20–30 % des Krankenhausmülls entstehen im OP, davon ca. 25 % durch die Anästhesie [32]. Bei einem wachsenden Anteil an Einmalprodukten und aufgrund steigender OP Zahlen nimmt auch die Abfallproduktion zu. Um diese Müllberge zu reduzieren wurde das Konzept „Reduce, Reuse, Recycle, Rethink, Research“ – die 5 Rs – entwickelt (Tab. 4).
Tab. 4 Ideen-Checkliste für den Beginn eines ökologischen Konzepts in einer anästhesiologischen Abteilung Reduce
Von verschiedenen Dachgesellschaften werden bereits Programme beschrieben, wie OPs umweltfreundlicher gestaltet werden können [33, 34]. Es folgen einige Beispiele, wie anästhesiologische Kliniken ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig arbeiten können, ohne die Patientensicherheit zu gefährden.
Beatmungsschläuche.
Bei Gebrauch von individuellen Atemsystemfiltern können Beatmungsschläuche 7 Tage genutzt werden (außer bei Verschmutzung und nach Einsatz bei infektiösen Patienten). Mehrere Studien haben im Vergleich von 24 h und 7 Tagen keine erhöhte Keimzahl (weder bakteriell noch viral) gefunden, sodass dieses Vorgehen aktuell von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) empfohlen wird [35].
Sets/Überschuss.
Vorgefertigte Sets für die Anlage von Kathetern oder Regionalanästhesie erleichtern die Arbeit, enthalten aber häufig unnötige Materialien wie Kompressen, Lochtücher, Instrumente oder Plastikschalen. Als „Überschuss“ wird das Öffnen von sterilem Equipment bezeichnet, das schlussendlich nicht genutzt wird, aber aus hygienischen Gründen verworfen werden muss. Bis zu 20 % des Materials einer OP bleiben ungenutzt und müssen verworfen werden [36]. Hersteller können mit wenig Aufwand solche Sets neu packen und nur mit relevanten Utensilien bestücken, was ökologisch zu fordern und gleichzeitig kosteneffektiv ist.
Medikamente.
Entsprechend werden auch Medikamente, aufgezogen für den Notfall, in mehr als 50 % der Fälle verworfen [37]. Bei „schwierig“ aufzuziehenden Medikamenten oder Verdünnungen (z. B. Katecholamine) oder bei Medikamenten, die schnell verfügbar sein müssen (z. B. Notsectio), empfiehlt sich die Erwägung von in der Apotheke vorgefertigten Spritzen, die länger haltbar sind und somit den Verwurf reduzieren. Generell sollte die Ampullengröße dem Verbrauch entsprechen. Durch eine Umstellung von Propofol von 50-ml- bzw. 100-ml-Amp. auf 20-ml-Amp. konnte beispielsweise der Verwurf um ca. 90 % reduziert werden [38].
Sonstiges.
Kaffeebecher, Kaffeekapseln, Plastikflaschen und sonstige Einwegartikel werden im privaten Haushalt bereits oft vermieden; dies sollte auch am Arbeitsplatz selbstverständlich sein. Wiederfüllbare Druckerpatronen und Akkus statt Batterien sind empfehlenswert. Der Papierverbrauch kann durch doppelseitiges Ausdrucken sowie die Nutzung elektronischer Patientenakten und Anästhesiedokumentation reduziert werden, wenn diese konsequent zum Einsatz kommen. Allerdings haben auch die elektronischen Alternativen einen negativen Umwelteinfluss, solange die Umstellung auf erneuerbare Energien nicht 100%ig umgesetzt ist. Verwendung von Recyclingpapier sollte Standard sein.
Reuse
Einmalinstrumente und Equipment sind überall präsent und werden stetig mehr. Bei der Entscheidung zwischen Einmal- und Mehrwegprodukten kommen sowohl hygienische Bedenken, Kostenfaktoren und als auch Bequemlichkeit zum Tragen. Häufig eingesetzte Einwegartikel sind Textilien (OP-Mäntel und -Abdecktücher), Medikamentenschalen, Beatmungsschläuche, Larynxmasken, aber auch Laryngoskopspatel und -handgriffe, Ambubeutel, Pulsoxymetersonden, Führungsstäbe und sogar Blutdruckmanschetten finden zunehmend Anwendung. Um den Umwelteinfluss und den CO2-Fußabdruck eines Einmalartikels mit dem eines Wiederverwertbaren zu vergleichen, werden LCA angewandt. In die Untersuchung wird einbezogen, wo und wie Rohstoffe gewonnen werden, deren Verarbeitung und die Herstellung des Produkts, Transportwege, Gebrauch, Wiederverwertung und Instandhaltung, Recycling und Abfallbeseitigung [39].
