Einführung

Die durch eine Hypophysenvorderlappeninsuffizienz bedingte sekundäre Form der Nebennierenrindeninsuffizienz (NNRI) wird mit einer Inzidenz von 20/1.000.000 und Jahr beschrieben [1]. Hauptursache hierfür sind, wie in diesem Fallbericht, Hypophysenadenome, gefolgt von Traumata. Die klinische Symptomatik ist v. a. durch den Glukokortikoidmangel geprägt, der durch verminderte Ausschüttung des adrenokortikotropen Hormons (ACTH) bedingt ist, und umfasst eine Bandbreite an teils unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit, Gewichtsverlust, abdominelle Beschwerden, Hypoglykämie und blasses Hautkolorit [1]. Aufgrund dessen wird die Erkrankung häufig erst nach langer Zeit diagnostiziert [2].

Die Nebennierenrindenkrise ist die häufigste Todesursache von Patienten mit sowohl primärer als auch sekundärer Nebenniereninsuffizienz. Sie tritt v. a. infolge von Infekten, Stress oder intensiver körperlicher Aktivität auf [3]. Streng genommen wird nur die Dekompensation einer primären NNRI als Addison-Krise bezeichnet, häufig werden aber primäre und sekundäre Nebennierenrindenkrisen unter dieser Definition subsumiert. Patienten mit sekundärer Nebenniereninsuffizienz sind jedoch seltener betroffen als Patienten mit der primären Form [4]. Der folgende Fallbericht zeigt sowohl einen rapiden Verlauf einer Nebennierenrindenkrise als auch die Bedeutung einer differenzialdiagnostischen Überlegung mit Notwendigkeit eines raschen Handelns.

Anamnese

Eine 46-jährige allein lebende Patientin wurde bewusstlos in ihrer Wohnung aufgefunden. Der ersteintreffende Notarzt fand eine hypoxische, hypotone und tief komatöse Patientin (GCS 3) im Bett liegend vor. Auffallend war weiterhin eine schwere Hypoglykämie (initialer Glucosespiegel: 17 mg/dl). Da durch die sofort eingeleitete Therapie mit Flüssigkeitssubstitution, Sauerstoffgabe, Glucoseapplikation (insgesamt präklinisch 16 g Glucose i.v.) und Vasopressortherapie keine klinische Besserung eintrat, wurde die Patientin problemlos endotracheal intubiert und in unsere Klinik transportiert. Aufgrund einer bestehenden Sprachbarriere mit den Angehörigen und der zeitkritischen Situation konnte das Rettungsteam zu diesem Zeitpunkt keine detaillierten Informationen über die Krankengeschichte der Patientin gewinnen.

Befund

Nach fortgeführter kardiozirkulatorischer Stabilisierung und weiterer Applikation von Glucose G40 i.v. wurde zur Diagnosefindung sowie aufgrund der unklaren Auffindesituation eine Polytraumaspirale, inkl. cCT, durchgeführt.

Das cCT zeigte bereits eine generalisierte, supratentorielle Hirnschwellung mit verstrichener Mark-Rinden-Grenze (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Transversale Schicht (a) des nativen cCT mit einem asymmetrisch ausgeprägten, supratentoriellen Hirnödem (rechts > links) und erhaltener Abgrenzbarkeit der tiefen grauen Substanz. Die CT-Angiographie (b) zeigt die im Seitvergleich auffälligen linksseitig erweiterten kortikalen Gefäße

Laborchemisch zeigte sich das Serumnatrium ausgeglichen, es bestanden eine leichte Hypokaliämie sowie eine normozytäre Anämie. Auffällig waren jedoch die deutlich erhöhten Werte von CK und Myoglobin bei normwertigen CK-MB. Die kardialen Parameter proBNP und Troponin T waren ebenfalls signifikant erhöht (Tab. 1).

Tab. 1 Relevante Laborwerte bei Aufnahme in die Klinik

Nach Aufnahme auf die Intensivstation wurde die Flüssigkeits- und Vasopressortherapie fortgeführt. Die Schwester der Patientin traf 3 h nach Krankenhausaufnahme in der Klinik ein. Nun konnte in Erfahrung gebracht werden, dass die Patientin unter einer Kortisonsubstitution bei Z. n. Hypophysenresektion vor 15 Jahren steht. Nach dieser Information wurden bei V. a. eine akute Nebennierenkrise sofort 100 mg Hydrokortison i.v. appliziert, gefolgt von weiteren 200 mg über 24 h per kontinuierlicher Gabe.

Die Fremdanamnese ergab weiterhin, dass die Patientin die Medikamente (Kortison, Progesteron und L‑Thyroxin) bislang aus Serbien bezogen hatte und noch keine endokrinologische Anbindung in Deutschland bestand. Insgesamt fühlte sich die Patientin in den letzten Tagen krank, war insgesamt sehr häufig müde und schleppte sich zur Arbeit im Schichtdienst. Sie konsultierte in den letzten Wochen aber keinen Arzt.

