Robert Bartlett war von Lewis Carrolls Alice im Wunderlandfasziniert. Er transponierte die Geschichte in die Welt der akademischen Intensivmedizin: Alice ist eine blitzgescheite, wortgewandte, etwas vorlaute Medizinstudentin im 2. Ausbildungsjahr, die ein eintägiges Praktikum auf der Intensivtherapiestation absolvieren muss. Hier trifft sie auf eine Gruppe von teilweise skurrilen Ärzten, die unter Leitung von Herrn Dr. Dame und Frau Dr. König eine aufwendige Visite durchführen. Alice nimmt an der Visite teil. Allerdings werden nur 3 Patienten visitiert. Dann kommt es zum Eklat, der letztlich durch Alices enervierende, aber doch kluge Fragen, Anmerkungen und Berechnungen heraufbeschworen wird. Mehr soll hier aber noch nicht verraten werden. Lesen Sie selbst!

Haus der Heilung

Alice freute sich über alle Maßen auf ihren ersten Praktikumstag auf der Intensivtherapiestation des Universitätsklinikums. Sie hatte schon viel von diesem Ort der Überraschungen und Wunder gehört. Seit 2 Jahren studierte sie nun schon Medizin und fand sich (wenn sie überhaupt jemals über sich selbst nachdachte) intelligent, praktisch, ausbildungsfähig, mitfühlend und potenziell kompetent für die Krankenversorgung. Zwei lange Jahre hatte sie nun schon unermüdlich theoretisches Basiswissen in sich aufgesogen. Doch nun, heute, an diesem wundervollen Ort, bot sich die Gelegenheit endlich am Krankenbett praktisches Wissen zu erwerben.

Sie hatte, metaphorisch gesprochen, 2 Jahre lang, Wissen aufgenommen und dann wieder vergessen, war intellektuell gewachsen und geschrumpft, hatte die Zeilen und zwischen den Zeilen gelesen und war über ihre Reflexionen letztlich hier angelangt. Sie war nun bereit für das ganz große Abenteuer. Das war der Moment, als sie Dr. Hase erblickte.

Dr. Hase eilte den Gang entlang, wobei er so forsch ausschritt und dabei nervös auf seine Uhr schaute, dass er Alice beinahe umrannte. Weiße Schuhe, weiße Hose, weißes Hemd, bedeckt von einem weißen Kittel, der mit einer nichtidentifizierbaren biologischen Flüssigkeit beschmutzt war. Dr. Hase war Assistenzarzt, aber er erschien Alice wie ein Ritter in weiß-schimmernder Rüstung.

„Entschuldigen Sie bitte, mein Herr, können Sie mir vielleicht helfen?“

„Nein. Aber ja. Ja, aber nein.“

„Entschuldigen Sie?“

„Ja, ich könnte Ihnen helfen, wenn ich wüsste, was Ihr Problem ist, aber ich weiß es ja nicht. Aber selbst wenn ich ihr Problem kennen würde, könnte ich nicht helfen, da ich mich verspätet habe, ich bin in größter Eile. Also, selbst wenn ich helfen könnte, was in meinem Fall unwahrscheinlich wäre, kann ich Ihnen nicht helfen. Also, auf Wiedersehen.“

„Mein Problem ist“, sagte Alice in ihrer praktischen Art und Weise, „dass von mir erwartet wird, dass ich mich auf der Intensivtherapiestation melde. Könnten Sie mir den Weg zur Intensivtherapiestation zeigen?“

„Ja, das könnte ich“, sagte Dr. Hase, während er auf seine Armbanduhr schaute, „aber ich habe keine Zeit, da ich mich für die Visite auf der Intensivtherapiestation verspätet habe.“

„Nun, da ich ja zur Intensivtherapiestation gehen muss, darf ich mich Ihnen anschließen?“

„Ja, aber natürlich. Warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt? Kommen Sie dann mit mir. Aber bitte rasch, wir sind ohnehin schon spät dran.“

Sie folgte Dr. Hase quer durch eine Halle, fuhr mit einem Aufzug hoch hinauf. Anschließend ging es durch Schwingtüren wieder in eine Halle. Alice dachte, dass dies alles wundervoll sei.

„Ist dies die Intensivtherapiestation?“, fragte Alice in ehrfurchtsvollem Flüsterton.

„So steht es doch hier drauf“, sagte Dr. Hase und verwies auf einen Schriftzug auf der Glastür, der auswies „NOITATSEIPAREHTVISNETNI.“ Spiegelbildlich, da sie sich jetzt innerhalb der Station befanden und durch die Glastür hinausblickten. „Hier liegen die am schwersten kranken Patienten, die Sie jemals gesehen haben. Die Ärzte hier sind die klügsten der ganzen Welt. Die Pflegekräfte wissen mehr als die Ärzte; ja, sie wissen sogar mehr als ich. Hier triumphiert modernste Technik über Krankheit. Hier zählen nur Fakten, keine Vermutungen. Hauptwörter sind besser als Adjektive. Zahlen sind die besten Hauptwörter. Wir können hier alles messen. Mit den Ergebnissen der Messungen können wir Berechnungen durchführen. Mit Berechnungen können wir Logarithmen erstellen. Mit Logarithmen können wir jedes klinische Problem lösen.“

„Ich dachte, es hieße Algorithmen“, sagte Alice kleinlaut.

„Algorithmen oder Logarithmen, das spielt überhaupt keine Rolle. Es ist auf jeden Fall alles sehr mathematisch hier. Aber sehen Sie, jetzt sind Sie schuld, dass ich noch verspäteter zur Visite komme.“ Alice im Schlepptau hastete er zum anderen Ende des großen Raums. Sie erreichten eine ansehnliche Menschengruppe, deren Mitglieder alle wie Dr. Hase gekleidet waren, alle aneinander vorbeischauten und ziemlich nervös wirkten. Nichts passierte.

„Worauf warten die alle hier?“, fragte Alice.

„Sie warten selbstverständlich auf Dr. Dame. Dr. Dame und Dr. König, die Leitenden Ärzte der Intensivtherapiestation für diesen Monat. Die beiden wissen alles. Sie sind ausgeprägt mathematisch.“

Bald erschienen die Erwarteten. Dr. Dame war offensichtlich in der Hauptverantwortung. Er war ein kleiner, fettleibiger Mann mit einem runden Gesicht. Seine Augenbrauen waren haariger als sein Kopf; seine Ohren berührten die Schultern. Weder sein Hemd noch seine Krawatte kamen unter seinem Kinn zusammen. Alice fürchtete, der einzige Knopf, der das zum Bersten gespannte Hemd über seinem Bauch zusammenhielt, könnte wegplatzen und ihr ins Auge fliegen. Er trug einen zerknitterten weißen Kittel, in dessen Taschen ein Stethoskop steckte, das er niemals benutzte, sowie eine Ausgabe des Western Journal of Mollusk Research, die er niemals las. „Worauf warten Sie alle, lassen Sie uns endlich loslegen“, sagte er mit einer heiseren, viel zu weinerlich klingenden und doch zu lauten Stimme, die Alice den ersten Hinweis auf den später ultimativen Beweis für seine durch und durch unangenehme Persönlichkeit gab.

