Gemäß § 4 Nr. 40 Arzneimittelgesetz (AMG) ist eine Arzneimittelfälschung „ein Arzneimittel mit falschen Angaben über die Identität, einschließlich Verpackung, Kennzeichnung, Bezeichnung oder Zusammensetzung in Bezug auf die Bestandteile, Hilfsstoffe und des Gehalts dieser Bestandteile, die Herkunft, einschließlich Hersteller, Herstellungsland, Herkunftsland und Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen bzw. der Zulassung oder den in Aufzeichnungen und Dokumenten beschriebenen Vertriebsweg“.

Arzneimittelfälschungen stellen ein zunehmend schwerwiegendes Problem von internationaler Dimension dar, nicht nur wegen des erheblichen wirtschaftlichen Schadens, sondern als sehr ernsthaftes Gesundheitsrisiko für Patienten, vor allem in Ländern, in denen die Kontrollmechanismen nicht genügend wirksam sind. Einer US-amerikanischen Studie zufolge gehören z. B. Länder wie die Volksrepublik China, Peru, Usbekistan, Russland und die Ukraine zu den häufig identifizierten Herkunftsländern von Arzneimittelfälschungen [1]. Unabhängig von der Herkunft gefälschter Arzneimitteln betrifft das Eindringen gefälschter Arzneimittel in den jeweiligen Märkten bei Weitem nicht nur Länder mit weniger gut ausgebautem Gesundheitswesen, sondern auch die klassischen Industrienationen [2], darunter auch Deutschland. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden im Jahr 2009 in nur 2 Monaten 34 Mio. Tabletten durch die europäischen Zollbehörden beschlagnahmt [3]. Die WHO schätzt, dass der Umsatz mit gefälschten Arzneimitteln in der Größenordnung von 75 Mrd. US-Dollar pro Jahr liegt.

Globale Problematik

Laut WHO können Arzneimittelfälschungen („counterfeit medicines“) in unterschiedlicher Form auftreten: als Produkte ohne Wirkstoff(e), als Produkte mit falschen (zu hohen oder zu niedrigen) Wirkstoffmengen, als Produkte mit falschen Inhaltsstoffen, als Produkte mit richtigen Wirkstoffmengen, aber gefälschten Verpackungen und/oder als Produkte mit einem hohen Grad an Verunreinigungen bzw. Kontaminationen sowie als Kopien eines Originalprodukts.

Das breite Spektrum von Fälschungen betrifft dabei sowohl Produkte von Originalherstellern als auch Generika. In den vergangenen Jahren ist eine Zunahme von Fälschungen, die auch in die legale Lieferkette eingedrungen sind, wahrnehmbar. Dies beleuchten M. Wittstock und R. Streit in ihren Beiträgen zu wichtigen Fälschungsfällen in den Zuständigkeitsbereichen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in den letzten Jahren. Häufig werden Fälschungsfälle durch komplexe multinationale Lieferketten begünstigt. V. Muckenfuß stellt dies in ihrem Beitrag zu Arzneimittelfälschungen im Parallelhandel, der häufig durch komplexe europäische Lieferketten gekennzeichnet ist, plastisch dar. Neben der Manipulation des Arzneimittels oder der Packung selbst gehören auch der Handel auf nicht autorisierten Vertriebswegen oder über nicht autorisierte (Zwischen‑)Händler und der Vertrieb gestohlener Ware definitionsgemäß zu den Fälschungen. Besonders anfällig für Fälschungen sind naturgemäß hochpreisige Arzneimittel, da bei Fälschern die Absicht, hohe Gewinne zu erzielen, im Vordergrund steht. Umgekehrt ist der niedrige Preis eines Arzneimittels keine Garantie dafür, dass Fälschungen ausgeschlossen sind. Fälschungen sind auch bei Arzneimitteln mit niedrigem Verkaufspreis bekannt geworden.

