Einleitung/Hintergrund

Die Aufnahme von potenziell gesundheitsschädlichen Stoffen kann in Abhängigkeit von der Konzentration zu einer Beeinträchtigung des menschlichen Wohlergehens führen [1]. Die Schätzung des Risikos, das sich durch den Kontakt des Menschen mit diesen Stoffen ergibt, sollte daher ein wichtiger Bestandteil des öffentlichen Gesundheitswesens sein [1]. Das sich aus einer Gefahr ergebende Risiko ist dabei abhängig davon, ob und wie eine Person der Gefahr ausgesetzt ist [2]. Der Kontakt des menschlichen Körpers mit chemischen Stoffen (z. B. Umweltkontaminanten, Zusatzstoffe oder Prozesskontaminanten) über den Mund (oral), die Haut (dermal) oder die tieferen Atemwege und Lunge (inhalativ) wird Exposition genannt [3]. Für die Bewertung des Risikos sind zum einen die Exposition und zum anderen die Toxizität beziehungsweise das Gefährdungspotenzial relevant. Risiko wird somit als Produkt aus Gefährdungspotenzial und Exposition verstanden [2]. Während sich die Gefahr aus den inhärenten Eigenschaften des Stoffes (z. B. Toxizität) ergibt und somit nicht veränderbar ist, kann die Exposition gegenüber diesen Stoffen eingeschränkt werden z. B. durch Reduzierung von Konzentrationen im Lebensmittel/Produkt. Auf diese Weise kann das Risiko gesteuert werden. Die Exposition gegenüber einem Stoff muss somit bekannt sein, um das Risiko schätzen und managen zu können.

Die Expositionsschätzung evaluiert die Wahrscheinlichkeit, diese chemischen, biologischen oder physikalischen Stoffe qualitativ und/oder quantitativ aufzunehmen [3]. Die Zielgröße beschreibt Aufnahmemengen des Stoffes mit Bezug zu Körpergewicht und Zeit für den durchschnittlichen Verbraucher oder für bestimmte Zielgruppen (z. B. Altersgruppen). Hierfür können unterschiedliche Ansätze zur Berechnung der Exposition genutzt werden. Zusätzlich zu den in der Vergangenheit häufig genutzten deterministischen Schätzungen werden nun probabilistische mathematische Modelle genutzt, besonders bei einer vermeintlichen Überschreitung der gesundheitsbasierten Grenzwerte und unter Betrachtung der aufwendigen Risikominderungsmaßnahmen. Damit wird sichergestellt, dass die Überschätzung nicht ausschließlich aus unrealistischen Annahmen resultiert [4]. Vorteile einer probabilistischen Schätzung sind die Möglichkeiten, realistische Schätzungen an den Verteilungsrändern zu generieren, Variabilität in den Eingangsparametern auch in den Zielgrößen darzustellen sowie den Einfluss von signifikant zum Risiko beitragenden Parametern zu bestimmen [4]. Bei der Bestimmung der Parameter ist es wichtig, die Variabilität der Parameter von der Unsicherheit zu unterscheiden. Die Variabilität eines Parameters beschreibt die tatsächliche Heterogenität einer Population und kann die Präzision der Expositionsschätzung und deren Übertragbarkeit beeinflussen [5]. Unsicherheiten eines Modells entstehen hingegen durch unzureichendes Wissen über die für die Exposition und das Risiko relevanten Parameter und können zu einer ungenauen oder verzerrten Expositionsschätzung führen [5]. Die Variabilität kann daher genauer geschätzt und besser beschrieben werden, Unsicherheiten jedoch können und sollten soweit wie möglich reduziert werden, um die Exposition möglichst realitätsnah zu schätzen [4].

Da die Exposition eines Stoffes möglichst genau bestimmt werden muss, um das Risiko schätzen und steuern zu können, und hierfür die Unsicherheiten so gering wie möglich gehalten werden müssen, ist eine solide Datengrundlage unumgänglich. Der folgende Artikel bezieht sich auf die verfügbaren Datengrundlagen zur Schätzung der oralen Exposition über Lebensmittel und stellt die Notwendigkeit einer Erweiterung der Datengrundlage über Konzentrationen von Stoffen in Lebensmitteln dar. Eine für die deutsche Bevölkerung repräsentative Datengrundlage über Gehalte von Stoffen in Lebensmitteln, die auch verarbeitete Lebensmittel einschließt, wird die BfR-MEAL-Studie liefern. Die BfR-MEAL-Studie wird dazu beitragen, Unsicherheiten bestehender Expositionsschätzungen zu minimieren und Datengrundlagen für Stoffe zu schaffen, die bislang nicht ausreichend untersucht wurden. MEAL steht dabei für „Mahlzeiten für die Expositionsschätzung und Analytik von Lebensmitteln“. Die Studie wird im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) durchgeführt.

