Die demografische Entwicklung einerseits und der medizinische Fortschritt andererseits ermöglichen immer komplexere medizinische Eingriffe bei stetig älter werdenden Patient*innen mit multiplen und relevanten Komorbiditäten. Ein oder mehrere bestimmte Organe – die während einer Operation, einer Transplantation oder eines prozeduralen Eingriffs besonders gefährdet sind – spezifisch durch Interventionen oder Medikamente vorzubereiten und zu schützen: Dies beschreibt die sich seit vielen Jahren entwickelnde Idee hinter der Strategie einer perioperativen Organprotektion.

In der vorliegenden Ausgabe von Die Anaesthesiologie wird die perioperative Organprotektion durch eine ausführliche Übersichtsarbeit von Lehmann et al. sowohl in Bezug auf klinische Konzepte als auch deren bisher bekannte, molekulare Mechanismen präsentiert. Hierbei fassen die Autoren die aktuelle Datenlage unter besonderer Berücksichtigung möglicher therapeutischer und patientennaher Konzepte zusammen. Dieser thematische Komplex ist nicht nur hinsichtlich einer Risikominimierung und Schadensreduktion für das Outcome der uns anvertrauten Patient*innen relevant, sondern ebenso ökonomisch von Interesse, denn weniger perioperative Komplikationen kommen schlussendlich auch unserem Gesundheitssystem zugute.

Die perioperative Organprotektion bei Risikopatienten sollte als Option in Betracht gezogen werden

Der erste Versuch einer ischämischen Präkonditionierung und der damit verbundenen kardialen Organprotektion wurde durch Murry 1986 publiziert [7], obschon das bekannte Pringle-Manöver bereits 1908 erstmals erfolgreich durchgeführt wurde [12]. Bei Letztgenanntem lag der Fokus aber vornehmlich auf einer Verlängerung der Ischämietoleranz und einer Reduktion der hepatischen Blutung – die Induktion potenziell protektiver Mechanismen durch eine zeitweilige Unterbindung der Leberperfusion wurde erst viel später erkannt. Die ischämische Konditionierung ist einer der potentesten endogenen Mechanismen zur Protektion spezifischer Organe und Gewebe; hierbei stehen v. a. Herz und Nieren im Fokus der Bemühungen, aber ebenso die Neuroprotektion und die Verbesserung der Funktion von Transplantaten.

Neben der Präkonditionierung waren in den vergangenen Jahren auch die sog. Postkonditionierung nach einem potenziell schädigenden Ereignis sowie die Fernkonditionierung („remote ischemic preconditioning“, RIPC) Gegenstand klinischer Untersuchungen. Die Ergebnisse diverser Studien waren uneinheitlich: Während Thielmann et al. einen vorteilhaften Effekt nach RIPC für ein kardiochirurgisch behandeltes Kollektiv darstellen [13] und auch im Follow-up nach mehreren Jahren noch nachweisen konnten [3], zeigten Meybohm et al. in der multizentrischen RIPHeart(remote ischemic preconditioning of the heart)-Studie keinen vorteilhaften Effekt des RIPC bei kardiochirurgischen Operationen [5, 6]. Als mögliche Ursachen für diese unterschiedlichen Ergebnisse werden u. a. die Dauermedikation der Patient*innen z. B. mit Nitraten oder die Anästhesieinduktion und -aufrechterhaltung mit Propofol angenommen, die die RIPC-Effekte konterkarieren können [2, 8]. Eine Kardioprotektion kann aber auch durch die Gabe bestimmter Pharmaka, darunter verschiedene Anästhetika, anstelle der präkonditionierenden Ischämie induziert werden [15].

Die Effekte des RIPC hinsichtlich einer Nephroprotektion sind offenbar nicht von einer Propofolgabe abhängig, denn die Ergebnisse sind einheitlich vorteilhaft für die Konditionierung [4, 14].

Es ergibt sich eine Reihe von weiteren Fragestellungen aus diesem Themenkomplex:

  • Sind es „nur“ die Nieren, das Herz, die Leber und das Gehirn, die eine Protektion durch das anästhesiologische Management erfahren können?

  • Hat eine Konditionierung Einfluss auf septische Krankheitsbilder?

  • Gibt es noch andere Möglichkeiten oder Mechanismen der Organprotektion, die wir nutzbar machen können?

  • Sollten wir (Lebend‑)Spender von Organen vor einer Transplantation einer RIPC unterziehen? Oder auch die Empfänger …?

Erste Daten weisen auf die Möglichkeit hin, dass die Konditionierung auch Einfluss auf das Outcome nach onkochirurgischen Eingriffen haben könnte [10, 11].

Den Anästhesist*innen kommen bei der Umsetzung dieser Überlegungen entscheidende und über den perioperativen Verlauf der Patient*innen weit hinausreichende Aufgaben und Verantwortung zu. Mit einer Konditionierung z. B. im Sinne des RIPC sind bislang keine negativen Auswirkungen assoziiert worden; eine Anwendung nicht nur bei kardiochirurgischen, sondern auch bei anderen, großen chirurgischen Eingriffen stellt nicht nur in Bezug auf die Reduktion von Nierenschädigungen ein vielversprechendes Instrument dar. Ebenso stellen die volatilen Anästhetika eine Möglichkeit zum perioperativen Schutz bestimmter Organe dar [1, 9].

Zusammenfassend „sollte“ die Organprotektion z. B. durch RIPC oder auch spezielle andere pharmakologische Optionen auf der Grundlage der bestehenden Datenbasis und unter dem Verständnis einer Intervention, die keine Schäden verursacht, in die perioperativen Konzepte zur Behandlung von Hochrisikopatienten implementiert werden. Die RIPC ist nichtinvasiv und stellt eine preiswerte Alternative zu anderen präkonditionierenden Verfahren dar. Die Organprotektion kann und wird allerdings keine „magic bullet“ sein, die alle Probleme im perioperativen Setting zu lösen vermag.