Prüfungssimulation

Fallschilderung

Ein 34-jähriger Patient begab sich nach positivem Befund des Antigenschnelltests auf das Severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) bei milder Symptomatik eigenständig in häusliche Quarantäne. Nach einer Woche entwickelte der Patient eine Dyspnoe und kontaktierte den Rettungsdienst, der ihn aufgrund einer manifesten Hypoxie stationär einwies. Eine COVID-19-assoziierte Pneumonie („coronavirus disease 2019“) wurde bei der Krankenhausaufnahme virologisch mithilfe eines Nukleinsäureamplifikationsverfahrens bestätigt. Wegen einer beginnenden Zyanose unter nichtinvasiver Ventilation (NIV) musste der Patient intubiert und mechanisch beatmet werden. Trotz invasiver Beatmung konnte keine ausreichende Oxygenierung erreicht werden, weshalb der Anschluss an eine venovenöse extrakorporale Membranoxygenierung (vv-ECMO) erfolgte.

Aufgrund steigender Infektionsparameter ca. eine Woche nach Krankenhausaufnahme wurde der klinische Verdacht einer beatmungsassoziierten Pneumonie („ventilator-associated pneumonia“, VAP) gestellt.

Nach entsprechender Diagnostik und gezielter Therapie entwickelte sich im weiteren Verlauf eine Agranulozytose, wahrscheinlich durch die Gabe von Metamizol bedingt. Parallel zeigten sich laborchemisch signifikante Konzentrationsanstiege der Leberwerte und der Entzündungsparameter (Tab. 1; Abb. 1); klinisch imponierten vesikuläre Exantheme im Bereich des linken Schulterblatts und orofazial.

Tab. 1 Auswahl von Laborwerten des Patienten im klinischen Verlauf
Abb. 1
figure 1

Schematische Darstellung wichtiger Laborwerte des Patienten

Nach entsprechender Diagnostik und intensivmedizinischer Therapie konnte der Patient in deutlich gebessertem Allgemeinzustand auf die Normalstation verlegt werden.

Prüfungsfragen

  • Wie wird eine Beatmungspneumonie klinisch diagnostiziert, und welche Differenzialdiagnosen sind zu beachten?

  • Wie ist in diesem Fall eine sinnvolle mikrobiologische Diagnostik durchzuführen?

  • Welche Erreger lassen sich am häufigsten bei Beatmungspneumonien nachweisen?

  • Anhand welcher Kriterien sollte die initiale Antibiotikatherapie ausgewählt werden?

  • Welchen Stellenwert hat eine Kombinationstherapie?

  • Wann und wie lange sollen nosokomiale Pneumonien behandelt werden?

  • Welche Differenzialdiagnosen sind bei dem Patienten bezüglich des Auftretens der Exantheme und des Konzentrationsanstiegs der Leberwerte zu beachten?

Antworten

Wie wird eine Beatmungspneumonie klinisch diagnostiziert, und welche Differenzialdiagnosen sind zu beachten?

  • Die Verdachtsdiagnose einer nosokomialen Pneumonie ist laut aktueller Leitlinie [1] bereits bei Vorkommen folgender Symptome therapierelevant:

    • radiologisch ein neues, persistierendes oder progredientes Infiltrat, kombiniert mit 2 der 3 folgenden Kriterien:

      Leukozytenzahl > 10.000/μl oder < 4000/μl,

      Fieber > 38,3 °C,

      purulentes Sekret.

  • Differenzialdiagnosen:

    • Atelektasen (Sekretverlegung),

    • Herzinsuffizienz/Stauungssymptomatik,

    • Lungenarterienembolien,

    • alveoläre Hämorrhagie,

    • interstitielle Lungenerkrankungen,

    • „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS).

Wie ist in diesem Fall eine sinnvolle mikrobiologische Diagnostik durchzuführen?

Bei nosokomialen Pneumonien sind

  • mindestens semiquantitative Kulturen aus folgenden qualitativ hochwertigen Untersuchungsmaterialien des unteren Atemwegs anzulegen:

    • tracheobronchiales Aspirat (TBAS),

    • bronchoalveoläre Lavage (BAL).

  • Blutkulturen (auch zur Aufdeckung extrapulmonaler Infektionsquellen), empfohlen werden 3 Pärchen (aerob/anaerob) für eine adäquate Sensitivität.

