Einleitung

Bei Schwerverletzen ist die Hämorrhagie verantwortlich für 30–40 % der Todesfälle und gleichzeitig die häufigste potenziell vermeidbare Todesursache [1,2,3,4,5]. Die überwiegende Mehrzahl der lebensbedrohlichen Blutungen in der zivilen Notfallmedizin in Europa findet sich in Becken und Abdomen [1, 6, 7]. Der Einsatz der „resuscitative endovascular balloon occlusion of the aorta“ (REBOA) zur temporären Blutungskontrolle bei diesen Verletzungen hat in den letzten Jahren ein gewisses „Revival“ erfahren. Nachdem die erste Beschreibungen einer aortalen Ballontamponade zur Versorgung einer intraabdominellen Verletzung aus der Militärmedizin zu Zeiten des Koreakrieges stammen [8, 9], fand in den vergangenen Jahrzehnten die Technik im Wesentlichen in einigen gefäßchirurgischen Zentren zur temporären Blutungskontrolle beim rupturiertem Bauchaortenaneurysma Anwendung [10, 11]. Durch die technische Weiterentwicklung des Materials und den Rückgang der verfahrensbedingten Komplikationen wird die REBOA inzwischen wieder v. a. im Rahmen von Beckenfrakturen zur temporären Blutungskontrolle als vielversprechende Methode diskutiert, um die Zeit bis zur operativen oder zur interventionell-angiologischen Blutstillung zu überbrücken [12,13,14,15]. In der aktuellen S3-Leitlinie „Polytrauma/Schwerverletztenversorgung“ wird die REBOA im Sinne einer Expertenmeinung (Empfehlungsgrad 0) bei „kreislaufinstabilen Patienten in extremis“ empfohlen [16]. Eine Übersicht über die aktuellen internationalen Leitlinien und leitliniennahen Empfehlungen zum Einsatz der REBOA bietet Tab. 1.

Tab. 1 Übersicht über aktuelle Leitlinien und Empfehlungen zum Einsatz der „resuscitative endovascular balloon occlusion of the aorta“ (REBOA)

Wir haben im Universitären Notfallzentrum des Universitätsspitals Bern seit 2020 einen Algorithmus zur Durchführung einer REBOA bei hämodynamisch instabilen Traumapatienten etabliert (Abb. 1). Seither wurde das REBOA-Manöver über den Zeitraum von 12 Monaten bei 7 Patienten durchgeführt. Im Folgenden möchten wir konsekutiv alle Fälle kurz berichten und unsere Erfahrungen zur Diskussion stellen. Die in den einzelnen Fallberichten geschilderten Verletzungen sind die Diagnosen, die nach Abschluss der kompletten Diagnostik (inklusive Computertomographie) im Rahmen der Schockraumversorgung gestellt wurden. Die Entscheidung zur REBOA musste in den meisten Fällen aber sehr frühzeitig und meist nur anhand der Informationen zur Unfallkinematik, der Vitalparameter und der Erstuntersuchung (in der Regel inklusive fokussierter Sonographie [„extended focused assessment with sonography for trauma“, eFAST] und evtl. Röntgenaufnahme des Thorax und Beckens) im Schockraum gestellt werden.

Abb. 1
figure 1

Algorithmus zur Anwendung der „resuscitative endovascular balloon occlusion of the aorta“ (REBOA) des Universitären Notfallzentrums des Universitätsspitals Bern. aTraumatic cardiac arrest im Schockraum oder < 10 min vor Eintreffen: Notfallthorakotomie erwägen. BD Blutdrucke, eFAST extended focused assessment using sonography in trauma, REBOA resuscitative endovascular balloon occlusion of the aorta, V.a. Verdacht auf

Fallberichte

Fall 1

Unfallmechanismus.

Der Patient wurde bei Baumfällarbeiten zwischen 2 Bäumen eingeklemmt.

Initiale Arbeitsdiagnose.

Beckentrauma, stumpfes Thorax- und Abdominaltrauma.

Hämodynamische Situation.

Bei Aufnahme in den Schockraum hämodynamisch instabil. Mittlerer arterieller Druck (MAD) 50–60 mm Hg unter Noradrenalin bis 0,1 µg/kgKG und min.

