Zusammenfassung
Hintergrund
Das MELAS-Syndrom ist gekennzeichnet durch Laktatazidose und schlaganfallartige Episoden. Es handelt sich um eine seltene, progredient verlaufende Erkrankung mit akuten neurologischen Episoden, die durch eine Mitochondriopathie ausgelöst wird. Durch einen Defekt der oxidativen Phosphorylierung in der Atmungskette kann es insbesondere in Stresssituationen zu einer inadäquaten Energiebereitstellung mit einer konsekutiven Laktatazidose kommen. Aufgrund der hohen Gefahr metabolischer Entgleisungen ist das MELAS-Syndrom im Hinblick auf das perioperative, anästhesiologische Management eine große Herausforderung.
Ziel der Arbeit
Ziel dieser Arbeit soll es sein, einerseits einen allgemeinen Überblick über die Besonderheiten des anästhesiologischen Managements bei Patienten mit MELAS-Syndrom zu geben. Andererseits soll anhand eines Fallberichts dargestellt werden, wie eine intraoperative parenterale Ernährung möglicherweise dazu beitragen kann, der Entstehung einer Laktatazidose entgegenzuwirken.
Material und Methoden
Für diese Arbeit wurde eine systematische Literaturrecherche durchgeführt. Da nur wenige Daten zum MELAS-Syndrom vorliegen, wurde zur Veranschaulichung außerdem ein Fallbericht in diese Übersichtsarbeit integriert.
Ergebnisse und Diskussion
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Patienten mit einem MELAS-Syndrom bezüglich des anästhesiologischen Managements eine Herausforderung darstellen und ein engmaschiges Monitoring der Stoffwechsellage unabdingbar ist. Im Falle einer drohenden Laktatazidose könnte eine intraoperative parenterale Ernährung möglicherweise ein neuer Therapieansatz sein, um die perioperative Versorgung dieser Patientengruppe in Zukunft zu verbessern.
Abstract
Background
Mitochondrial encephalomyopathy, lactic acidosis and stroke-like episodes (MELAS) syndrome is a rare progressive disease with acute neurological episodes caused by a mitochondriopathy. Due to a defect of oxidative phosphorylation in the respiratory chain, there is impaired mitochondrial energy production with subsequent lactic acidosis, especially in situations with increased stress. Due to the high risk of metabolic derailment MELAS syndrome is a great challenge with respect to the perioperative management of anesthesia.
Objective
This article gives a general overview of the special features of anesthesia management in patients with MELAS syndrome. A case report is presented in order to demonstrate how intraoperative parenteral nutrition can possibly be used to counteract the formation of lactic acidosis.
Material and methods
A systematic review of the literature was performed. As only very few reports on MELAS syndrome are available, a case report was also integrated into this overview article for illustration purposes.
Results and conclusion
Patients with MELAS syndrome represent a challenging cohort with respect to management of anesthesia and an intensive monitoring of the metabolic status is crucial. In cases of increasing lactate values, the administration of intraoperative parenteral nutrition seems to be a suitable approach to avoid lactic acidosis and to improve the perioperative treatment of patients with MELAS syndrome in the future.
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Das MELAS-Syndrom gehört zu den Mitochondriopathien und ist gekennzeichnet durch eine gestörte Energiebereitstellung innerhalb der Mitochondrien. Durch einen erhöhten Energiebedarf in Stresssituationen (z. B. Operationen) kann es daher zu lebensbedrohlichen Stoffwechselentgleisungen kommen. Aus anästhesiologischer Sicht ergeben sich daraus einige Herausforderungen. Der folgende Artikel soll einerseits einen allgemeinen Überblick über die Besonderheiten des Managements bei Patienten mit MELAS-Syndrom geben. Andererseits soll anhand eines Fallberichts dargestellt werden, wie eine intraoperative parenterale Ernährung möglicherweise dazu beitragen kann, der Entstehung einer Laktatazidose entgegenzuwirken.