Diagnose

Um die Diagnose einer Nebennierenrindenkrise bei bestehender sekundärer NNRI beweisen zu können, wurden aus dem Aufnahmelabor das adrenokortikotrope Hormon (ACTH) und das basale Cortisol nachbestimmt. Im weiteren Verlauf konnte die Patientin bei sinkendem Noradrenalin- und Glucosebedarf kardiozirkulatorisch und metabolisch stabilisiert werden.

Der ACTH-Wert lag mit 5,3 pg/ml (Normwert 10–50 pg/ml) deutlich unter dem Normbereich. Der Cortisolspiegel (basal) war mit 62 nmol/l (Normwert 263–724 nmol/l) ebenfalls deutlich erniedrigt (Tab. 2).

Tab. 2 ACTH, Cortisol basal und NSE zur Prognoseabschätzung

Therapie und Verlauf

Der Bedarf an i.v.-Glucose war nach der Aufnahme in die Notaufnahme weiterhin hoch. Während der initialen Stabilisierung im Schockraum wurden kumuliert weitere 32 g Glucose G40 appliziert. Nach der Aufnahme auf die Intensivstation waren für die nächsten 6 h erneut ca. 60 g Glucose durch kontinuierliche Applikation notwendig, um eine Normoglykämie aufrechtzuerhalten. Bis zum Folgetag konnte die parenterale Glucosetherapie ausgeschlichen werden, sodass insgesamt ca. 130 g Glucose benötigt wurden. Differenzialdiagnostisch wurde/wurden eine externe Insulinzufuhr oder insulinproduzierende Tumoren bei laborchemisch erniedrigten Insulinwerten und C‑Peptid nahezu ausgeschlossen.

Nach intensivmedizinischer Stabilisierung wurde die Sedierung beendet, um das Aufwachverhalten beurteilen zu können. Leider zeigte die Patientin nach ca. 24 h keinerlei Wachheitsreaktionen. Zur Prognoseobjektivierung wurde ein cMRT durchgeführt, welches ausgeprägte Diffusionsstörungen des gesamten rechtshemisphärischen und links okzipitalen Kortexbands mit Demarkierung in den FLAIR-gewichteten Sequenzen zeigte.

Die Bestimmung der neuronenspezifischen Enolase (NSE) am Tag nach der Aufnahme zeigte einen deutlichen erhöhten Wert von 144 ng/ml und stützte somit die Diagnose eines schweren hypoxisch-hypoglykämischen Hirnschadens.

Bei neurologisch infauster Prognose, welche sich aus dem klinischen Bild, der MRT-Untersuchung und dem hohen Wert der neuronenspezifischen Enolase ergab, wurde im interdisziplinären Konsens gemeinsam mit den Angehörigen eine Therapiezieländerung mit Beendigung der intensivmedizinischen Maßnahmen und Weiterführung der Therapie im Sinne einer „best-supportive care“ besprochen.

Die Patientin verstarb 3 Tage nach der Aufnahme auf die Intensivstation im Beisein der Schwester und deren Familie.

Diskussion

Die Genese einer Nebennierenkrise ist häufig ungeklärt [5]. Neben Infektionen als häufigste Ursache können Operationen, intensive körperliche Aktivität, Non-Compliance bezüglich der Medikamenteneinnahme oder auch psychischer Stress eine Krise auslösen [3]. Bei bekannter NNRI stellt das Wissen um die Auslöser und die daraus resultierende Notwendigkeit einer Dosiserhöhung der Dauermedikation mit Glukokortikoiden eine entscheidende Strategie zur Vermeidung einer solchen Krise dar. Beispielweise wird die Einnahme der doppelten bis 3‑fachen Tagesdosis bei Infektionen empfohlen [6], bei intensivpflichtigen Krankheitsbildern empfiehlt sich die Gabe von 100–300 mg Hydrokortison/Tag [1], was bei einer Tagesdosis von 10–25 mg einem Vielfachen entspricht. In diesem Fall ließ sich die Patientin ihre Dauermedikation aus ihrem Heimatland mitbringen, sodass zusätzlich Probleme in der kontinuierlichen Medikamentenversorgung nicht auszuschließen waren.

Das Therapiemanagement ist für behandelnde Ärzte in der Betreuung von Patienten mit NNRI von großer Bedeutung. Jeder 13. Patient erleidet im Jahresverlauf eine Krise, was die häufigste Todesursache jener Patienten darstellt [3]. Wie bereits in der Fachliteratur empfohlen, sollten Patienten entsprechend geschult werden, sowie mit einen Notfallausweis und Notfallmedikation ausgestattet werden. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen bei Fachärzten fördern zudem die Adhärenz und das Bewusstsein der Patienten für die Erkrankung [6]. Aufgrund der bislang fehlenden endokrinologischen Anbindung in Deutschland hatte die Patientin keinen Notfallausweis sowie kein Notfallset, welches eine 100 mg-Hydrokortison-Ampulle für Injektionszwecke enthält [7].

Nicht selten wird eine Krise aufgrund einer unspezifischen Symptomatik erst spät erkannt, was für das Outcome der Patienten jedoch eine entscheidende Rolle spielt. Neben der bereits beschriebenen Hypotension, der Hypoglykämie und dem vorliegenden Koma zeigten sich initial keine weiteren Hinweise auf eine Nebennierenrindenkrise.