Bei der Entscheidung zwischen waschbaren und Einmal-OP-Mänteln und -Abdecktüchern spielen v. a. Schutz vor Infektion von Personal und Patient, Tragekomfort sowie ökonomische und ökologische Aspekte eine Rolle [40]. Unterschiede bezüglich der Inzidenz von Wundinfektionen zwischen modernen OP-Textilien mit Einfach- oder Mehrfachgebrauch sind nicht nachweisbar; beide Optionen erfüllen die notwendigen Standards. Aus ökologischer Sicht ist die Datenlage eindeutig: Alle 6 verfügbaren LCA ergaben eine klare Überlegenheit der wiederverwertbaren Textilien. Diese sparen 200–300 % an Energie, reduzieren den Wasserverbrauch um 250–330 % und verringern die Müllproduktion um 750 % gegenüber den Einmalprodukten [40].
Wiederverwertbare Larynxmasken haben bei einer LCA in den Kategorien GWP, Wasserverbrauch und Luftverschmutzung insgesamt einen ca. 50% geringeren negativen ökologischen Effekt gegenüber der entsprechend notwendigen Zahl von Einmallarynxmasken ergeben [41].
Bei der Nutzung von Einmallaryngoskopen sind die CO2-Emission 16- bis 25-mal höher als bei Gebrauch der herkömmlichen Laryngoskope aus rostfreiem Stahl, einschließlich einer „High-level“-Desinfektion. Bezüglich der Spatel war der Unterschied 6‑ bis 8‑fach zugunsten der wiederverwertbaren Optionen [42]. Wie bei vielen medizinischen Produkten werden insbesondere bezüglich der Instrumente zur Atemwegssicherung hygienische Bedenken als Hauptargument für Einmalprodukte angeführt. Einwegmaterialien sind sicherlich wertvoll, wenn adäquate Dekontaminationsmöglichkeiten fehlen. Ein unselektiver Einsatz von Einmalprodukten sollte jedoch vermieden werden, da diese den ökologischen Fußabdruck des Gesundheitssystems durch den vermehrten Verbrauch an Ressourcen bei der Produktion, dem Transport und dem Abfallmanagement erhöhen, ohne einen messbaren Effekt auf das Infektionsrisiko zu demonstrieren [43].
Mehrweg-Medikamentenschalen zeigen eine deutliche Reduktion an Wasserverbrauch und Kosten im Vergleich zu Einmalprodukten, die CO2-Produktion reduzierte sich aber nur geringfügig. Dies ist v. a. dadurch zu erklären, dass diese LCA in Victoria, Australien, durchgeführt wurde, wo Braunkohle als Hauptenergiequelle dient. In einem Krankenhaus, das mit erneuerbaren Energieträgern arbeitet, ergäbe sich eine CO2-Reduktion von >50 % [44].
Im Gegensatz dazu zeigte sich für zentrale Venenkatheter (ZVK), dass bei der Nutzung von Mehrwegsets aufgrund des Sterilisierungsvorgangs mehr Wasser und CO2 verbraucht wurden als beim Gebrauch von Einmalsets [45].
Recycle
Müll aus dem OP besteht aus den unterschiedlichsten Materialien: Plastik, Papier, Karton, Glas, Metall, Anästhesiegase, Medikamente, Spitzabfall und anatomisch-pathologischer Abfall. Etwa 60 % des Krankenhausmülls sind nicht kontaminiert und somit potenziell recycelbar. Besonders viel dieses „sauberen“ Mülls fällt am Anfang einer Operation an, wenn die Tische gerichtet und Verpackungen geöffnet werden [46]. Weitere 30 % sind als potenziell kontaminiert zu betrachten und können somit nicht recycelt werden. Nur ca. 10 % sind infektiös oder enthalten Schadstoffe wie Chemikalien oder Zytostatika. Diese müssen getrennt gesammelt und in speziellen Sonderabfallverbrennungsanlagen unter hohen CO2-Emission entsorgt werden [47].
Eine Umfrage unter 780 Anästhesisten aus England, Australien und Neuseeland ergab, dass >90 % der Anästhesisten im privaten Haushalt recyceln, >90 % auch im Krankenhaus recyceln möchten, dies aber nur ca. 11 % am Arbeitsplatz durchführen. Als größtes Hindernis zum effektiven Recycling im OP wurden in allen Ländern fehlende Recycling-Tonnen angegeben; des Weiteren wurden die Haltung der Mitarbeiter zum Thema und mangelnde Informationen genannt [48].
Lokale Recyclingfirmen sollten zu Rate gezogen werden, was, wo und wie am besten gesammelt und abtransportiert werden kann.
Rethink
Neue Ideen sind gesucht – statt „business as usual“ [49]. Wie können der Einleitungsraum und der OP so gestaltet werden, dass Recycling einfach wird? Pharma- und Produktfirmen sollten auf ihre Umweltfreundlichkeit bei der Herstellung ihrer Waren geprüft werden.