Dr. König hingegen war für eine ältere Frau eine durchaus attraktive Erscheinung. Sie war groß und dünn, trug echte Oxford-Schuhe und eine Halbbrille, die praktischerweise an einer schwarzen Schnur um ihren Hals hing, wenn sie diese nicht gerade auf der Nase trug, um Zahlen in den Aufzeichnungen zu lesen. Sie trug einen gestärkten, sauberen weißen Kittel, in dessen Taschen sich ein Leuchtstift befand, den sie dazu verwendete, in abgedunkelten Besprechungsräumen zu lesen, und eine Taschenbuchausgabe von Doktor Schiwago, die sie gerade zum 4. Mal las. „Nun, lassen sie uns anfangen“, sagte Dr. König wohlwollend.

Widerstand gegen Widerstände

„So, wer stellt uns den ersten Patienten vor?“ fragte Dr. Dame, als sie sich vor dem ersten Krankenbett versammelten.

„Ich“, sagte Dr. Hase, der an der Spitze der Gruppe Position bezogen hatte. Er zog eine Karte aus der Kitteltasche, legte diese auf das große Klemmbrett, auf dem die Daten der Tagesereignisse abgeheftet waren, und räusperte sich.

„Oh je, es ist also Dr. Hase“, sagte Dr. Dame. „Machen Sie es aber heute bitte vernünftig. Präzise. Prägnant. Fakten und Beobachtungen. Keine Prosa. Hauptwörter, nicht Adjektive. Fahren Sie fort.“

Hase dachte für sich „Hauptwörter, nicht Adjektive, fahren Sie fort“, so rekapitulierte er die altbekannten Direktiven. „Herr Walross ist ein 45 Jahre alter Zimmermann, der gestern Nacht bei einem Verkehrsunfall verletzt wurde. Er kam im Schock mit Femurfraktur, Beckenfraktur und Milzruptur. Er wurde in den Operationssaal gebracht, wo eine Laparotomie, Splenektomie und eine Versorgung der Femurfraktur erfolgten.“

„In den Operationssaal?“

„Ja, Dr. Dame.“

„Was dachten Sie denn, wo sonst die Milz herausgenommen wird? In der Wartehalle? Im Aufzug?“

„Nein, Sir.“

„Und warum sagten Sie dann, dass er in den Operationssaal gebracht wurde? Das wussten wir alle. Sagen Sie doch bitte nur, dass er diese und jene Verletzungen hatte und sich dieser oder jener Operation unterzog. Fahren Sie fort, Hase.“

„Wie ausgesprochen präzise“, dachte Alice. „Wie ausgesprochen wundervoll präzise und technisch.“

„Nach der Operation wurde er hier auf die Intensivtherapiestation gebracht“, sagte Dr. Hase und realisierte zu spät, dass er wieder in die gleiche Falle getappt war. „Natürlich wissen wir alle, dass er hier auf die Intensivtherapiestation gebracht wurde. Ich dachte mir nur, es wäre gut, das für jeden von uns noch einmal klarzustellen.“ Dr. Dame schaute nach oben und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. „So, hier ist er nun also. Sein Blutdruck beträgt 110/70; sein Puls 130 Schläge/min, sein Herzzeitvolumen ist 3,5 l/min. Sein Wedge-Druck ist 8, sein ZVD Footnote 14. Sein Hämatokrit ist 30 %. Er ist anurisch, kühl und kaltschweißig. Sein systemischer vaskulärer Widerstand ist 1734“ ( Tab. 1).

Tab. 1 Formeln zur Berechnung des systemvaskulären und pulmonalvaskulären Widerstands

“1734!“ rief Dr. König aus.

“1734!“ murmelten alle Assistenzärzte, begleitet von kleinen inspiratorischen Seufzern und Schnalzen der Zungen.

„Was für eine sehr große Zahl“, dachte Alice. „1734 ist bei Weitem die größte Zahl, die wir hier jemals gehört haben. Sogar Dr. Dame scheint beeindruckt. Das ist wunderbar wissenschaftlich und mathematisch.“

“1734, was?“ fragte Dr. Dame.

“1734 dyn mal Sekunde mal Zentimeter hoch minus fünf!“ sagte Dr. Hase sehr, sehr stolz.

„Genau“, schrie Dr. Dame. „Runter mit der Nachlast! Messt den Widerstand, volle Kraft voraus. Runter mit seiner Nachlast.“

Alice, die sich ziemlich intensiv mit Physik beschäftigt hatte, fühlte sich irgendwie verwirrt. Sie wandte sich an einen großen Mann neben ihr, dessen Namensschild ihn als Dr. C. Raupe, omnipotenten und allwissenden Oberassistenten, auswies. Sie zupfte an seinem Ärmel und flüsterte „Warum sagte er, messen Sie den Widerstand? Man kann den Widerstand nicht messen.“

Dr. Raupes Kopf und Hals schienen sich aus seinem Hemdkragen nach oben zu schrauben, dann neigte er seinen Kopf und blickte auf sie herab. „Weeer sind denn Siiie?“ fragte er, während er einen Arm von der Seite aus schlangenartig in der Luft entrollte und mit dem Zeigefinger auf der Spitze ihrer Nase landete.

„Mein Name ist Alice. Ich bin Medizinstudentin.“

„Das hätte ich mir denken können“, sagte er, während sich Finger, Hand und Arm, Stirn, Kinn und Hals in ihre Ausgangspositionen zurückzogen. „Was für eine naive Frage. Selbstverständlich kann man den Widerstand messen. Er beträgt 1734 dyn mal Sekunde mal Zentimeter hoch minus fünf.“

„Entschuldigen Sie, mein Herr, aber das ist nicht richtig. Die Einzigen, die man messen kann, sind Druck und Fluss. Widerstand ist lediglich eine Berechnung, keine Messung. Widerstand bedeutet: Druck dividiert durch Fluss.“ Alice war irgendwie von ihrer eigenen Tollkühnheit überrascht. Aber schließlich war jeder der hier Anwesenden sehr interessiert an Präzision und Sorgfalt. Dr. Raupe öffnete weit seine Augen und seinen Mund, als ob er versuchte, eine Antwort vorzubereiten, dann jedoch schloss er Augen und Mund fest, sodass man den Eindruck hatte, er dächte sehr angestrengt nach. Alice überlegte, ob sie ihn vielleicht gekränkt haben könnte. „Also zumindest gilt das Gesagte in der Physik“, merkte sie an und bemühte sich dabei, sehr höflich zu wirken.

