Ende Juli 2021 hat Deutschland als erstes Land weltweit die Teilnahme von Fahrzeugen ohne Fahrer in festgelegten Betriebsbereichen im öffentlichen Straßenverkehr per Gesetz zugelassen [1, 2]. Somit ist die Stufe 4 (vollautomatisiert) von 5 auf dem Weg zum autonomen Fahren realisierbar. Dies ist nur möglich, da moderne Technologien eine angemessene Überwachung und Steuerung von autonomen Fahrzeugen zulassen. Diese sind in der Lage, die Straßenführung, den fließenden Verkehr, die Wetterbedingungen und vieles mehr simultan zu analysieren und diese Ergebnisse bei der Steuerung entsprechend zu nutzen. Diese Autos werden also bald vollautomatisiert einen Parkplatz suchen oder uns am Abend nach einem Konzert eigenständig sicher nach Hause fahren.

Nun, was hat das neue Gesetz mit moderner Anästhesie zu tun? Aus meiner Sicht ergeben sich einige Parallelen. Die Narkosesteuerung beruht, ähnlich wie das Autofahren, auf einer Fülle von Monitoringvariablen und vielen Erfahrungswerten.

Narkosesteuerung beruht auf einer Fülle von Monitoringvariablen und Erfahrungswerten

Wenn wir in Fachkreisen über die Narkosetiefe sprechen, dreht es sich überwiegend um die Narkosekomponente „Hypnose“. Doch ist das tatsächlich ausreichend? Es existiert nach allgemeiner Auffassung kein einzeln pharmakologisch induzierter Zustand, den wir als Narkose bezeichnen [3]. Vielmehr verstehen wir unter Allgemeinanästhesie einen aus mehreren Komponenten (Hauptkomponenten: Hypnose, Analgesie, Immobilität) erreichten Zustand. Dieser wird über verschiedene pharmakologisch interagierende Targets in ein Optimum der adäquaten Narkosetiefe navigiert. Dieses Optimum ist interindividuell unterschiedlich und dynamisch, also abhängig von der Phase der operativen Prozedur. Nur durch ein adäquates und zuverlässiges Monitoring der verschiedenen Narkosekomponenten ist überhaupt eine Steuerung der Anästhetika möglich. Während das Monitoring für die Komponenten Hypnose, mittels prozessiertem EEG, und Immobilität, mittels neuromuskulärem Monitoring, im klinischen Alltag schon weit verbreitet ist, fehlt ein etabliertes Monitoring der Analgesie und Unterdrückung der Nozizeption. Hierfür werden bisher klinisch eher unspezifische Surrogate wie kardiovaskuläre oder vegetative Reaktionen bewertet. Doch die Entwicklung von apparativen Monitoringsystemen zur Beurteilung von Nozizeption ist sehr dynamisch. Die Hinweise auf klinische Vorteile dieser Verfahren gegenüber der traditionellen klinischen Beurteilung werden untermauert [4, 5].

Im Leitartikel der aktuellen Ausgabe von Der Anaesthesist [6] bieten Nitschke et al. einen Überblick über die derzeit verfügbaren Monitoringsysteme zur intraoperativen Beurteilung der Narkosekomponente „Unterdrückung der Nozizeption“. Die Nozizeption ist eine komplexe physiologische Reaktion auf einen Gewebereiz/ein Gewebetrauma und wird inzwischen klar von dem Schmerz separiert diskutiert. In Narkose wird Nozizeption überwiegend durch Opioide oder entsprechende Regionalanästhesien unterdrückt. In ihrem Übersichtsartikel teilen die Autoren die Monitoringsysteme in kontinuierliche und reizgetriggerte Verfahren ein. Den Lesern werden zunächst die verschiedenen Grundlagen der einzelnen Monitoringverfahren separat vorgestellt. Begrüßenswert ist hier, dass gleichzeitig auf vorhandene Limitationen der Verfahren eingegangen wird.

Im zweiten Teil des Artikels wird dann weiter auf den klinischen Stellenwert der apparativen Beurteilung der Nozizeptionsunterdrückung eingegangen. Wie gut ist die Detektion im Vergleich zur klinischen Routine? Helfen uns die Monitore bereits präemptiv, also können Reaktionen auf nozizeptive Reize vorhergesagt werden? Können Schmerzen in der direkten postoperativen Phase bereits am Ende einer Narkose vorhergesagt werden? Und schließlich die Frage, inwieweit eignen sich die derzeit verfügbaren Monitoringsysteme, um Opioide zu steuern? Die Leser bekommen, auch durch den Einsatz zusammenfassender Tabellen, einen sehr guten Überblick über die Thematik der Nozizeptionsüberwachung und Steuerung.

Doch es bleiben auch viele Fragezeichen. Die Beurteilung der Nozizeption durch überwiegend kardiovaskuläre Surrogatvariablen ist keineswegs vollkommen. Die in kleineren Pilotstudien gezeigten Vorteile werden in größeren multizentrischen, randomisierten und verblindeten Studien nicht mehr übereinstimmend bestätigt [7].

Die Physiologie ist komplex; es existieren viele Störfaktoren und das Ausmaß der chirurgischen Gewebereizung während einer Operation ist ständigen Änderungen unterzogen. Der meist als nomineller Referenzbereich angebende Zielbereich für adäquate nozizeptive Unterdrückung ist ggf. zu sehr vereinfachend. Der schnelle Fortschritt innerhalb der Entwicklung des Nozizeptionsmonitoring ist jedenfalls sehr begrüßenswert. Doch die Anwender müssen weiter wachsam bleiben und ihre Erfahrungen und Studienergebnisse austauschen und teilen. So können wir den Weg hin zur individuell optimierten Narkosetiefe weitergehen und vielleicht einmal autonom Narkosetiefe steuern. Inwieweit uns dabei künstliche Intelligenz oder Big Data in Zukunft weiterhelfen, bleibt abzuwarten.

Im Vergleich der Entwicklung zum autonomen Fahren ist die autonome Narkosesteuerung jedenfalls deutlich hinterher. Statt der Stufe 4 bewegt sich die Narkosesteuerung eher auf der Stufe 1 (assistierte Steuerung) mit einzelnen computergesteuerten Elementen und ständiger Kontrolle durch einen gut ausgebildeten und erfahrenen Menschen.

Zum Schluss möchte ich betonen, dass ein Gewinn an Monitoringqualität und automatisierter Steuerung während einer Narkose ein Gewinn im Hinblick auf Patientensicherheit darstellen soll, allerdings aus meiner Sicht nicht den Faktor Mensch/den Faktor Arzt ersetzen soll.

So freue ich mich weiterhin, von einem gut ausgebildeten Busfahrer begrüßt zu werden. Die Technik im Bus sollte Unfälle, wie z. B. an einem Stauende oder beim Abbiegen, sicher verhindern.