Hintergrund und Einleitung

Für Schädlingsbekämpfungsmittel, die zu den Biozidprodukten zählen, gab es in Deutschland bis vor wenigen Jahren keine gesetzlichen Grundlagen für ihre Zulassung und Vermarktung. Sie konnten ohne eine behördliche Prüfung unter Maßgabe des Chemikalienrechtes in Verkehr gebracht werden. Somit fand früher z. B. keine unabhängige gesundheitliche Bewertung dieser Mittel statt. Lediglich Schädlingsbekämpfungsmittel, deren Anwendung von den zuständigen Behörden zum Schutz des Menschen vor übertragbaren Krankheiten nach § 18 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) [1] angeordnet werden kann und die dafür der Aufnahme in eine entsprechende Liste des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) bedürfen, wurden vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bzw. seinen Vorgängerinstitutionen hinsichtlich ihrer Risiken für die menschliche Gesundheit einer Bewertung unterzogen. Durch die europäische Gesetzgebung wurde auch in Deutschland ein Zulassungsverfahren für Biozidprodukte und somit auch für Schädlingsbekämpfungsmittel (hauptsächlich Rodentizide und Insektizide) etabliert. Im Rahmen dieser Zulassung erfolgt auch eine Bewertung der gesundheitlichen Risiken für berufsmäßige und nicht-berufsmäßige Anwender, für unbeteiligte Dritte und für Haustiere.

Biozidprodukte als Schädlingsbekämpfungsmittel und gesetzliche Grundlagen für die Zulassung

Schädlingsbekämpfungsmittel als Oberbegriff umfassen eine Vielzahl an Präparaten mit unterschiedlichen Wirkstoffen, die in unterschiedlichen Anwendungsbereichen auf ein breites Spektrum an Zielorganismen wirken sollen. Sie unterliegen der europäischen Biozidgesetzgebung, die eine nationale Zulassung von Biozidprodukten für verschiedene Produktarten, darunter auch für Schädlingsbekämpfungsmittel, regelt. Die enthaltenen Wirkstoffe müssen jedoch zuvor auf europäischer Ebene genehmigt worden sein.

Die Biozidgesetzgebung nach Richtlinie 98/8/EG [2] und ihre Umsetzung in nationales Recht wurde am 01.09.2013 durch die Verordnung (EG) Nr. 528/2012 [3] abgelöst. Diese Verordnung gilt in allen europäischen Mitgliedstaaten unmittelbar. Grundsätzlich gilt, dass ein Wirkstoff, der in einem Biozidprodukt verwendet werden soll, zunächst auf EU-Ebene bewertet und nach einer positiven Entscheidung in eine Unionsliste der genehmigten Wirkstoffe nach VO (EG) Nr. 528/2012 aufgenommen sein muss. Erst nach dieser Aufnahme kann ein Zulassungsantrag für ein Biozidprodukt gestellt und dieses in einem nationalen Verfahren bewertet und zugelassen werden. Neben der Zulassung von Biozidprodukten in einem EU-Mitgliedstaat gibt es das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung von bereits in einem EU-Mitgliedstaat bewerteten und zugelassenen Produkten. Mit der neuen Verordnung (EG) Nr. 528/2012 ist zudem das Unionszulassungsverfahren als eine Möglichkeit der europaweiten Vermarktung hinzugekommen.

Im Rahmen einer Zulassung sind unter anderem die Risikobewertungen für Mensch und Haustier durchzuführen. Dadurch soll der Schutz von nicht-berufsmäßigen Anwendern, berufsmäßigen Anwendern, unbeteiligten Dritten und Tieren sichergestellt werden. Daneben werden die Auswirkungen auf die Umwelt sowie die Wirksamkeit und mögliche Erzeugung von Resistenzen bewertet. In Deutschland ist die Bundesstelle für Chemikalien in der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) für die Zulassung von Biozidprodukten zuständig. An der gesundheitlichen Bewertung der Biozidprodukte sind das BfR und der Fachbereich 4 „Gefahrstoffe und biologische Arbeitsstoffe“ der BAuA beteiligt.

Auf Basis der europäischen Gesetzgebung sind Schädlingsbekämpfungsmittel der Hauptgruppe 3 zuzuordnen. Tab. 1 zeigt die verschiedenen Produktarten, die zu den Schädlingsbekämpfungsmitteln gehören. Im vorliegenden Beitrag wird besonders auf die Produktarten 14 (Rodentizide) und 18 (Insektizide) eingegangen, da diese die wichtigsten Mittel innerhalb dieser Hauptgruppe umfassen.

Tab. 1 Schädlingsbekämpfungsmittel als Biozidprodukte gemäß VO (EG) Nr. 528/2012 und ihre Verwendung

Eine Vielzahl der in Schädlingsbekämpfungsmitteln eingesetzten Wirkstoffe hat das europäische Verfahren zur Bewertung durchlaufen, sodass bereits zahlreiche Rodentizide, aber auch einige Insektizide in Deutschland als Biozidprodukte zugelassen sind.

Das Infektionsschutzgesetz (IfSG, [1]) regelt, welche Krankheiten bei Verdacht, Erkrankung oder Tod und welche labordiagnostischen Nachweise von Erregern meldepflichtig sind. Im IfSG ist auch festgelegt, dass gemäß § 18 bei behördlich angeordneten Entseuchungen (Desinfektion), Entwesungen (Bekämpfung von Nichtwirbeltieren) und Maßnahmen zur Bekämpfung von Wirbeltieren, durch die Krankheitserreger verbreitet werden können, nur Mittel und Verfahren verwendet werden, die in einer Liste im Bundesgesundheitsblatt bekannt gemacht worden sind. Die Aufnahme in die Liste erfolgt nur, wenn die Mittel und Verfahren hinreichend wirksam sind und keine unvertretbaren Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt haben. Das BfR ist für die Bewertung der Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit durch Anwendung von Mitteln zur Entwesung und Bekämpfung von Wirbeltieren zuständig. Hierbei ist hervorzuheben, dass aufgrund der geltenden Biozidgesetzgebung praktisch nur in Deutschland zugelassene Schädlingsbekämpfungsmittel in die Liste der Mittel aufgenommen werden können.