„Hmmmmmmm. Das meinen Sie. Hier geht es aber um High-Tech-Intensivmedizin, nicht um simple Physik. Hmmmmmmmmmmmm.“

„Nun, tut mir sehr leid, aber Physik ist nun mal Physik“, sagte Alice deutlich lauter und auch ein wenig ungehalten. „Druck pro Fluss. Millimeter Quecksilber pro Liter pro Minute. Erst kommen die Messungen, dann die Berechnungen. Der Blutdruck von Herrn Walross beträgt 110/70. Sein Blutfluss beträgt 3,5 l/min. Das sind Messungen. Sein Widerstand beträgt 19 mmHg/l/min in der Diastole und 31 mmHg/l/min in der Systole.“

„Sagen Siiie“, spöttelte Dr. Raupe, der sich aus seinen Hemdkragen heraus- und dann wieder zurückschraubte. „Man kann doch nicht 2 Widerstände haben. Nur einen. Und 31 ist eindeutig nicht so eindrucksvoll wie 1734.“

„Aber er hat 2 Widerstände“, entgegnete Alice. „Eigentlich hat er sogar kontinuierlich wechselnde Widerstände, weil der arterielle und venöse Drück ununterbrochen wechseln. Das hat nichts mit einem Physiklabor zu tun. Aber grundsätzlich sollten hier die Prinzipien der Physik zur Anwendung kommen. Das ist doch sonderbar. Irgendwas stimmt hier nicht.“ Mehrere Assistenzärzte wandten sich dieser Unterhaltung zu.

„Was ist da hinten los?“ bellte Dr. Dame, während er in Richtung Oberassistent Raupe schielte.

„Ach, es ist nur, dass die Medizinstudentin hier nicht verstehen kann, wie wir den systemischen vaskulären Widerstand messen“, antwortete Raupe. „Sie glaubt, dass sich der Widerstand während des Herzzyklus kontinuierlich ändert. Hahaha.“

„Runter mit der Nachlast“, schrie Dr. Dame ( Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

„Runter mit der Nachlast!“ schrie Dr. Dame. (Zeichnung: R.H. Bartlett, mit freundl. Genehmigung)

„Nun lassen Sie uns in Ruhe einmal nachdenken“, sagte Dr. König ruhig. „Eigentlich hat sie ja recht. Der arterielle Druck ändert sich kontinuierlich während des Herzzyklus, und der venöse Druck ändert sich kontinuierlich während des Atmungszyklus. Nicht nur das, auch der Fluss ändert sich kontinuierlich während des Herz- und Atmungszyklus. Wenn wir also den wirklichen Widerstand berechnen wollten, müssten wir die Messungen alle paar Millisekunden wiederholen, und dass würde Hunderte von Widerständen während eines einzigen Herzschlags ergeben.“

„Das ist genau das, was ich gerade gesagt habe“, rief Alice aus, erleichtert darüber, jemanden der die Grundlagen der Physik erinnerte, als Unterstützung an ihrer Seite zu haben.

„Ruhe dahinten. Runter mit der Nachlast“, sagte Dr. Dame.

„Eigentlich ist das richtig, aber irgendwie unpraktisch“, fuhr Dr. König fort. „Was wir also tun, ist den mittleren arteriellen Blutdruck minus des mittleren rechtsatrialen Drucks durch das mittlere Herzzeitvolumen zu teilen. Dieses Vorgehen liefert uns eine einzige Zahl für den berechneten Widerstand. Das ist nicht sehr genau, aber eine durchaus nützliche Methode am Krankenbett. Also, der Widerstand, den wir für Herrn Walross hier berechnen, ist … Dr. Hase, nennen Sie bitte noch einmal die Zahlen.“

„Blutdruck 110/70 mit einem Mitteldruck von 80. Rechtsatrialer Druck 4. Herzzeitvolumen 3,5 l/min. Die vereinfachte Widerstandsberechnung ergibt 21,7 mmHg für jeden Liter Fluss. Manche nennen das 21,7 Wood-Einheiten.

„Am Ende ist ja doch alles Physik“, bemerkte Alice sehr erleichtert.

„Auf Physik basierende Arithmetik. Aber warum sagten Sie, der Widerstand betrage 1734?“

„Weil er 1734 ist“, sagte Dr. Dame ungehalten.

„Er ist 1734“, sagten alle Assistenzärzte, weil sie angesichts der Ungehaltenheit von Dr. Dame nervös wurden.

„Runter mit der Nachlast“, sagte Dr. Dame.

„Runter mit der Nachlast“, sagten die Assistenzärzte in der Absicht zu gefallen.

„Aber Dr. König führte doch gerade aus, dass der Widerstand 21,7 sei. Wie kommen wir von 21,7 auf 1734?“ fragte Alice, die erneut verwirrt wurde.

„Warum verschwenden wir unsere Zeit mit diesen Belanglosigkeiten?“, warf Dr. Dame ein. „Dr. Hase, erklären Sie ihr das kurz, damit wir mit unserer eigentlichen Aufgabe fortfahren können.“

„Wir multiplizierten 21,7 mit 79,9“, sagte Hase, Respekt einflößend. „Das ergibt einen Widerstand von 1734, auf ein paar dyn genau. Ich meine, das ist doch schon eine sehr eindrucksvolle Zahl.“

„Aber warum tun wir das?“, fragte Alice.

„Wir tun das“, erklärte Dr. König, „um mmHg pro Liter pro Minute in dyn mal Sekunde mal Zentimeter hoch minus 5 zu konvertieren.“ Alle Assistenzärzte grinsten und wirkten sehr selbstzufrieden. Die meisten von ihnen hatten diese Erklärung vergessen, aber als sie ihnen wieder ins Gedächtnis gerufen worden war, fühlten sie sich bemüßigt, selbstzufrieden zu grinsen.

„Entschuldigen Sie“, bemerkte Alice bescheiden, „aber diese Umrechnungsfaktoren beziehen sich nur auf den kontinuierlichen Fluss von Newton-Flüssigkeiten, wie z. B. den Fluss von Wasser durch starre Röhren. Bei Herrn Walross finden wir jedoch einen pulsatilen Fluss von Nicht-Newton-Flüssigkeiten durch elastische Röhren. Nebenbei bemerkt, führt das aber nur zu weiteren Berechnungen. Warum sollten wir uns darum auch noch kümmern?“

„Warum wir uns darum kümmern sollten!“ rief Dr. Dame aus. „Weil wir Wissenschaftler sind.“

„Weil es eine sehr große Zahl ergibt“, setzte Dr. Raupe hinzu.

„Weil das echte Physik ist“, sagte Dr. König.

„Ich glaube, jetzt verstehe ich gar nichts mehr“, warf Alice ein.

