die Gesundheit abzuwehren oder zu minimieren, folgt die Gesundheitsförderung dem salutogenetischen Paradigma von Aaron Antonovsky [7,8,9]. Dieses geht unter anderem von der Prämisse eines Gesundheitskontinuums aus, das die Relativität von Gesundheit und Krankheit kennzeichnet. Demnach wird der Erhalt von Gesundheit als dynamisches Geschehen begriffen, das permanent in Beziehung zu Störfaktoren und Krankheitszuständen austariert werden muss. Im Gegensatz zur dichotomen Vorstellung von Gesundheit und Krankheit in der pathogenetischen Denktradition geht die Salutogenese davon aus, dass kein Individuum durch vollkommene Gesundheit oder vollkommene Krankheit charakterisierbar ist, sondern stets „gesunde“ und „kranke“ Anteile vereint. In diesem Zusammenhang kommt der Förderung von gesundheitsbezogenen Ressourcen die Aufgabe zu, die Position einer Person auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum so nahe wie möglich am Zustand „Gesundheit“ zu halten bzw. die Entstehung eines Ungleichgewichts in Richtung „Krankheit“ zu verhindern.

Der hier zugrunde gelegte relative Gesundheits- und Krankheitsbegriff ist insbesondere an die Gegebenheiten des hohen Lebensalters anschlussfähig. Im Gegensatz zum jungen und mittleren Erwachsenenalter gilt für das sehr hohe Lebensalter, dass Gesundheit in dieser Lebensphase nicht die völlige Abwesenheit von Einschränkungen und Krankheitsprozessen bedeuten kann, sondern als Zustand einer dem Lebensalter angemessenen Funktionsfähigkeit zu begreifen ist, die Einfluss nimmt auf den Erhalt von Selbstständigkeit, Selbstbestimmung, Wohlbefinden und Lebensqualität [10]. Insbesondere sehr alte Menschen laufen dabei angesichts von (chronischen) Krankheitsprozessen und Funktionseinbußen Gefahr, auf dem Gesundheitskontinuum zunehmend in ein Ungleichgewicht von abnehmenden Ressourcen einerseits und wachsenden Risiken andererseits zu geraten. Damit sind auch wesentliche Ansatzpunkte von Gesundheitsförderung im sehr hohen Lebensalter beschrieben: Vorhandene physische, psychische und soziale Ressourcen in einer besonders vulnerablen Zielgruppe sind zu identifizieren und mit Blick auf den Erhalt von Selbstständigkeit und Selbstbestimmung, Wohlbefinden und Lebensqualität zu stärken; weiteren Ressourcenverlust gilt es zu verhindern. Dies betrifft in besonderem Maße bereits eingeschränkte und hilfebedürftige Personen, wie sie im Setting der stationären Pflege vorherrschen. Zu betonen ist hier nochmals, dass in jeder Lebensphase – auch bei dauerhaften körperlichen, kognitiven oder sozialen Einbußen – wenigstens ein Mindestmaß an Ressourcen und Potenzialen existiert [11].

Durch welche spezifischen Herausforderungen ist nun gesundheitsförderliches Handeln in der pflegerischen Langzeitversorgung vor dem bis hierher skizzierten Hintergrund charakterisierbar?

Herausforderungen für Gesundheitsförderung im Setting der stationären Pflege

Die spezifischen Bedingungen, denen sich gesundheitsförderliches Handeln in der stationären Pflege gegenübersieht, können in drei Bereiche kategorisiert werden, die in Wechselwirkungen zueinanderstehen: (1) zunehmend komplexe therapeutische und medizinisch-pflegerische Versorgungsprozesse, (2) hohe Arbeitsbelastung der Pflegekräfte sowie (3) Defizite im Hinblick auf Konzeptionen zur nachhaltigen Integration von gesundheitsförderlichem Denken und Handeln in das tägliche Versorgungsgeschehen.