Rolle der Behörden

Wegen der internationalen Dimension spielen bei der Entdeckung von Fälschungen die für Arzneimitteleinfuhren zuständigen Überwachungsbehörden der Länder neben Polizei und Zoll eine entscheidende Rolle. Eine unverzügliche und sorgfältige Analyse der Inhaltsstoffe ist hierbei erforderlich, um die für die betroffene Population bestehenden Gesundheitsrisiken abschätzen zu können. A. Wiegard stellt in ihrem Beitrag die Rolle der amtlichen Untersuchungsstellen der Länder bei der Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen vor. Diese werden dabei durch die Bundesoberbehörden unterstützt, die über die Zulassungsunterlagen der betreffenden Originalprodukte verfügen. Da gefälschte Arzneimittel häufig grenzüberschreitend hergestellt und in Umlauf gebracht werden, ist hier ein europäisches Netzwerk von großer Bedeutung, das vom Europäischen Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln (European Directorate for the Quality of Medicines and Health Care, EDQM, Straßburg) aufgebaut wurde und von R. Wanko und U. Unkelbach in ihrem Beitrag beschrieben wird. Auch die gesetzlichen Rahmenbedingen und ihre Umsetzung z. B. in europäischen Verwaltungsvorschriften sind nicht nur national, sondern auf europäischer Ebene abzustimmen. Die MEDICRIME Convention des Europarats vom Oktober 2011 ist ein weiteres wichtiges internationales Rechtsinstrument zur Bekämpfung von Fälschungen in diesem Bereich. Außerdem bietet sie einen Rahmen für die nationale und internationale Zusammenarbeit unter Einbeziehung verschiedener Verwaltungsbereiche und ermöglicht Präventivmaßnahmen, die sich sowohl an die Öffentlichkeit als auch an den Privatsektor richten, sowie den Schutz von Opfern und Zeugen. Und schließlich ist angesichts der Globalität der Problematik auch die WHO gefordert. Die weltweiten Anstrengungen in der Bekämpfung der Arzneimittelkriminalität beschreiben Smolka und Gronwald in ihrem Beitrag zur Operation PANGEA, einer international koordinierten Behördenaktion zur Bekämpfung des illegalen Internetarzneimittelhandels.

Gesetzliche Maßnahmen

B. Sträter beschreibt in seinem Beitrag die nationalen und europäischen Maßnahmen der verschiedenen Gesetzgeber zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen. Ein zentraler gesetzlicher Baustein auf europäischer Ebene ist die Fälschungsrichtlinie 2011/62/EU. Darin geregelt ist u. a. der Aufbau und Betrieb eines Serialisierungssystems, mit dessen Hilfe einzelne Arzneimittelpackungen auf ihre Echtheit hin überprüft werden können. Den Betreibern dieses Systems gehören neben den berufsständischen Vertretungen auch die Verbände der pharmazeutischen Industrie sowie des pharmazeutischen Großhandels an, das System unterliegt der staatlichen Überwachung.

Die Verteilung der Aufgaben zwischen Bundesoberbehörden und Landesbehörden bei Fälschungen in der legalen Vertriebskette ist im AMG geregelt. Den Bundesoberbehörden kommt nach § 62 Abs. 1 AMG dabei die Aufgabe zu, Risiken gefälschter Arzneimittel oder gefälschter Wirkstoffe in der legalen Vertriebskette zu erfassen und die nach dem Gesetz zu ergreifenden Maßnahmen zu koordinieren. Im November 2016 wurde mit der Verabschiedung des 4. Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften der § 69 AMG dahingehend ergänzt, dass bei einem begründeten Verdacht auf Arzneimittelfälschungen neben den Landesbehörden auch die Bundesoberbehörden den Rückruf eines Arzneimittels anordnen können. Die Bundesoberbehörden sind ferner als „Single Point of Contact“ für die Herstellung des Kontakts von und zu den Kollegialbehörden innerhalb und außerhalb der EU zuständig. Den Landesbehörden wiederum fällt die Aufgabe zu, den Fälschungsverdacht mit den involvierten Zulassungsinhabern bzw. pharmazeutischen Unternehmen abzuklären sowie die konkreten Maßnahmen zu ergreifen und umzusetzen, z. B. die Quarantänisierung oder den Rückruf betroffener Chargen eines Arzneimittels. Die Frage der Zuständigkeit einer Landesbehörde richtet sich dabei danach, in welchem Bundesland die betroffenen Zulassungsinhaber bzw. pharmazeutischen Unternehmen ihren Sitz haben, hilfsweise die örtlichen Vertreter von Unternehmen, die ihren Sitz im Ausland haben. Eine besondere Herausforderung ist dann gegeben, wenn ein Unternehmen mit Sitz im Ausland, jedoch ohne örtlichen Anknüpfungspunkt in Deutschland betroffen ist, aber Arzneimittel in Deutschland zulässigerweise auf den Markt bringt. Hier ist entsprechender Abstimmungsbedarf zwischen den zuständigen Behörden der Bundesländer erforderlich, da in dieser Konstellation vom Gesetz her alle Bundesländer gleichermaßen zuständig sind, unter pragmatischen Gesichtspunkten aber ein Bundesland die Federführung übernehmen sollte. Bundesoberbehörden und Landesbehörden haben in mehreren Arbeitsgruppensitzungen ein Ablaufschema für die verschiedenen Szenarien entwickelt, in dem die Aufgabenverteilung in den verschiedenen Konstellationen festgehalten ist, um die Zusammenarbeit zwischen Bundes- und Landesbehörden gemäß ihrer jeweiligen Zuständigkeit weiter zu verbessern. Der Beitrag von G. Weber beleuchtet dabei die Aufgaben und Arbeitsweisen der eigens dazu gegründeten Bund-Länder-Arbeitsgruppe Arzneimittelfälschungen.