  • Falls verfügbar: mikrobiologische Notfalldiagnostik mithilfe von schnellen Multiplex-Polymerase-Kettenreaktion(PCR)-Systemen (Tab. 2)

Tab. 2 Molekulare Schnelldiagnostik

Merke.

Das „point-of-care testing“ (POCT; Tab. 2) hat als diagnostisches Hilfsmittel großes Potenzial. Allerdings erfordern der Einsatz und die Interpretation eine gründliche mikrobiologische und/oder infektiologische Beratung vor Ort.

Cave.

Rachenabstriche gelten als minderwertiges Untersuchungsmaterial.

Cave.

Keimzahlen in respiratorischen Proben haben einen orientierenden Wert und sind nicht als unabhängige Prädiktoren des Vorliegens einer Pneumonie zu betrachten, sondern vielmehr im klinischen Kontext zu interpretieren. Erreger von Pneumonien lassen sich manchmal nur in Blutkulturen nachweisen.

Welche Erreger lassen sich am häufigsten bei Beatmungspneumonien nachweisen?

  • Eine Übersicht der häufigsten Erreger von Beatmungspneumonien findet sich in Tab. 3.

  • Häufig nachgewiesene Keime, die keiner antibiotischen Therapie bedürfen, sind in Tab. 4 aufgeführt.

Tab. 3 Häufigste Erreger von Beatmungspneumonien. (Modifiziert nach Dalhoff et al. [1])
Tab. 4 Häufig nachgewiesene Keime, die keiner antibiotischen Therapie bedürfen

Merke.

Die in Tab. 4 aufgeführten Erreger gelten gemäß Leitlinie [1] als oropharyngeale Standortflora ohne therapeutische Relevanz bei einer nosokomialen Pneumonie.

Anhand welcher Kriterien sollte die initiale Antibiotikatherapie ausgewählt werden?

Empfohlene Überlegungen (Abb. 2):

  • Mikrobiologische Befunde aus respiratorischen Proben:

    • gezielte Antibiose nach Antibiogramm.

  • POCT:

    • Antibiotikagabe unter Berücksichtigung nachgewiesener Pathogene und Resistenzgene.

  • Relevante mikrobiologische Vorbefunde:

    • Antibiotikagabe unter Berücksichtigung der beim Patienten vorbekannten Pathogene und deren Resistenz, auch in Bezug auf multiresistente Erreger (MRE).

  • Kalkulierte Therapie anhand des anamnestischen MRE-Risikos gemäß Leitlinie [1]:

    • bei Patienten ohne erhöhtes Risiko für MRE:

      Aminopenicilline/β-Lactamase-Inhibitoren,

      Cephalosporine der Gruppe 3a,

      pneumokokkenwirksame Fluorchinolone,

    • bei Patienten mit erhöhtem Risiko für MRE werden zur kalkulierten Monotherapie oder initial in Kombination eingesetzt:

      Piperacillin/Tazobactam,

      Cefepim,

      Imipenem,

      Meropenem,

      Ceftazidim (nur in Kombination mit einer gegen grampositive Erreger wirksamen Substanz),

      als Kombinationspartner werden Aminoglykoside oder Pseudomonas-wirksame Fluorchinolone empfohlen.

  • Die Substanzauswahl soll vor dem Hintergrund des lokalen Erregerspektrums und Resistenzprofils getroffen werden.

Abb. 2
figure 2

Stufenschema zur Planung einer rationalen Therapie bei Beatmungspneumonie. MRE multiresistente Erreger, MRGN multiresistente gramnegative Stäbchenbakterien, MRSA Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus, PCR Polymerase-Kettenreaktion

Welchen Stellenwert hat eine Kombinationstherapie?

Die Gabe von 2 oder mehr verschiedenen Antibiotika zur Therapie einer Infektion ist

  • indiziert bei:

    • Infektionen mit verschiedenen pathogenen Erregern, wenn kein Antibiotikum alle Keime trifft,

  • zu diskutieren bei:

    • Infektionen durch Carbapenem-resistente gramnegative Stäbchen (multiresistente gramnegative Stäbchenbakterien mit Resistenzen gegen 4 Antibiotikaklassen [4MRGN]: Enterobacterales, Pseudomonaden oder Acinetobacter),

    • im Rahmen der initialen kalkulierten Therapie bei schwerer klinischer Infektion, wenn aufgrund eines MRE-Verdachts keine Einzelsubstanz die potenziellen Erreger sicher abdeckt.