Der oben skizzierte Wandel der Bewohnerstruktur in Einrichtungen führt zu veränderten Tätigkeitsanforderungen für Pflegekräfte. Die Versorgung einer zunehmenden Zahl von physisch und/oder kognitiv erheblich eingeschränkten Bewohnern mit hohen Pflegegraden erfordert zwangsläufig Schwerpunktsetzungen in den Arbeitsabläufen, die oftmals auf eine zumindest implizite Unterscheidung von „notwendigen“ und „zusätzlichen“ Leistungen hinauslaufen. Gesundheitsförderliche Angebote laufen in diesem Zusammenhang Gefahr, als Zusatzleistungen betrachtet zu werden, die abhängig von vorhandenen Zeitressourcen der Pflegekräfte Versorgungsbestandteil sind oder nicht.

Dieser Umstand ist nachvollziehbar eng verknüpft mit der angespannten Personalsituation in vielen Pflegeeinrichtungen (hohe Arbeitsverdichtung, Fachkräftemangel bei vergleichsweise geringer Bezahlung; [12]), wodurch die Pflegekräfte selber zu einer wichtigen Zielgruppe von (betrieblicher) Gesundheitsförderung werden [13]. Obgleich in hohem Maße bedeutsam für ein umfassenderes Verständnis von Gesundheit in der (stationären) Versorgung, ist dies nicht Gegenstand dieses Beitrages.

Mit Blick auf Angebote zur Gesundheitsförderung von Pflegeheimbewohnern bleibt festzuhalten, dass hohe Arbeitsbelastung und -verdichtung grundsätzliche strukturelle Hemmnisse für kontinuierliches ressourcenorientiertes Versorgungshandeln darstellen können. Gleichzeitig sehen sich viele Pflegebedürftige angesichts wahrgenommener körperlicher oder kognitiver Einschränkungen selber gar nicht als sinnvolle Adressaten für Gesundheitsförderung und fordern daher entsprechende Angebote vom Personal selten aktiv ein.

Angesichts der beschriebenen Konstellation aus Priorisierung von medizinisch-pflegerischen Leistungen, (personal-)strukturellen Hemmnissen und verbreiteten Selbstwahrnehmungen von Bewohnern erscheint eine Verständigung aller an der Versorgung Beteiligten darüber notwendig, in welchen Versorgungsaspekten und in welcher Form Gesundheitsförderung sinnvoll integrierbar ist und wie darüber hinaus ressourcenorientiertes Denken und Handeln in alltägliche Routinen der Lebenswelt Pflegeheim einfließen kann. In Betracht kommen hierfür grundsätzlich physische, kognitive und soziale Anknüpfungen in der Alltagswelt von Pflegeheimbewohnern.

Gesundheitsförderliche Ansatzpunkte in der Lebenswelt Pflegeheim

Bewegungsförderung gilt als klassischer ressourcenorientierter Ansatz im Bereich pflegerischer Versorgung. Unbestritten sind die positiven Effekte körperlichen Trainings auch bei bereits vorliegenden Morbiditäten und Einschränkungen [14,15,16]. Es besteht in diesem Zusammenhang seit Längerem ausreichende Evidenz zu den Entwicklungspotenzialen von Bewegungsfähigkeit und weiteren funktionalen Befähigungen im hohen Alter auch bei physischen und kognitiven Beeinträchtigungen [17, 18]. Dennoch werden insgesamt niedrige Aktivitätslevel [19], ein großer Bedarf an evidenzbasierten Programmen [20] und ein Mangel an systematisch geplanten und durchgeführten Aktivierungsmaßnahmen [21] dokumentiert. Für bewegungsorientierte Strategien bieten sich dabei insbesondere individuelle Ansätze an: Empfohlene Aktivitätspläne [22] besitzen eine besondere Relevanz für Menschen, die von (Multi‑)Morbidität betroffen sind. Individuelle Bedürfnisse können hier berücksichtigt und der einzelne Bewohner zur selbstständigen körperlichen Aktivität angeregt werden. In knapp einem Drittel der Heime in Berlin/Brandenburg verfügen die Bewohner beispielsweise jedoch nicht über derartige Aktivitätspläne. Darüber hinaus fehlt es in mehr als der Hälfte dieser Heime an Anleitung und Anregung für Bewohner, um zu lernen, Alltagsbewegungen als (Trainings‑)Stimuli für die körperliche Aktivität zu nutzen [23]. Genau hierin kann jedoch ein besonders vielversprechender Ansatz gesehen werden: Die Förderung eines eigenverantwortlichen Gesundheitsverhaltens im Zusammenhang mit alltagsbezogenen Tätigkeiten erscheint – bei entsprechender Konzeptionierung – in hohem Maße integrierbar und anschlussfähig an die Lebenswelt Pflegeheim. Dies setzt voraus, individuelle Potenziale und Ressourcen bei Bewohnern zu erkennen und in alltägliche Übungen – etwa zum Erhalt von Beweglichkeit – zu übersetzen. Dies kann – je nach funktionalen Fähigkeiten – von Bewegungsübungen im Bett über alltagsintegriertes Treppensteigen bis hin zu therapeutisch begleitetem Fitnesstraining reichen. Lebensweltliche Ausrichtung in Institutionen bedeutet dabei, dass Maßnahmen in den räumlichen, strukturellen und personalen Rahmenbedingungen durchführbar sind und sich an den Tagesabläufen der Bewohner und des Pflegepersonals orientieren. Ein Beispiel für einen lebensweltlich vernetzten und ganzheitlichen Ansatz zur Bewegungsförderung stellt das Lübecker Modell „Bewegungswelten“ dar (siehe weitere Beiträge in diesem Heft).