REBOA-Manöver.

Problemlose, ultraschallgestützte Einlage einer 7‑F-Schleuse femoral-arteriell rechts und konsekutives Einbringen einer ER-REBOA® (Fa. Prytime Medical, Texas, USA) in Zone III innerhalb von 9 min (gemessen von der Entscheidung für das REBOA-Manöver bis zur Ballonokklusion der Aorta). Lagekontrolle durch Ableiten arterieller Druckkurven an Schleuse und Katheterspitze. Nach REBOA MAD 70–80 mm Hg, kein Noradrenalinbedarf mehr.

Umstellung auf partielle REBOA (d. h. nur noch partiell geblockter Ballon, sodass in der invasiv gemessenen Blutdruckkurve distal der Aortenokklusion wieder eine leichte Pulsation zu erkennen ist) und vollständiger Rückzug des Katheters innerhalb der folgenden 45 min unter massiver Volumensubstitution (Kristalloide, Erythrozytenkonzentrate und Frischplasma) und nach Stabilisierung und Anlegen einer Beckenzwinge schließlich Verlegung in die Angiographie-Suite. Die einliegende femoral-arterielle Schleuse konnte für die Embolisation der pelvinen Blutungsquelle genutzt werden.

Wesentliche Verletzungen.

Beckenfraktur (C-Verletzung) mit bilateraler Sakrumfraktur sowie Schambeinastfraktur rechts und Sprengung des Iliosakralgelenks, Rippenserienfraktur rechts mit Pneumothorax, große Morel-Lavallée-Verletzung gluteal rechtsseitig, Milzlazeration I°.

Behandlungsergebnis.

Exitus letalis 22 Tage nach dem Trauma nach Entscheid für eine palliative Therapie bei septischem Multiorganversagen bei im Verlauf diagnostizierter Rektum- und Dünndarmperforation im Rahmen eines Abrisses des Mesenteriums sowie multiplen ischämischen Grenzzoneninfarkten im Mediastromgebiet bei zerebrovaskulärer Verschlusskrankheit.

Fall 2

Unfallmechanismus.

Sturz aus dem 3. Stock.

Initiale Arbeitsdiagnose.

Schweres Polytrauma mit führendem Schädel-Hirn-Trauma, eFAST: wenige freie Flüssigkeit im Morison-Pouch.

Hämodynamische Situation.

Hämodynamisch instabil, MAD 30–45 mm Hg unter 0,08 µg/kgKG und min Noradrenalin, Herzfrequenz (HF) 130/min.

REBOA-Manöver.

Problemlose, ultraschallgestützte Einlage einer 7‑F-Schleuse femoral-arteriell rechts und konsekutives Einbringen einer ER-REBOA innerhalb von 13 min. Entgegen den klinikinternen Vorgaben (Abb. 1) wird der Ballon trotz positivem eFAST in Zone III, nicht in Zone I platziert. Lagekontrolle durch Ableiten arterieller Druckkurven an Schleuse und Katheterspitze. Umstellung auf partielle REBOA unter kontinuierlicher Volumengabe mit kristalloiden Infusionslösungen und Blutprodukten und vollständige Entfernung des Katheters nach 90 min.

Nach REBOA: MAD 80–100 mm Hg unter 0,02–0,04 µg/kgKG und min Noradrenalin, HF 100–110/min.

Wesentliche Verletzungen

Traumatische Subarachnoidalblutung, Dissektion der A. vertebralis links im V2-Segment, instabile Wirbelkörperfraktur Halswirbelkörper (HWK) 3/4, Lungenlazeration links mit kleinem Pneumothorax.

Behandlungsergebnis.

Exitus letalis 33 Tage nach dem Trauma nach Entscheid für eine palliative Therapie bei fehlender Aufwachreaktion nach Ausschluss reversibler Ursachen und irreversibler hoher Schädigung des Rückenmarks in Höhe HWK 3/4.

Fall 3

Unfallmechanismus.

Patient wurde von einem Zug erfasst.

Initiale Arbeitsdiagnose.

Beckentrauma, Thoraxtrauma, beidseitige Unterschenkelamputation, eFAST: Pneumothorax links, keine freie Flüssigkeit im Abdomen.