      Beispiele:

      a) V. a. Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA): Dieser wird von keinem der im Abschn. „Anhand welcher Kriterien sollte die initiale Antibiotika-Therapie ausgewählt werden?“ genannten Antibiotika abgedeckt, daher Zugabe von Vancomycin oder Linezolid.

      b) V. a. auf Carbapenem-Resistenz (4MRGN-Erreger, solitär Carbapenem-resistente Pseudomonaden): Ein zweites Antibiotikum wird in der Hoffnung verabreicht, solche Erreger damit zu treffen. Häufig werden hierzu Aminoglykoside oder Fluorchinolone empfohlen. Bei bekanntem 4MRGN-Erreger Therapie nach Antibiogramm.

  • Rücksprache mit klinischer Mikrobiologie/Infektiologie, Antibiotic-Stewardship(ABS)-Team empfohlen.

  • Kombinationstherapien bringen ein erhöhtes Toxizitätsrisiko mit sich, daher werden generell die mikrobiologische Befunderhebung und die Deeskalation auf ein singuläres, wirksames Antibiotikum empfohlen [5].

Merke.

Eine Kombinationstherapie wird meist eingesetzt, wenn

  • Unklarheit über die beteiligten Erreger besteht,

  • Resistenzen befürchtet werden und

  • der klinische Zustand des Patienten so kritisch ist, dass kein Risiko eingegangen werden sollte, einen potenziellen Erreger (MRE) evtl. nicht von Anfang an gleich zu treffen („Schrotschuss-Ansatz“).

  • Bei Infektion mit bekanntem Erreger reicht in der Regel die gezielte Therapie mit einem als wirksam getesteten Antibiotikum aus.

Der Fall.

Zunächst wurde aufgrund der Schwere des Krankheitsbildes eine kalkulierte Kombinationstherapie mit Imipenem plus Vancomycin (aufgrund des unklaren MRSA-Risikos) gestartet. Nach Erhalt des mikrobiologischen Befunds (Tab. 5) konnte antibiogrammgerecht auf eine Monotherapie mit Piperacillin/Tazobactam deeskaliert werden; der pulmonale Zustand des Patienten verbesserte sich daraufhin innerhalb weniger Tage.

Tab. 5 Erregernachweis bei dem vorgestellten Patienten und Antibiogramm (Breakpoints nach EUCAST, https://www.eucast.org/clinical_breakpoints/)

Wann und wie lange sollen nosokomiale Pneumonien behandelt werden?

  • Beginn so früh wie möglich, direkt nach der Entnahme adäquater mikrobiologischer Proben,

  • bei sepsisassoziierter Organdysfunktion möglichst innerhalb der ersten Stunde,

  • Standardtherapiedauer: 7 bis 8 Tage,

  • bei begleitender S.-aureus-Bakteriämie mindestens 14 Tage,

  • praktische Erwägung: Die Therapie muss nicht zwingend bis zur Normalisierung des Röntgenbefunds und der Infektionsparameter sowie zur mikrobiologischen Clearance fortgeführt werden, wenn eine klinische Einschätzung eine vorige Beendigung der Therapie zulässt.

Welche weiteren Differenzialdiagnosen sind bei dem Patienten bezüglich des Auftretens der Exantheme und des Konzentrationsanstiegs der Leberwerte zu beachten?

Häufige Ursachen für einen Konzentrationsanstieg der Leberwerte auf der Intensivstation sind:

  • Rechtsherzinsuffizienz,

  • ischämische Hepatitis,

  • medikamentöse Hepatotoxizität,

  • parenterale Ernährung,

  • Virusreaktivierungen mit Leberbeteiligung.

Der Fall.

Der Patient entwickelte 8 Tage nach der Krankenhausaufnahme zusätzlich zu den erhöhten Leberwerten vesikuläre Exantheme im Bereich der rechten Schulter und orofazial. Die Entwicklung von Vesikeln, die mit klarer Flüssigkeit gefüllt sind, weist auf eine Reaktivierung von Herpes-simplex-Virus(HSV)-1/-2- oder Varizella-Zoster-Virus (VZV) hin.

Weitere Fragen zur Fallentwicklung (Virusreaktivierung)

  • Welche Viren können während eines intensivmedizinischen Aufenthalts systemisch reaktivieren?

  • Welche klinischen Hinweise gibt es auf eine solche Reaktivierung?

  • Welche Faktoren erhöhen das Risiko einer Virusreaktivierung?

  • Welche Diagnostik sollte bei V. a. eine virale Reaktivierung veranlasst werden?

  • Wann und wie sollten Virusreaktivierungen therapiert werden?