Deterministische und probabilistische Expositionsschätzung

Für die Expositionsschätzung zur Risikobewertung von unerwünschten Stoffen wird von der WHO und der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) ein mehrstufiges Verfahren empfohlen [6]. Bedingt durch den verbraucherpolitischen Entscheidungsdruck und die dadurch entstehende zeitliche Begrenzung kann nur eine limitierte Wissensgrundlage einbezogen werden, was sich in den gewählten Methoden widerspiegeln muss. Solch ein Verfahren muss in kurzer Zeit mit vertretbarem Aufwand und Ressourcen (IT, Recherchen, Datenerhebung) durchgeführt werden können und muss, neben der wissenschaftlichen Zuverlässigkeit, eine breite politische und öffentliche Akzeptanz gewährleisten. Daher wurden im ersten und zweiten Schritt des mehrstufigen Verfahrens bisher meist sogenannte deterministische Verfahren zur Schätzung der Exposition herangezogen (s. Abb. 1). In Schritt 1 werden zunächst grobe Annahmen zugrunde gelegt. Diese Annahmen sollten so gewählt und plausibilisiert werden, dass sich im Vergleich zur erwarteten realen Exposition eine Überschätzung ergibt. Dieser Schritt 1 wird nur in Fällen genutzt, in denen aus Kapazitätsgründen Schritt 2 nicht durchzuführen ist. Ansonsten ist Schritt 2 und analog dann Schritt 3 als Verfeinerung der Expositionsschätzung aus Schritt 1 zu sehen, wenn sich ein Risiko in den vorangegangenen gröberen Schätzungen nicht ausschließen lässt oder weitere Informationen zur Variabilität in der Bevölkerung erforderlich sind. In Schritt 2 werden typischerweise die in Abb. 2 dargestellten bis zu vier Szenarien unterschieden. Das Basisszenario, welches nahezu immer relevant ist, stellt dabei die Kombination von durchschnittlichem Verzehr und durchschnittlichen Gehalten im Lebensmittel dar. Durch die Verwendung durchschnittlicher Gehalte wird ein Szenario konstruiert, welches die Situation abbildet, in der ein individueller Verbraucher über den betrachteten Zeitraum mit wechselnden Gehalten (mit gleicher Wahrscheinlichkeit hohe und niedrige Gehalte) in Kontakt kommt. Das in Abb. 2 dargestellte zweite Szenario (Vielverzehrer bei mittleren Gehalten) berücksichtigt die Variabilität der verzehrten Mengen, indem bei gleichbleibenden Konzentrationen ein oberes Perzentil (z. B. das P95) basierend auf individuellen Verzehrdaten genutzt wird. Szenario drei dagegen berücksichtigt die Variabilität in den Gehalten und bildet eine Situation ab, in der ein Verbraucher über einen längeren Zeitraum konstant mit hohen Gehaltswerten in Kontakt kommt. Ein Beispiel hierfür wäre ein markentreuer Verbraucher, im Falle dass die Höhe der Gehalte mit der Marke assoziiert ist. Das vierte Szenario berücksichtigt den ungünstigsten Fall, in welchem hohe Gehalte mit einem hohen Verzehr einhergehen. Die beiden letztgenannten Szenarien werden jedoch nur fallweise betrachtet und sind nicht notwendigerweise Bestandteil jeder Expositionsschätzung.

Abb. 1
figure 1

Mehrstufiges Verfahren zur Schätzung der Exposition nach [6]

Abb. 2
figure 2

Vier typische Szenarien bei der Expositionsschätzung für Lebensmittel

Diese Szenarien liefern bei Vorliegen individueller repräsentativer Verzehrdaten und Gehaltsdaten plausible und realistische Schätzungen pro Lebensmittel. Ist jedoch eine Addition über mehrere Lebensmittel erforderlich, kann dies zumindest bei der Verwendung aggregierter Daten zu einer Abweichung von der Realität durch eine notwendigerweise akzeptierte Überschätzung des Risikos führen [4].