MELAS ist das Akronym für mitochondriale Enzephalomyopathie mit Laktatazidose und schlaganfallartigen Episoden. Es zählt zu den häufigsten Mitochondriopathien [15]. Bis heute sind ca. 200 krankheitsursächliche Punktmutationen in der mitochondrialen DNA (mtDNA) bekannt, wovon rund 30 Mutationen mit dem MELAS-Syndrom assoziiert sind [14]. Dabei kommt es in den meisten Fällen zu einem Adenin- zu Guaninwechsel an Position 3243 der mtDNA [6, 7, 14, 15]. Erstmalig wurde das MELAS-Syndrom 1984 von Pavlakis et al. beschrieben [11]. Die Prävalenz der Erkrankung schwankt in der Literatur, und es werden Zahlen von 18,4/100.000 bis hin zu 236/100.000 berichtet [3, 10, 14].
Die Energiegewinnung des menschlichen Organismus erfolgt allgemein durch den Abbau von Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen. Vereinfacht zusammengefasst münden diese Stoffwechselwege alle zunächst in den Zitratzyklus und schließlich in die Atmungskette, an deren Ende es zur Entstehung von Adenosintriphosphat (ATP) kommt, das den Zellen als Energieträger dient [1, 7]. Diese Energie wird freigesetzt durch die Spaltung von ATP zu Adenosindiphosphat (ADP) und Phosphat und kann in der Folge für energieverbrauchende Prozesse verwendet werden. Der größte Teil der Energiegewinnung findet in den Mitochondrien statt, und genau hier liegt bei Patienten mit MELAS Syndrom das ursächliche Problem, denn der oben erwähnte Adenin- zu Guaninwechsel der mtDNA führt bei dieser Patientengruppe zu einer inkompletten oxidativen Phosphorylierung in der Atmungskette [6, 7]. Daraus resultiert die für das Krankheitsbild pathognomonische gestörte Energiebereitstellung. Charakterisiert ist das Syndrom also durch einen chronischen ATP-Mangel der Zelle, der schließlich zu einer Zunahme der Reduktion von Pyruvat zu Laktat mit einer konsekutiv drohenden Laktatazidose führt. Dieser Mechanismus ist auch ursächlich für eine Proliferation der Mitochondrien in den glatten Muskelzellen sowie im Endothel und führt zu einer Angiopathie mit mikrovaskulärer Dysfunktion [1]. Diese Pathophysiologie ist verantwortlich für die schlaganfallartigen Episoden, die mit der Erkrankung assoziiert sind [1].
Da diese Effekte auf zellulärer Ebene im gesamten Organismus stattfinden, wird schnell deutlich, dass es sich beim MELAS-Syndrom um eine Multiorganerkrankung handelt, die insbesondere Organe mit einem erhöhten Energiebedarf betrifft (v. a. Herz, Gehirn und Muskulatur) [1, 7]. Neben den Kardinalsymptomen Laktatazidose und schlaganfallartigen Episoden kann sich das MELAS-Syndrom daher auch durch weitere Symptome bzw. Folgeerkrankungen bemerkbar machen. Dazu zählen eine Epilepsie, kortikale Blindheit, Demenz, Kopfschmerzen, Kleinwüchsigkeit, Ataxie, Diabetes mellitus, Kardiomyopathien und/oder Nephropathien [3, 8, 14]. Kinder mit MELAS-Syndrom zeigen in der Regel zunächst eine normale Entwicklung. Erste Symptome treten meistens im Laufe des zweiten Lebensjahrzehnts auf. Gelegentlich ist ein Krankheitsbeginn jedoch bereits ab einem Alter von 4 Jahren zu beobachten [1, 4].
Das MELAS-Syndrom ist eine progrediente Erkrankung, für die es bislang keine kausale Therapie gibt [7, 14]. Daher orientieren sich die meisten Therapieansätze an einer Vermeidung eines Mismatch zwischen intrazellulärem Energiebedarf in Form von ATP und seiner Verfügbarkeit. Aus anästhesiologischer Sicht stellt das MELAS-Syndrom eine große Herausforderung dar, denn jede Operation bedeutet für die betroffenen Patienten eine Stresssituation mit erhöhtem Energiebedarf, bei der es durch die insuffiziente Energiebereitstellung der Mitochondrien zu lebensbedrohlichen Stoffwechselentgleisungen und insbesondere zur Entstehung einer schweren Laktatazidose kommen kann [3].