Hämodynamische Situation.

Hämodynamisch instabil, MAD 70 mm Hg unter 0,25 µg/kgKG und min Noradrenalin, Herzfrequenz 140/min.

REBOA-Manöver.

Beim wachen Patienten frustrane Schleuseneinlage unter Ultraschallkontrolle in der rechten Femoralarterie (Draht nicht zu positionieren). Schließlich problemlose, ultraschallgestützte Einlage einer 7‑F-Schleuse femoral-arteriell links und konsekutives Einbringen eines ER-REBOA®-Katheters innerhalb von 7 min in Zone III. Aortenokklusion zeitgleich mit Einleitung der Intubationsnarkose. Lagekontrolle durch Ableiten arterieller Druckkurven an Schleuse und Katheterspitze. Umstellung auf partielle REBOA unter kontinuierlicher Volumengabe und Übernahme des Patienten mit partiell geblocktem Katheter in den OP.

Nach REBOA: MAD 80–100 mm Hg ohne Katecholamine, HF 80–100/min.

Wesentliche Verletzungen.

Rippenserienfraktur links, kleiner Hämatopneumothorax links, Sternumfraktur, Acetabulumfraktur rechts, beidseitige Hüftluxation, beidseitige komplette Unterschenkelamputation, blutend trotz straff anliegender Tourniquets.

Behandlungsergebnis.

Exitus letalis 18 Tage nach dem Trauma nach Entscheid zur palliativen Therapie bei malignem Mediainfarkt unklarer Ursache.

Fall 4

Unfallmechanismus.

Fahrradfahrer von Lkw überrollt.

Initiale Arbeitsdiagnose.

Beckenfraktur, ausgedehnte Weichteilverletzungen, eFAST: negativ.

Hämodynamische Situation.

Hämodynamisch instabil, MAD 70–80 mm Hg unter Noradrenalin auf 0,02–0,05 µg/kgKG und min und Massivtransfusion, HF 90–130/min.

REBOA-Manöver.

Bei initial mäßiger Volumenresponse Einlage einer 7‑F-Schleuse femoral-arteriell links unter Sicht (aufgrund der ausgedehnten Décollement-Verletzung) und beim wachen Patienten problemlos. Anlage einer Beckenzwinge im Schockraum nach Intubationsnarkose. Im Verlauf bei zunehmender hämodynamischer Instabilität Einbringen eines ER-REBOA®-Katheters über die Schleuse in Zone II (Ziel war Zone III) und Verlegung des Patienten in den OP.

Nach REBOA: MAD 60–80 mm Hg ohne Katecholamine, HF 60–70/min.

Wesentliche Verletzungen.

Décollement von 35–40 % der Körperoberfläche an Rumpf und Oberschenkel beidseits, Beckenfraktur (C-Verletzung) mit spinopelviner Dissoziation, Trümmerfraktur des Sakrums, bilaterale Schambeinasttrümmerfraktur, Impressionsfraktur des rechten Acetabulums mit zentraler Luxation des Hüftkopfes, Dünndarmperforation, Harnblasenruptur.

Behandlungsergebnis.

Verlegung in ein Verbrennungszentrum aufgrund der ausgedehnten Weichteilverletzungen am 13. Tag nach dem Trauma, wach, orientiert, unter suffizienter Analgesie.

Fall 5

Unfallmechanismus.

Motorradunfall.

Initiale Arbeitsdiagnose.

Thoraxtrauma, Abdominaltrauma, Beckentrauma, eFAST: Hämatopneumothorax rechts, freie Flüssigkeit im Abdomen.

Hämodynamische Situation.

Hämodynamisch instabil, MAD 60–70 mm Hg unter Noradrenalin 0,07 µg/kgKG und min, HF 100–110/min.

REBOA-Manöver.

Bei Eröffnung des Beckengurts in Vorbereitung zur operativen Stabilisierung nach Abschluss der Diagnostik kam es zur massiven hämodynamischen Instabilität, sodass wir uns zur sofortigen Anlage eines REBOA-Katheters entschieden. Einlage der Schleuse problemlos unter Ultraschallkontrolle und Positionierung des Ballons in Zone I.

