Dass Delir als „Intensivpsychose“ oder „Durchgangssyndrom“ bezeichnet wird, gehört der Vergangenheit an. Das ist gut so, da diese Bezeichnung weder der Pathophysiologie noch den Auswirkungen von Delir auf Morbidität und Letalität gerecht wird. Das zunehmende Bewusstsein, dass es sich bei Delir um eine ernsthafte Komplikation handelt, trägt dessen Wahrnehmung in der Wissenschaft Rechnung: Erschienen noch bis Anfang des Jahrtausends 10 Artikel/Jahr zu diesem Thema, so hat sich diese Zahl in den vergangenen fünf Jahren auf ca. 300 Beiträge/Jahr vervielfacht [1].

Der letzte Übersichtsbeitrag in Der Anaesthesist dazu datiert aus dem Jahr 2010 [2], zugleich das Erscheinungsjahr der bereits dritten deutschen Ausgabe der Leitlinie zu Sedierung, Analgesie und Delir auf der Intensivstation [3]. Im Jahr 2015 konnte deren Umsetzung durchaus noch als problematisch betrachtet werden: Auf jeder zehnten Intensivstation war die Leitlinie auch fünf Jahre nach ihrem Inkrafttreten gänzlich unbekannt [4]. Im gleichen Jahr erschien dann eine interdisziplinäre S3-Leitlinie zu Delir, Sedierung und Analgesie in der Intensivmedizin [5], die sich nun auch explizit der Problematik der Leitlinienimplementierung widmete.

Daher kommt dem Übersichtsartikel „Delir beim Intensivpatienten – eine multiprofessionelle Herausforderung – Ursachen, Prävention, Diagnostik und Therapie“ von Norbert Zoremba und Mark Coburn in dieser Ausgabe von der Der Anaesthesist [6] eine besondere Bedeutung zu. Gerade die interprofessionelle Herangehensweise ist hochaktuell und wird im englischen Sprachraum seit Jahren thematisiert. Im deutschen Sprachraum konnte sie sich bislang noch nicht stärker verbreiten. Die stringente Implementierung von interprofessionellen Übergabeprotokollen [7] unterstützt jedoch diesen Ansatz.

Eine strukturierte Schulung und ein Screening über alle Berufsgruppen hinweg (vom ärztlichen über den Pflegedienst bis hin zur Physiotherapie) helfen schon deshalb, den Behandlungserfolg zu verbessern, da mit einer frühen Delirdiagnose als Frühwarnsymptom schwerwiegende Komplikationen rechtzeitig erkannt werden können, wie z. B. infektiöse Komplikationen (Pneumonie, Harnwegsinfekt) oder Hypoxie und Anämie. Daher empfiehlt auch die europäische Anästhesiegesellschaft (European Society of Anesthesiology, ESA) in ihren 2017 publizierten Leitlinien ein regelhaftes Screening auf Delir, beginnend im Aufwachraum bis zum 5. postoperativen Tag, auch bei nichtintensivpflichtigen Patienten [8]. Der Erfolg dieser Empfehlung ist jedoch als kritisch zu sehen, da für die Umsetzung einer solchen Maßnahme die finanziellen Ressourcen aktuell schlichtweg nicht vorgehalten werden. Delir ist ein neuer Qualitätsindikator für die Intensivmedizin und wurde jüngst vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als Leistungsbereich für die Erprobung von Qualitätsverträgen bestimmt. Beide Instrumente können diese Problematik in der Zukunft verstärkt adressieren.

Die notwendigen gemeinsamen Anstrengungen in Aus‑, Weiter- und Fortbildung, Forschung und Klinik, um Delir und die Folgen zu minimieren, sind von internationalen Wissenschaftlern kürzlich treffend formuliert worden [1]. Ein dabei wesentlicher Punkt, die Interdisziplinarität und Interprofessionalität, kann aber von jedem von uns vorgelebt und dadurch gefördert werden.

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Thomas Saller