In diesem Zusammenhang sollten die Unterschiede hinsichtlich des Erscheinungsbildes einer primären und sekundären NNRI erwähnt werden. Charakteristisch für die primäre Form sind laborchemisch eine Hyponatriämie, Hyperkaliämie und gelegentliche Hyperkalzämie. Das Hautbild weist oft eine Hyperpigmentierung auf. Hingegen sind Patienten, die an der sekundären Form leiden, blass, das Serumnatrium ist normwertig oder erniedrigt, das Serumkalium meist im Normbereich [8]. Gemeinsame Symptome stellen jedoch die arterielle Hypotonie, Adynamie und Gewichtsverlust bzw. Dehydratation, gastrointestinale Beschwerden oder eine Hypoglykämieneigung dar [1]. In der aktuellen Literatur finden sich Empfehlungen, wie eine Nebennierenkrise definiert werden kann:

Es bestehen eine deutliche Reduktion des Allgemeinzustandes sowie mindestens 2 weitere charakteristische Symptome (Hypotonie, Übelkeit/Erbrechen, Müdigkeit, Hyponatriämie, Hyperkaliämie und/oder Hypoglykämie) [9].

Wie in unserem Fallbericht auch kann es im Falle einer Krise zu einer ausgeprägten Hypotension infolge peripherer Vasoplegie kommen, die mit einer Minderperfusion lebensnotwendiger Organe einhergeht, sodass es zu einer ausgeprägten hypoxischen Enzephalopathie kommen kann [10]. In diesem Fall lag des Weiteren eine ausgeprägte Hypoglykämie vor, die zwar typisch für eine Nebennierenrindenkrise ist, aber aufgrund der Seltenheit der Erkrankung häufig nicht sofort wegweisend für die Diagnosestellung ist.

Eine Hypoglykämieneigung bei Patienten mit NNRI, insbesondere im Falle einer Exazerbation, ist in der Literatur bereits vorbeschrieben. Zugrunde liegen einerseits eine Verminderung der hepatischen Glukoneogenese und andererseits eine Reduzierung der cortisolbedingten Hemmung der Glykolyse [11].

Trotz Gabe hoher Glucosedosierungen sprechen Patienten häufig nicht adäquat auf die Substitution an, was in der Folge zu einer weiteren Hirnschädigung führen kann [12]. Bei einer schweren und beinahe therapierefraktären Hypoglykämie muss neben einer Insulinüberdosierung auch an eine Nebennierenkrise gedacht werden.

Aufgrund der Fremdanamnese und der daraufhin erfolgten Bestimmung von ACTH und basalem Cortison konnte dennoch die Diagnose schnell gestellt werden [13].

Eine Studie, die das Management von Nebennierenrindenkrisen retrospektiv untersucht hat, konnte zeigen, dass es im Median ca. 30 min (Spannbreite allerdings zwischen 2 min und 2880 min) nach Arztkontakt dauert, bis die Kortisontherapie initiiert wurde [14]. Notfallmedizinisches Personal sollte eine Nebennierenrindenkrise bei derartiger Symptomatik immer in Erwägung ziehen und im Zweifel, v. a. bei Auftreten von Hyponatriämie und Hypotonie, die Gabe von Hydrokortison in Betracht ziehen [15]. Falls Hydrokortison nicht zur Verfügung steht, wäre Prednisolon (50 mg) eine sinnvolle Alternative. Nebenbefundlich imponierte im Aufnahmelabor eine deutliche Erhöhung der Herz- und Muskelenzyme (CK, CK-MB, Myoglobin, Troponin, proBNP). In der Zusammenschau der klinischen und laborchemischen Befunde erschienen eine primär kardiale Genese unwahrscheinlich und die kardialen Marker am ehestens durch eine Rhabdomyolyse erhöht [16,17,18].

Fazit für die Praxis

  • Trotz des seltenen Auftretens einer Nebennierenrindenkrise infolge einer primären oder sekundären Nebennierenrindeninsuffizienz zeigt diese Fallbeschreibung, dass dies ein lebensbedrohliches Krankheitsbild darstellt und aufgrund der Symptomatik häufig nicht leicht zu diagnostizieren ist.

  • Dennoch ist das Wissen um die Erkrankung und Behandlung entscheidend, um derartige Exazerbationen frühzeitig zu erkennen bzw. durch eine frühzeitige Anpassung der Substitutionsmedikation zu verhindern. Bei jedem unklaren Schock, der sich nach der adäquaten Initialtherapie nicht bessert, sowie bei schwerer Hypoglykämie muss an eine Nebennierenrindenkrise gedacht und neben der allgemeinen intensivmedizinischen Stabilisierung die probatorische Gabe von 100 mg Hydrokortison oder einem anderen Glukokortikoid in äquivalenter Dosis in Erwägung gezogen werden. Keineswegs darf bei Verdacht auf eine Nebennierenrindenkrise auf bestätigende Laborergebnisse gewartet werden. Die Therapie mit einem Mineralokortikoid ist bei einer täglichen Hydrokortisondosis von mehr 50 mg nicht zwingend notwendig.