Toxizität relevanter Wirkstoffe

Die Toxizität der meisten Schädlingsbekämpfungsmittel resultiert in erster Linie aus den entsprechenden Eigenschaften ihrer Wirkstoffe. Aus diesem Grund wird im Folgenden auf eine Reihe von Wirkstoffen eingegangen, die für Schädlingsbekämpfungsmittel von Bedeutung sind. Die Bedeutung anderer Inhaltsstoffe ist bei den meisten Schädlingsbekämpfungsmitteln relativ gering. Viele Mittel bestehen hauptsächlich aus Lock- und Fraßstoffen, wie sie auch als oder in Lebens- und Futtermitteln verwendet werden. Gesundheitliche Bedenken können aber aus der Verwendung organischer Lösungsmittel resultieren, die die unterschiedlichsten akuten oder chronischen Wirkungen haben können. Tab. 2 gibt einen Überblick über die zu den im Folgenden beschriebenen Wirkstoffen sowie über ihre Wirkmechanismen und typischen Anwendungen.

Tab. 2 Übersicht über die wichtigsten Wirkstoffe in Schädlingsbekämpfungsmitteln, ihre Wirkmechanismen und ihre typischen Anwendungsgebiete

Rodentizide

4-Hydroxycoumarine

Bei den Rodentiziden werden überwiegend Wirkstoffe aus der Gruppe der 4-Hydroxycoumarine eingesetzt. Die Wirkung dieser Stoffe beruht auf ihrer Funktion als Vitamin-K-Antagonist und der daraus resultierenden Hemmung der Blutgerinnungsfaktoren-Bildung. Dieser Mechanismus bestimmt sowohl ihre Wirksamkeit als auch ihre toxikologischen Effekte. Da zunächst die im Blut vorhandenen Gerinnungsfaktoren verbraucht werden, tritt die Wirkung verzögert ein. Man unterscheidet sog. Antikoagulanzien der ersten (z. B. Warfarin, Coumatetralyl) und der zweiten Generation (z. B. Difenacoum, Brodifacoum, Flocoumafen und Bromadiolon). Die Antikoagulanzien der ersten Generation werden aus dem Organismus schneller eliminiert, da sie rascher metabolisiert werden. Daher ist für ihre toxikologische Wirkung eine höhere Dosis bzw. ihre Aufnahme über einen längeren Zeitraum erforderlich als bei den Antikoagulanzien der zweiten Generation. Die Antikoagulanzien der zweiten Generation sind folglich meist giftiger [5, 6]. Die Therapie entsprechender Vergiftungen besteht in erster Linie in der Gabe von Vitamin K als Antidot. Bei Vergiftung mit Antikoagulanzien der zweiten Generation ist aufgrund ihrer langsameren Eliminierung und der verlangsamten Neubildung von Gerinnungsfaktoren eine Langzeittherapie mit Vitamin K erforderlich. Aufgrund ihrer blutgerinnungshemmenden Wirkung werden Antikoagulanzien auch zu medizinischen Zwecken eingesetzt [7].

Für Warfarin ist zudem eine teratogene Wirkung sowohl auf Basis von Beobachtungen am Menschen als auch durch Tierversuche an der Ratte klar belegt. Es wird angenommen, dass der Einfluss auf die Blutgerinnung für die fruchtschädigende Wirkung verantwortlich ist [7]. Bezüglich der anderen Hydroxycoumarine sind die Ergebnisse aus Studien an Ratten und Kaninchen – meist aufgrund der hohen maternalen Toxizität der Verbindungen – nicht so eindeutig wie beim Warfarin. Zum Teil wurden überhaupt keine entsprechenden Effekte beobachtet. Dies wird insbesondere auf Unterschiede im Übergang der Wirkstoffe durch die Plazenta zurückgeführt. Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeiten der Hydroxycoumarine und des zugrunde liegenden Wirkmechanismus wird jedoch von vielen Experten eine generelle Einstufung dieser Verbindungen als reproduktionstoxisch befürwortet.

Difethialon

Difethialon ist ein Thiocoumarin-Derivat. Es hat vergleichbare toxikologische Eigenschaften wie die oben genannten 4-Hydroxycoumarine. Es gehört zu den Antikoagulanzien der zweiten Generation [7, 8].

Chlorophacinon

Chlorophacinon ist kein Coumarin-Derivat, sondern leitet sich vom 1,3-Indandion ab. Wie die Coumarin-Derivate ist es aber auch ein Gerinnungshemmer. Als Antidot wirkt nur Vitamin K1, nicht aber Vitamin K3 oder K4. Chlorophacinon wird aufgrund seines Wirkmechanismus ebenfalls eine teratogene Wirkung zugeschrieben. Allerdings konnte diese Wirkung in Tierversuchen an Ratten und Kaninchen nicht belegt werden [7, 9].

Alpha-Chloralose

Alpha-Chloralose ist ein Kondensationsprodukt aus Glukose und Chloralhydrat und zurzeit das einzige als Fraßköder eingesetzte Rodentizid, dessen toxikologische Wirkung nicht auf einer Hemmung der Blutgerinnung beruht. Im Organismus erfolgt ein Abbau zu Chloralhydrat, dem Hauptmetaboliten der alpha-Chloralose im Urin. Wie Chloralhydrat hat Alpha-Chloralose eine depressive Wirkung auf das zentrale Nervensystem und wirkt narkotisierend. Im medizinischen Bereich wurde es beim Menschen als Schlafmittel und Anästhetikum eingesetzt. Im Vergleich zu den oben genannten Antikoagulanzien ist die akute Toxizität von alpha-Chloralose gering [10].