In jedem Fall ist zu betonen, dass die Entwicklung von geeigneten Maßnahmen in einer partizipativen Form geschehen sollte, das heißt, dass interessierte Bewohner motiviert werden, sich mit ihrem lebensweltlichen Wissen aktiv an der Gestaltung von Angeboten zu beteiligen. Studien zeigen diesbezüglich die Notwendigkeit, Wünsche und Bedarfe, persönliche Präferenzen und Übungserfahrungen bei Bewohnern [24] in einem partizipativen Vorgehen zu ermitteln [25].

Auch die komplementärmedizinische Gesundheitsförderung bietet Beispiele für Ansätze, die gut an das Alltagserleben von Pflegeheimbewohnern anknüpfen können. Sie umfasst Bereiche der Tagesstrukturierung (z. B. Beschäftigungsangebote aus dem musisch-kreativen und spielerischen Bereich, Meditationsangebote, Angebote zur Förderung sozialer Kontakte), hydrotherapeutische Anwendungen (z. B. Kneippgüsse, Wassertreten, Teil- und Vollbäder, Wickel und Auflagen) oder Heilpflanzen (z. B. Herstellung von Tees, Exkursionen zum Thema Pflanzen und Kräuter oder die gemeinsame Anlage und Pflege von Kräuterbeeten). Die Entwicklung eines eigenverantwortlichen Gesundheitsverhaltens wird unmittelbar durch komplementärmedizinische Maßnahmen gefördert, da viele der Anwendungen auf täglicher, wenn möglich selbstständiger Wiederholung und Übung im Tagesrhythmus basieren und den älteren Menschen unmittelbar miteinbeziehen [26]. Pilotstudien mit komplementärmedizinischen Konzepten weisen in diesem Zusammenhang auf positive Effekte im Bereich der Aktivitäten des täglichen Lebens, der Lebensqualität und des Wohlbefindens hin [27, 28].

Die hier beschriebene Förderung eines – soweit wie möglich – eigenverantwortlichen, alltagsintegrierten Gesundheitsverhaltens von Bewohnern – ob in Form von Bewegung, Gedächtnistraining, naturheilkundlichen Anwendungen, Ernährung oder sozialer Aktivität – folgt dem Grundgedanken einer gesundheitsförderlichen Gesamtgestaltung der Lebenswelt Pflegeheim. Aus dem Konzept der Salutogenese heraus bedeutet dies, dass im Versorgungsgeschehen wie auch im sozialräumlichen Alltagsgeschehen von Einrichtungen die gesundheitsbezogenen Ressourcen und Kompetenzen der Bewohner konsequent im Fokus stehen, mithin nach wie vor verbreitete einseitige Orientierungen an gesundheitsbezogenen Defiziten so weit wie möglich überwunden werden sollten. Den Pflegekräften kommen in diesem Zusammenhang insbesondere Aufgaben in der Anleitung, Begleitung und Motivation von Bewohnern zu. Die Entwicklung von Gesundheitskompetenzen in gesundheitsförderlichen Lebenswelten folgt in diesem Sinne dem bereits in der Ottawa Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO; [29]) formulierten Verständnis von Gesundheitsförderung.