Deterministische Expositionsschätzung

Als deterministische Schätzung oder auch Punktschätzung werden Szenarien/Berechnungen bezeichnet, die ein gesundheitliches Risikos bzw. eine Exposition als einfachen Punktschätzer beschreiben [5, 7]. In der Praxis werden dafür üblicherweise Mittelwert oder Median zur Beschreibung einer mittleren Exposition oder obere Perzentile für die Beschreibung einer hohen Aufnahme verwendet (Abb. 2). Insbesondere bei der Expositionsschätzung für mehrere Lebensmittel kann es zu einer von der Realität abweichenden Überschätzung kommen.

Aufgrund ihrer Nachteile werden die deterministischen Verfahren in den letzten Jahren verstärkt durch probabilistische Ansätze ergänzt (siehe Abb. 1, Schritt 3). Dies ist insbesondere der Fall, wenn aufgrund einer Überschätzung der Exposition (durch Verknüpfung vieler konservativer Annahmen) ein gesundheitliches Risiko für den Verbraucher nicht ausgeschlossen werden kann. Mit Blick auf durchzuführende Risikominderungsmaßnahmen sollte eine Überschreitung gesundheitsbasierter Kennwerte nicht durch vermeidbare Überschätzungen bedingt sein. Weitere Nachteile einer deterministischen Bewertung sind die begrenzten Möglichkeiten, Hinweise über Parameter abzuleiten, die maßgeblich zu einem Risiko beitragen, wenn ein solches Risiko in der Schätzung indiziert wird [8]. Probabilistische Verfahren liefern im Rahmen gestufter Verfahren (s. Abb. 1) gute Ansätze, um die Variabilität, d. h. die Variation eines Parameters in einer definierten Population, angemessen zu beschreiben und damit auch die Variabilität der Aufnahme innerhalb der Bevölkerung [9]. Zu erwähnen sind dabei auch die oft als semiprobabilistisch oder „simple distribution“ bezeichneten Aufnahmeschätzungen, bei denen nur für einen Parameter (z. B. die Verzehrmenge) die gesamte Verteilung durch Berücksichtigung der empirischen individuellen Daten genutzt wird [10, 11] und weitere Parameter (z. B. Gehalt) als Punktschätzung eingehen. Der Vorteil probabilistischer Ansätze ist zudem darin zu sehen, dass nicht vorab eine Stratifizierung von Bevölkerungsgruppen notwendig ist, für die dann separat die deterministischen Schätzungen zu wiederholen sind. Vielmehr können diese direkt in der Ergebnisverteilung für die Exposition identifiziert und gesondert ausgewertet werden. Dies ist natürlich beschränkt auf die in Querschnittsstudien mit ausreichender Fallzahl abgebildeten Bevölkerungsgruppen. Bestimmte Bevölkerungsgruppen mit besonderen Ernährungsweisen (Vegetarier, medizinisch oder kulturell bedingte Ernährungsweisen), sind üblicherweise nicht abgedeckt.

Probabilistische Expositionsschätzung

Ergänzend zu deterministischen Abschätzungen werden probabilistische Ansätze (auch verteilungsbasierte oder populationsbezogene Ansätze genannt) für die Expositionsschätzung genutzt. Diese Verfahren beschreiben nicht nur einzelne Fälle/Szenarien, sondern versuchen die gesamte Variabilität in den Daten abzubilden und damit zu einer Darstellung aller möglichen Ausprägungen für die Exposition zu gelangen. Als mathematische Hilfsmittel zur Umsetzung dieses Ansatzes werden sogenannte Monte-Carlo-Simulationen, Verteilungsanpassungen und andere Grundlagen aus der Wahrscheinlichkeitstheorie benutzt.

Unabhängig davon, ob deterministische oder probabilistische Verfahren in der Expositionsschätzung zum Einsatz kommen, sind die Eingangsparameter (Verzehrhäufigkeit und -menge, Gehalt in Lebensmitteln, Körpergewicht) immer gleich [11]. Demzufolge werden für diese Datenquellen aktuelle und repräsentative Daten benötigt, um die Exposition zu beschreiben. Daten zum Körpergewicht werden dabei in Verzehrstudien üblicherweise mit erhoben, was den Vorteil hat, diese auf individueller Ebene zu kombinieren und damit mögliche Korrelationen abzubilden.