Nach REBOA: MAD 60–70 mm Hg unter rückläufiger Noradrenalindosierung bis auf 0,01 µg/kgKG und min, HF 70–80/min. Übernahme in den OP zur operativen Stabilisierung des Beckens.

Wesentliche Verletzungen.

Contusio cordis, kleiner Hämatopneumothorax rechts, dislozierte Rippenserienfraktur rechts, Milzlazeration und Leberlazeration II°, aktive intraabdominale Blutung bei Lazeration A. hepatica und Mesoeinriss, komplexe Beckenfraktur (C-Verletzung) mit aktiver Blutung, Blasenruptur.

Behandlungsergebnis.

Entlassung am 68. Tag nach dem Trauma in die Rehabilitation in gutem Allgemeinzustand.

Fall 6

Unfallmechanismus.

Der Patient wurde von einem Lkw überrollt. Kurz nach Eintreffen des Rettungsdienstes wird der Patient reanimationspflichtig bei pulsloser elektrischer Aktivität des Herzens (PEA).

Initiale Arbeitsdiagnose.

Traumatischer Herz-Kreislauf-Stillstand.

Hämodynamische Situation und REBOA-Manöver.

Bei Aufnahme in den Schockraum war der Patient nach wie vor reanimationspflichtig. Daher entschlossen wir uns zur sofortigen linksseitigen Thorakotomie und Klemmung der Aorta (Zeit von Ankunft im Schockraum bis Klemmen der Aorta 4 min), parallel wurde rechtsseitig eine Thoraxdrainage in Bülau-Position eingelegt. Unter zusätzlicher Massivtransfusion konnte so innerhalb von 5 min eine Wiederherstellung eines Spontankreislaufs („restoration of spontaneous circulation“, ROSC) erzielt werden. Im anschließend durchgeführten eFAST fand sich abdominell keine freie Flüssigkeit, sodass während der Vorbereitungen zur Anlage einer Beckenzwinge eine femoral-arterielle Schleuse (mittels „Cut-down“-Technik) und hierüber eine REBOA in Zone III platziert wurden. Dieses Manöver konnte innerhalb von 5 min und ohne erneute hämodynamische Instabilität durchgeführt werden.

Wesentliche Verletzungen.

Die Aufnahme in den Schockraum erfolgt unter kardiopulmonaler Reanimation bei pulsloser elektrischer Aktivität des Herzens (PEA). „Open book“-Verletzung des Beckens, Rippenserienfrakturen beidseits.

Behandlungsergebnis.

Im Laufe der operativen Versorgung des Patienten kam es trotz Massivtransfusion und intensiver Substitution von Gerinnungsfaktoren zur diffusen Blutungstendenz in Abdomen und Thorax, die auch chirurgisch nicht weiter zu kontrollieren war. Daher wurde interdisziplinär die Entscheidung zum Therapieabbruch getroffen. Exitus letalis 5 h nach Aufnahme.

Fall 7

Unfallmechanismus.

Gleitschirmabsturz aus ca. 30 m Höhe. Kurz nach Eintreffen des Rettungshubschraubers wird der Patient während der Versorgung reanimationspflichtig, ROSC prähospital nach einer Reanimationsdauer von 20 min.

Initiale Arbeitsdiagnose.

Traumatischer Herz-Kreislauf-Stillstand, eFAST: freie Flüssigkeit im Koller-Pouch, wenig Perikarderguss, hämodynamisch nicht relevant.

Hämodynamische Situation.

Zwei Minuten nach Aufnahme des Patienten in den Schockraum kommt es erneut zu einem Kreislaufstillstand bei PEA.

REBOA-Manöver.

Problemlose, ultraschallgesteuerte Einlage einer 7‑F-Schleuse femoral-arteriell rechts. Unter nun notwendiger kardiopulmonaler Reanimation wird die bereits vor Eintritt des erneuten Herz-Kreislauf-Stillstandes begonnene REBOA-Einlage nun innerhalb von 2 min durch Einlage eines ER-REBOA®-Katheters in Zone I beendet. Insgesamt dauerte die REBOA-Anlage 7 min. Unmittelbar nach Okklusion der Aorta ROSC. Rückzug in Zone III nach Abschluss der Schockraumdiagnostik, da die Computertomographie keine relevante intraabdominelle Flüssigkeit zeigte.