Insektizide

Pyrethroide und Pyrethrine

Pyrethroide sind eine Klasse von synthetischen Insektiziden, die auf Basis der chemischen Struktur der natürlich in Pflanzen vorkommenden Pyrethrine entwickelt und optimiert wurden. Die Pyrethrine sind die wirksamen Bestandteile des aus den Blüten von Tanacetum-Arten (z. B. Chrysanthemen) gewonnenen Insektizids Pyrethrum. Es ist das am meisten eingesetzte natürliche Insektizid. Aufgrund seiner Instabilität ist seine Anwendung jedoch begrenzt. Daher wurden synthetische Derivate mit dem Ziel entwickelt, eine ausreichende Stabilität, eine gute Wirksamkeit und eine im Vergleich zur Wirksamkeit geringe Toxizität für Säugetiere miteinander zu verbinden. Derzeit auf europäischer Ebene positiv bewertete Biozidwirkstoffe aus der Gruppe der Pyrethroide sind Deltamethrin, Lambda-Cyhalothrin und Metofluthrin. Noch in der Bewertung befinden sich Pyrethrin, Chrysanthemum-cinerariaefolium-Extrakt, d-Allethrin, Esbiothrin, Prallethrin, Cypermethrin, alpha-Cypermethrin, Cyphenothrin, Cyfluthrin, Esfenvalerat, Imiprothrin, Permethrin, d-Phenothrin, Tetramethrin, d-Tetramethrin, Transfluthrin und Transmethrin.

Pyrethroide sind Nervengifte; sie blockieren die spannungsabhängigen Natriumkanäle der Nervenzellen, sodass diese nicht mehr geschlossen werden können. Die akute Toxizität der Pyrethroide ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Ihre akut toxische Wirkung hängt von den kinetischen Eigenschaften ab und korreliert mit der Konzentration des jeweiligen Pyrethroids im zentralen Nervensystem. Hinsichtlich ihrer akut toxischen Effekte im Tierversuch lassen sich die meisten Pyrethroide 2 Gruppen zuordnen: Typ-I-Pyrethroide (meist ohne Cyano-Gruppe, z. B. Permethrin) führen im Tierversuch zu Tremor, während Typ-II-Pyrethroide (meist mit Cyano-Gruppe, z. B. Deltamethrin) in erster Linie zu einer Choreoathetose (Hyperkinese in Form unwillkürlicher, langsam schraubender Bewegungen) mit Speichelfluss führen. Insgesamt sind schwere Vergiftungen beim Menschen selten. Üblicherweise werden reversible Effekte beobachtet, die auf die neurotoxische Wirkung der Pyrethroide zurückgeführt werden können (Benommenheit, Kopfschmerz, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Muskelzuckungen, Krämpfe, Bewusstlosigkeit). Bei überwiegend dermaler Exposition kann es zu Parästhesien kommen, die innerhalb weniger Stunden reversibel sind.

Die chronische Toxizität von Pyrethroiden wird im Allgemeinen als gering angesehen. Allerdings können bei chronischer Belastung dauerhaft akute Effekte auftreten. Es gibt Hinweise aus Tierversuchen, dass Pyrethroide bei wiederholter Exposition zu einem Absterben der Neuronen führen. Bleibende Schäden an Nerven oder anderen menschlichen Zellen konnten jedoch bisher nicht festgestellt werden. Ob Pyrethroide zum sog. „Multiple Chemical Sensitivity“-Syndrom beitragen, ist umstritten [11, 12].

Insekten-Wachstumsregulatoren

Die Wirkstoffe dieser Gruppe greifen in die Insektenmetamorphose ein. Sie wirken als Antagonisten der entsprechenden Wachstumshormone. Aus diesem spezifischen Wirkmechanismus ergibt sich im Allgemeinen eine im Vergleich zu anderen insektiziden Verbindungsgruppen (z. B. Pyrethroiden) geringe Toxizität für den menschlichen Organismus. Bei den Schädlingsbekämpfungsmitteln sind insbesondere die Juvenilhormonantagonisten von Bedeutung (z. B. S-Methopren, Pyriproxyfen) [13, 14].

Neonicotinoide

Neonicotinoide (z. B. Imidacloprid, Clothianidin und Acetamiprid) binden wie der in vielen Organismen vorkommende Neurotransmitter Acetylcholin an nikotinische Acetylcholinrezeptoren der Nervenzellen. Da die Neonicotinoide aber nicht durch die Acetycholinesterase abgebaut werden, kommt es zu einem Dauerreiz und schließlich zu einer Störung der Signalübertragung. Dieser Mechanismus tritt sowohl bei den zu bekämpfenden Insekten als auch im Säugerorganismus auf. Aufgrund der modifizierten Bindungseigenschaften der als Insektizide verwendeten Neonicotinoide ist die Bindung an die entsprechenden Rezeptoren im Säugerorganismus, und somit auch die dadurch vermittelte Toxizität, wesentlich geringer als für die Schadorganismen. Akute Vergiftungen beim Menschen sind selten [15, 16].

Begasungsmittel

Begasungsmittel werden sowohl als Rodentizide als auch als Insektizide eingesetzt. Die Bekämpfung von Schadorganismen mit Begasungsmitteln sollte aufgrund der Gefährlichkeit der Mittel und der darin enthaltenen Wirkstoffe nur durch besonders ausgebildete, sachkundige Anwender erfolgen.

Neben den Phosphiden (Aluminiumphosphid und Magnesiumphosphid) wird zur Bekämpfung von Nagern der Wirkstoff Blausäure angewendet. Der Wirkstoff Sulfuryldifluorid wird zur Schädlingsbekämpfung nur als Insektizid eingesetzt.

Aluminiumphosphid und Magnesiumphosphid

Die Biozidwirkstoffe Aluminiumphosphid und Magnesiumphosphid setzen bei Kontakt mit Feuchtigkeit gasförmiges, sehr giftiges, ätzendes Phosphan frei. Dieses wird sehr schnell insbesondere über die Lunge absorbiert und ist sehr giftig. Phosphan ist stark nukleophil und bindet daher an zahlreiche Biomoleküle. Insbesondere die Hemmung der mitochondrialen Cytochrom-Oxidase wird als Mechanismus für die akute Toxizität angenommen [17].