Gesundheitsförderung als Teil pflegerischen Handelns oder Zusatzleistung?

Im Rahmen dieses Beitrags wird die Integration von ressourcenorientiertem Denken und Handeln in das alltägliche Versorgungsgeschehen als Herausforderung und zugleich als wichtiger Ansatzpunkt für eine nachhaltige gesundheitsförderliche Gestaltung der Lebenswelt Pflegeheim benannt. Das Bemühen um eine ressourcenorientierte Versorgung berührt dabei die Frage, inwieweit pflegerisches Handeln per se bereits einen gesundheitsförderlichen Charakter impliziert oder inwieweit Ressourcenstärkung als eigenständige Strategie und zusätzliche Leistung die pflegerische Versorgung ergänzt.

Das Konzept der „aktivierenden Pflege“ erscheint in diesem Zusammenhang als Ansatz, der pflegerisches Handeln mit gesundheitsförderlichem Anspruch verbindet. Die Bundesrahmenempfehlungen der nationalen Präventionskonferenz [30] erachten diesbezüglich die Förderung verbliebener Fähigkeiten wie auch das Vorbeugen von weiteren Einschränkungen oder Komplikationen (bspw. Dekubitus, Mangelernährung, Stürze) als Charakteristika professioneller aktivierender Pflege. Damit wird der aktivierenden Pflege eine vor allem prophylaktische (tertiärpräventive) Zielrichtung zugewiesen, während eine ressourcenorientierte Sichtweise zwar benannt wird („Förderung verbliebener Fähigkeiten“), eine konkretere gesundheitsförderliche Konzeption an dieser Stelle jedoch fehlt. Zudem existiert im Sozialgesetzbuch XI kein expliziter Leistungsanspruch auf aktivierende Pflege; Erwähnung findet sie jedoch in § 2, Abs. 1, SGB XI [31]. Unter dem Stichwort der Selbstbestimmung heißt es hier:

Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen den Pflegebedürftigen helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen, auch in Form der aktivierenden Pflege, wiederzugewinnen oder zu erhalten.

Notwendig wäre in diesem Zusammenhang eine explizit gesundheitsförderlich ausformulierte Konzeption von aktivierender Pflege im alltäglichen Versorgungsgeschehen. Gesundheitsförderung könnte in dieser Hinsicht dann als integraler Bestandteil von Pflege begriffen werden.

Praxisbeispiele von dezidiert ressourcenorientierten Maßnahmen, die in Datenbanken zur Pflegeforschung auffindbar sind [32], zeigen in der Regel jedoch Ansätze, die auf zusätzliche – und weniger in Pflegeroutinen integrierte – Leistungen zur Gesundheitsförderung hinauslaufen. Drei Beispiele aus den Bereichen Ernährung, Aktivität und Coaching sollen hier knapp skizziert werden:

  1. 1.

    Familiär geprägte und häuslich orientierte Mahlzeitenumgebung mit Blick auf Lebensqualität, körperliche Leistungsfähigkeit und Körpergewicht von Pflegeheimbewohnern [33]:

Diese randomisiert kontrollierte Intervention folgt dem Grundgedanken einer gesundheitsförderlichen (sozialräumlichen) Gestaltung der Lebenswelt Pflegeheim (hier im Bereich Mahlzeiten/Ernährung). Im Zentrum der Intervention standen Maßnahmen zur Aufwertung des Ambientes (Raum- und Tischgestaltung) und der Abläufe von Mahlzeiten („privater“ Charakter statt kantinenartiger Abläufe). Gesundheitsbezogene Zielparameter der Intervention waren Lebensqualität, physische Funktionsfähigkeit und Körpergewicht. Es konnten Unterschiede zwischen Interventions- und Kontrollgruppen gezeigt werden, die auf einen positiven Effekt auf den Erhalt von Lebensqualität und feinmotorischer Beweglichkeit und auf die Verhinderung von Gewichtsverlust hindeuten.

  1. 2.