Die in Deutschland verfügbaren und beispielsweise vom BfR genutzten Daten werden im Folgenden dargestellt sowie die Notwendigkeit, mit der Total-Diet-Studie (TDS) eine zusätzliche Datenquelle zu etablieren.

Verzehr- und Gehaltsdaten

Um die Exposition eines Stoffes schätzen zu können, bedarf es repräsentativer Verzehrdaten einer Bevölkerung und detaillierter Gehaltsdaten über die verzehrten Speisen und Getränke.

Die Datengrundlage in Deutschland für repräsentative Verzehrdaten für Erwachsene ist durch die Erhebung der Daten der Nationalen Verzehrsstudie ll (NVS ll) in 2006 gut abgedeckt und kann für das Verzehrverhalten von Kindern ergänzt werden (Abb. 3). Hierfür stehen die VELS-Daten aus 2002 (Lebensalter 0,5–4 Jahre) [12, 13], die EsKiMo-Daten aus 2006 (6–17 Jahre) [14] und die demnächst vorhandenen Kiesel-Daten (0,5–5 Jahre) [15] zur Verfügung. Somit besteht eine belastbare Datengrundlage für die allgemeinen Verzehrgewohnheiten in Deutschland für alle Altersgruppen. Die Datengrundlage für Menschen mit speziellen Verzehrgewohnheiten ist jedoch eingeschränkt.

Abb. 3
figure 3

Datengrundlage für lebensmittelbedingte Exposition in Deutschland

Als Datengrundlage für Gehaltsdaten können entweder Nährwerttabellen oder analytisch ermittelte Gehaltsdaten von Lebensmitteln herangezogen werden [11]. Die Angaben aus Nährwerttabellen und deren Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern und innerhalb eines Landes müssen stets kritisch beurteilt werden, genauso wie die Kategorisierung der Lebensmittel für die jeweilige Nährwerttabelle [11]. In Deutschland dient der Bundeslebensmittelschlüssel als nationale Datenbank für die Gehaltsdaten in Lebensmitteln [4, 16].

Analytisch ermittelte Gehaltsdaten werden in Deutschland seit 1995 im Lebensmittel-Monitoring systematisch durch die Kontrollbehörden der Bundesländer erfasst und die Daten im Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zusammengestellt [17]. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der Einhaltung der Richtlinien für Pflanzenschutzmittel und ausgewählte Umweltkontaminanten, wie beispielsweise Schwermetalle, Dioxine und polychlorierte Biphenyle [17]. Das Lebensmittel-Monitoring basiert auf einem jährlichen Plan, der die Auswahl der Lebensmittel, die zu untersuchenden Stoffe und die Verteilung von Probenziehung und Analytik auf die Überwachungsbehörden festlegt [18]. Die Auswahl der Lebensmittel wurde einerseits auf der Grundlage der NVS ll hergeleitet (Warenkorb-Monitoring) und andererseits seit 2003 aufgrund von spezifischen Fragestellungen bestimmt (Projekt-Monitoring) [18]. Im europaweiten Vergleich liefert das Lebensmittel-Monitoring eine umfangreiche und detaillierte Datengrundlage, um die Einhaltung der Höchstgrenzen der untersuchten Stoffe schätzen und sicherstellen zu können.

Das LExUKon-Projekt

Die Gehaltsdaten des Lebensmittel-Monitorings wurden für das LExUKon-Projekt (Lebensmittelbedingte Exposition von Umweltkontaminanten) verwendet, das die lebensmittelrelevante Exposition gegenüber Umweltkontaminanten untersucht hatte. Neben Gehaltsdaten des Lebensmittel-Monitorings wurden auch publizierte Daten (z. B. der EFSA bei gering aggregierten Lebensmittelgruppen) einbezogen [19, 20]. Diese wurden mit den Verzehrdaten der NVS ll kombiniert und so die Exposition abgeschätzt.

Die Expositionsschätzungen im LExUKon-Projekt generierten für einige Substanzen und Stoffe eine Überschreitung oder hohe Ausschöpfung der gesundheitlich basierten Referenzwerte. Damit stellt sich die Frage nach möglichen zu reduzierenden Unsicherheiten [17]. Generell können diese auf folgende Faktoren zurückgeführt werden:

  • Mögliche Überschätzung durch vorwiegende Berücksichtigung unverarbeiteter Lebensmittel und nicht vorhandene Daten zu Gehalten in verzehrfertigen Lebensmitteln [20]

  • Über- oder Unterschätzung von Lebensmitteln, für die keine Gehaltsdaten aus dem Lebensmittel-Monitoring vorlagen (z. B. weil kein Höchstgehalt festgesetzt ist) und möglicherweise für den deutschen Markt nicht ausreichend repräsentative Daten herangezogen wurden. Dies sind teilweise auch viel verzehrte Lebensmittel.

