Die Aufklärungspflicht vor medizinischen Eingriffen und Behandlungen hat in den letzten Jahrzehnten zunehmende Bedeutung erlangt. Auch wenn dieses Thema schon in der Antike diskutiert wurde, ist das Aufklärungsgespräch ab den 1950er-Jahren mit dem Begriff „informed consent“ immer mehr in den Fokus unseres medizinischen Handelns gerückt [1]. Einerseits haben wir die Pflicht, entsprechend den rechtlichen Vorgaben über Maßnahmen, Handlungen und evtl. Alternativen aufzuklären, andererseits erwarten unsere Patient:innen zufriedenstellende Informationen über das bei ihnen geplante Vorgehen.

Technikentwicklung und „work load“ fördern den Trend zum telemedizinischen Präanästhesiegespräch

Allein in Deutschland werden ungefähr 17 Mio. Narkosen/Jahr in Krankenanstalten durchgeführt [2]. Das bedeutet natürlich auch ebenso viele Präanästhesiegespräche, die zusätzlich zur Arbeit im OP, im Aufwachraum und auf der Intensivstation durchgeführt werden müssen. Diese Arbeitsbelastung ist vor dem Hintergrund begrenzter oder sogar reduzierter Ressourcen entsprechend zu bewältigen. Während der letzten Jahre und Jahrzehnte bestand – zumindest in den Krankenhäusern – der Trend, die Präanästhesiegespräche über Anästhesieambulanzen zu organisieren. Mit dem Fortschreiten der technischen Entwicklung einerseits sowie dem zunehmenden zeitlichen und personellen Druck andererseits sind Alternativen zu einem persönlichen Gespräch immer immanenter geworden. Zwei Ereignisse haben diese Entwicklung beschleunigt. Zuerst in Deutschland das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 15.06.2010, in dem festgehalten wird: „In einfach gelagerten Fällen kann der Arzt den Patienten grundsätzlich auch in einem telefonischen Gespräch über die Risiken eines bevorstehenden Eingriffs aufklären, wenn der Patient damit einverstanden ist“ [3]. Und dann die Coronapandemie, die uns alle in Mobilität und persönlichen Kontakten eingeschränkt hat. Dadurch sind viele Weiterentwicklungen und Lösungsansätze bezüglich telemedizinischer Präanästhesiegespräche beschleunigt worden. Während die Telefonaufklärung bisher als Ausnahme gesehen wurde, geht derzeit der Trend eher mehr in Richtung telemedizinische Aufklärung.

Neben dem Anspruch bester Patient:innen-Betreuung ist die Forderung der Rechtssicherheit zu erfüllen

Genau mit diesem Thema einer technisch unterstützten Patient:innen-Aufklärung beschäftigen sich Wienhold et al. in ihrem Beitrag „Anästhesiologische Risikoevaluation und rechtssichere Aufklärung per Telemedizin – Sind wir bereit für einen Paradigmenwechsel?“ [4]. Dieses Thema ist breit gefächert. Es geht nicht nur um die rein telefonische Aufklärung, sondern zunehmend auch um andere Kommunikations- und Interaktionsformen. An neue technische Optionen sind jedoch im Vorfeld zahlreiche Fragen zu stellen. Welche Vorteile (z. B. Zeiteinsparung) bestehen für die Patient:innen? Welche strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen sind notwendig? Wir alle wollen nicht nur unseren anvertrauten Patient:innen beste Betreuung bieten, das Ganze muss auch in einem rechtssicheren Rahmen stattfinden.

Prinzipiell werden Gespräche per Telefon oder Videoschaltung von Patient:innen gut angenommen [5]. Dabei ist für mich v. a. die Art und Weise der Gesprächsführung bedeutend und nicht, ob das Gespräch von Angesicht-zu-Angesicht oder per Telefon geführt wurde. Limitierend sind eher die Möglichkeiten einer klinischen Begutachtung und Untersuchung der Patient:innen bei telefonischer Aufklärung. Das kann eine der größten Hürden in der Durchführung des Aufklärungsgesprächs per Telemedizin darstellen. Ein Gespräch mithilfe einer Videoschaltung ist sicher im Vergleich zum reinen Telefongespräch deutlich im Vorteil. Aber gerade hier werden technische Neuerungen wie entsprechende Apps vermutlich noch weitere Verbesserungen bringen.

Das Präanästhesiegespräch stellt die Visitenkarte des Faches Anaesthesiologie dar

Lassen wir uns überraschen, wie das Thema der Anästhesieaufklärung in naher Zukunft gestaltet wird. Das Gespräch von Angesicht-zu-Angesicht wird in vielen Bereichen unseres Fachs, wie beispielsweise bei ambulanten Eingriffen, in den Hintergrund rücken, darf aber nicht vergessen werden. Technischer Fortschritt, finanzielle und personelle Ressourcen, aber auch rechtliche Rahmenbedingungen und Gerichtsurteile werden die Veränderungen und Entwicklungen beeinflussen. Wichtig ist immer zu beachten, dass das Präanästhesiegespräch die Visitenkarte unseres Faches darstellt. Wir können neben der verpflichtenden Aufklärung den Patient:innen Vertrauen zu unserem Handeln vermitteln, evtl. Ängste abbauen und zusätzlich das Ansehen unseres Faches stärken.