Blausäure

Blausäure ist ein sehr giftiges Gas. Luftkonzentrationen von über 300 mg/m3 Luft sind innerhalb kürzester Zeit tödlich. Blausäure und ihre Salze wirken insbesondere aufgrund ihrer Bindung an metallhaltige Proteine, was eine Anoxie verursacht. Hierbei wird die mitochondriale Cytochrom-Oxidase a3 durch Bindung des Cyanid-Ions an das zentrale Eisen(III)-Ion gehemmt. So kommt es zu einer Unterbrechung der Atmungskette, also der Synthese von Adenosintriphosphat. Folglich kann die Zelle den vorhandenen Sauerstoff nicht mehr zur Energiegewinnung nutzen. Ein wichtiges Antidot bei Blausäurevergiftungen ist 4-Dimethylaminophenol. Dies wandelt einen Teil des Eisen(II)-Ions im Hämoglobin zum Eisen(III)-Ion um. Das Cyanid (Salz der Blausäure) kann an das gebildete Methämoglobin binden und wird anderen, kritischeren Bindungspartnern entzogen [18].

Sulfuryldifluorid

Sulfuryldifluorid ist ein sehr giftiges, ätzendes Gas, das als Insektizid eingesetzt wird. Es dämpft das zentrale Nervensystem und führt in erhöhten Konzentrationen zu Übelkeit, Erbrechen, Unruhe, Krämpfen und Atemstillstand. Das Gas wird im Organismus zu Sulfat und Fluorid abgebaut. Fluorid als primäres Toxin greift relativ unspezifisch in den Energiestoffwechsel ein, sodass in den Zellen die Glykolyse und der Zitronensäurezyklus unterbrochen werden. Bei chronischer Exposition kann es zu einer Fluorose von Zähnen und Knochen kommen [19].

Vergiftungsfälle

Voraussetzung für die Zulassung von Schädlingsbekämpfungsmitteln als Biozidprodukte ist neben ihrer Unbedenklichkeit für die Gesundheit von Mensch und Haustier, dass ihre Anwendung sachgerecht und bestimmungsgemäß durchgeführt wird. Die Einhaltung der im Rahmen der Bewertung festgelegten, spezifischen Anwendungsbestimmungen und Auflagen ist für eine sichere Anwendung des Produkts dringend erforderlich. Im Folgenden wird zunächst die Situation zu gemeldeten Vergiftungsfällen mit Schädlingsbekämpfungsmitteln in Deutschland beschrieben. Anschließend werden prägnante Vergiftungsfälle (weltweit) aufgrund nicht sachgerechter Anwendung sowie Entsorgung aufgezeigt.

In der Giftinformationsdatenbank des BfR werden die nach dem Chemikaliengesetz (§ 16e Abs. 2) vorgeschriebenen, meldepflichtigen ärztlichen Mitteilungen zu Vergiftungsfällen in Deutschland dokumentiert. Die Vergiftungsfälle werden zum Schutz der Verbraucher vor gesundheitlicher Gefährdung durch Chemikalien und chemische Produkte im Sinne eines toxikologischen Monitorings regelmäßig ausgewertet und in den Ärztlichen Mitteilungen des BfR veröffentlicht.

Aus den Ärztlichen Mitteilungen des BfR aus dem Jahr 2010 geht hervor, dass akute Vergiftungen und Unfälle mit Chemikalien, darunter auch Pestizide, in Deutschland gemeldet werden. So zeigt eine Auswertung über den Zeitraum von 1990 bis 2010, dass sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern Vergiftungen unter anderem mit Schädlingsbekämpfungsmitteln (z. B. Insektiziden wie Pyrethroiden oder Rodentiziden wie Antikoagulanzien und Phosphan-bildenden Produkten) sowohl nach beruflicher als auch nach privater Anwendung angezeigt wurden [20]. Die Zahlen der Meldungen von mittleren bis schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen sind für den Zeitraum von über 20 Jahren relativ gering (z. B. mittlere bis schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen: Kinder: Pyrethroide: 3 Fälle, Antikoagulanzien: 0 Fälle, Phosphan: 2 Fälle; Erwachsene: Pyrethroide: 87 Fälle, Antikoagulanzien: 4 Fälle, Phosphan: 6 Fälle). Die Gesamtzahl der Meldungen umfasst auch leichte Gesundheitsbeeinträchtigungen, und dies zeigt, dass leichte Vergiftungen häufiger auftreten können (z. B. 424 Vergiftungen mit Pyrethroiden, 99 Vergiftungen mit Rodentiziden, darunter 36 mit Antikoagulanzien und 38 mit Phosphan-bildenden Produkten).

Für die Wertigkeit der Meldungen nach ChemG § 16e Abs. 2 ist es bedeutsam, dass das BfR im Vergleich zu den deutschen Giftinformationszentren nur einen geringen Anteil der Fälle mit leichtem Verlauf spontan erhält, aber etwa ein Drittel der Fälle mit mittelgradigem und schwerem Verlauf. In diesem Sinn ist die Aussagekraft der Analysen aus der ärztlichen Meldepflicht in Bezug zu relevanten Gesundheitsbeeinträchtigungen und Risiken durch chemische Stoffe und Produkte als gut einzuschätzen [20].