  • Stark variierende Nachweis- und Bestimmungsgrenzen in den Laboren, wobei die höheren Grenzen an der Überwachung orientiert sind, sodass ein hoher Prozentsatz nicht bestimmbarer Werte vorliegt. Je nach Ansatz können solche nicht bestimmten Werte als Obergrenze der Messgrenze (Upper-bound-Ansatz), als nicht vorhanden (Lower-bound-Ansatz) oder als halbe Messgrenze (Medium-bound-Ansatz) bewertet werden [20].

Zudem ist der LExUKon-Ansatz nur für einen Teil der Kontaminanten anwendbar. Auf Stoffe, die nur in industriell verarbeiteten Lebensmitteln vorkommen (z. B. Zusatzstoffe) oder sich bei der Zubereitung signifikant ändern (z. B. Vitamine, Prozesskontaminanten) ist dieser auf dem Lebensmittel-Monitoring basierte Ansatz nicht anwendbar.

Die BfR-MEAL-Studie

Die BfR-MEAL-Studie, die im Jahr 2015 am BfR gestartet ist, unterliegt dem Design einer Total-Diet-Studie und bietet die Möglichkeit, die Nachteile des Lebensmittel-Monitorings auszugleichen [17]. Total-Diet-Studien unterliegen drei Grundprinzipien: Sie sollten repräsentativ die Verzehrgewohnheiten einer Bevölkerungsgruppe abbilden, die Lebensmittel sollten so zubereitet werden, wie sie üblicherweise verzehrt werden, und ähnliche Lebensmittel werden zu einer Poolprobe zusammengefasst, bevor sie analysiert werden [1, 21, 22]. Der Ablauf der BfR-MEAL-Studie setzt sich aus sechs verschiedenen Arbeitsschritten zusammen (Abb. 4): a) Auswahl der Lebensmittel, b) deutschlandweiter Einkauf, c) Verarbeitung in der BfR-Küche, d) Poolen und Homogenisieren, e) Analyse, f) Auswertung und Expositionsschätzung.

Abb. 4
figure 4

Ablauf der BfR-MEAL-Studie

Die Auswahl der relevanten Lebensmittel und ihre Zusammenfassung in der Food List ist die Voraussetzung für die spätere Probenziehung. Aus den Daten der NVS ll und VELS wurden Lebensmittelpools gebildet, die repräsentativ 90 % der Verzehrgewohnheiten der deutschen Bevölkerung abdecken. Die Lebensmittel werden zu Gruppen, sogenannten Pools zusammengefasst, die jeweils aus 15 bis 20 ähnlichen Lebensmitteln bestehen, die später gemeinsam untersucht werden. So kann beispielsweise ein Pool aus verschieden zubereiteten Hähnchenproben bestehen (unterschiedliche Rezepte und Außer-Haus-Verzehr). Zusätzlich wurden Pools von Lebensmitteln ergänzt, bei denen ein hoher Beitrag zur Exposition erwartet wird, trotz geringem Anteil (d. h. kleiner 10 %) an den durchschnittlichen deutschen Verzehrgewohnheiten. Diese Lebensmittelpools werden zum Teil deutschlandweit in vier verschiedenen Regionen eingekauft, zu verschiedenen Jahreszeiten gezogen oder nach biologischem und konventionellem Anbau unterschieden. Diese Stratifizierung ist abhängig von der Vorinformation über die Variabilität der Gehaltsdaten. Nach der Lieferung der Lebensmittel zur BfR-MEAL-Küche werden diese haushaltstypisch zubereitet, d. h. die verwendeten Geräte und Utensilien werden in haushaltstypischen Geschäften gekauft, und die Zubereitungsart wird dem typischen Verbraucherverhalten nachgebildet. Anschließend werden jeweils 15–20 ähnliche Lebensmittel (z. B. Äpfel, Honig oder zubereitete Hähnchen) zusammen in einer Messermühle zu einem homogenen Pool verarbeitet. Dieser Pool wird in verschiedene Gefäße, je nach anschließender Analytik, abgefüllt und abgewogen und an die Lieferanten der Labore übergeben. Die Analytik der Proben findet größtenteils außerhalb des BfR an akkreditierten Laboren statt. Die Messergebnisse werden dem BfR übermittelt, ausgewertet und zur Expositionsschätzung der verschiedenen Stoffe im BfR herangezogen.