Anästhesiologische Besonderheiten
Für den Anästhesiologen ergeben sich bei der Behandlung von Patienten mit MELAS-Syndrom einige nennenswerte Besonderheiten, die in diesem Abschnitt zusammengefasst werden sollen. So kann gesagt werden, dass diese Patientengruppe ein allgemein höheres Risiko für perioperative kardiale, respiratorische und neurologische Komplikationen besitzt. Intra- oder postoperativ besteht beispielsweise eine Prädisposition zu Herzrhythmusstörungen wie z. B. AV-Blockierungen oder dem Wolff-Parkinson-White-Syndrom sowie zu epileptischen Anfällen [3]. Bereits präoperativ sollte daher ein umfassendes Assessment mit Einholung der folgenden relevanten Befunde erfolgen. Dazu gehört die Bestimmung der Ausgangswerte wichtiger Stoffwechselparameter wie z. B. Laktat, Elektrolyte oder Glucose. Auch die Beurteilung der körperlichen Belastbarkeit spielt eine wichtige Rolle, da Patienten mit MELAS-Syndrom zur Entwicklung einer Kardiomyopathie neigen [2,3,4]. Bei jeglichen Zeichen einer Herzinsuffizienz sollte daher präoperativ unbedingt die Durchführung eines 12-Kanal-EKG sowie einer Echokardiographie erfolgen. Sofern Beeinträchtigungen der Atemhilfsmuskulatur bzw. der pharyngealen Muskeln vorliegen, besteht möglicherweise ein erhöhtes postoperatives Risiko für eine Aspiration bzw. eine respiratorische Insuffizienz. Dieser Aspekt ist insbesondere im Hinblick auf die Extubation relevant und sollte auch bei der Wahl der postoperativen Schmerztherapie bedacht werden, da unter einer Therapie mit Opioiden ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Atemdepression besteht [3, 4]. Aus demselben Grund sollte auch auf eine Prämedikation mit Benzodiazepinen verzichtet werden [3]. Bezüglich des Einsatzes von spezifischen Medikamenten muss darauf hingewiesen werden, dass es eine Reihe an Substanzen gibt, die toxisch auf Mitochondrien wirken und damit bei MELAS-Patienten vermieden werden sollten [2,3,4, 7]. Dazu gehören beispielsweise Antibiotika aus der Klasse der Aminoglykoside, aber auch Valproinsäure oder Linezolid [1, 3]. Alle routinemäßig verwendeten volatilen Anästhetika können problemlos verwendet werden. Ob Propofol bedenkenlos verabreicht werden kann, ist allerdings nicht abschließend geklärt, da es eine mitochondriale Dysfunktion triggern könnte, sodass es möglicherweise sinnvoll ist, eine Alternative wie z. B. Thiopental zu nutzen [3, 4]. Die gängigen Medikamente zur Muskelrelaxation können ebenfalls allesamt eingesetzt werden. Eine Muskelrelaxation muss immer mithilfe des neuromuskulären Monitorings überwacht und gesteuert werden, denn die Wirkung der nichtdepolarisierenden Relaxanzien scheint bei Patienten mit MELAS-Syndrom, bedingt durch eine potenzielle mitochondriale Myopathie, individuell sehr verschieden zu sein, sodass die Gefahr eines Relaxansüberhangs erhöht ist [3, 9]. Einige Autoren empfehlen ein neuromuskuläres Monitoring bereits vor der Applikation des Relaxans, um eine präoperative Einschränkung zu erkennen [2, 4]. Außerdem wird die bevorzugte Nutzung von Cisatracurium oder Atracurium diskutiert, da diese Substanzen durch ihren Spontanzerfall möglicherweise besonders günstige pharmakologische Eigenschaften für diese Patientengruppe besitzen [4, 7]. Perioperativ sollten Blutzucker‑, Laktat‑, Elektrolytkonzentrationen sowie die Körpertemperatur der Patienten engmaschig überwacht werden, da es gehäuft zu Stoffwechselentgleisungen kommen kann. Insbesondere die für das Krankheitsbild typische Laktatazidose stellt eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch das Thema Ernährung: Nüchternzeiten sollten so kurz wie möglich gehalten werden, und ggf. sollte bereits präoperativ eine parenterale Ernährung in Betracht gezogen werden, um eine möglichst optimale Energieversorgung zu gewährleisten [3, 7]. Die Indikation zur postoperativen intensivmedizinischen Überwachung ist in Anbetracht der erwähnten Punkte großzügig zu stellen.
