Die kontinuierliche mechanische Beatmung („continuous mandatory ventilation“, CMV) kann lebensrettend sein, besitzt aber eine Vielzahl von möglichen Nebenwirkungen. Die Lungenfunktion ist nur einer der Parameter, der nach CMV über ein erfolgreiches Weaning entscheidet. Beatmungsentwöhnung benötigt auch ausreichende diaphragmale Muskelkraft.

Hintergrund

Die Erkenntnisse um ungewollte Effekte der Beatmung und deren Auswirkungen auf die Patienten sind in den letzten Jahren stetig gewachsen. Seit den Ergebnissen der „Acute-respiratory-distress-syndrome“(ARDS)-Network-Studie bildet das Wissen um die Gefahr invasiver Beatmung bei kritisch Kranken und die daraus resultierende Lungenprotektion eine Säule der intensivmedizinischen Behandlung [1]. Der Schaden durch Beatmung ist allerdings nicht auf die Lungen beschränkt. Während der CMV und Inaktivierung des Diaphragmas beginnt ein muskulärer Atrophieprozess, der innerhalb von 12 h zu einer Reduktion von 30 % der Muskelmasse führt, verbunden mit einem Kraftverlust in vergleichbarem Ausmaß ([2]; Abb. 1). Die ersten Berichte über diese pathophysiologische Veränderung (ventilatorinduzierte diaphragmale Dysfunktion, VIDD) aus den 1990er Jahren sind mittlerweile in klinischen Studien für den Menschen bestätigt worden – VIDD ist ein klinisches Problem [3, 4]. Die Pathomechanismen, Einflüsse durch Pharmaka und Möglichkeiten der Protektion werden im vorliegenden Beitrag erläutert.

Abb. 1
figure 1

Kontraktionsmessung an isolierten Muskelstreifen im Organbad von nichtbeatmeten Ratten und 12 h nach kontinuierlicher mechanischer Beatmung. Muskelstreifen beatmeter Tiere (untere Kurve) zeigen einen Kraftverlust gegenüber den nichtbeatmeten Kontrolltieren (obere Kurve)

Vorkommen in Tier und Mensch

Levine et al. [3] konnten 2008 erstmals die grundsätzlichen Pathomechanismen der VIDD, die bis zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich tierexperimentell erhoben worden waren, für den Menschen bestätigen. Die Autoren verglichen Diaphragmaproben von Organspendern mit Gewebe von Patienten am Ende einer thorakalen Operation [3]. Die Proben der langzeitbeatmeten Patienten (zwischen 18 und 69 h) zeigten eine signifikante Atrophie. Mehrere tierexperimentelle Studien haben als Ursache dieser Atrophie die Aktivierung proteolytischer Kaskaden identifizieren können (sog. Caspasen und Calpaine, [5, 6]). Ebenso waren die antioxidativen Puffersysteme, wie beispielsweise Glutathion, als Zeichen eines erhöhten Anfalls von Sauerstoffradikalen vermindert („reactive oxygen species“, ROS, [3]). Sauerstoffradikale werden in geringer Menge ständig in jeder Zelle gebildet, es existieren jedoch mehrere Puffersysteme, die toxisches Superoxid beispielsweise in Wasserstoffperoxid umwandeln können. Während CMV kumulieren in Mitochondrien sowohl die Substrate der Atmungskette als auch Adenosintriphosphat (ATP), das wegen der fehlenden Kontraktion des Muskels kaum mehr benötigt wird [7]. Dies resultiert in einer Entkoppelung der Atmungskette; der Elektronenfluss durch die Untereinheiten wird unterbrochen. Sauerstoff wird durch Elektronen aus der entkoppelten Atmungskette zu Superoxid umgewandelt, das dann als Radikal fungiert, kontraktile Elemente der Zelle schädigt und die Apoptosekaskade in Gang setzt [8]. Schematisch ist dieser Vorgang in Abb. 2 veranschaulicht. Durch die Entkopplung der Atmungskette werden Elektronen freigesetzt und Sauerstoff zum Superoxidanion oxidiert. Dieses löst über die oxidative Schädigung zellulärer Strukturen eine diaphragmale Atrophie aus. Die Schädigung des sarkoplasmatischen Retikulums führt zur Freisetzung von Kalziumionen (Ca2+); dies aktiviert Ca2+-abhängige Proteasen und bewirkt über eine Überladung der Mitochondrien die Apoptose. Ein Abbau von Superoxid zu Wasserstoffperoxid wird durch die Enzymgruppe der Superoxiddismutasen katalysiert.

