Der arterielle Blutdruck gehört zu den standardmäßig überwachten Vitalparametern in der Anästhesie und Intensivmedizin. Insbesondere die Hypotonie als Zeichen einer eingeschränkten Perfusion ist dabei für den Patienten gefährlich, da sie zu Organschäden führen kann. In ihrem Übersichtsbeitrag fassen Welte, Saugel und Reuter prägnant die wichtigsten Aspekte des perioperativen Blutdruckmanagements zusammen und verdeutlichen die schwerwiegenden Konsequenzen der intra- und postoperativen Hypotonie [1]. Obwohl die Datenlage wenig Zweifel am schädigenden Einfluss der Hypotonie lässt, ist die Inzidenz der intra- und postoperativen Hypotonie hoch, wie jeder praktisch tätige Anästhesiologe im klinischen Alltag beobachten kann. In den meisten Fällen ist die Stabilisierung des Blutdrucks durch einfache Interventionen wie die Gabe von Katecholaminen, Volumentherapie, Lagerungsmanöver oder Anpassung der Dosierung von Hypnotika in kurzer Zeit machbar. Woran liegt es nun, dass die Hypotonie immer noch ein relevantes Problem in der Anästhesie darstellt? In der klinischen Routine lassen sich mitunter mangelndes Problembewusstsein oder lange Reaktionszeiten bis zur Einleitung therapeutischer Schritte beobachten, also Faktoren, die in der Hand des Anästhesiologen liegen.

Die Hypotonie stellt immer noch ein relevantes Problem in der Anästhesie dar

Wie alle Normwerte ist auch die untere Grenze des „normalen“ Blutdrucks eine Definitionsfrage. Eine untere Grenze von 65 mm Hg für den mittleren arteriellen Druck scheint nicht mit Organdysfunktion assoziiert zu sein [2]. Dieser Grenzwert führt zwangsläufig auch zu zeitweisen Unterschreitungen des Ziels, da eine punktgenaue Einstellung des Blutdrucks als abhängiger Parameter vieler physiologischer Stellgrößen in der Praxis nicht gelingen kann und eine Therapie oft erst eingeleitet wird, wenn der Grenzwert erreicht bzw. unterschritten ist. Eine Lösung des Problems könnte ein höherer Grenzwert für den mittleren arteriellen Blutdruck sein. Erhöht man den unteren Grenzwert, so könnten Abweichungen in den hypotensiven Bereich seltener werden. Ob dieser Effekt auch wirklich eintritt und eine Erhöhung des angestrebten Blutdrucks frei von negativen Konsequenzen bleibt, muss jedoch erst in ausreichend großen Studien untersucht werden. In eigenen Untersuchungen zu den Auswirkung von höheren Alarmgrenzen für die untere Blutdruckgrenze ließ sich nicht hinreichend belegen, dass sich die Rate an perioperativen Hypotensionen damit wesentlich und nachhaltig verringern lässt (Manuskript zur Publikation eingereicht).

Die zweite Stellschraube in unserer Hand ist die Reaktionszeit bis zur Einleitung einer Therapie durch den narkoseführenden Arzt, um schwere und lang andauernde Hypotension zu verringern. Wie im Leitartikel „Perioperatives Blutdruckmanagement“ dargestellt, ist der schädigende Einfluss der Hypotonie umso größer, je länger der Zustand anhält und je tiefer die Blutdruckwerte sind. Das heißt, ein kurzer Ausschlag nach unten, prompt behoben, hat wahrscheinlich keine negativen Auswirkungen für den Patienten. Ein wichtiger Aspekt ist die Verbreitung der Erkenntnis, dass es sich bei intra- und postoperativer Hypotonie um einen gefährlichen Zustand handelt und therapeutische Konsequenzen dringend geboten sind. Voraussetzung für die therapeutische Intervention ist das Erkennen, dass eine Hypotonie droht oder vorhanden ist.

Ist die Art des Blutdruckmonitorings in der Lage, Hypotension sicher zu detektieren und eine engmaschige Überwachung zu gewährleisten? Zur Beantwortung dieser Frage ist es unumgänglich, sich mit den Schwachstellen des Standardmonitorings auseinanderzusetzen [3]. Meist wird der Blutdruck perioperativ intermittierend mit einer oszillometrischen Oberarmmanschette gemessen. Ein Problem der Oszillometrie ist die eingeschränkte Zuverlässigkeit in hypotonen Blutdruckbereichen. Die systematische Überschätzung niedriger Blutdruckwerte und Unterschätzung hoher Blutdruckwerte ist seit Längerem aus großen Datenbankanalysen bekannt [4] und führt dazu, dass sich der Anästhesiologe in falscher Sicherheit wähnt. Auch konnte bei Patienten im Schock gezeigt werden, dass die Messung am Oberarm in zwei Drittel der Fälle die Hypotension nicht detektieren konnte [5]. Die intermittierende Messung bedingt zudem ein Zeitintervall, in dem keine Blutdrucküberwachung erfolgt. Untersucht man den Nutzen kontinuierlicher Blutdruckmessung zur Einleitung und Aufrechterhaltung einer Allgemeinanästhesie, so zeigt sich, dass signifikant weniger hypotensive Phasen unter kontinuierlicher Messung auftreten [6]. Konsequenterweise sollte darum bei Patienten, die zur verbesserten hämodynamischen Überwachung eine invasive Blutdruckmessung für einen operativen Eingriff benötigen, der arterielle Katheter bereits vor der Einleitung der Allgemeinanästhesie gelegt werden. Damit ließe sich die Monitoringlücke durch die Intervallmessung schließen, was eine frühere Intervention bei sinkenden Blutdruckwerten durch den Anästhesiologen ermöglicht und somit zur Vermeidung dieses gefährlichen Zustands beiträgt.

Es ist unwahrscheinlich, dass die perioperative Hypotonie gänzlich vermieden werden kann. Die Datenlage spricht aber dafür, dass sich durch verbessertes Problembewusstsein, frühe Intervention und geeignetes Monitoring die Inzidenz senken ließe. Angesichts der schwerwiegenden Folgen für unsere Patienten scheint ein Umdenken in dieser Hinsicht nicht nur gerechtfertigt, sondern dringlich geboten.