Fallbericht
Das anästhesiologische Management von Patienten mit MELAS-Syndrom soll anhand eines Fallberichts nun beispielhaft dargestellt werden. Dabei soll insbesondere ein möglicher neuer Therapieansatz – die intraoperative parenterale Ernährung – näher beleuchtet und diskutiert werden.
Es wird berichtet über eine 34-jährige Patientin (Körpergewicht 45 kg, Körpergröße 153 cm, BMI 19 kg/m2), welche sich in der gynäkologischen Klinik für eine laparoskopische Endometriosesanierung vorstellte. Im Rahmen des anästhesiologischen Aufklärungsgesprächs wurden Allergien gegen Penicilline, Metalle, Pollen und Pflaster genannt. Zudem berichtete die Patientin über ihr MELAS-Syndrom mit einer Erstdiagnose im Jahr 2008. Klinisch äußerte sich das Syndrom bei der Patientin durch regelmäßige Migräneattacken, einen Diabetes mellitus Typ 1, eine Ataxie, belastungsabhängige Muskelschwäche, eine Blasenentleerungsstörung sowie eine Schallleitungsschwerhörigkeit. Zur Dauermedikation der Patientin gehörte neben einem Bolusinsulin (Insulin Humalog® [Insulin lispro] zu den Mahlzeiten) lediglich Ibuprofen, 600 mg, bei Bedarf. 2015 und 2016 wurde bei der Patientin bereits eine Cochleaimplantation links bzw. rechts durchgeführt, die komplikationslos verlief. Die körperliche Untersuchung wies keinerlei Besonderheiten auf, sodass keine zusätzliche Diagnostik notwendig war. Die Operation wurde an erster Stelle geplant, um die Nüchternheit so kurz wie möglich zu halten. Außerdem erfolgte die präoperative Bestimmung relevanter Stoffwechselparameter (u. a. Laktat, Glucose, Elektrolyte) mit normwertigen Ergebnissen.
Anästhesiologischer Verlauf
Auf eine medikamentöse Prämedikation der Patientin mit Benzodiazepinen wurde verzichtet. Um die präoperative Nüchternheit so minimal wie möglich zu halten, erhielt die Patientin in der Nacht vor der Operation parenterale Ernährung (SMOFkabivenⓇ [Fresenius Kabi, Oberdorf, Schweiz] peripher, 1206 ml über 12 h). Die präoperativen Serum-Laktat-Werte lagen jederzeit im Normbereich <2 mmol/l. Zur Einleitung der Allgemeinanästhesie wurden Thiopental, Rocuronium, ein Remifentanilperfusor (2 mg/50 ml) sowie ein Norepinephrinperfusor verwendet. Zur Aufrechterhaltung der Allgemeinanästhesie wurde eine balancierte Anästhesie mit Desfluran und Remifentanil durchgeführt. Als perioperative Antibiotikaprophylaxe erhielt die Patientin 600 mg Clindamycin. Nach der Intubation wurden eine invasive arterielle Blutdruckmessung an der linken A. radialis sowie ein zentraler Venenkatheter (ZVK) in der rechten V. jugularis interna problemlos installiert. Die Patientin erhielt intraoperativ kontinuierlich Norepinephrin (4–32 µg/kgKG und h) über den ZVK sowie kristalloide Infusionslösungen zur Aufrechterhaltung eines mittleren arteriellen Drucks >65 mm Hg. Die erste arterielle Blutgasanalyse (BGA) zeigte einen Blutzucker(BZ)-Wert von 142 mg/dl (Referenzwerte 80–120 mg/dl) und einen Laktatwert von 1,4 mmol/l (Referenzwert <2 mmol/l) bei einem pH-Wert von 7,43 (Referenzwert 7,35–7,45) und einem „base excess“ (BE) von −3,9 mmol/l (Referenzwert 0 ± 2 mmol/l). Aufgrund der anspruchsvollen Stoffwechsellage der Patientin entschieden wir uns bereits zu diesem Zeitpunkt für eine kontinuierliche zielwertgesteuerte Glucosezufuhr (Glucose, 40 %ig; Laufrate 5–10 ml/h; Ziel-BZ 120–180 mg/dl) sowie die Installation eines Insulinperfusors (100 IE/50 ml; Laufrate 0,5–4 ml/h). Circa 1 h nach Operationsbeginn zeigte sich ein erster Anstieg des Laktatwerts (Tab. 1). Dieser Anstieg konnte durch eine Steigerung der Glucosezufuhr sowie durch eine Optimierung des Volumenmanagements mittels Zufuhr kristalloider Infusionslösungen nicht gestoppt werden.