Abb. 2
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Schematische Darstellung der Pathophysiologie der innerhalb der Mitochondrien. ADP Adenosindiphosphat, Ca 2+ Kalziumionen, e 2− Elektronen, H 2 O 2 Wasserstoffperoxid, O 2 Sauerstoff, SOD Superoxiddismutasen, SR sarkoplasmatisches Retikulum

Neben anderen radikalbildenden Enzymen sind Mitochondrien die Hauptquelle von Sauerstoffradikalen; dies konnte in einem Tierexperiment von Powers et al. [8] gezeigt werden. Ein Radikalfänger wurde Ratten kontinuierlich während 12-stündiger CMV appliziert. Durch diesen Radikalfänger, der an der inneren Mitochondrienmembran kumuliert, also an dem Ort der zellulären Atmungskette, konnten die in den Mitochondrien entstehenden Sauerstoffradikale inaktiviert werden. Die Erhöhung proteolytischer Signalwege und die daraus resultierende Atrophie waren nicht mehr nachzuweisen. In nachfolgenden Untersuchungen an menschlichem Gewebe konnten weitere atrophische Signalwege aufgeklärt werden [4, 9]. Zusätzlich zur Aktivierung von Proteasen, also katalytischen Enzymen, kommt es zur Triggerung von Autophagie als zusätzlichem Mechanismus, der im Muskelfaseruntergang resultiert. Die Autoren führten diese Aktivierung auf einen Signalweg zurück, der die anabole oder katabole Stoffwechselsituation der Zelle reguliert (Proteinkinase B, in der englischsprachigen Literatur auch als „Akt“ bezeichnet) und gleichzeitig eine Verminderung der Proteinsynthese bewirkt [9].

Die Hauptsignalwege bei VIDD sind schematisch in Abb. 3 dargestellt. Ausgehend von der Inaktivierung werden über Veränderungen des Phosphorylierungsgrads Kinasen (Akt), atrophe Transkriptionsfaktoren aktiviert [“mammalian target of rapamycin“ (mTOR), „nuclear factor ‚kappa-light-chain-enhancer‘ of activated B-cell“ (NfκB)], die die Proteinsynthese drosseln, Autophagie induzieren und Zytokinproduktion auslösen (Abb. 3, untere Bildhälfte). Durch das mitochondriale Elektronenleck werden Sauerstoffradikale freigesetzt, die zum einen kontraktile Elemente oxidieren und über die Freisetzung von Ca2+ aus dem sarkoplasmatischen Retikulum Proteasen (Caspase/Calpain) aktivieren. Abgebaute Proteine werden im Proteasom abgebaut. Proteasen initiieren die nukleare Apoptose und über die Aktivierung von Membranporen die weitere Entkopplung der Mitochondrien.

Alle beschriebenen Prozesse resultieren in einer gestörten zellulären Homöostase – mit einer Erhöhung der Proteolyse, gleichzeitiger Verminderung der Proteinsynthese und Zerstörung der Kerne der Muskelzellen. Ein weiterer Trigger von Sauerstoffradikalen ist die Kumulation von Energiesubstraten [4], wie dies beim Typ-2-Diabetes oder beim metabolischen Syndrom Teil der Pathophysiologie ist.