Wesentliche Verletzungen.

Prähospitaler traumatischer Herz-Kreislauf-Stillstand mit primär erfolgreichem ROSC, schweres Schädel-Hirn-Trauma mit Subarachnoidalblutung, stumpfes Abdominaltrauma mit freier Flüssigkeit perisplenisch, multiple instabile Wirbelkörperfrakturen (HWK 5, Brustwirbelkörper 3, 4 und 11, Lendenwirbelkörper 1, 4 und 5), dislozierte offene Femurfraktur links.

Behandlungsergebnis.

Die computertomographische Diagnostik zeigte bereits ein schweres diffuses Hirnödem, schon mit Zeichen der hypoxischen Hirnschädigung, Kornealreflexe ließen sich nicht auslösen (nach Ausschluss einer neuromuskulären Blockade), beide Pupillen waren weit und lichtstarr. Daher entschlossen wir uns noch im Schockraum zur Einleitung einer palliativen Therapie. Der Patient verstarb 5 h nach Aufnahme auf der Intensivstation im Beisein der Familie.

Eine Übersicht über die geschilderten Fälle bietet Tab. 2.

Tab. 2 Übersicht über die geschilderten Fälle

Diskussion

Die Zahl der Patienten, bei denen wir uns für die Durchführung eines REBOA-Manövers entschieden, überstieg mit 7 innerhalb eines Jahres deutlich unsere Erwartungen. Diese Zahl lag auch deutlich über den Abschätzungen aus dem Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Diese ergaben, dass in einem überregionalen Traumazentrum mindestens ein Patient/Jahr zu erwarten ist, bei dem eine REBOA indiziert ist [24]. Da das Verfahren momentan noch nur von einer kleinen Gruppe an Ärzten angewandt wird, stand die Option zur REBOA nicht täglich und nicht rund um die Uhr zur Verfügung (in der Regel nur tagsüber und werktags). Daher liegt die tatsächliche Zahl der Patienten, bei denen eine REBOA indiziert gewesen wäre, vermutlich noch höher.

Die geschilderten Fälle zeigen, dass die initiale hämodynamische Stabilisierung mittels REBOA gut gelingt. Nur einer der Patienten verstarb (nach Entscheid für eine palliative Therapie) infolge einer auch chirurgisch nicht weiter kontrollierbaren Hämorrhagie nach sowohl prähospitaler als auch innerklinisch notwendiger mechanischer Reanimation (vor REBOA). Schwerwiegende Komplikationen durch die REBOA konnten wir bei den 7 Patienten nicht beobachten. In einem Fall wurde der Ballon mutmaßlich beim Einführen durch die Schleuse beschädigt, und ein Aortenverschluss war nicht mehr möglich. Mit einem neuen REBOA-Katheter gelang das Manöver dann im zweiten Versuch. Bei einem Patienten konnte computertomographisch eine Dissektion der Arterienwand im Bereich der A. femoralis nachgewiesen werden, die aber differenzialdiagnostisch auch traumatisch bedingt gewesen sein könnte. Klinisch blieb diese Dissektion für den Patienten folgenlos.

Hinsichtlich der Indikationsstellung kann festgestellt werden, dass, retrospektiv betrachtet, eine REBOA bei einem Patienten (Fall 2) nicht indiziert war. Die Unfallkinematik und die hämodynamische Instabilität bei Aufnahme haben uns in diesem Fall zur Durchführung des REBOA-Manövers veranlasst, wodurch auch eine Stabilisierung des Patienten gelang. Allerdings zeigte sich in der computertomographischen Diagnostik keine Verletzung im Bereich des Beckens oder Abdomens. Die ausgeprägte Hypotonie könnte durch einen neurogenen Schock bei hoher Rückenmarkverletzung verursacht gewesen sein, das gute hämodynamische Ansprechen auf die REBOA durch die massive Erhöhung der Nachlast.