Bei nicht sachgerechter und nicht bestimmungsgemäßer Anwendung oder aber nicht fachgerechter Entsorgung kann von Schädlingsbekämpfungsmitteln sowohl für den Anwender selbst, aber auch für unbeteiligte Dritte (z. B. Kinder) eine Gefahr ausgehen. Einzelfälle zu gesundheitlichen Auswirkungen, z. B. aufgrund akzidenteller oraler Aufnahme von Rodentiziden (Verwechslung mit Lebensmitteln), sind in der Literatur berichtet. Watts et al. [21] berichten von einem 7-jährigen Kind aus den USA, das wahrscheinlich Pelletköder mit dem Antikoagulans Brodifacoum wiederholt aufgenommen hat, die im Rahmen einer Rattenbekämpfung in der Küche ausgelegt und für das Kind erreichbar waren. Erwähnenswert bei diesem Fall ist, dass die daraus resultierenden gesundheitlichen Auswirkungen über einen langen Zeitraum (13 Monate) anhielten, bevor sich die Blutwerte (Koagulation) nach medizinischer Behandlung wieder normalisiert haben.

Binks und Davies [22] berichten, dass nach einer einmaligen akzidentellen Exposition über den dermalen Aufnahmepfad gegenüber einem Chlorophacinon-haltigen Konzentrat bei einem berufsmäßigen Anwender neben Schmerzen im Lendenbereich andauernde Symptome wie Hämaturie und abnormale Blutgerinnungswerte aufgetreten sind. Der Anwender hatte sich das konzentrierte Produkt versehentlich großflächig über die Haut (Körper und Arme) geschüttet und die Haut anschließend mit Wasser gewaschen. Der Wirkstoff wurde jedoch über die Haut in so einem Ausmaß absorbiert, dass der Betroffene für 2 Monate insbesondere mit dem Antidot Vitamin K medizinisch behandelt werden musste.

Vergiftungsfälle mit tödlichem Ausgang sind in Einzelfällen nach der (nicht sachgerechten) Anwendung von Phosphan-bildenden Begasungsmitteln zur Bekämpfung von Ratten oder Wühlmäusen in Gängen aufgetreten. Im Jahr 2010 starben in den USA 2 kleine Kinder im Alter von 4 Jahren und 15 Monaten an den Folgen einer Begasung mit einem Phosphan-freisetzenden Schädlingsbekämpfungsmittel. Das Mittel wurde im Rahmen einer Bekämpfungsmaßnahme überdosiert; zudem wurden die erforderlichen Mindestabstände zu bewohnten Häusern nicht eingehalten, sodass das geruchlose Gas Phosphan, das lediglich bei Auftreten von Verunreinigungen nach Knoblauch riecht, unbemerkt in das bewohnte Haus eindringen konnte und die Bewohner via Inhalation exponiert waren [23]. In einem weiteren Fall starb ein Kind, nachdem es mit seiner Familie in einem Raum mit Reissäcken, die Aluminiumphosphid-haltige Pellets enthielten und Phosphan freisetzten, geschlafen hatte [24].

In Deutschland wurde in der Presse ebenfalls von einigen Vergiftungsfällen und Folgen unsachgemäßer Entsorgung berichtet. So mussten z. B. 28 Menschen zur Beobachtung in Krankenhäuser gebracht werden, da ein Phosphan-freisetzendes Rodentizid im Keller eines Wohnhauses unsachgemäß ausgelegt worden war [25]. In Bielefeld wurden 115 Kilo eines unsachgemäß entsorgten, Phosphan-freisetzenden Rodentizids von einem Spaziergänger im Wald gefunden [26].

Infolge eines Einsatzes von Sulfuryldifluorid als Holzschutzmittel zur Bekämpfung eines Insektenbefalls in Einrichtungsgegenständen einer Kirche kam es 2002 zu einem Unfall mit 10 schweren Vergiftungen und einem Todesfall. Das Begasungsmittel konnte aufgrund einer nicht sachgerechten Anwendung (unzureichende Abdichtung) in ein benachbartes Wohngebäude eindringen [27].

Immer wieder diskutiert wird der Zusammenhang zwischen einer Gesundheitsschädigung und der Anwendung pyrethroidhaltiger Schädlingsbekämpfungsmittel. Gemäß einer klinischen Bestandaufnahme des BfR ergab eine Auswertung keinen Hinweis auf irreversible Schädigungen, jedoch sollte insbesondere dem „Multiple Chemical Sensitivity“-Syndrom (MCS-Syndrom), der „vielfachen Chemikalienüberempfindlichkeit“, Beachtung geschenkt werden, da es ein noch ungeklärtes umweltmedizinisches Beschwerdebild darstellt. Hier sollen bereits kleinste Mengen verschiedenartiger chemischer Substanzen bei einer kleinen Zahl von Personen vielfache Krankheitsbeschwerden hervorrufen. Neben anderen Chemikalien könnten Pyrethroide bedeutende Auslöser dieses Syndroms sein [28]. Pyrethroide werden häufig z. B. gegen Schaben oder Bettwanzen in Innenräumen angewendet. Auf diese Weise können Personen diesen Stoffen insbesondere bei exzessivem Gebrauch oder nicht sachgerechter Anwendung ausgesetzt sein. Im Zeitraum von 2003 bis 2010 wurden in 7 Staaten der USA Gesundheitsbeeinträchtigungen, die im Zusammenhang mit einer Pyrethroid- oder Pyrethrin-Exposition bei bzw. mit der Bekämpfung von Bettwanzen standen, registriert. Die Auswertung zeigt, dass 111 Fälle verzeichnet wurden [29].

Insgesamt lässt sich feststellen, dass Vergiftungsfälle zwar registriert werden, diese jedoch in der Regel auf eine unsachgemäße Anwendung oder Lagerung/Entsorgung der Schädlingsbekämpfungsmittel zurückzuführen sind.

Gesundheitliche Risikobewertung

Für die gesundheitliche Bewertung von Biozidprodukten gelten die in Anhang VI der Verordnung (EG) Nr. 528/2012 [3] aufgeführten Grundsätze. Die Risikobewertung soll für alle Wirkstoffe sowie alle bedenklichen Beistoffe im Sinne des Art. 3 der oben genannten Verordnung durchgeführt werden und etwaige kumulative oder synergistische Effekte berücksichtigen.