Abb. 3
figure 3

Schematische Darstellung der Hauptsignalwege bei ventilatorinduzierter diaphragmaler Dysfunktion. Ca 2+ Kalziumionen, mTOR „mammalian target of rapamycin“, NfκB „nuclear factor ‚kappa-light-chain-enhancer‘ of activated B-cell“

Neben diesen Studien, die diaphragmale Biopsate von Organspendern genutzt haben, existieren nur wenige Daten über das Ausmaß des Kraftverlusts bei Intensivpatienten durch VIDD. Der Goldstandard zur Erfassung der diaphragmalen Kontraktilität ist die Messung des transdiaphragmalen „twitch pressure“. Hierbei wird das Diaphragma über die Nn. phrenici durch eine Magnetspule stimuliert. Über je einen in Magen und Ösophagus eingebrachten Ballon wird die durch die Kontraktionen hervorgerufene Druckänderung in Thorax und Abdomen gemessen. Die Druckänderung dient als Korrelat der Kraft. Hermans et al. [10] haben eine signifikante Korrelation zwischen der Beatmungsdauer und der Verminderung der transdiaphragmalen Kraft nachweisen können. Allerdings ist die hierfür notwendige Platzierung von 2 Ballonkathetern in Ösophagus und Magen sicherlich nur gezielten wissenschaftlichen Fragestellungen vorbehalten und nicht zur Bestimmung der diaphragmalen Physiologie im klinischen Alltag geeignet. Eine bettseitige Erfassung der diaphragmalen Dicke durch Sonographie hat in einer Pilotstudie eine Verdünnung des Zwerchfells um 6 % pro Tag nachgewiesen [11]. Diese Studie umfasste nur wenige Patienten, ist aber sicherlich wegweisend für eine nichtinvasive Untersuchung der diaphragmalen Prozesse unter CMV, v. a. während eines Entwöhnungsprozesses.

Fazit

Die Inaktivierung des Diaphragmas führt innerhalb kurzer Zeit zur Generierung von Sauerstoffradikalen, die kontraktile Elemente der Muskelfaser zerstören und die Apoptose auslösen. Diese Signalwege sind sowohl tierexperimentell als auch klinisch bestätigt worden und legen eine pathophysiologische Veränderung nahe, die auf einem gestörten Substrathaushalt in den Mitochondrien basiert. Die bettseitige Erfassung des Kraftverlusts und der Atrophie bei beatmeten Intensivpatienten ist derzeit nur invasiv möglich – und deshalb kaum zur Überwachung der Zwerchfellfunktion geeignet. Sonographische Untersuchungen könnten zukünftig eine Bewertung des Ausmaßes der diaphragmalen Atrophie zulassen.

Komorbiditäten mit Einfluss auf Pathophysiologie und Funktion

Ältere Patienten sind oft schwerer zu entwöhnen als jüngere; diese Erfahrung des klinischen Alltags ist in großen Studien bestätigt worden [12]. Tierexperimentell zeigt das Diaphragma eines alten Tieres eine um 25 % niedrigere Kontraktionskraft als die eines jungen Tieres, bleibt aber nach CMV über denselben Zeitraum im selben Verhältnis erniedrigt [13]. Die erschwerte Entwöhnbarkeit von beatmeten Patienten ist nicht nur eine Frage des Ausprägungsgrads einer VIDD, sondern auch relevanter Komorbiditäten. Insbesondere Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung („chronic obstructive pulmonary disease“, COPD) leiden bereits vor CMV unter einer Veränderung der Faserstruktur des Diaphragmas mit einer Verminderung schnell kontrahierender, glykolytischer Typ-IIb-Fasern und einer gleichzeitigen relativen Vermehrung von langsamen Typ-I-Fasern, die aufgrund ihrer höheren Dichte von Mitochondrien resistenter gegenüber Ermüdung sind [14]. Die Ursachen sind vielfältig: Durch die chronisch erhöhte Atemarbeit werden mehr Typ-I-Fasern während der Ruheatmung benötigt, um eine ausreichende, dauerhafte Kontraktionskraft zu gewährleisten. Neben diesen Anpassungen finden pathobiochemische Veränderungen statt, die – analog den Signalwegen während CMV – eine Erhöhung proteolytischer Enzyme und Signalwege zur Folge haben. Alle diese Signalwege sind identisch zu den während VIDD aktivierten Kaskaden, was im Fall einer CMV eine Verstärkung der VIDD bedingt. Zusätzlich ist die Sauerstoffextraktion aus dem kapillären Blut des Diaphragmas bereits in Ruhe erhöht und die Sauerstoffreserve nahezu ausgeschöpft. Im Fall einer verstärkten Aktivierung des Diaphragmas durch eine Exazerbation ist dies deletär, da keine weitere Erhöhung des Sauerstoffangebots bei Belastung erfolgen kann und eine O2-Mangelversorgung resultiert [15, 16]. Eine CMV über 6 h führte in einer Studie an Ratten [17] zu einer Reduktion des Blutflusses um bis zu 75 % des Ausgangswerts [17]. Dies ist umso bemerkenswerter, als andere respiratorische oder periphere Skelettmuskeln keinen derartigen Abfall des Blutflusses zeigten. Wurde eine 6-stündige Inaktivierung des Diaphragmas durch elektrische Stimulation aufgehoben, kam es zu keiner Erhöhung des Sauerstoffangebots, obwohl die Muskelaktivierung eine Erhöhung des Sauerstoffverbrauchs und -angebots zur Folge haben sollte. Ist das Sauerstoffangebot also bereits vor Beatmung und durch Inaktivierung reduziert sowie gleichzeitig die kompensatorische Erhöhung des Sauerstoffangebots bei wiedereinsetzender Kontraktion herabgesetzt, ist von einer negativen Beeinflussung der Beatmungsentwöhnung auszugehen, da die Substratversorgung des Muskels massiv gestört ist. Dies ist schematisch in Abb. 4 dargestellt. Zusätzlich zur Abflachung des Diaphragmas durch das Lungenemphysem mit Verschlechterung der respiratorischen Mechanik und einer Verschiebung der Fasertypen zu langsamen Typ-I-Fasern verstärkt VIDD bereits bestehende Atrophieprozesse. Eine Kombination der gezeigten Faktoren führt zum Weaning-Versagen in dieser Patientengruppe.

