Das Konzept der präemptiven Analgesie ist genauso attraktiv wie intuitiv und hat seit seiner Einführung bis heute nicht an Aktualität verloren. Dem Konzept liegt die wissenschaftliche Erkenntnis zugrunde, dass die Überempfindlichkeit auf schmerzhafte Reize nach Gewebeverletzung nicht ausschließlich auf der Sensibilisierung peripherer Rezeptoren beruht, sondern auch auf Sensibilisierungsmechanismen im zentralen Nervensystem zurückzuführen ist [1]. Folglich sollte die Reduktion oder gar die Ausschaltung des nozizeptiven Inputs bereits vor einem operativen Schmerzreiz durch Analgetikagabe, Lokal- oder Regionalanästhesie die zentrale Sensibilisierung verhindern, den postoperativen Schmerzmittelverbrauch senken und der Chronifizierung postoperativer Schmerzen vorbeugen.

Für die wissenschaftliche Überprüfung der Wirksamkeit dieses Konzepts in klinischen Studien wurden häufig 2 Behandlungsgruppen gewählt, die die gleiche Behandlung vor bzw. nach einem operativen Schmerzreiz erhielten; der einzige Unterschied lag im Zeitpunkt der Behandlung relativ zum operativen Schmerzreiz. Diese Herangehensweise beruhte auf der Annahme, dass vorwiegend der intraoperative nozizeptive Input für postoperative Schmerzen und deren Verlauf verantwortlich ist. Der postoperative nozizeptive Input wurde in dieser Betrachtung vernachlässigt.

Die Evidenz für den Vorteil der präemptiven Analgesie aus experimentellen präklinischen Studien war äußerst überzeugend. Die Ergebnisse aus klinischen Studien dagegen waren kontrovers, und systematische Übersichten und Metaanalysen konnten keinen eindeutigen Nutzen der präemptiven Analgesie für postoperative Schmerzen und deren Chronifizierung belegen.

Bei näherer Betrachtung klinischer Studien wurde allerdings auch klar, dass häufig Wirkmechanismus und/oder Wirkstärke der untersuchten präemptiven Interventionen weder in der Lage sein konnten, den nozizeptiven Input vollständig zu unterdrücken bzw. nicht dahingehend überprüft wurden, noch im geeigneten Verhältnis zu Dauer und Stärke des operativen Schmerzreizes standen. Zudem setzte sich die Erkenntnis durch, dass inflammatorische Mechanismen als Folge intraoperativer Gewebeverletzung weit in die postoperative Phase hineinreichen und ebenfalls zentrale Sensibilisierungsprozesse unterhalten können.

Damit wurde das eng gefasste Konzept der präemptiven Analgesie verlassen und fortan als eine Komponente des weiter gefassten Konzepts der protektiven Analgesie [2] bzw. der präventiven Analgesie [3, 4] definiert. Einige klinische Studien, die umfassende multimodale schmerztherapeutische Verfahren einschließlich der Regionalanästhesie in der prä-, intra- und postoperativen Phase sowie deren Effekte auf Schmerzen, Funktionalität und Morbidität über die unmittelbar postoperative Phase hinaus untersuchen, weisen darauf hin, dass die präventive Analgesie, insbesondere durch Verfahren der Regionalanästhesie, tatsächlich vorteilhaft sein kann [5, 6, 7].

In dem lesenswerten Beitrag zum Leitthema „Update zur präemptiven Analgesie“ weisen Sittl et al. eindringlich auf das Hauptziel beider Konzepte, nämlich die Reduktion chronischer postoperativer Schmerzen, hin und setzen sich umfassend mit den Verfahren der präoperativen Schmerztherapie auseinander. Nicht zuletzt weisen die Autoren auf die Bedeutung organisatorischer Voraussetzungen für eine umfassende und wirkungsvolle perioperative Schmerztherapie hin.

Beim Lesen des Beitrags wird aber auch deutlich, dass nur sehr wenige Informationen über Risikofaktoren für die Entwicklung chronisch postoperativer Schmerzen aus klinischen Studien, zur Korrelation chronischer postoperativer Schmerzen mit der präoperativen Schmerzempfindlichkeit, zum Stellenwert verschiedener chirurgischer Verfahren und zu prozedurenspezifischen funktionellen Konsequenzen postoperativer Schmerzen vorliegen.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema ermahnt uns daher einerseits zu einer umfassenden perioperativen multimodalen schmerztherapeutischen Behandlung unserer Patienten und erinnert uns andererseits daran, dass noch einige gute klinische Studien erforderlich sind, um zu detaillierten, evidenzbasierten und prozedurenspezifischen Leitlinien für präventive analgetische Interventionen zu kommen.

C. Nau