Das Grundprinzip der (quantitativen) gesundheitlichen Risikobewertung ist in Abb. 1 dargestellt. An erster Stelle steht hier die Ableitung von Grenzwerten für die Wirkstoffe und – falls vorhanden – für die bedenklichen Beistoffe. Auf der Grundlage von Studien und Informationen zu diesen Stoffen werden die wichtigsten Gefahren durch die Wirkstoffe und/oder Beistoffe identifiziert. Hieraus resultiert die erforderliche Einstufung und Kennzeichnung für das gesamte Biozidprodukt gemäß Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 [30], bzw. Richtlinie 1999/45/EG [31]. Im nächsten Schritt wird die jeweilige Dosis-Wirkungs-Beziehung für die relevanten Endpunkte bestimmt; dies ist für die Wirkstoffe in der Regel bereits im Rahmen der Wirkstoffbewertung auf europäischer Ebene erfolgt. Die dazugehörigen „No Observed Adverse Effect Level“ (NOAEL) werden möglichst für eine chronische, eine mittelfristige und eine akute Exposition ermittelt. Auf Grundlage dieser Bewertung werden unter Berücksichtigung von Sicherheitsfaktoren und der Toxikokinetik systemische Referenzwerte („Acceptable Exposure Level“, AEL), ggf. routenspezifische AEC („Acceptable Exposure Concentration“) und der ADI („Acceptable Daily Intake“) sowie ggf. die ARfD („Acute Reference Dose“) abgeleitet. Die wichtigsten Informationen zu diesen Grenzwerten sind in Tab. 3 zusammengefasst. Mit geeigneten Modellen und Daten wird dann die bei Anwendung des zu bewertenden Biozidproduktes auftretende Exposition gegenüber den entsprechenden Substanzen ermittelt. Diese Abschätzung umfasst sowohl die direkte Exposition des Anwenders während der Anwendung als auch die Exposition unbeteiligter Dritter während und nach der Anwendung. Zur Abschätzung der Exposition stehen Modelle für verschiedene Szenarien zur Verfügung. Ein mögliches Auftreten von Rückständen auf oder in behandelten oder kontaminierten Gegenständen und Flächen wird bei der Bewertung berücksichtigt. Die ermittelten Expositionswerte werden den entsprechenden Referenzwerten gegenübergestellt. Wird dabei eine Überschreitung des Referenzwertes durch die abgeschätzte Exposition festgestellt, so ist entweder von einem nicht annehmbaren gesundheitlichen Risiko auszugehen oder eine Verfeinerung der Risikobewertung durchzuführen. Diese kann zum einen im Bereich der Expositionsabschätzung ansetzen (z. B. durch detaillierte Parameter zu den entsprechenden Expositionsszenarien, spezifische Expositionsdaten, Berücksichtigung von Risikominderungsmaßnahmen wie Schutzausrüstung, technisch-organisatorische Maßnahmen) oder auch aufseiten der Ableitung der Referenzwerte (z. B. durch weitere Studien und andere Daten zur Toxikologie und zur dermalen Absorption, Ableitung von Referenzwerten für bestimmte Subpopulationen) durchgeführt werden. Liegt die Expositionsmenge unter den abgeleiteten Grenzwerten, kann das Biozidprodukt aus Sicht der gesundheitlichen Risikobewertung zugelassen werden. Etwaige Anwendungsbestimmungen aufgrund der Einstufung und Kennzeichnung des Produkts oder erforderlicher Risikominderungsmaßnahmen sind hierbei zu berücksichtigen.

Abb. 1
figure 1

Allgemeines Schema der Risikobewertung im Rahmen der Zulassung von Biozidprodukten. BP Biozidprodukt, SoC Substance of Concern (bedenklicher Beistoff), AS aktive Substanz (Wirkstoff), RMM Risikominderungsmaßnahme, AEL Acceptable Exposure Level. Erläuterung s. Text

Tab. 3 Übersicht über die Grenzwerte und die ihnen zugrunde liegenden Parametern. (Mod. nach [32])

Gesundheitliche Risikobewertung speziell für die berufsmäßige Anwendung

Berufsmäßige Schädlingsbekämpfungen werden in Deutschland vor allem durch Schädlingsbekämpfer sowie Landwirte durchgeführt. Für die Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln mit sehr giftigen, giftigen und gesundheitsschädlichen Stoffen und Zubereitungen sieht die Gefahrstoffverordnung besondere Vorschriften zum Schutz des Menschen und der Umwelt vor stoffbedingten Schädigungen vor (s. Anhang I Nummer 3 der Gefahrstoffverordnung [33]). Die entsprechende Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 523 „Schädlingsbekämpfung mit sehr giftigen, giftigen und gesundheitsschädlichen Stoffen und Zubereitungen“ [34] präzisiert diese Verordnung unter anderem hinsichtlich der personellen Ausstattung (z. B. Einsatz von Hilfskräften), weiterer Schutzmaßnahmen, arbeitsmedizinischer Vorsorge und Dokumentation. Für die berufsmäßige Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln mit sehr giftigen, giftigen und gesundheitsschädlichen Stoffen ist eine Sachkunde nach Gefahrstoffverordnung erforderlich, die z. B. in Deutschland Teil der Ausbildung von Schädlingsbekämpfern ist.

Die Verwendung von Begasungsmitteln (z. B. Sulfuryldifluorid oder Phosphan) wird ebenfalls durch die Gefahrstoffverordnung im Anhang I Nummer 4 geregelt. Auch hier ist eine spezielle TRGS (TRGS 512: „Begasungen“ [35]) vorhanden, die das genaue Vorgehen bei einer Begasung beschreibt. So muss, wer eine Begasung durchführt, eine Erlaubnis und einen Befähigungsschein besitzen, die jeweils von der zuständigen Behörde auf Landesebene erteilt werden. Des Weiteren sind auch für Begasungen spezifische Regelungen hinsichtlich der personellen Ausstattung (z. B. Einsatz von Hilfskräften), weiterer Schutzmaßnahmen, arbeitsmedizinischer Vorsorge, Dokumentation usw. zu beachten.