Abb. 4
figure 4

Schematische Darstellung der zugrunde liegenden pathophysiologischen Prozesse des Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung vor Beginn der mandatorischen Beatmung. DO 2 Sauerstoffangebot, VIDD ventilatorinduzierte diaphragmale Dysfunktion

Die COPD ist neben der Veränderung der „resistance“ und der Überblähung auch durch einen chronischen Entzündungsprozess gekennzeichnet. Ob diese chronische Inflammation einen Effekt auf das Diaphragma hat, ist bislang nicht geklärt, ebenso wenig, welche Protein- oder Plasmalevel welchen Zytokins eine Atrophie bedingen bzw. verstärken. Die chronische Erhöhung von Tumor-Nekrose-Faktor-α als einem der wichtigsten zur Muskelatrophie führenden Zytokine hat Einfluss auf das Diaphragma, wie in einem Modell der chronischen Herzinsuffizienz gezeigt werden konnte [18]. Die Zytokinausschüttung, wie sie beim ventilatorinduzierten Lungenschaden erzeugt wird, scheint keinen Effekt auf die diaphragmale Kontraktilität zu haben [19]. Der lipopolysaccharidinduzierte Lungenschaden hingegen führt zur Atrophie [20], auch wenn die Grenzen zur septischen diaphragmalen Atrophie damit sicherlich verschwinden – zu diesem Themenkomplex der septischen Atrophie wird auf die Übersicht von Callaghan et al. [21] verwiesen. Zudem werden im Diaphragma Zytokine synthetisiert – sei es unter CMV oder auch bei akuter und chronischer Erhöhung der Atemarbeit [22, 23].

Fazit

Die diaphragmale Funktion ist durch Alter und Komorbiditäten des Patieten bereits vor der einsetzenden Inaktivierung geschädigt. Insbesondere COPD-Patienten sind durch Veränderungen der muskulären Signalwege, der Atemmechanik und des diaphragmalen Sauerstoffangebots für ein Entwöhnungsversagen prädestiniert. Das gleichzeitige Auftreten einer Sepsis verstärkt die Prozesse der VIDD und resultiert in einer „ICU-erworbenen diaphragmalen Schwäche“ („intensive care unit acquired diaphragmatic weakness“).

