Um 1870 beschrieb Johann Nepomuk von Nußbaum (1829–1890) erstmals die Anwendung von Morphinen zur Verlängerung und zur Verstärkung der Chloroformnarkose [1]. Seither hat sich dieses Verfahren deutlich weiterentwickelt und gehört neben der Regionalanästhesie zur täglichen Praxis in unseren Operationssälen. Durch die apparativen Ausstattungen und die Kombinationen einzelner Wirkstoffgruppen konnte die anästhesieassoziierte Mortalität bei Patienten:innen ohne relevante Systemerkrankung auf 0,4 Fälle/100.000 Anästhesien gesenkt werden [2].

Opioidfreie Anästhesie stellt ein anderssichtiges Konzept der fortschrittlichen Anästhesiologie dar

Zur Erzielung neuer Fortschritte ist es notwendig, auch neue Strategien und Verfahren zu entwickeln. Die Einführung der opioidfreien Anästhesie (OFA, [3]) ist ein neuer Ansatz, die möglichen Nebenwirkungen von Opioiden wie postoperative Übelkeit und postoperatives Erbrechen („postoperative nausea und vomiting“, PONV), Atemdepression, opioidinduzierte Hyperalgesie, Opioidabhängigkeit, Halluzinationen und Schlafstörungen zu reduzieren. Zusätzlich werden Opioide ebenso mit dem Auftreten von Wundheilungsstörungen und dem evtl. Auftreten eines Tumorrezidivs in Verbindung gebracht. Bei der OFA wird versucht, die schmerztherapeutische Wirkung der Opioide durch Verwendung von Nichtopioidanalgetika sowie anderen Koanalgetika wie Clonidin, Dexmedetomidin, Lidocain, Magnesium und Cortison zu ersetzen.

Um dieses Thema wissenschaftlich genau und präzise behandeln zu können, müssen wir sicher in Zukunft noch viele Fragen klären. Einige Beispiele dazu sind:

  • Wie verhalten sich die zu verabreichenden Nichtopioid- und Koanalgetika in Bezug auf Neben- und Wechselwirkungen, verglichen mit Opioiden?

    Das Neben- und Wechselwirkungsspektrum von Opioiden ist aufgrund der langjährigen Erfahrung bereits bestens bekannt. Wegen der verschiedenen Kombinationen und des notwendigen Einsatzes verschiedener Arzneimittelgruppen muss sicher noch ein spezieller Blick auf die Nutzen-Risiko-Abwägung gelegt werden.

  • Erfährt das endogene Opioidsystem [4] irgendeine spezielle Veränderung durch eine OFA?

    Bei Schmerzreizen setzt das körpereigene Opioidsystem Enzephaline und Endorphine frei. Aus diesem Grund ist der Begriff opioidfreie Anästhesie nicht völlig korrekt. Über die Wirkdauer und Effizienz dieses Systems benötigen wir aber sicher noch genaue wissenschaftliche Evidenz.

  • Wie sollten wir eine objektive Schmerzmessung bei narkotisierten Patientinnen und Patienten durchführen?

    Um die Schmerzerfahrung von narkotisierten Patientinnen und Patienten beschreiben zu können, muss über den Begriff der „Nozizeption“ [5, 6] gesprochen werden. Hierbei werden die neuronalen Reaktionen deutlich besser abgebildet. Allerdings gibt es bis dato keine effektive Methode, die Nozizeption genau zu bestimmen [7].

Für ein umfassendes Bild von Nutzen und Risiko ist es sicherlich notwendig, nach genauer Abgrenzung und Definition der Strategien einer OFA weitere randomisierte und kontrollierte Studien durchzuführen. Über den aktuellen Wissensstand zu diesem Thema haben Leffler et al. in dieser Ausgabe von Die Anaesthesiologie einen sehr guten Übersichtsartikel verfasst. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen des Beitrags.