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Dieser CME-Beitrag gehört zu einer Reihe zur schwangeren Patientin. Die vier Beiträge der Reihe sind zwar unabhängig voneinander, ergänzen sich aber thematisch:

Bitte beachten Sie, dass die Arbeiten nacheinander erscheinen. Sie finden sie auf www.SpringerMedizin.de. Bitte geben Sie dort den Titel in die Suche ein. Der CME-Kurs kann erst mit Erscheinen der jeweiligen Druckausgabe absolviert werden.

Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags

  • können Sie die wichtigsten Keime der peripartalen Sepsis und deren Behandlung benennen.

  • kennen Sie die physiologischen Veränderungen der Schwangeren und können diese in der Diagnosefindung interpretieren.

  • beurteilen Sie das Komplikationsrisiko von Stoffwechselentgleisungen richtig.

  • verstehen Sie die Wertigkeit des Unterschieds zwischen einem hyper- oder einem hypotensiven Lungenödem.

  • wissen Sie supportive Maßnahmen auf der Intensivstation für die schwangere Patientin anzuwenden.

Einleitung

Notfälle während der Schwangerschaft (SS) gehören zu den besonderen Herausforderungen der Medizin. Während des SS-Verlaufs unterliegt der mütterliche Organismus zahlreichen physiologischen Veränderungen [1]. Dadurch ergeben sich pathophysiologische und diagnostische Besonderheiten, die durch die Seltenheit der schweren SS-Komplikationen in Industriestaaten und somit fehlende klinische Routine aggravieren. Der vorliegende Beitrag soll für dieses Thema sensibilisieren und einen Überblick über die peripartale Sepsis, endokrinologische Notfälle und das Lungenödem geben.

Müttersterblichkeit und Epidemiologie gestationsbedingter Sterbefälle

Definition und Nomenklatur

Als Müttersterblichkeit oder „gestationsbedingte Sterbefälle“ wird der Tod einer Frau während ihrer SS oder innerhalb von 42 Tagen nach Gestationsende definiert. Zur Müttersterblichkeit zählt jede Ursache, die in Beziehung zur SS oder ihrer Behandlung steht, einschließlich der vorbestehenden Erkrankungen. Zufällige Ereignisse, beispielsweise als Folge äußerer Gewalt, werden hingegen nicht zur Müttersterblichkeit gezählt („nichtgestationsbedingte Sterbefälle“).

Abhängig davon, ob es sich in der Kausalität des Sterbefalls um eine direkte Folge der Gestation oder um eine Verschlechterung einer vorbestehenden Krankheit handelt, wird systematisch in „direkte“ und „indirekte“ mütterliche Todesursachen unterschieden. Die Systematik der Nomenklatur ist in Abb. 1 zusammengefasst.

Abb. 1
figure 1

Systematik und Nomenklatur der Sterbefälle während einer Schwangerschaft (SS)

Europa, angelsächsischer und angloamerikanische Raum

In den vergangenen Jahrzehnten konnte die Müttersterblichkeit in Europa, dem angelsächsischen und angloamerikanischen Raum deutlich gesenkt werden. Dies beruht in erster Linie auf den folgenden Maßnahmen [2]:

  • definierte Vorsorgeuntersuchungen der Schwangeren,

  • Aufbau geburtshilflicher/gynäkologischer Fachabteilungen,

  • Entwicklung der Anästhesiologie als eigenständiges Fachgebiet,

  • Verfügbarkeit von Blutprodukten und Transfusionsmedizin,

  • rationale Antibiotikatherapie.

Die Müttersterblichkeitsrate beschreibt die Anzahl der mütterlichen Todesfälle auf 100.000 Geburten. In Deutschland beträgt diese seit den 1990er-Jahren konstant unter 10 Todesfällen/100.000 Geburten. Für das Jahr 2017 gab die Weltgesundheitsorganisation für Deutschland eine Rate von 7 Todesfällen/100.000 Geburten an [3].

Entwicklungs- und Schwellenländer

Es ereignen sich 99 % aller mütterlichen Tode in Entwicklungs- und Schwellenländern. Trotz erheblicher Fortschritte in der Entwicklung der Sterblichkeitsrate versterben weltweit täglich 810 Frauen im Rahmen ihrer SS. In vielen Staaten der Subsahararegion Afrikas beträgt die Müttersterblichkeitsrate weiterhin >500 Todesfälle/100.000 Geburten. Die häufigsten Todesursachen in diesem Kontext sind:

  • peripartale Blutung,

  • Sepsis,

  • Eklampsie,

  • geburtshilfliche Komplikationen,

  • unsachgemäß durchgeführter SS-Abbruch.

Diese Frauen sterben, weil [2]:

  • eine medizinische Betreuung nicht existiert oder aus geografischen, finanziellen oder soziokulturellen Gründen nicht frei zugänglich ist,

  • den Schwangeren die Bedeutung einer medizinischen Betreuung nicht bewusst ist,

  • die zugängliche traditionelle oder schulmedizinische Betreuung nicht adäquat oder schädlich ist.

Merke

Weltweit verstirbt alle 1,5 min eine Frau an vermeidbaren schwangerschafts- oder geburtsassoziierten Komplikationen.