Prävention oder weiterer Schaden

Beatmete Patienten unterliegen neben der Inaktivierung des Diaphragmas weiteren iatrogenen Einflüssen, die eine diaphragmale Atrophie verstärken oder ggf. reduzieren können. Mehrere Autoren haben den Einfluss von Kortikosteroiden untersucht [24, 25]. Kortikosteroide können sowohl eine Muskelatrophie bewirken als auch apoptotische Signalwege oder die Produktion inflammatorischer Zytokine hemmen. Letztere, insbesondere Interleukin(IL)-6 und IL-1β, sind bereits nach 8-stündiger CMV erhöht [22], möglicherweise über einen NfκB-gesteuerten Signalweg [26]. Die Problematik dieser Untersuchungen besteht in der Übertragbarkeit von im Tierexperiment gewonnenen Daten auf den Patienten und deren klinischer Relevanz: Maes et al. [24] nutzten bei Ratten verschiedene einmalige i.m.-Injektionen von Methylprednisolon vor dem Beginn der CMV, die humanen Einzeldosen von 0,8 oder 4,8 mg/kgKG entsprächen. Die höhere Dosierung konnte VIDD verhindern, auch wenn nicht alle proteolytischen Signalwege unterbunden wurden. Die Applikation der niedrigen Konzentration führte hingegen zu einer weiteren Reduktion der Kontraktionskraft. Dieser dosisabhängige Effekt konnte auch für den deletären Effekt von Rocuronium gezeigt werden, das – kontinuierlich appliziert – die diaphragmale Funktion weiterverschlechterte [27]. Eine zusätzliche Gabe von Methylprednisolon konnte diesen Effekt aufheben [27]. Die zusätzliche Atrophie durch Rocuronium scheint auf die Steroidstruktur zurückzuführen zu sein, da die Gabe von Cisatracurium diesen Effekt nicht hervorruft [28]. Es bleibt allerdings zu bedenken, dass die Tiere eine kontinuierliche Infusion erhielten, was kaum den klinischen Alltag widerspiegelt. Trotz der Möglichkeiten, tierexperimentell genutzte Dosierungen auf den humanen Metabolismus umzurechnen, sind die Ergebnisse in gesunden „Individuen“ entstanden. Erkrankungen mit Einfluss auf den patienteneigenen Kortisolhaushalt sind in diesen Studienergebnissen nicht berücksichtigt und sind deshalb bei Intensivpatienten nur eingeschränkt zu bewerten.

Eine Vielzahl tierexperimenteller Studien hat den Effekt von Antioxidanzien zur VIDD-Prävention untersucht, da diese direkten Einfluss auf die Pathophysiologie mit erhöhter Produktion von Sauerstoffradikalen nehmen können. Durch diese zusätzliche antioxidative Pufferkapazität kann eine VIDD verhindert werden – Kontraktionsdefizit, Atrophie und die Aktivierung proteolytischer Signalwege wurden in einer Studie durch die Applikation eines sich in der Mitochondrienmembran anlagernden Antioxidans vollständig verhindert [29]. Allerdings gibt es bisher nur wenige Studien, die im Sinne einer klinischen Übertragung durchgeführt worden sind. Agten et al. [30] haben im Rattenmodell eine VIDD-Prävention durch N-Acetylcystein-Gabe (entsprechend 150 mg/kgKG im Menschen) nachweisen können. Ebenso kann die Applikation von Curcumin (Bestandteil des Currypulvers) durch seine antioxidativen Eigenschaften das Ausmaß der VIDD abschwächen [26]. Klinische Studien, die diesen Effekt beim Menschen bestätigen könnten, stehen noch aus.

Ein weiterer Ansatz zur Verbesserung der muskulären Kraft besteht in der pharmakologischen Steigerung der Zwerchfellkontraktilität. Doorduin et al. [31] haben in einer kürzlich veröffentlichten Probandenstudie den Effekt von Levosimendan auf die Kontraktilität des Diaphragmas untersucht. Nach einer Initialdosis von 40 μg/kgKG und einer ersten Phase erhöhter Atemarbeit wurden zunächst 0,1 μg/kgKG/min und während einer zweiten Belastungsphase 0,2 μg/kgKG/min Levosimendan infundiert. Bei der Placebogruppe nahm die Kontraktionskraft um ca. 20 % ab, während die Interventionsgruppe eine verbesserte Kontraktionskraft zeigte. Dieser supportive Ansatz könnte bei Patienten mit schwerem muskulären Versagen erfolgversprechend sein.