Bei reanimationspflichtigen Patienten mit möglichen thorakalen Verletzungen ist die Thorakotomie („resuscitative thoracotomy“) der REBOA vorzuziehen [13]. Daher entschlossen wir uns im Fall 6 primär zur linksseitigen Thorakotomie mit Klemmung der Aorta. Nachdem hierunter rasch ein ROSC erzielt werden konnte, die FAST-Untersuchung abdominell keine freie Flüssigkeit zeigte, wechselten wir bei klinisch sicherer Beckenfraktur auf eine REBOA in der Zone III, um die thorakale Aortenklemme entfernen zu können und dadurch eine länger dauernde Ischämie der abdominellen Organe zu vermeiden.

Unsere Erfahrung aus dieser Fallserie zeigt, dass das REBOA-Manöver an sich meist innerhalb von wenigen Minuten gelingt. In einigen Fällen ging jedoch mit der Entscheidungsfindung zu diesem Manöver wertvolle Zeit verloren. Dies ist sicher z. T. darauf zurückzuführen, dass die REBOA im Rahmen der Schockraumbehandlung in unserem Notfallzentrum noch kein breit etabliertes Verfahren ist, sodass Unsicherheiten bezüglich der korrekten Indikation und der – insbesondere im Hinblick auf den Zeitbedarf – sinnvollen Durchführbarkeit des Manövers zu Verzögerungen führten. Mit zunehmender Erfahrung und Standardisierung der Anwendung könnten die Entscheidungsprozesse zukünftig schneller ablaufen. Insbesondere die Etablierung von „standard operating procedures“ (SOP), gemeinsames Teamtraining und ein gutes Briefing bei der Vorbereitung auf die Schockraumversorgung eines schwer verletzten Patienten könnten zukünftig die Zeit bis zur Durchführung einer REBOA verkürzen. Unserer Erfahrung nach sind ein Debriefing unmittelbar nach Abschluss der Schockraumversorgung und die postakute Aufarbeitung und kritische Diskussion der Fälle beispielsweise im Rahmen eines Trauma-Board, wie dies am Inselspital Bern monatlich erfolgt, sehr hilfreich.

Als weitere Möglichkeit, den Zeitbedarf bis zum Abschluss des REBOA-Manövers zu reduzieren, diskutieren wir aktuell die standardmäßige Anlage der arteriellen Kanüle zur invasiven Blutdruckmessung in die A. femoralis bei hämodynamisch kompromittierten Patienten mit vom Unfallmechanismus her möglicher Indikation für den Einsatz der REBOA. So kann dieser Zugang jederzeit zum Einbringen der Schleuse genutzt werden, wenn die Entscheidung zur REBOA getroffen ist. Diese Idee zur Optimierung des zeitgerechten Einsatzes wird auch durch ein internationales Konsensus-Statement zur REBOA mit einer Zustimmung von 70 % (28 von 40 Experten) unterstützt [19].

Essenziell bei der Einführung eines solchen Verfahrens ist auch die gute Absprache zwischen den durchführenden Fachabteilungen (in der Regel Notfallmedizin und/oder Anästhesie) und den weiteren an der Schockraumversorgung beteiligten Disziplinen, insbesondere den operativen Fächern. Im angloamerikanischen Raum wird die durch Ballonokklusion der Aorta gewonnene Zeit üblicherweise für eine unmittelbare notfallmäßige Laparotomie genutzt [25]. In allen oben beschriebenen Fällen an unserem Zentrum haben sich die beteiligten operativen Kollegen gegen eine unmittelbare Laparotomie und stattdessen für eine weiterführende Diagnostik durch Computertomographie entschieden. Bei allen Patienten konnte nach REBOA trotz initial extremer hämodynamischer Instabilität die notwendige computertomografische Diagnostik unter deutlich stabileren Bedingungen komplikationslos durchgeführt werden. In Fall 5 wurde die REBOA erst nach Abschluss der Computertomographie durchgeführt, nachdem der Patient beim Öffnen des Beckengurts instabil wurde. Die Narkoseeinleitung und weitere Vorbereitung zur operativen Versorgung verliefen darunter problemlos. Essenziell ist in diesem Zusammenhang aber festzuhalten, dass es sich bei der REBOA lediglich um eine temporäre Maßnahme zur Blutungskotrolle handelt und die weitere Versorgung (Bildgebung, Vorbereitung zur Operation oder angiologischen Intervention) unverzüglich erfolgt.