Physiologie der schwangeren Frau

Während des SS-Verlaufs unterliegt der Organismus der Mutter vielfältigen physiologischen Veränderungen. Diese stellen in Phasen kritischer Erkrankung eine Herausforderung für das interdisziplinäre Behandlungsteam dar. Die physiologischen Besonderheiten werden im Folgenden grob zusammengefasst; die Autoren verweisen zudem auf den ausführlichen CME-Beitrag von Kohlhepp et al. [1] in Der Anaesthesist.

Wie in Abb. 2 dargestellt, finden sich die wichtigsten physiologischen Veränderungen während der SS im Bereich:

  • der Endokrinologie,

  • der Hämatologie und Hämostaseologie,

  • des Herz-Kreislauf-Systems,

  • des Respirationstrakts und

  • des Wasserhaushalts.

Abb. 2
figure 2

Physiologische Veränderungen während der Schwangerschaft; β‑hCG β-humanes Choriongonadotropin, AMV Atemminutenvolumen, AZV Atemzugvolumen, ERV exspiratorisches Reservevolumen, FRC funktionelle Reservekapazität, Hb Hämoglobin, HZV Herzzeitvolumen, NO Stickstoffmonoxid, pa arterieller Partialdruck, SS(W) Schwangerschaft(swoche), TSD Tausend, VD Vasodilatation

Komplexe physiologische Veränderungen, die u. a. zu einer Veränderung therapeutischer Zielwerte führen, können klinische Symptome maskieren oder imitieren, sodass die Diagnosefindung erschwert ist [1].

Peripartale Sepsis

Eine Sepsis während oder nach einer SS ist eine lebensbedrohliche Erkrankung, die trotz etablierter Vorsorgeuntersuchen einen Anteil von 4,7 % der Müttersterblichkeit in Industriestaaten ergibt. Weltweit beträgt die peripartale, sepsisassoziierte Mortalität 11 % und gehört somit zu den häufigsten direkten gestationsbedingten Todesursachen [2]. Systematisch lassen sich die Infektfoci auch hier in „direkte“ und „indirekte“ schwangerschaftsassoziierte Ursachen unterteilen.

Direkt schwangerschaftsassoziierte Infektionen sind:

  • Chorioamnionitis,

  • Endometritis und

  • Wundinfektionen durch Geburtsverletzungen.

Zu den indirekten Infektionen zählen insbesondere:

  • Harnwegsinfektionen,

  • Pneumonien,

  • Weichteilinfektionen und

  • Mastitis.

Merke

Die peripartale Sepsis ist in Industriestaaten für ca. 5 % der Müttersterblichkeit verantwortlich.

Ätiologie, Risikofaktoren und Erregerspektrum

Das am häufigsten betroffene Organsystem bakterieller Infektionen in der SS ist der Urogenitaltrakt. Eine physiologische Hydronephrose der Schwangeren im fortgeschrittenen SS-Verlauf stellt eine Prädisposition dar. Bakterielle Infektionen sind die Hauptursache der peripartalen Sepsis, deren Mortalität bei vorbestehenden Risikofaktoren ansteigt.

Zu diesen zählen:

  • Diabetes mellitus,

  • vorbestehende Herzfehler,

  • chronisches Leber- oder Nierenversagen,

  • sozioökonomischer Status.

Es ist anzumerken, dass auch in Industriestaaten Armut einen eigenständigen Risikofaktor für die Mortalität in diesem Kontext darstellt [4, 5].

Über 90 % der Erkrankungen ereignen sich in der postpartalen Phase [6]. Im Vereinigten Königreich wurde von den Jahren 2003–2005 auf 2006–2008 ein Anstieg der sepsisbedingten Mortalität von schwangeren Frauen verzeichnet (0,85 Tote/100.000 Schwangere vs. 1,13 Tote/100.000 Schwangere). Diese ansteigenden Inzidenzzahlen standen im deutlichen Kontrast zu der allgemeinen Senkung der Mortalitätsrate [3].

Escherichia coli verursacht, absolut gesehen, die meisten Infektionen. Infektionen mit Streptokokken der Gruppe A (Gruppe-A-Streptokokken, GAS) lösen hingegen häufiger foudroyante Erkrankungen aus und bedingen somit die häufigste Todesursache im Rahmen einer peripartalen Sepsis. Rottenstreich et al. [6] stellten 2019 in einer retrospektiven Studie eine Inzidenz mütterlicher GAS-Infektion von 0,8/100.000 Lebensgeburten in einem israelischen Kollektiv fest.

Grundsätzlich weisen schwangere Frauen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein 20-fach höheres Risiko für eine Infektion mit GAS auf. Gruppe-A-Streptokokken sind typische Erreger pharyngealer Infektionen im Kindesalter und gehören im Gegensatz zu den Streptokokken der Gruppe B nicht zur kommensalen Vaginalflora. Es verbleibt unklar, warum dieser atemwegsassoziierte Keim bei Schwangeren Infektionen des Urogenitaltrakts verursacht.

Die wichtigsten Erreger sind in Tab. 1 aufgeführt [1, 4, 5, 7].

Tab. 1 Erreger der peripartalen Sepsis. (Modifiziert nach Rottenstreich et al. [6] sowie Bowyer et al. [7])

Merke

  • Gruppe-A-Streptokokken und E. coli sind die häufigsten Erreger für schwere peripartale Sepsisverläufe.

  • Die Mortalität ist stark mit dem Vorhandensein von Risikofaktoren assoziiert.