    Körperliches Krafttraining plus Spazierengehen und individuelle Aktivitäten sowie Aktivierungsmaßnahmen im Hinblick auf den Schlaf [34]:

Diese ebenfalls randomisiert kontrollierte Intervention vergleicht die Wirksamkeit von unterschiedlich kombinierten Maßnahmen (Körpertraining plus Spazierengehen vs. individuelle soziale Aktivitäten vs. Kombination aus beidem) auf Schlafparameter (Dauer, Effizienz, Schlafphasen). Die Intervention „Kombination aus Training, Spazierengehen und sozialer Aktivität“ zeigte die deutlichsten positiven Effekte auf die untersuchten Schlafparameter. Eine weitere Folge des Trainings in Kombination mit Spaziergängen war eine verbesserte körperliche Konstitution der Bewohner, insbesondere der Muskelstärke im Brust- und Hüftbereich.

  1. 3.

    Gesundheits-Coaching-Selbstmanagement-Programm: Effekte auf Selbstmanagement, Selbstwirksamkeit und Gesundheit [35]:

Die randomisiert kontrollierte Intervention folgt dem Ansatz einer durch das Pflegepersonal begleiteten gesundheitsbezogenen Kompetenzstärkung der Bewohner. Das Gesundheitscoaching bestand dabei aus drei Teilen: einem individuellen Ansatz (Gesundheitsassessment, individuelle Beratung und Zielfindung), einem Gruppenansatz (Gesundheitsschulung, Gruppendiskussion, gemeinsame Aktivitäten) sowie einem einrichtungsbezogenen Ansatz (unterstützende Aktivitäten und Rahmenbedingungen, um die Erreichung von Gesundheitszielen zu fördern). Es konnten signifikante Verbesserungen des Selbstmanagements, der Selbstwirksamkeit und der berichteten Gesundheit in der Interventionsgruppe gezeigt werden. Die teilnehmenden Bewohner konnten vier selber festgelegte gesundheitsbezogene Zielsetzungen erreichen: Mundgesundheit, Stressreduktion, physische Aktivität und gesunde Ernährung. Hierbei wird die Bedeutung von Partizipation, Anleitung, Begleitung und Motivation im Zusammenhang mit der Entwicklung eines eigenverantwortlichen Gesundheitsverhaltens offenkundig.

Fazit

  • Der vorliegende Beitrag zeigt, vor dem Hintergrund spezifischer Herausforderungen, mögliche Ansatzpunkte für gesundheitsförderliches Handeln in der Lebenswelt Pflegeheim auf. Ein konsequenter Fokus auf den Erhalt und die Förderung von gesundheitsrelevanten Funktionen und Kompetenzen von Bewohnern erscheint dabei insbesondere dann realisierbar, wenn Gesundheitsförderung als integraler Bestandteil des alltäglichen Versorgungsgeschehens begriffen wird. Darüber hinaus wird – im Sinne der Ottawa Charta – dafür plädiert, die sozialräumlichen Bedingungen der Lebenswelt Pflegeheim in umfassender Weise gesundheitsförderlich zu gestalten, um Partizipation und eigenverantwortliches Gesundheitsverhalten von Bewohnern zu ermöglichen. In ressourcenorientierten Umgebungen bietet das Konzept der aktivierenden Pflege Ansatzpunkte, Gesundheitsförderung sinnvoll in die pflegerische Versorgung zu integrieren. Hierfür sollte der Ansatz der aktivierenden Pflege allerdings deutlicher gesundheitsförderlich ausformuliert werden, als dies bislang der Fall ist.

  • Ressourcenstärkende und -fördernde Angebote, die nicht Bestandteil pflegerischen Handelns im engeren Sinne sind, bringen zusätzliche Aufgaben für die Pflegekräfte mit sich, beispielsweise in der Anleitung, Begleitung und Motivation von Bewohnern. Dass dies keineswegs eine Erhöhung des Arbeitsvolumens insgesamt bedeuten muss, wird offenkundig, wenn positive Effekte auf (funktionale) Kompetenzen, Selbstständigkeit, Wohlbefinden und Lebensqualität von Pflegeheimbewohnern in Rechnung gestellt werden. Eine Verbesserung der Studienlage zu den Effekten von Gesundheitsförderung bei höchst vulnerablen Zielgruppen bleibt damit gleichzeitig ein zentrales Forschungsdesiderat.