Antworten

Welche Viren können während eines intensivmedizinischen Aufenthalts systemisch reaktivieren?

  • Reaktivierungen von latent persistierenden Viren, insbesondere die Gruppe der Herpesviren, sind bei Intensivpatienten keine Seltenheit, häufig auch multiple Virusreaktivierungen gleichzeitig.

  • Mit abnehmender Häufigkeit lassen sich nachweisen:

    • Epstein-Barr-Virus (EBV),

    • humanes Zytomegalievirus (HCMV),

    • HSV‑1,

    • HSV‑2,

    • VZV.

  • Zudem zeigt sich häufig eine Reaktivierung von Polyomaviren (BK- und JC-Viren) und des humanen Herpesvirus 6 (HHV-6), ohne dass man deren klinische Bedeutung bei Reaktivierung kennt [6, 7]

Welche klinischen Hinweise gibt es auf eine solche Reaktivierung?

  • Die klinischen Symptome sind meistens unspezifisch, hinweisend können eine mäßig erhöhte Lactatkonzentration, ein mäßig erhöhter CRP-Wert, persistierendes Fieber [7] oder, neben vielen anderen möglichen Ursachen, ein Transaminasenkonzentrationsanstieg bei Leberbeteiligung sein.

Cave.

Reaktivierungen von HSV und VZV gehen meistens ohne Hautmanifestationen einher. Treten jedoch Exantheme auf, ist die Flüssigkeit in den Vesikeln hochinfektiös, Hygienemaßnahmen sind zu beachten.

Welche Faktoren erhöhen das Risiko einer Virusreaktivierung?

  • Immunsupprimierende Grunderkrankungen, z. B. „Human-immunodeficiency-virus“(HIV)-Infektion oder Leukämien,

  • stressinduzierende Einflüsse wie die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation oder Beatmung,

  • Gabe von Glukokortikoiden, Blutprodukten [6] oder, wie im vorgestellten Fall, eine metamizolbedingte Agranulozytose.

Welche Diagnostik sollte bei V. a. virale Reaktivierung veranlasst werden?

  • Virusreaktivierungen werden mithilfe von Nukleinsäureamplifikationstechniken (NAT) aus Serumproben nachgewiesen.

  • Bei Exanthemen wird ein virologischer Abstrich abgenommen; der Tupfer sollte Flüssigkeit aus den Vesikeln enthalten.

  • Serologische Untersuchungen sind zur Beantwortung der Fragestellung unzureichend:

    • Das Vorliegen von IgG-Antikörpern weist auf ein altes Infektionsgeschehen oder eine Impfung bei VZV-Infektion hin. Der Nachweis des HSV-IgG kann bei einer Reaktivierung falsch-negativ ausfallen [8]

    • Der häufig beschriebene IgM-Antikörper-Titeranstieg bleibt bei Reaktivierungen häufig aus.

Cave.

Antikörpernachweise (Serologie) sind zur Diagnostik von Virusreaktivierungen ungeeignet. Der Nachweis sollte immer mithilfe von Nukleinsäureamplifikationstechniken erfolgen.

Wann und wie sollten Virusreaktivierungen therapiert werden?

  • Es ist umstritten, ob und ab wann eine Therapie sinnvoll ist.

  • Bekannt ist, dass Virusreaktivierungen, v. a. wenn mehr als ein Virus repliziert, mit einer verlängerten Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation und einer erhöhten Mortalität einhergehen können [6, 7]. Zudem treten häufiger Sekundärinfektionen mit Bakterien und/oder Pilzen auf [7]

  • Inwieweit die Virusreplikation direkt zu einer Verschlechterung des klinischen Zustands beiträgt, oder ob die Reaktivierungen als Marker einer sich verschlechternden Immunsituation zu werten sind, ist bisher weitgehend ungeklärt und bedarf weiterer Studien [6, 7].

  • Momentan wird bei vorher immunkompetenten Patienten eine Therapie im Fall von Primärinfektionen und Reaktivierung mit hohen Viruskonzentrationen und/oder Organbeteiligung diskutiert [6].

Der Fall.

Aufgrund der hohen HSV-1-Konzentration im perioralem Abstrich (107 Genome/ml) und im Serum (104 Genome/ml), möglicher Leberbeteiligung bei erhöhten Transaminasenkonzentrationen und Hautmanifestationen wurde eine klinische Verschlechterung befürchtet und eine Aciclovirtherapie begonnen [9, 10].