Damit stellt die BfR-MEAL-Studie sicher, dass nahezu alle relevanten Lebensmittelgruppen mit Gehaltsdaten belegt werden. Der Einkauf orientiert sich an aktuellen Marktdaten, sodass die ausgewählten Lebensmittel für den deutschen Markt repräsentativ sind. Zudem sind die Unsicherheiten durch die Zubereitung reduziert, da nur verzehrfertige Lebensmittel untersucht werden. Jeder Stoff wird nur in einem Labor untersucht, sodass einheitliche und möglichst niedrige analytische Nachweisgrenzen zum Einsatz kommen.

Bei allen diesen Vorteilen ist zu beachten, dass die Methodik der Total-Diet-Studie aufgrund des Poolens keine Möglichkeit bietet, Gehaltsdaten für akute Schätzungen zu generieren. Damit kann sie nur als Ergänzung, nicht als alternative Methode zum Lebensmittel-Monitoring gesehen werden [17].

Infobox Die BfR-MEAL-Studie

Die BfR-MEAL-Studie (Mahlzeiten für die Expositionsschätzung und Analytik von Lebensmitteln) des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) untersucht zum ersten Mal in Deutschland großflächig, in welchen Konzentrationen unterschiedliche Stoffe durchschnittlich in Lebensmitteln enthalten sind und welche gesundheitlichen Risiken bei der Verarbeitung und Zubereitung von Lebensmitteln entstehen können. Dabei berücksichtigt die Studie mehr als 90 % der gesamten deutschen Lebensmittelpalette und analysiert die Speisen jeweils so, wie sie typischerweise verzehrt werden.

Die BfR-MEAL-Studie ist die erste Total-Diet-Studie (TDS) für Deutschland. Total-Diet-Studien werden derzeit in mehr als 50 Ländern weltweit durchgeführt.

Die Ergebnisse der BfR-MEAL-Studie dienen unter anderem als Grundlage, mögliche Risiken durch den Verzehr von Lebensmitteln zu erkennen.

Ausblick

Die BfR-MEAL-Studie, die seit 2015 am BfR gestartet ist, verfolgt das Design einer Total-Diet-Studie. Diese neu geschaffene Datengrundlage hat zum Ziel, eine möglichst realistische Abschätzung der Aufnahme der zu untersuchenden Stoffe aus den relevanten Lebensmitteln zu liefern. Die Besonderheiten des Designs der BfR-MEAL-Studie sind in anderen Quellen ausführlich erläutert [23].

Bisher wurde die Expositionsschätzung in Deutschland auf Seiten der analytischen Gehaltsdaten vor allem auf die aktuelle Datengrundlage des Lebensmittel-Monitorings gestützt und für einige Stoffe durch die Daten des Bundeslebensmittelschlüssels (BLS) [24] oder publizierte Daten ergänzt. Das Lebensmittel-Monitoring hat im Gegensatz zur Expositionsschätzung zum Ziel, die in Deutschland gekauften Lebensmittel auf die Einhaltung der gesetzlichen Höchstwerte zu kontrollieren. Hierfür werden stichprobenartig Lebensmittel eines Warenkorbes in bestimmten Regionen gezogen [18]. Bei akuten Überschreitungen der Höchstwerte werden durch Behörden und Wirtschaftsbeteiligte geeignete Maßnahmen ergriffen und durch das BfR eine gesundheitliche Bewertung vorgenommen und kommuniziert. Bedingt durch die Untersuchung auf Einhaltung oder Verstoß gegen Höchstgrenzen, gibt es im Rahmen des Lebensmittel-Monitorings keine Notwendigkeit für sehr niedrige Messgrenzen unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Höchstgrenzen. Wenn diese Daten zur Expositionsschätzung eingesetzt werden, führt dies zu einer erhöhten Unsicherheit, da viele Werte unterhalb der Messgrenze liegen und diese auf verschiedene Arten bewertet werden können. Daher sind die Gehaltsdaten des Lebensmittel-Monitorings für die Expositionsschätzung nur begrenzt geeignet.