Interdisziplinäre „Green Teams“, die sich mit dem Thema Ökologie im OP beschäftigen, können viel erreichen. Neben Ideensammlung und deren zeitnaher Umsetzung sollte eine Schulung des Personals erfolgen, um allgemein eine umweltfreundliche Atmosphäre zu schaffen. Voraussetzung für ein effizientes Arbeiten ist, dass sich diese Teams aus Personen in Schlüsselpositionen wichtiger Bereiche zusammensetzen: OP-Management, Ärzte und Pflegepersonal, Hygiene, Techniker, Abfallbeauftragte, Pharmazeuten und Verwaltung. Strategien für Kliniken und ihre „Green Teams“ sind bereits verbreitet und weltweit etabliert [50].
Das Zurücklegen des Arbeitswegs mithilfe des öffentlichen Nahverkehrs, des Fahrrads oder gar zu Fuß sollte unbedingt gefördert werden, z. B. mit der Etablierung günstiger Job-Tickets. Reisen zu Konferenzen sollten mit der Bahn statt mit dem Flugzeug für alle Strecken unter 800 km gefordert werden; auch Telekonferenzen sind heutzutage leicht umsetzbar.
Regionale, biologisch angebaute Obst- und Gemüseprodukte, vegetarische oder sogar vegane Mahlzeiten sollten im Sinne einer gesunden Ernährung in der Patientenverpflegung und in der Personalkantine häufiger angeboten werden.
Divestment bezeichnet das Abziehen aller Kapitalanlagen von Industrien, die zur Klimakrise beitragen. In der Finanzwelt gelten Geldanlagen in klimaschädlichen Bereichen als größtes Investmentrisiko [51,52,53]. In einem aktuellen Editorial des British Medical Journal (BMJ) rufen die Autoren sowohl alle Mitarbeiter des Gesundheitssystems als auch alle medizinischen Organisationen dazu auf, Divestment als Werkzeug zu nutzen, um Politik und Industrie zu einem der Gesundheit des Planeten und der Menschheit förderlichen Verhalten zu bewegen [54]. Die Berliner Ärzteversorgung hat schon 2006 begonnen, ihr Aktienfondsvermögen auf nachhaltige Kapitalanalgen umzuschichten, und wurde dafür 2017 von der Organisation Fossil Free Berlin mit dem „Berlin Divestment Award“ ausgezeichnet [55]. Als weitere lobenswerte Beispiele aus dem medizinischen Bereich sind das Royal College of Physicians, das Royal College of General Practitioners, das Royal Australasian College of Physicians, die Medical Associations von America and Kanada sowie die Britisch Medical Association zu nennen [56].
Research
Am Anfang jeder Änderung sollte eine Bestandsaufnahme stehen. Ein Audit zu verschiedenen Themen kann Aufschluss über die Effektivität der eigenen Praxis geben und den Effekt einer etwaigen Veränderung verfolgen. Im Sinne eines Benchmarkings kann sich die eigene Abteilung oder Klinik an anderen vergleichbaren Einrichtungen messen. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt: „Inhaled Anesthesia Climate Initiative: Project Drawdown“.
Audits sind ebenfalls sinnvoll, um beispielsweise den Verbrauch von Lachgas zu messen, und um festzustellen, wie oft TIVA oder Regionalanästhesien durchgeführt werden oder wie häufig die Low-flow-Anästhesie tatsächlich genutzt wird. Auch Themen wie Müllproduktion, Energieverbrauch und Gebrauch von Einmalmaterialien stellen gute Audit-Projekte dar. Forschungsprojekte zum Thema Umweltschutz und klimafreundliche Anästhesie sollten gefordert und gefördert werden. Beispielsweise sind LCA aus Deutschland wichtig, ebenso wie die zeitnahe Entwicklung alternativer, klimafreundlicher Anästhesiegase oder von Anästhesiegaswiederaufbereitungsverfahren.
Innerhalb der weltweiten Gesundheitsorganisationen herrscht zunehmend Einigkeit, dass Aktionen, die die Klimakrise abmildern können, deutlich beschleunigt werden müssen. Der Weltärztebund hat im Oktober 2019 den Klimanotstand ausgerufen und bis 2030 die Klimaneutralität eingefordert (Infobox 1).
Infobox 1 Resolution des Weltärztebundes „World Medical Association“ vom 18.11.2019a
Die „World Medical Association“ und ihre Gründungsmitglieder sowie internationale Gesundheitsorganisationen …
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rufen den Klimanotstand aus und fordern die internationale Gemeinschaft der Gesundheitsberufe auf, sich dieser Mobilisierung anzuschließen
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verpflichten sich dafür einzutreten, die Gesundheit der Menschen weltweit vor den Klimafolgen zu schützen
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fordern von nationalen Regierungen, bis 2030 die CO2-Neutralität zu erreichen, um die lebensbedrohlichen Gesundheitsfolgen der Klimakrise zu minimieren
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erkennen den ökologischen Fußabdruck des globalen Gesundheitssektors an, werden aktiv Müll reduzieren und CO2-Emissionen vermeiden, um ein nachhaltiges Gesundheitssystem zu gewährleisten
aÜbernommen aus [57], frei übersetzt von den Autorinnen des vorliegenden Beitrags.