Fazit

Der Prozess der VIDD ist durch Pharmaka beeinflussbar – im Sinne weiterer Atrophie oder auch Prävention. Der Großteil der vorhandenen Daten wurde bisher lediglich tierexperimentell gewonnen, und eine Übertragbarkeit auf den Menschen bedarf der kritischen klinischen Prüfung. Jedoch sollte dies nicht dazu führen, dass diese Erkenntnisse ignoriert werden – die Vermeidung potenzieller atrophieauslösender Pharmaka sollte immer in Betracht gezogen werden. Insbesondere die unkritische und repetitive Gabe von steroidbasierten Muskelrelaxanzien sollte unterbleiben. Die prophylaktische Gabe von Steroiden ist nicht anzuraten, da die tierexperimentell gewonnenen Erkenntnisse entweder eine prophylaktische oder aggravierende Wirkung gezeigt haben. Es ist bisher nicht überprüft worden, ob diese dosisabhängigen, gegenläufigen Effekte auch bei beatmeten Intensivpatienten nachweisbar sind. Die Gabe von Levosimendan ist ein erfolgversprechender Ansatz – benötigt jedoch noch die Bestätigung in Patienten während des Entwöhnungsprozesses.

Nutzen der Spontanatmung

Der Erhalt der Spontanatmung ist intensivmedizinisches Ziel bei möglichst allen beatmeten Patienten zur Verbesserung des Ventilation-Perfusion-Verhältnisses sowie der Oxygenierung und zur Atelektasenreduktion [32]. Auch muskelphysiologisch macht dieses Vorgehen Sinn; ein kontrahierender Muskel sollte eine verringerte Atrophie zeigen. Zuletzt hat die Arbeit von Papazian et al. [33] dies bei Patienten mit schwerem ARDS relativiert. Die Relaxierung über die initialen 48 h der Behandlung nach Auftreten eines ARDS hatte insbesondere bei Patienten mit einem Horovitz-Index [arterieller Sauerstoffpartialdruck (paO2)/inspiatorische Sauerstofffraktion (FIO2)] < 150 mmHg eine verringerte Letalität zur Folge, auch wenn durch die Inaktivierung des Diaphragmas von einem verlängerten Entwöhnungsprozess ausgegangen werden muss. Allerdings ist die Zeitdauer der Entwöhnung nicht der einzige Faktor mit Einfluss auf die Letalität – aber ohne Zweifel ein entscheidender. Experimentelle Daten über den Nutzen der erhaltenen Spontanatmung sind rar und schwierig zu interpretieren. Gayan-Ramirez et al. [34] ließen Ratten über 24 h entweder 5 min in jeder Stunde spontan atmen oder alle 5 h für je 60 min. Verglichen mit kontrolliert-beatmeten Tieren hatten die Tiere der ersten Gruppe (5 min/h) eine erhaltene Proteinsynthese, während die zweite Gruppe (60 min/5 h) sich nicht signifikant von der beatmeten Gruppe unterschied. Futier et al. [35] haben die positiven Effekte der Spontanatmung auf die Proteinsynthese in einem „Pressure-support-ventilation“(PSV)-Modell bestätigt, konnten jedoch keine Aussage über 2 weitere entscheidende Paramater der VIDD treffen: Atrophie und kontraktile Dysfunktion. Entscheidend für den positiven Effekt von PSV scheint das Ausmaß der diaphragmalen Entlastung zu sein. Eine nahezu vollständige Entlastung des Diaphragmas von Ratten durch eine niedrige Triggerschwelle und PSV-Level, die in einer weitgehenden Übernahme der Atemarbeit durch das Beatmungsgerät resultieren, führt zwar nach 12 h zu einer Reduktion der Atrophie gegenüber CMV. Nach 18-stündiger PSV konnte jedoch kein Unterschied zu CMV mehr festgestellt werden [2]. Dies bedeutet, dass eine längere Anwendung (> 18 h) von PSV offensichtlich dieselben deletären Effekte auf das Diaphragma aufweist wie eine CMV über denselben Zeitraum. Diese Studie bestätigt die Auffassung, dass kein neuromuskuläres Problem Ursache der VIDD ist [36], da PSV in einer kontinuierlichen neuronalen Aktivierung des Diaphragmas resultiert. Erste Daten der eigenen Arbeitsgruppe haben eine prolongierte Erholung der diaphragmalen Kontraktionskraft nach 12 h CMV zeigen können, wenn die Tiere danach wach und spontan atmeten [37]. Inwiefern die partielle Übernahme der Atemarbeit durch PSV in der Phase nach Beendigung der CMV eine Verzögerung des Entwöhnungsprozesses hervorruft, bedarf weiterer Forschung. Weiteres Augenmerk sollte während der Phasen der Spontanatmung auf der Vermeidung einer akuten respiratorischen Acidose liegen. Eine Erhöhung des arteriellen Kohlendioxidpartialdrucks (paCO2) auf 68 mmHg reduzierte die diaphragmale Kraft um 30 % [38]. Die Kraftreduktion konnte auch 60 min nach Beendigung der Hyperkapnie nachgewiesen werden. Interessanterweise hatte eine chronische Erhöhung der paCO2-Werte zwischen 55 und 70 mmHg über 72 h einen protektiven Effekt auf die diaphragmale Kontraktionskraft [39]. Die Autoren diskutierten einen antiinflammatorischen Effekt analog zu Ergebnissen, die einen verminderten ventilatorinduzierten Lungenschaden unter Hyperkapnie nachweisen [39].

