Zusammenfassung
Hintergrund
Der Einsatz von Gesundheitsfachkräften in den Frühen Hilfen ist Förderschwerpunkt der „Bundesinitiative Frühe Hilfen“. Die Bundesinitiative hat dazu beigetragen, dass dieses Unterstützungsangebot für Familien mit jungen Kindern bundesweit auf- und ausgebaut wurde. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, inwieweit Familien, insbesondere Familien in belastenden Lebenslagen, von diesem Angebot profitieren.
Methode
Um diese Frage zu beantworten, wurde eine Onlineerhebung bei Gesundheitsfachkräften auf Grundlage der Dokumentationsvorlage des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) durchgeführt und elterliche Lebens- und Erziehungskompetenzen wurden standardisiert erhoben. An der Erhebung nahmen 190 Gesundheitsfachkräfte teil, die dem NZFH zu drei Erhebungszeitpunkten anonymisierte Angaben über 937 Familien übermittelten.
Ergebnisse
Nach der Betreuung kann eine signifikante Zunahme der Kompetenzen festgestellt werden. Vor allem Familien mit weniger stark ausgeprägten Belastungen scheinen von der direkten Hilfeleistung der Gesundheitsfachkräfte zu profitieren. Familien mit Belastungen, die so stark ausgeprägt sind, dass die Gesundheitsfachkraft die Vermittlung zusätzlicher Hilfeangebote in Erwägung zieht, profitieren deutlich weniger von den direkten Hilfeleistungen. Jedoch können diese Familien zu einem sehr hohen Anteil in zusätzliche, intensive Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe vermittelt werden.
Diskussion
Familien in psychosozial belasteten Lebenslagen scheinen von der Betreuung durch Gesundheitsfachkräfte zu profitieren. Weitere Forschungsbemühungen (v. a. die Überprüfung im Kontrollgruppendesign) sind wünschenswert, wobei vermehrt auf adäquate und durch die Gesundheitsfachkraft beeinflussbare Outcomevariablen zur Erfassung des Betreuungseffektes zurückgegriffen werden sollte.
Abstract
Background
The federal initiative promotes support offered by family midwives and nurses in early childhood intervention. So far, the initiative has contributed to the fact that many municipalities in Germany provide support to burdened families with young children in order to help them cope with everyday life and child-raising issues. This investigation aims to provide scientific insight into the question of if (and how) families benefit from the support of family midwives and nurses.
Methods
To answer this question, the National Centre on Early Prevention conducted an online survey. In a two-wave longitudinal study, 190 family midwives and nurses took part in the survey and reported data concerning resources, stresses, strains and improvements of 937 families.
Results
Families with relatively higher resources and lower stresses benefit from the support of family midwives and nurses, whereas families under more extreme stresses and strains do not seem to benefit to the same extent. Nevertheless, for a majority of the latter families, midwife and nurse services were still beneficial, as the professionals were able to arrange more adequate, i. e. more intense, support offered by the child and youth welfare system in Germany.
Discussion
Families in stressful living circumstances seem to benefit from family midwife and nurse services. However, further research proposals (i. e. CTs) are requested, whereby the appropriate outcome variables to measure the effect should be selected.
Notes
Wird der Einsatz der Gesundheitsfachkraft aus Mitteln der Bundesinitiative finanziert, muss die Zusatzqualifikation dem Kompetenzprofil Familienhebammen oder dem Kompetenzprofil Familiengesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger in den Frühen Hilfen entsprechen [1, 2]. Siehe dazu auch die Festlegungen in der Verwaltungsvereinbarung Bundesinitiative Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen 2012–2015 [3].
So wurden bis dato auch für die Frühen Hilfen in Deutschland insgesamt lediglich wenige Wirksamkeitsnachweise mit geringer praktischer Bedeutsamkeit (kleinen Effektgrößen) berichtet, wobei die Ergebnisse der Einzelstudien eine große Heterogenität aufwiesen [15]. Dies ist u. a. auch auf die unterschiedlichen Designs (Prä-/Postvergleiche oder Interventions-/Kontrollgruppendesigns) und auf unterschiedliche Interventionen (universell-präventive oder sekundär-präventive Ansätze) zurückzuführen. Die Nutzung von Wirksamkeitsparametern, die oftmals nicht mit den Zielen der Interventionen vereinbar sind, mag aber ebenfalls ein wichtiger Grund für das Ausbleiben von Effekten sein. Zu erwähnen ist auch, dass der vielfach geforderte Nachweis eines direkten Einflusses der Tätigkeit von Gesundheitsfachkräften auf die Häufigkeit von Kindeswohlgefährdungen aus statistischen Gründen nicht gelingen kann, da die Prävalenzen von Kindeswohlgefährdungen zu gering sind [16].
So enthält die Skala „Interaktion zwischen Hauptbezugsperson und Kind“ (1) folgende sechs Items (a–f): Die Hauptbezugsperson (HBP) nimmt die körperlichen Bedürfnisse des Säuglings wahr (a); die HBP nimmt die emotionalen Bedürfnisse des Säuglings wahr (b); die HBP reagiert angemessen auf die körperlichen Bedürfnisse des Säuglings (c); die HBP reagiert angemessen auf die emotionalen Bedürfnisse des Säuglings (d); die HBP wendet sich dem Kind aktiv zu (e); die HBP zeigt dem Kind gegenüber Zärtlichkeit (f).
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Danksagung
Wir bedanken uns sehr herzlich bei den Familienhebammen und Familiengesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen sowie bei den Familien, die an der Studie teilgenommen haben. Wir bedanken uns auch bei unseren Kolleginnen und Kollegen sowie der Leiterin des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen, die uns mit regem, kritischem Austausch bei der Umsetzung des Projektes unterstützt haben.
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I. Renner und S. Scharmanski geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Renner, I., Scharmanski, S. Gesundheitsfachkräfte in den Frühen Hilfen. Bundesgesundheitsbl 59, 1323–1331 (2016). https://doi.org/10.1007/s00103-016-2430-8
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