„Das liegt daran, dass Sie Medizinstudentin sind, wir hingegen wichtige Ärzte. Es braucht Jaaahre um zu erlernen, wie man mit 79,9 multipliziert“, schmetterte Dr. Raupe, während er seinen Kopf beinahe 30 cm aus seinem Hemdkragen schraubte. „Es braucht Jaaahre, um ein hochgezüchteter Intensivmediziner zu werden. Hmmmmmmmmmm.“

„Hmmmmmmmmmm“, murmelte die ganze Gruppe.

„Genug von diesen unbedachten Einwürfen“, sagte Dr. Dame. „Fahren Sie fort, Dr. Hase. Was meinen Sie, was wir hier für Herrn Walross tun können?“

Dr. Hase schaute sehr nervös auf seine Unterlagen. Er guckte auf die Monitore; er sah seine Mitassistenten an, die alle versuchten unauffällig dreinzuschauen. Sein Blick suchte Schwester Grinsekatze, die ihn üblicherweise aus solchen Krisensituationen erlöste. Er konnte sie nicht finden. Alices Fragen waren für ihn schon sehr störend gewesen. Sie schienen irgendwie sinnvoll zu sein, und im Unterbewusstsein spürte er, dass in der ganzen, eben geführten Diskussion irgendetwas für das weitere Schicksal von Herrn Walross sehr Entscheidendes steckte. Jedoch konnte er dies nicht genau benennen. Dr. Dame stampfte erneut mit dem Fuß auf den Boden; er wurde wieder ungeduldig. „Wie ich schon sagte“, begann Hase vorsichtig, während er die Blicke von Dr. Dame erheischte, „sein systemischer vaskulärer Widerstand ist sehr hoch …“

“1734“, rief Dr. Dame. Hase wusste nun, dass er auf der richtigen Spur war.

“… und ich meine, dass wir etwas gegen diesen sehr hohen Widerstand tun sollten.“ Zum ersten Mal an diesem Tage wirkte Dr. Dame erfreut. Hase fühlte sich ermutigt. „Nein, ich meine, wir müssensogar etwas gegen diesen sehr hohen Widerstand tun; ich meine wirklich, wir müssen das tun“, sagte er nachdrücklich und wettete darauf, dass er mit dieser Aussage richtig lag.

„Genau richtig, Hase“, krächzte Dr. Dame. „Runter mit der Nachlast. Sehr gut, Dr. Hase. Wie genau wollen wir das machen?“

„Mit einem Medikament, das die Nachlast senkt“, mutmaßte Hase.

„Ja, ja, genau das! Welches? In welcher Dosierung?“

„Wir könnten ihm Thorazine geben …“, sinnierte Hase laut vor sich hin, aber Dr. Dames Blick verfinsterte sich, „… oder Isoproterenol“, der Blick verfinsterte sich weiter, „ … oder Nitroglyzerin“, der Blick hellte sich auf, dazu ein angedeutetes Nicken, „ … oder Natriumnitroprussid.“ Dr. Dame lächelte. Dr. König lächelte. Alle Assistenzärzte lächelten. Sogar Schwester Grinsekatze, die auf mysteriöse Weise hinter Dr. Dame erschienen war, lächelte breit. Hase hatte gelernt, dass ein Lächeln von Schwester Grinsekatze bedeuten konnte, dass er etwas richtig oder aber total falsch gemacht hatte.

„Natriumnitroprussid“, rief Dr. Dame. „Wie viel?“ Hase wusste nun überhaupt nicht mehr weiter.

„Wir könnten 10 geben“, sagte er, indem er eine neutrale Zahl aus der Luft griff. Dr. Dame zog sofort die Augenbrauen hoch. „Zehn ist ziemlich hoch, meinen Sie nicht auch, Schwester Grinsekatze?“ sagte Dr. Dame, der, um ehrlich zu sein, die Dosierung selber nicht genau kannte.

„Wenn er tatsächlich Natriumnitroprussid braucht“, sprach Schwester Grinsekatze und lächelte dabei rätselhaft, „dann sollten wir vielleicht mit 5 anfangen.“

„Dann sollen es 5 sein“, sagte Dr. Dame. Bereiten Sie einen Standardtropf vor, und geben Sie ihm 5. Runter mit der Nachlast.“

Hase war sehr erleichtert, dass er eine Zahl ausgewählt hatte, die einigermaßen vernünftig erschien, aber er war auch sehr froh, dass Schwester Grinsekatze die Tropfinfusion vorbereiten sollte, da er nicht wusste, was 5 bedeutete.

Wieder wurde Alice verwirrt. Sie zupfte am unteren Ende von Dr. Raupes Kittel. „Entschuldigen Sie, wird Natriumnitroprussid nicht seinen Blutdruck senken?“

„Natürlich“, flüsterte Dr. Raupe. „Darum geht es doch hier gerade.“

„Aber die Ursache dafür, dass sein Widerstand so hoch ist, ist doch, dass sein Herzzeitvolumen so niedrig ist. Sehen Sie doch einmal den Patienten an. Er ist ein schwerer Mann. Und er hat all diese Verletzungen erlitten. Er ist anämisch und oligurisch. Ich weiß nichts von Intensivmedizin, ich bin ja lediglich eine Medizinstudentin, aber meiner Meinung nach wäre es das Richtige, sein Herzzeitvolumen anzuheben.“

„Und wie würden Sie das tun?“

„Ich bin nicht sicher“, sagte Alice, angestrengt nachdenkend, „vielleicht benötigt er eine Bluttransfusion.“

„Hahahaha“, sagte Dr. Raupe, und Alice fühlte sich sehr unbedeutend.

„Was ist da hinten los?“ fragte Dr. Dame. „Ist es schon wieder diese Medizinstudentin?“

„Ja“, sagte Dr. Raupe. „Sie denkt, dass Herr Walross eine Bluttransfusion und nicht ein nachlastreduzierendes Medikament benötigt.“

„Das ist absurd“, sagte Dr. Dame. „Sein Hämatokrit ist 30 %. Er braucht keine Transfusion.“

„Das ist ja sehr interessant“, sagte Dr. König. „Junge Frau, warum würden Sie eine Bluttransfusion vorschlagen?“

„Weil sein Herzzeitvolumen niedrig ist. Das führt bei der Berechnung des Widerstands zu einem hohen Wert.“

„Aber das normale Herzzeitvolumen beträgt 5 l/min“, wandte Dr. König ein. „Wir alle wissen das. Sein Herzzeitvolumen beträgt 3,5 l/min. Das ist annähernd normal.“

„Ich habe in der Physiologie gelernt, dass 5 l/min das normale Herzzeitvolumen für einen durchschnittlichen Menschen in Ruhe darstellen. Herr Walross jedoch ist ein sehr schwerer Mann, der sich kein bisschen bewegt und zudem kalt ist. Es erschien mir gerade so, dass, wenn man die Umstände berücksichtigt, sein Herzzeitvolumen ziemlich niedrig ist.“

„Da ist etwas dran, junge Frau“, bemerkte Dr. König. „Hämodynamische Variablen werden üblicherweise standardisiert auf Größe und Gewicht, ausgedrückt als Körperoberfläche. Diesen Vorgang nennen wir Normierung. Dr. Hase, wie hoch ist sein Herzindex?“ Dr. Hase blätterte hastig in der Krankenakte. Schwester Grinsekatze antwortete an seiner Stelle.