Definition und Screening

Im Rahmen der Surviving Sepsis Campaign (SSC) wurden maßgebliche Fortschritte im Bereich des Screenings, der Diagnostik und der Therapie der Sepsis erreicht. Mit dem dritten Sepsis-Update 2016 wurde der Fokus auf das Organversagen gelegt [8]. In Anlehnung daran wurde in einer internationalen Konsensusfindung die peripartale Sepsis als „ein lebensbedrohlicher Zustand infolge einer Infektion mit Organfunktionsstörung(en) während der SS, Geburt, nach der Abtreibung oder postpartal“ definiert. Auch in dieser Definition wurde die postpartale Phase auf 42 Tage nach Beendigung der SS festgelegt [9].

Merke

Im Mittelpunkt der peripartalen Sepsis stehen Organfunktionsstörungen.

Die Sepsis und die Graduierung werden in der Intensivmedizin über den Sequential Organ Failure Assessment (SOFA) Score bestimmt. Da dieser im prästationären Umfeld und auf der Normalstation nur mit erheblichem Zeitaufwand zu erfassen ist, wurde als vereinfachtes Scoring-Instrument der Quick SOFA Score (qSOFA) als Screeningwerkzeug entwickelt [10]. Dieser lässt sich nur bedingt auf die schwangere Patientin anwenden: Die bereits erwähnten physiologischen Veränderungen, insbesondere die Senkung des systolischen Blutdrucks und die gesteigerte Atemfrequenz, erfordern eine Anpassung dieses Scores [7]. In der aktuellen S3-Leitlinie Sepsis – Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge, koordiniert durch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), wird keine Stellung zur schwangeren Patientin genommen [10]. Die „Society of Obstetric Medicine Australia and New Zealand“ (SOMANZ) formuliert eine Empfehlung zur Anwendung des Obstetrically modified SOFA Score (omSOFA) bzw. om(quick)q-SOFA. Im omqSOFA wird jeweils ein Punkt für eine Atemfrequenz >25/min, einen Wert des systolischen Blutdrucks <90 mm Hg und eine veränderte Bewusstseinslage vergeben [7]. Ein omqSOFA ≥2 bedarf einer weiteren Klärung zum Ausschluss einer Sepsis. In Tab. 2 ist der omSOFA zusammengefasst. Die bekannte Punktevergabe von maximal 4 Punkten je Organsystem wurde mit dem Ziel einer Übersichtlichkeit in den genannten Empfehlungen auf 2 reduziert, da eine Organdysfunktion bereits ab einem Wert ≥2 vorliegt. Anzumerken ist, dass auf die Erhebung anhand der Glasgow Coma Scale (GCS) verzichtet wird und die Kreatininwertgrenze im Vergleich zur nichtschwangeren Patientin herabgesetzt wurde.

Tab. 2 Obstetrically modified SOFA Score

In gleicher Leitlinie wird der septische Schock, in Anlehnung an die Definition der SSC, durch die Notwendigkeit einer Katecholamintherapie und Lactatwerte >2 mmol/l definiert. Diese Empfehlungen weisen einen Evidenzgrad mit moderater Qualität auf [7, 10].

Merke

Der omSOFA zur Diagnose einer schwangerschaftsassoziierten Sepsis ist an die physiologischen Veränderungen der Schwangeren angepasst.

Management und Therapie

Grundsätzlich folgt das Management den Empfehlungen der SSC und unterscheidet sich nicht von den Therapiestrategien der nichtschwangeren Patientin. Im Vordergrund steht die zielgerichtete Therapie im ersten Behandlungsintervall („goldene erste Stunde“, [11]). Der erste Behandlungsschritt fokussiert auf folgende diagnostische und therapeutische Maßnahmen:

  • Lactatwertmessung,

  • Abnahme von Blutproben zur Kultivierung, umfassendes mikrobiologisches Sampling,

  • frühe Therapie mit einem Breitspektrumantibiotikum,

  • Infusion eines Volumenbolus von 30 ml/kgKG bei Hypotension oder Hyperlaktatämie (>4 mmol/l),

  • Katecholamintherapie, wenn trotz Vollelektrolytlösungsgabe kein ausreichender systemischer Perfusionsdruck (mittlerer arterieller Druck [MAD] >65 mm Hg) erreicht werden kann.

Merke

  • Das initiale Therapievorgehen bei der peripartalen Sepsis entspricht den allgemeinen Sepsisleitlinien.

  • Besondere Bedeutung kommt der zielgerichteten Therapie im ersten Behandlungsintervall zu.

Bei der Schwangeren sollte, da aufgrund des erniedrigten kolloidosmotischen Drucks während der SS die Gefahr eines Lungenödems besteht, eine forcierte Volumensubstitution unter intensivmedizinischem Monitoring erfolgen.

Die antibiotische Therapie beginnt sofort nach der Gewinnung von Blut‑, Urinproben zur Kultivierung und ggf. Sputum zur mikrobiologischen Aufarbeitung [12]. Die Datenlage hinsichtlich eines potenziellen Risikos einer antiinfektiven Therapie während der SS ist unzureichend. Auch langjährig genutzte Antibiotika sind weiterhin nicht ausreichend in klinischen Studien mit schwangeren Patientinnen untersucht, sodass die S2k-Leitlinie: Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen – Update 2018 [13] keine eindeutige Handlungsempfehlung gibt. In Tab. 3 findet sich eine Auswahl von Antibiotika und ihren Risikoprofilen in der SS. Aufgrund fehlender Leitlinienempfehlungen findet die Auswahl der antiinfektiven Substanz klinisch häufig aufgrund von subjektiver Erfahrung und Expertenmeinungen statt [13]. Die Auswahl des Antibiotikums sollte sich v. a. nach dem zu erwartenden Erregerspektrum richten. Wie bereits ausgeführt, wird im gramnegativen Bereich am häufigsten ein E.-coli-Keim nachgewiesen. Da die grampositiven GAS für die Fulminanz der Erkrankung ursächlich sind, müssen diese in der Wahl des Antibiotikums mitabgedeckt sein [14].