Arzneimittel im Online-Handel

Besonders groß ist die Gefahr von Fälschungen beim Kauf von Arzneimitteln im Internet, da dem Kunden vom Anbieter oft nicht mehr als dessen Webseite bekannt ist und daher besondere Umsicht geboten ist. Die WHO geht davon aus, dass bei Arzneimitteln, die über nicht autorisierte Online-Versandhändler bezogen werden, der Fälschungsanteil bei über 50 % liegt [3]. Patienten müssen daher besonders darauf achten, dass es sich bei den Internetanbietern, bei denen die Arzneimittel bestellt werden, um legale, für den Internethandel zugelassene Apotheken handelt. Jedes EU-Land listet die bei sich ansässigen legalen Arzneimittelhändler in einem Register. In Deutschland liegt dieses Versandhandelsregister nach § 67a Abs. 2 AMG beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI; [4]). Die europäische Rechtsgrundlage hierzu ist in der Richtlinie 2011/62/EU zu finden, der sogenannten Fälschungsrichtlinie. Im deutschen AMG sind die Anzeigepflichten im § 67 Abs. 8 für denjenigen geregelt, der zum Zweck des Einzelhandels Arzneimittel, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind, im Wege des Versandhandels über das Internet anbieten will. Die entsprechende Anzeige ist vor Aufnahme der Tätigkeit gegenüber der zuständigen Behörde vorzunehmen und umfasst neben dem Namen der Person oder des Unternehmers auch die Anschrift des Orts, von dem aus die Arzneimittel geliefert werden sollen, sowie die Adresse jedes Internetportals einschließlich aller Angaben zu deren Identifizierung. Apotheken, die hier erfasst sind, erkennt man an einem entsprechenden Sicherheitslogo. Das EU-Logo ist verpflichtend und muss von allen Apotheken und sonstigen Einzelhändlern gut sichtbar auf ihren Webseiten angezeigt werden, wenn sie Versandhandel mit Humanarzneimitteln über das Internet betreiben. Mithilfe dieses Logos kann leicht überprüft werden, ob ein Anbieter nach dem jeweiligen nationalen Recht über das Internet Arzneimittel vertreiben darf, die zur Anwendung am Menschen bestimmt sind. Über das Logo auf der Webseite des Anbieters wird der zugehörige Registereintrag mit den Angaben zum Versandhändler abgerufen, mit dem die Kontaktdaten des Anbieters, aber auch von dessen Überwachungsbehörde, ermittelt werden können. Trotz der vielfältigen Maßnahmen zur Absicherung des Online-Handels findet sich täglich eine Vielzahl von Fällen kriminellen Internethandels mit Arzneimitteln. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Auswirkungen der Liberalisierung des Internethandels in Europa auf den Bereich der Arzneimittelkriminalität wird u. a. im Projekt ALPhA untersucht, das von A. Sinn in seinem Beitrag beschrieben wird.

Nationale und internationale Aktivitäten im Kampf gegen Arzneimittelfälschungen

Zur Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Kriminal- und Strafverfolgungsbehörden und Arzneimittelüberwachungsbehörden wurde auf internationaler Ebene die Working Group of Enforcement Officers (WGEO) etabliert. M. Wittstock und R. Streit beschreiben in ihrem Beitrag die Rolle und Aufgaben der WGEO, einer Arbeitsgruppe europäischer Vollzugsbeamten, die 2007 von den Leitern der europäischen Arzneimittelbehörden ins Leben gerufen und inzwischen mit einem offiziellem Mandat zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen versehen wurde. In Deutschland gibt es weiterhin eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die auch das Bundeskriminalamt und Zollkriminalamt sowie das Bundesministerium für Gesundheit und die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten einschließt und zu einer engen Verknüpfung der Überwachungsstellen im Arzneimittelbereich sowie der Behörden der Kriminal- und Strafverfolgung auch auf nationaler Ebene beiträgt.

Neben den nationalen und internationalen Behörden sind zahlreiche Akteure des Gesundheitswesens in Maßnahmen zur Verhinderung des Eindringens von Fälschungen in die legale Lieferkette involviert. Arzneimittelfälschungen sind ein komplexes Problemfeld mit vielen Akteuren und verschiedenen Aktivitäten zur Abwehr dadurch bedingter Gesundheitsgefahren. Eine enge und zielgerichtete Zusammenarbeit, national wie international, wird an vielen Stellen aktiv betrieben und ist Voraussetzung dafür, dass Arzneimittelfälschungen nicht in die legale Vertriebskette gelangen.

Der Beitrag von M. Bergen zur SecurPharm-Initiative, mit der zukünftig das Eindringen von Arzneimittelfälschungen in die legale Lieferkette massiv erschwert werden soll, rundet das vorliegende Themenheft ab.

Wir hoffen mit diesem Themenheft einen Einblick in die komplexe Thematik und Problematik von Arzneimittelfälschungen und deren Bekämpfung geben zu können und wünschen allen Lesern eine interessante Lektüre.

figure c

Dr. Brigitte Keller-Stanislawski

figure d

Dr. Norbert Paeschke