Bei einem Laktatwert von 3,7 mmol/l (Tab. 1) entschieden wir uns dazu, der Patientin probatorisch intraoperativ eine hochkalorische parenterale Ernährung zu verabreichen (10:30 Uhr). Über den ZVK wurde SMOFkabivenⓇ mit einer Laufrate von 60 ml/h appliziert. SMOFkabivenⓇ beinhaltet eine 42 %ige Glucoselösung, eine Elektrolytlösung mit Aminosäuren und eine Fettemulsion aus Fischöl, Olivenöl, Sojabohnenöl und mittelkettigen Triglyzeriden [5].
Die darauffolgende BGA (Tab. 1; 11:05 Uhr) zeigte eine Stagnation der Laktatwerte. Zwei Stunden nach Beginn der parenteralen Ernährung konnte dann ein deutlicher Abfall der Laktatkonzentration beobachtet werden. Auch in den folgenden BGA fielen die Laktatwerte weiter. Die erste postoperative BGA auf der Intensivstation zeigte einen Laktatwert von 1,6 mmol/l. Zur postoperativen Schmerztherapie hatte die Patientin intraoperativ 1 g Metamizol sowie 15 mg Piritramid erhalten. Bei suffizienter Spontanatmung wurde die Patientin mit einer O2-Maske (8 l/min) kardiorespiratorisch stabil zur Überwachung auf die Intensivstation verlegt und konnte nach einer Nacht mit komplikationslosem Verlauf mit einem durchgehend normwertigen Laktatwert <2 mmol/l in die normalstationäre Weiterbehandlung entlassen werden.
Diskussion
Der vorliegende Fallbericht beschreibt das anästhesiologische Management einer Patientin mit einem MELAS-Syndrom, bei der es intraoperativ zu stetig steigenden Laktatwerten mit einer drohenden Laktatazidose kam. Ein weiterer Laktatanstieg oder die Entstehung einer Laktatazidose konnte möglicherweise durch den intraoperativen Einsatz einer hochkalorischen parenteralen Ernährung verhindert werden. Dadurch ergibt sich ein potenzieller neuer Therapieansatz, der die perioperative Versorgung von Patienten mit MELAS-Syndrom in Zukunft verbessern könnte.
Eine Laktatazidose ist per Definition eine metabolische Azidose (pH <7,25) mit Plasma-Laktat-Werten >5 mmol/l [13]. Wie bereits erwähnt, kommt es bei Patienten mit MELAS-Syndrom durch eine Mutation in der mtDNA zu einem Defekt der oxydativen Phosphorylierung innerhalb der Atmungskette [6, 7, 14]. Dies führt zu einer eingeschränkten Energiebereitstellung, was insbesondere in Stresssituationen wie einer Operation ein Problem darstellen kann. Auch Anästhetika haben Einfluss auf die Atmungskette, denn beispielsweise beeinträchtigt Propofol die oxidative Phosphorylierung zusätzlich [4, 7]. Dieser Aspekt verdeutlicht, dass die Durchführung einer Allgemeinanästhesie bei Patienten mit MELAS-Syndrom eine Herausforderung darstellen kann.
Da eine Kausaltherapie des MELAS-Syndroms nicht möglich ist, orientiert sich die Therapie v. a. an einer Vermeidung eines Mismatch zwischen intrazellulärem Energiebedarf in Form von ATP und seiner Verfügbarkeit. Das Thema Ernährung steht hinsichtlich der Entstehung einer Laktatazidose ganz besonders im Fokus [7, 12, 14]. So versuchten in der Vergangenheit bereits einige klinische Studien, die Energieversorgung durch die Gabe von Nahrungsergänzungsmitteln zu optimieren, kamen jedoch größtenteils zu negativen Ergebnissen [12, 15]. Frühere Empfehlungen beinhalteten außerdem die Stimulation der Pyruvatdehydrogenase zur vermehrten enzymatischen Umsetzung von Laktat zu Pyruvat, beispielsweise durch die Gabe von Dichloracetat [14].