„Der Wert beträgt 2,2 l/min/m 2KOF Footnote 2“, sagte sie, ohne ihr Lächeln zu unterbrechen.

„Nun, junge Frau, Sie haben recht. Sein Herzindex ist ein wenig niedrig.“

„Ich habe gelernt, dass der normale Herzindex 3,2 l/min/m 2KOF beträgt“, fuhr Alice fort.

„Das ist in der Physiologie ein hochnormaler Wert“, sagte Dr. Dame, außer sich. „Hier bei uns, dort wo die Musik spielt, nennen wir alles über 2,2 eine verflixt gute Perfusion. Nebenbei bemerkt, fokussieren wir zunächst auf den Blutdruck und auf anderes Zeug erst später. Und sein Widerstand ist so ausgesprochen hoch! Runter mit der Nachlast!“

„Das ist auch so eine Sache, über die ich schon nachgedacht habe“, erwiderte Alice. „Wie kann man denn den Widerstand eines so schweren Mannes, wie Herrn Walross, mit dem eines kleinen Mannes oder gar eines Kindes vergleichen? Sicher, der Widerstand verändert sich nicht mit der Größe des Patienten, lediglich die Gesamtzahl der Widerstandsgefäße. Es müsste eine Möglichkeit geben, das miteinzurechnen.“

„Die gibt es durchaus“, sagte Dr. König. „Da alle Erwachsenen ungefähr gleich groß sind, haben wir uns angewöhnt, das Herzzeitvolumen für die Berechnung des Widerstands zu verwenden. Aber eigentlich sollten wir den Herzindex benutzen. Die junge Frau hat in dieser Sache recht. Dr. Hase, wie hoch ist der systemische Widerstandsindex?“

„Nun, schaun wir mal“, antwortete Hase und kritzelte Zahlen auf die Rückseite der Krankenakte, „der mittlere arterielle Blutdruck ist 80 minus dem zentralen Venendruck von 4, das ergibt einen Druckgradienten von 76 mmHg, dividiert durch 2,2 l/min/m 2KOF ,macht 34,5. 34,5 mal 79,9 ergibt 2757.“

“2757“, schrie Dr. Dame. „Das ist ja noch höher, als wir dachten. Schnell, Schwester Grinsekatze, schließen Sie jetzt den Tropf mit Natriumnitroprussid an, runter mit der Nachlast.“

„Aber, aber, aber“, sprudelte es aus Alice heraus.

„Schluss jetzt, keine weitere Zeitverschwendung mehr. Machen Sie voran, Schwester Grinsekatze, und nach dem Ende der Visite kommen wir hier noch einmal vorbei, um zu sehen, wie sehr effektiv unsere Behandlung ist. Auf zum nächsten Patienten!“

Auf Messers Schneide

Der nächste Patient, der visitiert wurde, war ein kleiner, alter Mann, der aufrecht im Bett saß. Auf dem Tischchen neben ihm stand eine Tasse Tee, daneben lag ein in Zellophan eingepackter Kräcker. Alice beobachtete, dass er gelb aussah und für so einen kleinen Mann sehr dicke Beine hatte.

„Das ist Herr Mutmacher“, begann Dr. Hase.

„Hutmacher. Nicht Mutmacher“, sagte der Patient.

„Ja. Das ist Herr Hutmacher. Wie fühlen Sie sich, Herr Hutmacher?“

„Nicht schlecht.“

„Herr Hutmacher war bis vor 2 Monaten noch im Wesentlichen gesund gewesen. Dann entwickelte er einen nichtproduktiven Husten und eine nichtweiche Schwellung im Nacken. Eine nichtinvasive Nadelbiopsie ergab, dass er an einem Non-Hodgkin Lymphom leidet. Er wurde nichtoperativ mit Chemotherapie behandelt. Initial sprach die Behandlung recht gut an, jetzt jedoch ist er ein Nonresponder. Letzte Woche entwickelte er Bauchschmerzen, und eine Röntgenaufnahme ergab eine Nichtdarstellbarkeit der Gallenblase wegen akalkulöser Cholezystitis. Letzte Woche unterzog er sich einer laparoskopischen nichtlaparotomischen Cholezystektomie. Anschließend wurde er nicht ins Krankenhaus eingewiesen, sondern wurde mit einer nichtsteroidalen medikamentösen Therapieempfehlung nach Hause geschickt. Zwei Tage später kam er mit Fieber, Schüttelfrost, Gelbsucht und nichtoligurischem Nierenversagen wieder zur Aufnahme. Wir untersuchten ihn auf Non-A-Non-B-Hepatitis; dieser Verdacht bestätigte sich jedoch nicht. Gestern wurde er kurzatmig, und wir verlegten ihn mit der Diagnose nichtkardiogenes Lungenödem auf die Intensivtherapiestation. Seit er hier ist, haben wir festgestellt, dass er an nichtinsulinabhängigem Diabetes, jedoch nichtosmotischer, nichtketotischer Acidose leidet. Auf jeden Fall hat er einen negativen Basenüberschuss.“

Alice war von dieser gelehrten Darstellung sehr beeindruckt. Es erschien ihr, dass Dr. Hase erklärt hatte, was mit Herrn Hutmacher nicht in Ordnung war, indem er all die Dinge beschrieb, an denen er nicht litt. Sie dachte, wie sehr schwer es doch sein müsste – nein, sie dachte, dass es doch nicht leicht sein könnte – eine so ungewöhnliche Syntax zu entwickeln. Jeder der Visitenteilnehmer schien mit der Patientenvorstellung ziemlich zufrieden – nein, schien nicht unzufrieden.

„Zahlen. Nennen Sie uns Zahlen“, insistierte Dr. Dame.

„Sein Blutdruck ist 110/70, sein ZVD ist 4 und sein Wedge-Druck ist 8. Sein Herzzeitvolumen ist 8 l/min. Sein …“

„Dr. Hase“, unterbrach Dr. König, „wie hoch ist sein Herz index? Wir wollen ja heute versuchen, ein kleines bisschen wissenschaftlicher zu sein.“

Schwester Grinsekatze erschien am Fußende des Bettes und grinste über diesen neuen Ansatz, die Messwerte zu normieren. „Sein Herzindex beträgt 8 l/min“, sagte sie.

„Ja, 8 l/min Herzindex“, sagte Dr. Hase rasch.