Ein paar weitere Fragen, die in Diskussionen zum Einsatz der REBOA immer wieder auftreten, können wir im Rückblick auf das eine Jahr der Anwendung in unserem Notfallzentrum beantworten:

REBOA und bildgebende Diagnostik bei Polytrauma

Hinsichtlich der computertomografischen Diagnostik muss insbesondere geklärt werden, wie mit der REBOA während der arteriellen Phase der „Traumaspirale“ verfahren wird, da durch den Aortenverschluss relevante Blutungen distal davon möglicherweise nicht mehr sicher diagnostiziert werden können. Bei kompletter Deflation des Ballons für die arterielle Phase muss wieder mit schwerer hämodynamischer Instabilität gerechnet werden. Möglich ist hier eine partielle Deflation („partial REBOA“, p‑REBOA). Hier besteht aber die Gefahr, dass der Ballon während der partiellen Deflation disloziert. Wir fahren daher inzwischen zunächst die arterielle Phase einer Traumaspirale mit komplett geblocktem Ballon und wiederholen diese evtl. mit nur teilweise geblocktem Ballon nochmals, falls relevante Hämatome oder unklare Extravasate von Kontrastmittel distal des Ballons festgestellt werden und es die hämodynamische Situation erlaubt. Eine gute Übersicht zu dieser Problematik bietet [26].

Füllungsvolumen des Ballons

Eine weitere oft diskutierte Frage insbesondere vor dem Hintergrund des variablen Durchmessers der Aorta und der Gefahr einer Verletzung der Aortenwand bei zu starker Füllung des Ballons ist die Steuerung des Füllungsvolumens bei Anwendung der REBOA. Bei gefäßchirurgischen Eingriffen wird das korrekte Füllungsvolumen fluoroskopisch kontrolliert. Dies ist im Schockraum unmöglich. Eine Alternative zur Steuerung des Ballonvolumens ist das Ableiten des invasiv gemessen Blutdrucks an der Schleuse und ein Füllen des Ballons bis zum Verschwinden der pulsatilen Blutdruckwelle. Auch diese Variante erweist sich im Geschehen eines Schockraums häufig als nicht praktikabel und zu zeitaufwändig. Daher verwenden wir für den bei uns verwendeten ER-REBOA®-Katheter inzwischen einen kleinen Einwegdruckmesser (COMPASS®, Fa. Centurion Medical Products, Michigan, USA), der in Reihe zwischen der Spritze und dem Konnektor zum Ballon des REBOA-Katheters geschaltet wird, und schlagen eine initiale Füllung des Ballons auf einen Druck von 160 mm Hg vor [27].

Materialvorhaltung

Eine aktuelle Ist-Analyse zum Schockraummanagement in Deutschland ergab, dass nur 12 % der Kliniken der Maximalversorgung und sogar nur 3 % der Kliniken der Basisversorgung in Deutschland das Material für eine REBOA vorhalten [28]. Dies ist angesichts der Tatsache, dass die REBOA kein breit etabliertes Verfahren ist, verständlich. Für große (überregionale) Traumazentren, die regelmäßig Patienten mit schweren Beckenverletzungen versorgen, könnten eine Etablierung des Verfahrens und entsprechende Materialvorhaltung aber sinnvoll sein. Ob eine Vorhaltung in kleineren Kliniken sinnvoll ist, um entsprechende Patienten für eine Sekundärverlegung in ein überregionales Traumazentrum zu stabilisieren, lässt sich aus der aktuell vorliegenden Literatur nicht beantworten.

Fazit für die Praxis

Durch REBOA konnte bei allen 7 Patienten eine hämodynamische Stabilisierung erreicht werden, die eine computertomografische Diagnostik und ggf. Operationsvorbereitung unter relativ stabilen Bedingungen ermöglichte. Insbesondere bei der initialen Stabilisierung von hämodynamisch instabilen Patienten mit schwerem Beckentrauma sahen wir klinisch einen guten Nutzen. Schwerwiegende Komplikationen durch dieses Verfahren wurden in unserer Fallserie nicht beobachtet. Optimierungsbedarf sehen wir in der Indikationsstellung (insbesondere der Zeit bis zur Entscheidungsfindung) sowie der Ausbildung und der Aufrechterhaltung des Trainings in der Breite des Teams.