Tab. 3 Antibiotika und deren Nutzen/Risiko in der Schwangerschaft. (Modifiziert nach „S2k Leitlinie: Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen“ [13])

Merke

E. coli und GAS müssen als Erreger der peripartalen Sepsis immer in Erwägung gezogen werden

Eine Kombinationstherapie zweier Antibiotikaklassen wird weder in den internationalen noch in den deutschen Leitlinien empfohlen. Zur Abdeckung des gesamten Spektrums empfiehlt sich laut dieser Quelle ein Cephalosporin der 4. Generation (z. B. Cefepim) oder ein Acylaminopenicillin mit einem β‑Lactamase-Hemmer (z. B. Piperacillin + Tazobactam). Bei Exazerbation einer Sepsis zum septischen Schock wird eine Kombination der genannten Substanzen mit einem Chinolon (z. B. Levofloxacin) empfohlen, wobei diese Wirkstoffklasse einer strengen Nutzen-Risiko-Abwägung in der SS bedarf [12, 13].

Merke

Für eine kalkulierte Antibiotikatherapie werden Cephalosporine (4. Generation) und Acylaminopenicilline empfohlen.

Pilzinfektionen

Systemische Pilzinfektionen sind sehr selten; entsprechend existieren nur wenige Daten. Für Fluconazol sind teratogene Effekte im 1. Trimenon beschrieben, sowohl im Tiermodell als auch in vereinzelten Studien. Im 2. und 3. Trimenon sprechen aktuelle Beobachtungen gegen ein fetotoxisches Potenzial [15]. Ebenso kann keine Empfehlung für Caspofungin ausgegeben werden [16].

Merke

Eine systemische antimykotische Therapie bedarf einer gründlichen Nutzen-Risiko-Abwägung durch einen erfahrenen Intensivmediziner.

Virale Infektionen

Schwangere Frauen weisen ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende Infektionen mit dem Influenza-Virus auf. Während der Spanischen Grippe 1918/1919 betrug die Mortalität Schwangerer 27 %. In den USA waren 5 % aller an der H1N1-Grippe 2009 Verstorbenen schwangere Frauen, obwohl diese nur 1 % der US-Bevölkerung stellten. Besonders anfällig waren Frauen im 3. Trimenon [17].

Als Primärprophylaxe wird eine Grippeschutzimpfung empfohlen, die in jedem Stadium der SS als sicher gilt. Therapeutisch steht der Neuraminidase-Inhibitor Oseltamivir zur Verfügung. Auch während der SS wird eine Wirksamkeit und Abschwächung des Krankheitsverlaufes bei einer Einnahme <48 h nach Symptombeginn beobachtet [18]. In einer retrospektiven dänischen Registerstudie konnten Ehrenstein et al. 2018 kein zusätzliches fetales Risiko durch Oseltamivir feststellen [19].

Merke

Eine Grippeschutzimpfung ist während der gesamten SS eine sichere und wirksame Prophylaxe.

Patientinnen mit einer primären Infektion mit dem Herpes-simplex-Virus (HSV) weisen ein erhöhtes Risiko für eine systemische Disseminierung und Hepatitis auf. Eine sekundäre Reaktivierung unterscheidet sich nicht von derer Nichtschwangerer. Sowohl HSV als auch das Varicella-zoster-Virus treten häufig im 3. Trimenon auf [17]. Bei systemischen Gaben von Aciclovir und Valaciclovir konnte kein erhöhtes Risiko für den Fetus festgestellt werden, jedoch handelt es sich weiterhin um einen „off-label use“ [20].

Merke

Aciclovir gilt in der SS als unbedenklich.

Sharma et al. konnten 2015 in einer retrospektiven Studie von 2009 bis 2014 insgesamt die Daten von 67 Patientinnen analysieren, die eine extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) während der SS erhalten hatten. In diesem kleinen Patientinnenkollektiv, das primär aus der H1N1-Pandemie gewonnen werden konnte, zeigten sich Überlebensraten der Mütter von 80 % und der Feten von 70 %. Damit waren diese höher als angenommen [21].

„Coronavirus disease 2019“ während der Schwangerschaft

Coronavirenassoziierte Infektionen wie

  • das schwere akute respiratorische Syndrom (SARS),

  • das „Middle East respiratory syndrome“ (MERS),

  • die Coronavirus disease 2019 (COVID-19)

können für Pneumonien und ein „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) in der SS verantwortlich sein [22]. Insbesondere das für COVID-19 ursächliche „severe acute respiratory syndrome coronoavirus type 2“ (SARS-CoV-2) ist Gegenstand der aktuellen geburtshilflichen, intensivmedizinischen Forschung. Bei den meisten Daten und Empfehlungen handelt es sich um kleine Studienkollektive und Fallberichte.