In diesem Moment hob Herr Hutmacher, der bis dahin still und somnolent gewirkt hatte, seine schlaffen Augenlider und sah Alice an. „Nun, hier ist ein Rätsel“, sagte er. „Wie könnte mein Herzindex 8 l/min betragen, wo mein Herzzeitvolumen auch 8 l/min ist?“

„Ja. Wie könnte das sein?“, sagte Dr. Dame. „Das ist unmöglich.“

„Kann nicht sein. Steckt ein Fehler drin“, sagte Dr. Raupe.

„Nun, Alice“, sagte Dr. König, „kennen Sie die Auflösung des Rätsels?“

Alice dachte sehr angestrengt nach. Dann antwortete sie: „Wenn seine geschätzte Körperoberfläche unter Berücksichtigung von Größe, Gewicht, Alter und Geschlecht einen Quadratmeter ergäbe, dann wären sein Herzzeitvolumen und sein Herzindex identisch“ ( Tab. 1).

„Ich glaube, sie hat recht“, bemerkte Herr Hutmacher, der vor seiner Erkrankung ein Zahlenspezialist gewesen war.

„In der der Tat hat sie recht“, sagte Dr. König. „Daher ist sein systemvaskulärer Widerstandsindex 80 minus 4, das macht 76 mmHg, dividiert durch 8, das ergibt dann 9,5 Wood-Einheiten. Das führt zu einem systemvaskulären Widerstandsindex von ungefähr … 760 dyn mal Sekunde mal Zentimeter hoch minus fünf.“

„Lediglich 760!“ rief Dr. Dame aus.

„Lediglich 760!“ murmelten alle Assistenzärzte, begleitet von inspiratorischen Seufzern und Schnalzen der Zungen.

„Was bedeutet das?“, fragte Alice und erkannte sofort den Ausdruck von blankem Entsetzen auf den Gesichtern der Assistenzärzte.

„Daran sieht man, wie wenig Sie wissen“, sagte Dr. Raupe.

„Das bedeutet, dass er septischist.“

„Das ist sehr wissenschaftlich“, entgegnete Alice. „Lediglich aus den Berechnungen können Sie folgern, dass er septisch ist?“

„Selbstverständlich vermuten wir das bei jedem Patienten mit einem niedrigen systemischen vaskulären Widerstand“, sagte Dr. König. „Aber, Dr. Hase, nennen Sie uns doch die restlichen Zahlen.“

„Sein systemischer vaskulärer Widerstands index“, sagte Dr. Hase und betonte mit einem höhnischen Lächeln in Richtung Alice die Silben „index“, „beträgt 759,05 dyn mal Sekunde mal Zentimeter hoch minus 5.“ Seine Temperatur wurde mit 39,4 °C gemessen. Die Leukozytenzahl beträgt 25.000. Sein Bilirubin ist 6,6. Sein Hämatokrit beträgt 25 % und sein Hämoglobinwert 7,9 g/dl. Sein VO 2beträgt 160 ml/min/m 2KOF.“

„Was ist VO 2“ fragte Alice ganz ruhig Dr. Raupe ( Tab. 2).

Tab. 2 Formeln zur Berechnung des Sauerstoffgehalts, Sauerstoffangebots und Sauerstoffverbrauchs

„VO 2ist die Abkürzung für Sauerstoffverbrauch pro Minute. Wir messen die Menge an über die Lungen verbrauchtem Sauerstoff dadurch, dass wir den Patienten in ein Spirometer atmen lassen. Wir messen den Verbrauch über die Lungen, jedoch entspricht die Zahl der Menge des Metabolismus in allen Geweben. Der Normalwert ist ungefähr 120 ml/min/m 2KOF, so ist also Herr Hutmacher mit einem Wert von 160 sehr hypermetabolisch. Das ist ein weiterer Hinweis auf eine Sepsis.“

„Sein pO 2 Footnote 3ist 95, seine Sättigung ist 99 %, also ist sein DO 2850 ml/min“, fuhr Dr. Hase fort.

„Was ist DO 2?“ fragte Alice Dr. Raupe.

„Das ist die Abkürzung für das Sauerstoffangebot pro Minute. Es ist autoreguliert auf das Fünffache des Verbrauchs. Man nimmt den Sauerstoffgehalt – das ist der Hb Footnote 4-Wert multipliziert mit der arteriellen Sättigung multipliziert mit 1,34 ml O 2pro Gramm Hb (das entspricht bei Herrn Hutmacher 10,6 ml/dl) – multipliziert mit dem Herzzeitvolumen in Dezilitern – (das entspricht bei Herrn Hutmacher 80) – und das ergibt dann ungefähr 850 ml Sauerstoff, der den Geweben pro Minute angeboten wird. Das normale Sauerstoffangebot ist 600 ml/min/m 2KOF. Sein DO 2ist als Reaktion auf den gesteigerten Metabolismus erhöht.“

„Wie ich schon sagte, ist sein pO 295, sein pCO 2 Footnote 535 und sein pH 7,40“, fuhr Dr. Hase fort. „Sein pulmonalarterieller Druck ist 30/6 mit einem Wedge-Druck von 8. Und das Ganze, nachdem wir ihm heute 6 l Kochsalzlösung infundiert haben. Seine Herzfrequenz ist 140, und seine gemischtvenöse Sauerstoffsättigung beträgt 80 %.“

„Da sieht man mal wieder, wie sinnlos dieser S vO 2 Footnote 6-Monitor ist“, sagte Dr. Dame.

„Ja, genau, das zeigt uns, was für ein stumpfsinniger Monitor das ist“, wiederholte Dr. Hase in der Absicht zu gefallen.

„Zeigt uns, wie artifiziell hoch die S vO 2in der Sepsis ist. Was für ein stumpfsinniger überteuerter Monitor.“

„Zeigt es uns“, echote Dr. Hase.

„Darf ich eine Frage stellen?“, meldete sich Alice aus den hinteren Reihen.

„Oh Gott, es ist die Medizinstudentin“, sagte Dr. Dame. „Was müssen wir Ihnen denn jetzt schon wieder erklären?“

„Ich habe nur einige Berechnungen durchgeführt“, sagte Alice, die sich ziemlich viel mit Mathematik befasst hatte. „Wenn das Sauerstoffangebot 850 ml/min beträgt und der Sauerstoffverbrauch 160 ml/min, dann werden nur 19 % des Sauerstoffs durch den Metabolismus verbraucht. Wenn das arterielle Blut mit 99 % gesättigt ist, dann sollte das gemischtvenöse Blut mit 80 % gesättigt sein, eben genauso, wie wir es hier messen. Warum dann aber, ist die S vO 2ein stumpfsinniger Monitor?“

„Sie ist stumpfsinnig, weil sie nicht mit dem Sauerstoffverbrauch korreliert“, sagte Dr. Dame außer sich.