Zudem handelt es sich bei den untersuchten Lebensmitteln meist um unverarbeitete Lebensmittel, wobei die Verluste oder das Entstehen neuer Stoffe während der Verarbeitung zu Hause nicht berücksichtigt werden. In einer Studie wurde anhand eines mathematischen Modells beschrieben, wie verschiedene Prozesse die Gehalte von gesundheitsfördernden Substanzen im Essen beeinflussen können [25]. Durch die Prozessschritte Züchtung, industrielle Verarbeitung und Im-Haus-Verarbeitung wurden beispielsweise sehr große Unterschiede zwischen dem Anbau von Gemüse und dem Essen, bevor es verzehrt wird, gefunden. Hierbei können die Unterschiede der Konzentrationen zwischen Faktor 10–100 variieren. Auf der anderen Seite können auch potenziell unerwünschte Stoffe durch die Weiterverarbeitung von Lebensmitteln im Haus auftreten. So entstehen beispielsweise in kohlenhydrat- und proteinreichen Lebensmitteln durch Erhitzung Stoffe der Maillard-Reaktion. Die Abläufe dieser sehr komplexen Reaktionen sind noch nicht vollständig verstanden und werden derzeit weiter untersucht. Es ist jedoch bekannt, dass einerseits erwünschte Röstaromen entstehen, die das Lebensmittel schmackhaft machen, und andererseits unerwünscht Nebenprodukte entstehen können, wie beispielsweise Acrylamid, das im Tierversuch krebserregend und erbgutschädigend wirkte, dessen Wirkung auf den Menschen jedoch noch nicht geklärt ist [16].

Während der Verarbeitung zu Hause kann sich nicht nur durch Erhitzung die Konzentration eines Stoffes im Lebensmittel erhöhen oder reduzieren, auch andere Stoffe in der zubereiteten Speise können sich gegenseitig beeinflussen. So ist beispielsweise bekannt, dass die sekundären Pflanzenstoffe Epigallocatechin-Gallate z. B. im schwarzen Tee nicht mehr im menschlichen Organismus aufgenommen werden können, nachdem sie nichtkovalente Bindungen mit Casein aus der Milch eingegangen sind [26]. Auch hierdurch kann die Zubereitung der Speisen im Haus die tatsächlich verfügbare Konzentration von Stoffen im Essen verändern.

Nach Möglichkeit sollte auch das Verbraucherverhalten bei der Zubereitung im Haus mit einbezogen werden. Falls beispielsweise Obst typischerweise gewaschen oder geschält wird, die vorliegenden Daten zur Expositionsschätzung dies jedoch nicht mit berücksichtigen, werden die aufgenommenen Gehalte von z. B. Pestiziden überschätzt. Andererseits sind auch Einträge von z. B. Elementen durch Küchenutensilien denkbar.

Dies verdeutlicht, dass Daten zu zubereiteten Speisen nach der Verarbeitung von Lebensmitteln unerlässlich für eine möglichst realistische Expositionsschätzung sind.

Da die Datengrundlage insbesondere auf Seiten der Gehaltsdaten unzureichend ist, wird die Erhebung weiterer Daten erforderlich. Als kostengünstigstes Design zur Erhebung von Daten für die Expositionsschätzung werden von WHO [1] und EFSA [22] Total-Diet-Studien wie die BfR-MEAL-Studie bewertet. Da TDS sich an möglichst geringen Messgrenzen im Gegensatz zu den geforderten Höchstgrenzen bei der Analytik der Stoffe im Lebensmittel-Monitoring orientieren, werden weniger nichtbestimmte Messwerte im Datensatz vorhanden sein, und somit kann die Unsicherheit der Expositionsschätzung reduziert werden. Zudem kann auch für Stoffe, für die es bisher keine belastbare Datengrundlage für die Expositionsschätzung gab, wie beispielsweise aus Lebensmittelkontaktmaterialien migrierende Stoffe, Prozesskontaminanten und Zusatzstoffe, die Aufnahme über die übliche Ernährung geschätzt werden. Die BfR-MEAL-Studie untersucht außerdem die Fragestellung der saisonalen oder regionalen Unterschiede von den zu untersuchenden Stoffen in Lebensmitteln sowie die Unterschiede in biologisch oder konventionell erzeugten Lebensmitteln.