Im Rahmen des Biozidzulassungsverfahrens werden auf Basis eines gesundheitsbasierten Referenzwertes die Risiken, die für den berufsmäßigen Anwender bestehen, bewertet. Werden dabei unannehmbare Risiken identifiziert, gibt die bewertende Behörde (Fachbereich 4 der BAuA) geeignete Arbeitsschutzmaßnahmen vor, die das Produkt selbst, die Verwendungsart oder den Anwender betreffen können.

Zur Bewertung der unterschiedlichen Arbeitsplätze sind eine genaue Kenntnis der Tätigkeiten, die Einschätzung der damit verbundenen Exposition und die Beurteilung von praxistauglichen Arbeitsschutzmaßnahmen notwendig. Neben der Auswertung von Literatur und Begehungen von Arbeitsplätzen hat der Fachbereich 4 der BAuA bereits verschiedene Projekte initiiert, die die berufsmäßige Verwendung von Biozidprodukten betrachten. So hat sich ein Projekt mit der Verwendung von Molluskiziden, Insektiziden, Repellenzien und Lockmitteln [36] beschäftigt und dabei wertvolle Hinweise zu den einzelnen Tätigkeiten und den dabei auftretenden dermalen bzw. inhalativen Expositionen und zu Arbeitsschutzmaßnahmen, die geeignet sind, die Exposition zu verringern, geliefert.

Die zu erwartende Exposition beim Ausbringen von Schädlingsbekämpfungsmitteln hängt von dem verwendeten Produkt und der Ausbringungsart ab. Hierzu nachfolgend einige Beispiele: Beim Ausbringen von Wachsblöcken zur Nagerbekämpfung wird z. B. eine Exposition der Hände erwartet. Die Art und Höhe der Exposition sind durch Messungen in Studien belegt, und je nach Höhe der Exposition müssen daher zur Einhaltung des Referenzwertes beim Ausbringen solcher Produkte Chemikalienschutzhandschuhe getragen werden.

Bei der Verwendung von granulatförmigen Rodentiziden in Gebinden größer 10 kg kann es beim Umschütten des Produktes in einen Eimer oder in eine Köderbox neben einer dermalen Exposition zu einer inhalativen Exposition kommen.

Die geringste Exposition ist beim Ausbringen von Schädlingsbekämpfungsmitteln für Produkte zu erwarten, die mithilfe einer Dosierpistole als Gel ausgebracht werden. Diese Ausbringungsart findet man sowohl bei Produkten gegen Nagetiere als auch gegen Insekten.

Flüssige Zubereitungen von Insektiziden werden beim großflächigen Einsatz per Gießkanne ausgebracht, versprüht oder vernebelt. Beim Versprühen oder Vernebeln ist der Anwender beim Tragen von Handgeräten unmittelbar durch den Sprühnebel belastet (Abb. 2). Es ist sowohl eine dermale Exposition größerer Körperflächen als auch eine inhalative Exposition gegenüber Aerosolen zu erwarten. Dies wurde ebenfalls im Rahmen eines BAuA-Projektes zu Sprühprozessen [37] untersucht. Für die Höhe der Exposition spielen das verwendete Sprühgerät, die Sprühdüse und die Richtung des Sprühens eine entscheidende Rolle. Neben flüssigen Zubereitungen werden auch pulverförmige Zubereitungen bei der Insektenbekämpfung verwendet, die verstreut, verstäubt oder nach Verdünnung mit z. B. Wasser ebenfalls versprüht werden. Auch hier sind dermale und inhalative Expositionen zu erwarten.

Abb. 2
figure 2

Vernebelung eines Insektizids in einem Silo. (Aufgenommen im Rahmen des Projektes F 2137 [36])

Bei der Verwendung von Begasungsmitteln, wie z. B. Aluminiumphosphid in Form von Pellets, tritt bereits beim Öffnen der Gebinde sowie während der Ausbringung eine inhalative Exposition gegenüber Phosphan auf. Sowohl während der Ausbringung als auch nach der Begasung (z. B. beim Belüften von begasten Objekten wie Frachtcontainer [38]) werden Überschreitungen des Arbeitsplatzgrenzwertes für Phosphan (nach TRGS 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“ [39]) beobachtet. Aus diesem Grund ist bei den entsprechenden Tätigkeiten ein Atemschutz zu tragen. In Bezug auf eine dermale Exposition wird beim Ausbringen von Aluminiumphosphid als Rodentizid der Einsatz eines sog. Applikators vorgeschrieben, um den dermalen Kontakt zu dem Mittel soweit wie möglich zu reduzieren. Mit diesem Gerät können die Pellets in die Nagetierbauten über ein Fallrohr ausgebracht werden, ohne dass der Anwender mit dem Produkt in Kontakt kommt.

Aufgrund der Ergebnisse der Risikobewertung eines jeden Produkts werden bei der Zulassung entsprechende spezifische Anwendungsbestimmungen formuliert. Diese können, falls erforderlich, die beantragte Anwendung beschränken und/oder bestimmte Risikominderungsmaßnahmen vorgeben, wie z. B. die Verwendung einer technischen Lüftung oder persönlicher Schutzausrüstung. Eine Einschränkung von Verpackungsgrößen ist ebenfalls denkbar, um den Anwender – wie z. B. beim Umfüllen von Granulaten beschrieben – vor einer inhalativen Exposition zu schützen. Eine weitere Risikominderungsmaßnahme ist die Beschränkung der Anwendung auf den sachkundigen Anwender, da hier aufgrund der entsprechenden Ausbildung des Anwenders mit einem sicheren Umgang und der Einhaltung der in den Technischen Regeln vorgegebenen Maßnahmen zu rechnen ist.

Gesundheitliche Risikobewertung speziell für nicht-berufsmäßige Anwender und die allgemeine Öffentlichkeit

Für Schädlingsbekämpfungsmittel, die nach der gültigen Biozidgesetzgebung für den nicht-berufsmäßigen Anwender zugelassen werden, sind Auflagen zur Risikominderung vorzuschreiben, wenn dies auf Grundlage der gesundheitlichen Risikobewertung erforderlich ist.