Epidemiologie und klinische Ausprägung

Nach aktuellem Wissenstand haben schwangere Patientinnen ein identisches Risiko, an einer SARS-CoV-2-Infektion zu erkranken, wie gleichaltrige nichtschwangere Patientinnen [23, 24]. In einer Metaanalyse konnten Capobianco et al. ein mittleres Erkrankungsalter von 30 Jahren und ein Gestationsalter von 36 Wochen feststellen [25]. Die häufigsten Symptome sind wie bei Nichtschwangeren [24, 25]:

  • Fieber,

  • Husten,

  • Dyspnoe,

  • Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns,

  • Myalgien und

  • Diarrhö.

Aus dem United Kingdom Obstetric Surveillance System (UKOSS), einem britischen Datenerfassungssystem für seltene SS-Komplikationen, ermittelten Knight et al. eine Hospitalisierungsrate von 5/1000 Schwangeren mit nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion. Folgende Risikofaktoren wurden detektiert [26]:

  • Black-British-Ethnie,

  • Übergewicht,

  • Alter über 35 Jahre,

  • Vorerkrankungen wie Asthma bronchiale, Herzfehler, arterielle Hypertonie, Diabetes.

Merke

Das Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion ist bei Schwangeren nicht erhöht.

Die Einweisungen erfolgten am häufigsten im 3. Trimenon. Von diesem Patientinnenkollektiv (n = 427) wurden 10 % intensivmedizinisch behandelt und erhielten respiratorische Unterstützung. Insgesamt 4 Patientinnen erhielten eine ECMO-Therapie (1 %, [26]). Der Anteil der intensivmedizinischen Behandlungen wurde von Capobianco et al. mit 20 % angegeben [25] und ist damit höher als bei gleichaltrigen nichtschwangeren COVID-19-Patientinnen [24].

Analog zu dem UKOSS-Register wurde in Deutschland zur systematischen Datenerfassung die „COVID-19 related obstetric and neonatal outcome study“ (CRONOS) etabliert [23, 27]. In dieser wurden 1272 Patientinnen an 149 registrierten Kliniken erfasst. Bei 51 Müttern war eine intensivmedizinische Behandlung notwendig (Stand 16.02.2021, [27]).

Entbindungsmodus, Transmission und neonatales Outcome

Es gibt keine Evidenz für einen zu bevorzugenden Geburtsmodus bei Patientinnen mit COVID-19. In den britischen Handlungsempfehlungen werden die allgemeinen Indikationen für eine Sectio caesarea herangezogen [24]. Somit stellt COVID-19 keine eigenständige Indikation für einen Kaiserschnitt dar [23]. Das Risiko einer vertikalen Transmission wird gemäß der aktuellen Studienlage als vernachlässigbar gering eingestuft. Dennoch wurden vereinzelt in Nabelschnurblut bei infizierten Neugeborenen IgM-Antikörper gegen SARS-CoV‑2 nachgewiesen. Da diese die Plazenta nicht überwinden können, ergibt sich der Hinweis auf eine mögliche vertikale Transmission.

Merke

Das Risiko einer vertikalen Transmission ist gering.

Bei Infektionen von Säuglingen überwiegen asymptomatische bis milde klinische Verläufe [23, 24, 28, 29, 30, 31]. In der Metaanalyse von Capobianco et al. wird die Infektion der Neugeborenen mit SARS-CoV‑2 mit 6 % angegeben [25, 32]. Im deutschen CRONOS-Register waren 14 Neugeborene von 961 Lebendgeburten mit SARS-CoV‑2 infiziert (Stand: 16.02.2021) [27]. Es ist nicht abschließend geklärt, wie hoch die Sterberate bei Säuglingen mit nachgewiesener COVID-19 ist. Gemäß der aktuellen Datenlage scheint diese jedoch sehr gering zu sein [29, 31]. Der Anteil von Aborten und verstorbenen Neugeborenen wird unabhängig von einer Infektion mit SARS-CoV‑2 mit 0–4 % angegeben [25, 26, 28].

Merke

Bei Säuglingen überwiegen milde COVID-19-Verläufe.

In einigen Studien wird ein erhöhter Anteil an Frühgeburten beschrieben (23 %) [28, 31]. Laut dem deutschen CRONOS-Register beträgt dieser 13 % (Stand: 16.02.2021) [27]. Im Kontrast dazu wurde in Irland und Dänemark während der aktuellen Pandemie ein Rückgang der Frühgeburtenrate verzeichnet. Die Gründe hierfür sind bis dato nicht geklärt [31].

Neuroaxiale Anästhesieverfahren

Eine Infektion mit SARS-CoV‑2 stellt keine Kontraindikation für eine Spinal- bzw. Epiduralanästhesie (EDA) dar. Rückenmarknahe Regionalanästhesieverfahren sollten unter der gleichen Indikationsstellung wie bei Nicht-SARS-CoV-2-Infizieten angewendet werden [23, 24].

Intensivmedizinisches Management

Es existieren nur wenige intensivmedizinische Handlungsempfehlungen, die auf belastbarer Evidenz fußen. Einen der ersten und stets aktualisierten Leitfäden entwickelte das Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (RCOG). Aus diesem geht hervor, dass das prinzipielle diagnostische Vorgehen dem der zuvor zitierten Sepsisleitlinien entspricht. Insbesondere wird auf die Notwendigkeit einer CT-Diagnostik hingewiesen, da diese differenzialdiagnostisch eine Lungenembolie ausschließen kann.