Im anästhesiologischen Setting wird das Thema Ernährung bis dato besonders dadurch berücksichtigt, dass bereits präoperativ Nüchternzeiten so kurz wie möglich gehalten werden sollten. Limitierend für die enterale Ernährung ist hier natürlich das Aspirationsrisiko, sodass auch präoperativ bereits eine parenterale Ernährung in Betracht gezogen werden sollte [2, 3]. Intraoperativ steht v. a. eine engmaschige Überwachung der Stoffwechsellage im Vordergrund, sodass etwaige Entgleisungen der Laktatwerte, aber auch des Blutzuckers oder der Elektrolyte frühzeitig erkannt werden können. Steigenden Laktatwerten liegt pathophysiologisch, wie bereits beschrieben, die verminderte Energiebereitstellung der Mitochondrien zugrunde. Üblicherweise erhalten die Patienten daher kompensatorisch Glucose bei gleichzeitiger Steuerung des Blutzuckers mittels Insulin, um eine Optimierung des Substratangebots für den Zitratzyklus und schließlich die Energiegewinnung in der Atmungskette zu erreichen. Auch in unserem Fallbeispiel wurde diese Vorgehensweise gewählt, allerdings stiegen die Laktatwerte unter dieser Therapie weiter an. Probatorisch entschieden wir uns dazu, zusätzlich eine hochkalorische parenterale Ernährung zu starten. Die Rationale für diese Entscheidung basierte auf der Annahme, dass die zusätzlichen Inhaltsstoffe der parenteralen Ernährung (insbesondere die Fettsäuren) eine Art Optimierung der Substratverwertung bewirken könnten, da die zelluläre Energiegewinnung so nicht nur in Form von Glucose, sondern über mehrere Wege (u. a. über die β‑Oxidation) bedient wird. Biochemisch lässt sich das zunächst nicht eindeutig nachvollziehen, da natürlich sowohl Glucose als auch die Fettsäuren in derselben Stoffwechselendstrecke mit Zitratzyklus und Atmungskette enden. Bei der Verwendung von Propofol ist aber zu bedenken, dass dieses zu einem Anstieg von Malonylcarnitin führt, das die Carnitin-Palmitoyl-Transferase inhibiert. Folgen sind eine Störung des Transports langkettiger Fettsäuren und nachfolgend eine mangelnde Bereitstellung von ATP. Ob dieser Mechanismus auch ohne die Verabreichung von Propofol eine Rolle spielen könnte, kann derzeit nicht beantwortet werden, scheint aber theoretisch denkbar. Auch die Zusammensetzung der parenteralen Präparate könnte dabei natürlich eine Rolle spielen, sodass einige Präparate vielleicht einen besseren Effekt erzielen als andere.
Anhand der durchgeführten BGA scheint es aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs zumindest so, dass durch diese Maßnahme eine Stagnation und schließlich eine Normalisierung der Laktatwerte erreicht werden konnte. Um die genaue Wirkweise von parenteraler Ernährung bei MELAS-Patienten mit Laktatazidose zu eruieren, bedarf es aber noch weiterer Untersuchungen, denn eine Kausalität kann aus dieser Kasuistik noch nicht abgeleitet werden. Vor dem Hintergrund, dass eine intraoperative parenterale Ernährung keine großen Nebenwirkungen aufweist, scheint ein Therapieversuch im Fall einer drohenden Laktatazidose aber unabhängig davon eine sinnvolle Option zu sein und könnte zu einer Verbesserung der perioperativen Versorgung von Patienten mit einem MELAS-Syndrom beitragen.
Fazit für die Praxis
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Patienten mit einem MELAS-Syndrom stellen bezüglich des anästhesiologischen Managements eine Herausforderung dar und besitzen ein höheres Risiko für perioperative kardiale, respiratorische und neurologische Komplikationen.
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Ein engmaschiges Monitoring der Stoffwechsellage ist unabdingbar; dabei sind insbesondere die Laktatwerte zu beachten, aber auch Glucose und Elektrolyte sollten intensiv überwacht werden.
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Im Falle einer drohenden Laktatazidose könnte eine intraoperative parenterale Ernährung möglicherweise ein neuer Therapieansatz sein. Insbesondere die Fettsäuren könnten hier eine entscheidende Rolle spielen.
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Roth, S., Nienhaus, J., Nickel, F. et al. Management von Patienten mit MELAS-Syndrom. Anaesthesist 69, 471–476 (2020). https://doi.org/10.1007/s00101-020-00793-8
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