„Sie korreliert nicht mit dem Sauerstoffangebot“, sagte Dr. Hase.

„Sie korreliert nicht mit dem Herzzeitvolumen“, sagte Dr. Raupe.

„Aber ich meine ja auch nicht, dass sie mit all diesen Variablen korrelieren sollte. Sie sollte mit der Beziehung zwischen Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffangebot korrelieren. Nicht mehr und nicht weniger.“

„Natürlich hat Sie recht“, sagte Herr Hutmacher ziemlich schläfrig.

„Ja, ich glaube sie hat ziemlich recht“, sagte Dr. König. „Vielleicht ist die S vO 2doch nicht so ein stumpfsinniger Monitor. Tatsächlich verrät sie uns eine Menge über unseren Herrn Hutmacher hier.“

„Hier habe ich noch ein Rätsel“, sagte Herr Hutmacher. „Wenn die S vO 2als Monitor nutzlos ist, sollten Sie sie seltener benutzen. Wenn Sie sie nicht verstehen, sollten sie nicht hinter ihr stehen. Wann sollten Sie sie häufiger benutzen?“

„Ich glaube, ich weiß die Antwort“, sagte Dr. König. „Wenn wir verstehen, was die S vO 2misst, werden wir sie häufiger benutzen.“

„Ganz recht“, sagte Herr Hutmacher.

„Nun, ich verstehe diese ganze Unterhaltung nicht mehr, und ich meine, sie ist nutzlos“, sagte Dr. Dame nachdrücklich.

„Ich weiß. Wehe mir“, sagte Herr Hutmacher und wandte sich wieder seiner Teetasse zu.

„Dr. Hase“, sagte Dr. Dame, während er den unhöflichen Patienten ignorierte, „was meinen Sie, sollten wir für das Sauerstoffangebot von Herrn Hutmacher tun? Haben Sie die aktuellen Arbeiten über supranormales Sauerstoffangebot und seine Steigerung gelesen?“ (Infobox 1).

„Ja, selbstverständlich“, sagte Hase stolz. Tatsächlich liegt Herrn Hutmachers Sauerstoffangebot schon über 600 ml/min/m 2KOF. Ich schlage vor, dies als supranormal anzusehen. Wir könnten ihm Erythrozytenkonzentrate oder inotrope Medikamente geben, um das DO 2weiter zu erhöhen, aber ich bin nicht sicher, ob das notwendig ist. Sein Herzzeitvolumen hat die Anämie schon sehr gut kompensiert. Ich würde sagen, dass sein systemisches Sauerstoffangebot dem Zustand seines Metabolismus angemessen angepasst ist.“

„Ich beginne zu verstehen“, sagte Alice. „Normalerweise steigt das Herzzeitvolumen als Reaktion auf einen gesteigerten Metabolismus oder Anämie oder Hypoxie an, um das Sauerstoffangebot 5-fach über dem Niveau des Sauerstoffverbrauchs zu halten.“

„Ja, Sie haben recht“, sagte Dr. König, „und wenn es das Herz nicht schafft, helfen wir ihm mit Inotropika oder Erythrozytenkonzentraten. Shoemaker (Infobox 1)hat das schon seit Jahren so postuliert, und jetzt zeigt sich, dass er recht hat.“

„Das ist ja alles schön und gut“, sagte Dr. Dame, „aber was ist mit den Sauerstoffradikalen? Diese ganze Infektion aktiviert die weißen Blutzellen, die zu Peroxiden und Superoxidradikalen führen, die dann die Lipide oxidieren und die Antioxidanzien verbrauchen. Wenn zu viel Sauerstoff da ist, entstehen zu viele Sauerstoffradikale.“

„Es erscheint mir“, meldete sich Alice, „dass diese beiden Phänomene nicht miteinander in Beziehung stehen. Sauerstoffangebot und -verbrauch spielen sich auf der metabolischen Ebene ab, während Sauerstoffradikale in der Kategorie Wirtsabwehr eine Bedeutung haben. Ich meine, sie haben nichts miteinander zu tun, mit der Ausnahme, dass Patienten, die septisch sind, einen gesteigerten Metabolismus haben und daher eines gesteigerten Sauerstoffangebots bedürfen.“

„Das zeigt Ihren erbärmlichen Wissensstand“, spöttelte Dr. Raupe.

„Tatsächlich ist es etwas verwirrend“, bemerkte Dr. König. „Ähnlich wie die Verwirrung, die sich um die Frage dreht, ob man Patienten, die an einer Laktatacidose leiden, Ringer-Laktat-Infusionslösungen geben sollte. Glücklicherweise haben wir hier einen Oberarzt aus der Abteilung für Infektionskrankheiten, der das Problem für uns lösen kann. Es ist Dr. Dumpty.“

Die Assistenzärzte traten zur Seite, sodass Dr. Dumpty an das Krankenbett watscheln konnte. Dr. Dumpty hatte einen eiförmigen Habitus, der an der Spitze seines superschlauen Kopfes begann, seine maximale Ausdehnung knapp unterhalb seiner Gürtellinie entwickelte und weiter unten auf der Ebene seiner maßgefertigten orthopädischen Schuhe endete. Während er sprach, schwankte er von der einen Seite zur anderen, und die Assistenzärzte fürchteten, dass er umkippen würde, was aber niemals passierte. Er trug einen aus weißem Leinen gefertigten Kasak, der ursprünglich einmal als ein Vierpersonenzelt konzipiert gewesen war. In seinen Taschen steckten 22 laminierte Folien, die ihm Pharmareferenten gegeben hatten. Auf ihnen standen die Dosierungen einer Reihe von teuren Antibiotika.

„Dr. Dumpty“, begann Dr. Dame. „Wir diskutierten gerade die Frage des Sauerstoffangebots vor dem Hintergrund verschiedener metabolischer Alterationen, und dann brachte jemand die Idee auf, dass Neutrophile durch die Produktion von Sauerstoffradikalen Bakterien töten können. Können Sie diese Frage für uns lösen?“

„Es ist sehr einfach“, sagte Dr. Dumpty, wobei er sanft vor und zurückschwankte. Er zog einen zusammengeknüllten Zettel aus seiner Tasche, glättete ihn, räusperte sich und las vor:

Septischreck

Septisch war’s und üble Keime

Wälzten sich prall im roten Saft

Kreisten Fresser los der Leine

Das gab der Sepsis neue Kraft.

Stäbchen Terror tun entfachen

Fresser schwemmen ungeheuer

Um schön Zauberstoff zu machen

Septischreck nährt so das Feuer.

Mit scharfem Schwerte und Hilfe

Von Eisen und Selenium

Septischreck killt diese Knilche

Und leicht viel auch Endothelium.

Dilemma: Es braucht Wissen mehr

So fragt die kluge Kreatur

Wo kommt denn Septischreck nun her

Ein Fehler zweiter Ordnung nur.