Merke

Bei schweren Verläufen wird eine CT empfohlen.

Aufgrund des prokoagulatorischen Status der SS und in Assoziation mit COVID-19 ergibt sich eine harte Indikation zur Thromboseprophylaxe, die bevorzugt mit niedermolekularem Heparin durchgeführt werden sollte. Inwieweit diese im intensivmedizinischen Setting angepasst werden muss, bleibt eine Einzelfallentscheidung des interdisziplinären Teams.

Durch ein obligatorisches Monitoring der Vitalparameter von Mutter und Fetus wird analog der bakteriellen Pneumonie die Indikation für eine „noninvasive ventilation“ (NIV) bzw. invasive Beatmungstherapie gestellt [24]. Es existieren nur wenige Fallberichte über eine mechanische Ventilation bei schwangeren Patientinnen mit COVID-19 [33, 34].

Merke

Die Indikation zur Atemunterstützung bei COVID-19 entspricht den Empfehlungen der Sepsisleitlinie.

Die Behandlung mit Kortikosteroiden wird, analog zu Patientinnen mit bakterieller Pneumonie, kontrovers diskutiert. Neben dem Einsatz zur Lungenreifung des Kindes haben diese zur adjuvanten Therapie der unspezifischen vaskulitischen Inflammation im Rahmen von COVID einen Stellenwert. Das empfohlene Dexamethason passiert die Plazenta, weshalb Prednisolon oder Hydrokortison eingesetzt wird. Bezüglich des Therapieerfolgs der beiden Substanzen fehlen evidenzbasierte Zahlen [24, 30, 31, 34].

Inwieweit die bereits genannten Daten einer ECMO-Behandlung bei Influenza in der SS auf ECMO bei COVID-19 übertragbar sind, ist aktuell mangels belastbarer Daten nicht geklärt (Stand Januar 2021, [30, 35]).

Adjuvante Sepsistherapie

Für die supportive intensivmedizinische Therapie der schwangeren oder kürzlich entbundenen Patientin im septischen Schock liegt keine belastbare Evidenz vor. Die vorliegenden Handlungsempfehlungen basieren entweder auf Expertenmeinungen oder werden aus dem Kollektiv der nichtschwangeren Patientin übertragen. Die grundsätzlichen Therapieansätze sind in Abb. 3 zusammengefasst [14].

Abb. 3
figure 3

Supportive Maßnahmen bei schwangerschaftsassoziierter Sepsis. ECMO extrakorporale Membranoxygenierung, paCO2 arterieller Kohlendioxidpartialdruck, paO2 arterieller Sauerstoffpartialdruck, SS Schwangerschaft, SzvO2 zentralvenöse Sauerstoffsättigung. (Nach Ali und Lamont [4] sowie Greer et al. [14])

Merke

  • Evidenzbasierte Therapieempfehlungen zur adjuvanten Sepsistherapie der Schwangeren existieren nicht.

  • Die Empfehlungen werden aus dem Kollektiv nichtschwangerer Patienten übertragen.

Stoffwechselentgleisungen

Stoffwechselentgleisungen zählen, relativ gesehen, zu den seltenen SS-Komplikationen, können jedoch eine potenziell lebensgefährliche Situation für Mutter und Fetus ergeben. Zu ihrer häufigsten Entitäten gehören:

  • diabetische Stoffwechselentgleisungen,

  • Thyreotoxikose,

  • Hypophyseninfarkt („Sheehan Syndrom“, [36]).

Diabetes mellitus

Im Rahmen der intensivmedizinisch relevanten diabetischen Stoffwechselentgleisungen nimmt die Ketoacidose die führende Rolle ein. Aufgrund des jüngeren Alters der schwangeren Patientinnen steht diese bei Patientinnen mit Typ-1-Diabetes im Vordergrund. Mit dem steigenden Gestationsalter in den vergangenen Jahrzehnten rückt jedoch auch zunehmend der Typ-2-Diabetes in den Fokus [37]. In der S3-Leitlinie Diabetes und Schwangerschaft wird die Inzidenz der Ketoacidose mit 2–22 % angegeben. Ein Inzidenzmaximum zeigt sich im 2. oder 3. Trimenon [38]. Epidemiologische Daten basieren auf retrospektiven Kohortenstudien und Fallbeispielen, weshalb in der Literatur sehr unterschiedliche Inzidenzdaten zu finden sind [37]. In einer retrospektiven Kohortenstudie ermittelten Byrant et al. eine Inzidenz während der SS von 0,2 % im Zeitraum von 1999 bis 2015 [39]. Die fetale Mortalitätsrate beträgt bei dieser Komplikation 9–36 % [37, 38].

Aufgrund einer vermehrten renalen Ausscheidung von Bikarbonat als Folge einer physiologischen schwangerschaftsassoziierten respiratorischen Alkalose ergibt sich eine schnellere Erschöpfung des regelhaften Puffersystems, sodass die Patientinnen früher von einer Ketoacidose bedroht sind. Zudem besitzen Plazentahormone eine lipolytische und ketogene Wirkung [1, 36, 37, 38].