Die meisten dieser Anwendungsbestimmungen gehen über die nach Gefahrstoffrecht vorgeschriebenen Angaben hinaus und fließen in die Kennzeichnung des Biozidprodukts mit ein. Die Kennzeichnung weist z. B. auf gesundheitliche Risiken hin, die auf Grundlage der gesundheitlichen Risikobewertung identifiziert wurden, und dient dazu, deren Auftreten vorzubeugen (z. B. „Nur im Außenbereich anwenden.“, „Nur in gut belüfteten Bereichen anwenden.“, „Hautkontakt vermeiden.“, „Bei der Arbeit lange Hose, langärmliges Hemd und festes Schuhwerk tragen.“). Es kann sich aber auch um Hinweise handeln, die dem nicht-berufsmäßigen Anwender die Verwendung weitergehender persönlicher Schutzausrüstung empfehlen. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass gemäß den Technical Notes for Guidance on Human Exposure (2007) [40] die korrekte Anwendung einer persönlichen Schutzausrüstung durch den nicht-berufsmäßigen Anwender aufgrund der fehlenden Fachkenntnisse in der Regel nicht vorausgesetzt werden kann. Selbst wenn es sich lediglich um Schutzhandschuhe handelt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass von nicht-berufsmäßigen Anwendern geeignete Schutzhandschuhe ausgewählt und richtig angewendet werden. Sehr spezifische Schutzmaßnahmen – wie z. B. Atemschutz – sind dem berufsmäßigen Anwender vorbehalten.

Im Allgemeinen wird bei der Risikobewertung davon ausgegangen, dass der Anwender sich an die in der Gebrauchanweisung beschriebenen Maßnahmen hält und diese umsetzt. Dennoch ist vom Antragsteller und den zuständigen Behörden von Fall zu Fall zu prüfen, inwieweit die Einhaltung der beschriebenen Vorgaben und Sicherheitshinweise durch den nicht-berufsmäßigen Anwender tatsächlich vorausgesetzt werden kann. Eine Untersuchung auf EU-Ebene hat gezeigt, dass die nicht-berufsmäßigen Anwender nicht unbedingt den Sicherheitshinweisen folgen [41]. Daher ist bei der Vergabe entsprechender Risikominderungsmaßnahmen stets abzuwägen, ob diese tatsächlich zielführend sind und umgesetzt werden können. Allgemein lässt sich festhalten, dass eine zu hohe Zahl an Hinweisen und eine komplizierte Anwendung dazu führen, dass die vergebenen Auflagen nicht eingehalten werden und somit bei der gesundheitlichen Risikobewertung nicht berücksichtigt werden können.

Eine weitere Möglichkeit der Risikominderung besteht in organisatorisch-technischen Maßnahmen. Darunter fallen z. B. Maßnahmen, die die Eigenschaften der Verpackungen oder des Biozidprodukts selbst betreffen. Das können zum einen kindersichere Verschlüsse, Beschränkungen in der Verpackungsgröße oder der Verpackung beigelegte Schutzhandschuhe sein. Denkbar sind aber zum anderen auch Beistoffe, die die physiko-chemischen Eigenschaften des Biozidprodukts beeinflussen und so z. B. durch eine Erhöhung der Viskosität die Gefahr eines Verspritzens, etwa bei ätzenden Formulierungen, verringern. Ein Kontakt mit z. B. ätzenden Konzentraten, die vom Anwender verdünnt werden müssen, wird mit Ready-to-Use-Produkten vermieden. Eine weitere Möglichkeit, Exposition zu vermeiden, ist der Einsatz von Dosierhilfen.

Die gesundheitliche Risikobewertung umfasst neben der Bewertung des Risikos für den Anwender bei Applikation auch die erforderliche Betrachtung eines Risikos für unbeteiligte Dritte während (Nebenstehende) oder nach der Anwendung (z. B. durch Benutzung behandelter Gegenstände). Eine weitere, gesondert zu betrachtende Gegebenheit sind die Orte, an denen der Anwender Biozidprodukte verwenden möchte. Hier muss die entsprechende Dauer der Exposition der verschiedenen Personengruppen, insbesondere empfindlicher Personen (Kinder oder ältere Menschen), berücksichtigt werden. Denkbare Szenarien für die Sekundärexposition Unbeteiligter sind speziell bei Kindern beispielsweise das Krabbeln auf behandeltem Teppich, das in den Mund nehmen behandelter Gegenstände, die orale Aufnahme über die Hand nach Kontakt mit behandelten Oberflächen oder die akzidentelle Aufnahme von nicht verbrauchten, im Haushalt gelagerten Produkten. Neben dem Anwender und unbeteiligten Dritten stehen auch Haustiere im Fokus.

Denkbare Risikominderungsmaßnahmen sind hier z. B. das Vorschreiben von manipulationssicheren Köderstationen, Anfärben von Ködern (Vorbeugung der Verwechslung mit Lebensmitteln), Zusatz von Bitterstoffen, kindersichere Verschlüsse oder vorgeschriebene Dekontaminationsmaßnahmen.

Fazit

Schädlingsbekämpfungsmittel bergen gesundheitliche Risiken. Daher unterliegen sie der Biozidgesetzgebung und müssen im Rahmen der Zulassung einer gesundheitlichen Risikobewertung unterzogen werden. Die festgelegten Anwendungsbestimmungen müssen umsetzbar sein, und die Befolgung dieser Bestimmungen ist eine Grundannahme bei der Risikobewertung. Nur eine sachgerechte und bestimmungsgemäße Anwendung kann gesundheitlichen Risiken und/oder Vergiftungsfällen vorbeugen bzw. Fehlanwendungen auf ein Minimum reduzieren und den sicheren Umgang mit den Produkten gewährleisten.