Diese Ergebnisse erschweren eine klinische Wertung der Effekte der Hyperkapnie auf das Diaphragma. Klinisch betrachtet wäre eine prolongierte Erhöhung des paCO2, beispielsweise im Sinne einer permissiven Hyperkapnie, zur Lungenprotektion dieser Studie gemäß nicht mit einer weiteren Aggravierung einer VIDD verbunden, sondern wäre zusätzlich protektiv. Demgegenüber sollte während der Beatmungsentwöhnung und/oder nach Extubation besonderes Augenmerk auf akute Erhöhungen des paCO2 gelegt werden, da durch die resultierende Kraftverminderung der Erfolg der Beatmungsentwöhnung gefährdet sein könnte.

Zusätzlich sollte gegenüber protektiven Effekten der Spontanatmung zur Vermeidung einer VIDD die Notwendigkeit einer diaphragmalen Protektion vor Überlastung – mit konsekutivem Sarkomerschaden und Inflammation – nicht außer Acht gelassen werden. Dies gilt insbesondere für COPD-Patienten, da aufgrund des vorbestehenden Zwerchfellschadens (s. o.) und der Verschiebung der Fasertypenstruktur hin zu langsam kontrahierenden Muskelfasern eine dauerhafte Überlastung eine weitere strukturelle Schädigung der Muskelfasern auslösen kann.

Fazit

Der Erhalt der Spontanatmung führt zur Aufrechterhaltung der Proteinsynthese und kann begrenzt auch die Atrophie verringern. Allerdings ist dies bei einem hohen Grad der Entlastung nur über einen kurzen Zeitraum möglich und kann die VIDD nicht verhindern. Wie hoch der Grad der Belastung des Diaphragmas sein muss, um eine Atrophie zu verhindern, also welche Höhe der Druckunterstützung oder welcher Trigger gewählt werden müssen, ist bislang nicht bekannt. Eine akute Hyperkapnie in der Extubations- und Weaning-Phase sollte vermieden werden.

Fazit für die Praxis

  • Die VIDD ist ein klinisch relevantes Problem von Patienten mit CMV; sie ist bereits nach 12 h tierexperimentell nachweisbar.

  • Kortikosteroidbasierte Muskelrelaxanzien sollten zur Langzeitrelaxierung vermieden werden. Die derzeitige Datenlage reicht nicht aus, um eine Empfehlung zu Gabe und Dosis von Kortikosteroiden zu geben.

  • Der Stellenwert antioxidativer Medikation ist noch nicht klinisch evaluiert.

  • Der Erhalt der Spontanatmung hat protektive Effekte, die jedoch abhängig vom Grad der Entlastung sind.

  • Eine akute Hyperkapnie sollte während der Entwöhnungsphase vermieden werden, weil ein weiterer Kontraktionskraftverlust resultiert.

  • Demgegenüber scheint die chronische Hyperkapnie einen protektiven Effekt aufzuweisen.