Trotz der scheinbar niedrigen Inzidenz gilt es bei jeder unerklärlichen Hyperglykämie (Blutglucosekonzentration >200 mg/dl) in der SS, eine diabetische Ketoacidose auszuschließen. Die Diagnostik wird erschwert, da auch normoglykämische Ketoacidosen während der SS beschrieben sind. In diesen Fällen steht das klinische Erscheinungsbild im Vordergrund mit

  • Übelkeit und Erbrechen,

  • Tachykardie,

  • Tachypnoe und Kussmaulatmung mit Azetongeruch,

  • Polyurie und -dipsie,

  • Abdominalschmerzen,

  • Lethargie und Reflexminderung [37].

Neben der Gefahr des intrauterinen Fruchttodes besteht die Gefahr des

  • akuten Nierenversagens,

  • ARDS,

  • zerebralen Ödems mit Koma [37].

Die Therapie folgt intensivmedizinischen Grundzügen:

  • kontrollierte Volumensubstitution,

  • Kaliumkontrollen und -substitution,

  • kontrollierte Insulinsubstitution [38].

Merke

  • Die Entstehung einer Ketoacidose wird durch erniedrigte Bikarbonatpuffer und Plazentahormone begünstigt.

  • Im Fall des unstillbaren Erbrechens einer Diabetespatientin ist während der SS auch bei Hypoglykämie eine Ketoacidose auszuschließen.

Hyperthyreose

Während der SS besteht physiologisch ein Mehrbedarf an Thyroxin (T4). Bei vorbestehender Hyperthyreose, z. B. M. Basedow, kann dies zu einer unkontrollierten Überproduktion der Schilddrüsenhormone führen, die letztendlich in einer Thyreotoxikose („Schilddrüsensturm“) exazerbieren kann.

Die Leitsymptome sind:

  • Fieber,

  • Tachykardie,

  • Vigilanzstörung.

Die Diagnose ergibt sich aus den Bestimmungen von thyreoidstimulierendem Hormon (TSH) und T4. Die Behandlung entspricht der der nichtschwangeren Patienten. Im Vordergrund stehen die Inhibition und Konversionshemmung der Schilddrüsenhormone von T4 zu dem potenteren Trijodthyronin (T3). Zur Konversionshemmung genutzte Präparate sind:

  • Propylthiouracil (PTU),

  • Propranolol,

  • Dexamethason.

Die Wahl der Substanzen erfolgt je nach SS-Fortschritt: Thiamazol ist mit einem erhöhten embryotoxischen Potenzial assoziiert und gilt somit im 1. Trimenon als kontraindiziert. Anwendung findet in diesem SS-Drittel das Thyreostatikum PTU als Mittel der ersten Wahl; das konversionshemmende Potenzial der Substanz wird sekundär genutzt. Hingegen ist PTU hepatotoxisch, sodass im 2. und 3. Trimenon Thiamazol bei zusätzlich vorliegendem HELLP-Syndrom genutzt werden sollte (HELLP: „hemolysis, elevated liver enzymes, low platelet count“).

Die thyreotoxische Krise drückt sich regelhaft durch eine Tachykardie aus. Mittel der ersten Wahl zur Frequenzkontrolle und zur Prophylaxe einer Herzinsuffizienz ist aufgrund der konversionshemmenden Eigenschaften Propranolol. In einem supportiven Ansatz kann Dexamethason die Umwandlung von T4 zu T3 hemmen.

Das Leitsymptom des Fiebers sollte, wenn dies klinisch notwendig ist, durch Paracetamol gesenkt werden. Salicylate inhibieren die Bindung von T3 und T4 an Serumproteine und erhöhen somit deren freie Verfügbarkeit.

Da eine Radiojodtherapie in der SS kontraindiziert ist, gilt als Ultima-Ratio-Therapie der schweren thyreotoxischen Krise die Thyreoidektomie [36, 40].

Merke

Bei einer thyreotoxischen Krise werden Propylthiouracil und Propranolol aufgrund ihrer konversionshemmenden Eigenschaften genutzt.

Sheehan-Syndrom

Während der SS nimmt das Volumen der Hypophyse um ca. ein Drittel zu. Diese Größenzunahme ist mit einem vermehrten Perfusionsbedarf verbunden, und die Drüse wird vulnerabler für Minderperfusion oder Hypoxämie, wie diese im Rahmen von thrombembolischen Ereignissen oder einem postpartalen hämorrhagischen Schock auftreten können. Klinisch kommt es in erster Linie zur Hypophysenvorderlappeninfarzierung. Diese potenziell letale endokrinologische Komplikation ist als Sheehan-Syndrom bekannt. Die Leitsymptome sind:

  • plötzlicher Kopfschmerz,

  • Übelkeit,

  • Erbrechen,

  • Sehstörungen.

Die klinische Verdachtsdiagnose wird durch eine MRT-Untersuchung bestätigt.

Im Rahmen der Infarzierung kommt es zum Verlust der Produktion und zur Freisetzung von follikelstimulierendem Hormon (FSH), luteinisierendem Hormon (LH), „growth hormone“ (GH), Prolaktin (PRL), adrenokortikotropem Hormon (ACTH) und TSH.

Neben der Prävention von Hypotonie und Hypoxämie stehen in der Akutsituation die kausale Therapie der bilanzierten Flüssigkeitszufuhr und Bluttransfusion sowie die Steroidhormonsubstitution im Vordergrund. Nach überstandener Akutphase erfolgt eine lebenslange Substitution der Endhormone wie Cortison und L‑Thyroxin [36, 41].

Merke

Einhergehende Kopfschmerzen, Übelkeit und Sehstörungen im Rahmen einer Hämorrhagie sind Anzeichen eines Sheehan-Syndroms.

Lungenödem

Das Lungenödem gehört zu den seltenen, jedoch lebensbedrohlichen Notfällen in der SS, und es ergeben sich einige physiologische Besonderheiten.

Die Grundlage der Homöostase im Kapillarbett der Lunge ist das ausgeglichene Verhältnis aus hydrostatischem Druck (P), kolloidosmotischen Druck (KOP) und der kapillären Permeabilität. Der Nettoflüssigkeitsfluss durch diese Stellgrößen wird über die Starling-Gleichung beschrieben:

$$\text{Nettofluss }=\mathrm{K}\mathrm{f}\cdot [(\mathrm{Pv}-\mathrm{Pt})-(\text{KOPv}-\text{KOPt})]$$

Der Filtrationskoeffizient Kf beschreibt die kapilläre Permeabilität und wird mit der Differenz des Druckes (P) der Gefäße (v) und des Gewebes (t) und deren KOP multipliziert. Es wird ersichtlich, dass eine Steigerung einer oder beider Komponenten den Nettofluss erhöht. Dieser erhöhte Flüssigkeitseinstrom in das Interstitium kann zum Lungenödem führen.

Der hydrostatische Druck (P) ist u. a. abhängig von der Vorlast, der Herzfrequenz, der Inotropie und der Nachlast. Vor diesem Hintergrund erscheint der Frank-Starling-Mechanismus als eine weitere Stellgröße der pulmonalen Flüssigkeitsverteilung. Durch die Anpassung der Schlagvolumina zwischen dem rechten und linken Ventrikel werden eine pulmonalvaskuläre Stauung auf der einen Seite und eine unphysiologische Entleerung des Lungenkreislaufs auf der anderen Seite vermieden.

Kardiovaskuläre Vorerkrankungen, Präeklampsie, Sepsis, Lungenembolie, aber auch iatrogene Maßnahmen wie eine Überinfusion kristalloider Flüssigkeiten oder β‑adrenerge Tokolytika können dieses Gleichgewicht auflösen und ein Lungenödem bewirken [42]. Insbesondere in der Austreibungsphase der Geburt sind Patientinnen mit einer vorbestehenden Kardiomyopathie durch die Erhöhung des Herzzeitvolumens (HZV) gefährdet.

Merke

Patientinnen mit vorbestehenden Herzfehlern weisen in der Austreibungsphase ein deutlich erhöhtes Lungenödemrisiko auf.

Die klinischen Symptome entsprechen denen der nichtschwangeren Patientin:

  • Dys‑, Ortho- oder Tachypnoe,

  • Tachykardie,

  • auskultatorische Rasselgeräusche.

Da es sich um eine akut lebensbedrohliche Erkrankung handelt, wird im Rahmen der initialen Therapie nach dem allgemeinen ABC-Schema verfahren (A: Atemwege frei machen und frei halten, B: beatmen bzw. Beatmung, C: Zirkulation in Gang bringen). Von zentraler Bedeutung ist die Unterscheidung zwischen einem hypertonen vs. normo- bzw. hypotonen Lungenödem: Liegt kausal eine hypertensive Schwangerschaftserkrankung vor (z. B. Präeklampsie), steht die Blutdrucksenkung z. B. durch Nitroglyzerin oder Nifedipin im Mittelpunkt. Handelt es sich hingegen um ein normo- oder hypotensives Lungenödem, gilt es die, akute Herzinsuffizienz und den drohenden kardiogenen Schock zu behandeln. Der transthorakalen Echokardiographie kommt eine zentrale Bedeutung zu. Das Ziel der Maßnahmen ist die sichere, planbare Entbindung bzw. Sectio caesarea nach der Stabilisierung. [42, 43].

Ein Therapiealgorithmus des pulmonalen Ödems in der SS ist in Abb. 4 dargestellt.

Abb. 4
figure 4

Management des akuten Lungenödems. DBP diastolischer Blutdruck, ITS Intensivstation, proBNP pro-B-natriuretisches Peptid, SBP systolischer Blutdruck. (Modifiziert nach Dennis et al. [42] sowie Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung [43])

Merke

  • Die Unterscheidung zwischen Hyper- und Hypotension ist für die weitere Therapie essenziell.

  • Eine NIV-Therapie ist der invasiven Beatmung vorzuziehen.

Fazit für die Praxis

  • Die schwangere Patientin weist viele physiologische Veränderungen auf, die in der Diagnostik und Therapie genannter Erkrankungen zu berücksichtigen sind.

  • Der Quick Sequential Organ Failure Assessment (qSOFA) Score ist nur bedingt in der Schwangerschaft (SS) anwendbar; der angepasste „Obstetrically modified“ (omq)SOFA Score ist eine Handlungsempfehlung der Society of Obstetric Medicine Australia and New Zealand (SOMANZ).

  • Das gewählte Antibiotikum muss E. coli und Gruppe-A-Streptokokken (GAS) abdecken.

  • Die Behandlungen von Stoffwechselentgleisungen entsprechen weitestgehend denen nichtschwangerer Patienten.

  • Bei einem normo- oder hypotonen Lungenödem muss eine Herzinsuffizienz mit drohendem kardiogenem Schock ausgeschlossen bzw. abgewendet werden.