Es ist alles so verrotten

Ein wissenschaftlicher Skandal

Akademikum wird spotten

Sehr zweifelhaft das Radikal.

Septisch war’s und üble Keime

Wälzten sich prall im roten Saft

Kreisten Fresser los der Leine

Das gab der Sepsis neue Kraft.

Nachdem er das Gedicht vorgetragen hatte, schwieg die gesamte Gruppe. Man sah sich gegenseitig ratlos an. Herr Hutmacher war eingeschlafen und schnarchte. „Hmmmmmmmmmm“, sagte Dr. Raupe.

„Hmmmmmmm“, sagten auch alle anderen.

„Brilliant. Genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte“, sagte Dr. Dame.

„Ich verstehe jetzt gar nichts mehr“, sagte Alice. „Könnten Sie mir das erklären, Dr. Dame?“

„Ja, Dr. Dumpty“, erwiderte Dr. Dame. „könnten Sie das unserer Medizinstudentin hier erklären?“

Dr. Dame war es sehr angenehm, dass er die Frage weiterleiten konnte, da er in Wahrheit das Gedicht überhaupt nicht verstanden hatte.

„Es ist sehr einfach“, sagte Dr. Dumpty. „Um dieses Gedicht zu interpretieren, ist es, ähnlich wie bei den Geschichten von Lewis Carroll, erforderlich, die Philosophen und die Popkultur der Zeit, in der es geschrieben wurde, zu verstehen. Ryle definierte Kategoriefehler. Und ‚Fresser‘ bedeutet ‚neutrophile Granulozyten’.“

„Oh“, sagte Alice. Alle anderen schauten so herablassend sicher umher, dass sie sich entschloss, im Moment keine weiteren Fragen zu stellen ( Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Dr. Dumpty diagnostiziert Septischreck. (Zeichnung: R.H. Bartlett, mit freundl. Genehmigung)

„Vielleicht kann ich weiterhelfen.“ Die Stimme gehörte zu einem großen, geschäftsmäßig aussehenden Mann mit einer Hakennase. Sein Namensschild wies ihn als „Dr. Greif – Chirurgie“ aus. „Die Superoxide und Hydroxylradikale, die durch die aktivierten Entzündungszellen generiert werden, verletzen die Endothelzellen in den Gewebekulturen. Aber bei echten Patienten vereinigen sich diese Radikale sofort mit Chlorid und Proteinen, um ungefährliche Hypochlorite, Chloramine und einige wenige andere Moleküle zu bilden. Jeder, der an Schock und Inflammation interessiert ist, hat schon versucht, dieses Phänomen mit Multiorganversagen in Verbindung zu bringen, aber es passt irgendwie nicht zusammen. Der ganze Prozess hat rein gar nichts mit der Physiologie der systemischen Sauerstoffkinetik zu tun, ebenso wenig wie mit der F IO 2 Footnote 7. Ist es nicht das, was Sie meinten, Dr. Dumpty?“

„Das ist eine im Wesentlichen richtige, aber auf naive Weise übermäßig vereinfachte Zusammenfassung dessen, was ich sagte“, schniefte Dr. Dumpty, während er gefährlich schwankte und beinahe seine Balance verlor.

„Dr. Greif ist der Chirurg, der sich um Herrn Hutmacher kümmert“, sagte Dr. König. „Dr. Greif, wir diskutieren gerade den Fall Hutmacher. Was empfehlen Sie? Hoch mit der Nachlast? Hoch mit der Vorlast? Ein höheres Sauerstoffangebot? Ein niedrigeres Sauerstoffangebot? Weitere Liter von Ringer-Laktat?“

„Nichts von all dem“, sagte Dr. Greif. „Er benötigt eine kleine Operation, um den Abszess in seinem rechten oberen Quadranten zu drainieren.“

Dr. Dame musste sich auf die Zunge beißen, um angesichts dieses altmodischen Vorschlags nicht vor Lachen zu prusten. Die meisten Assistenzärzte schauten zur Seite oder hielten sich die Hand vors Gesicht, um nicht unhöflich amüsiert zu erscheinen.

„Sicherlich beabsichtigten Sie, ein CT zu empfehlen, gefolgt von einer endoskopischen retrograden Cholangiopankreatikographie (ERCP) und dann einer Einlage von 2 oder 3 perkutanen Drainagen“, sagte Dr. Dame, als er wieder sprechen konnte, ohne zu kichern.

„Sicherlich meinten Sie erst dann eine Operation durchzuführen, wenn unsere teuersten Antibiotika versagt haben“, sagte Dr. Dumpty, schwankend.

„Sicherlich meinten Sie eine mögliche Operation, sobald sich der hyperdyname septische Zustand aufgelöst hat“, sage Dr. Raupe.

„Nein, was ich beabsichtigte, war, eine kleine Operation durchzuführen, um den Abszess in seinem rechten oberen Quadranten zu drainieren. Er ist septisch, er fiebert, hat einen weichen Tumor, und das Ganze 4 Tage nach einer Cholezystektomie.“

„Wir werden sicherlich Ihren weisen Ratschlag im Hinterkopf behalten, Dr. Greif. Zwischendurch mal, Dr. Hase, was haben Sie am Nachmittag mit Herrn Hutmacher vor?“

„Er ist für eine CT Footnote 8-Untersuchung vorgesehen mit anschließender ERCP mit Papillotomie, fluoroskopischer Exploration der verbliebenen Steine und – Stent-Einlage – für den Fall, dass sich ein Galleleck zeigt.“

„Klingt sehr modern“, sagte Dr. Dame hämisch grinsend. „Ich bin sicher, dass Dr. Greif zustimmen wird.“ Dr. Greif nickte lediglich.

„Wehe mir“, murmelte Herr Hutmacher.

Die Qual der Qualle

„Unser nächster Patient“, sagte Dr. Raupe, der die Gruppe zum nächsten Krankenbett führte, „leidet an ARDSsssssss Footnote 9. Der Fall wird von Dr. B. Bube vorgestellt.“ Dr. B. Bube war der weitaus älteste Assistenzarzt, an den sich alle erinnern konnten. Er hatte einige Jahre in einer Praxis für Allgemeinmedizin verbracht, dann hatte er eine Auszeit genommen, um den Titel „Master of Business Administration“ (MBA) zu erwerben. Anschließend war er als Verwaltungsangestellter in einem kleinen Krankenhaus tätig gewesen, das bald darauf schloss. Dann hatte er eine Assistentenstelle in der Radiologie angenommen, und nun war er für ein Jahr lang in der Intensivmedizin gelandet. Die meiste Zeit verbrachte er damit, moderne Beatmungsgeräte zu beherrschen, aber dennoch lief es damit nicht so gut. Er schmückte sich mit einem lang herunterhängenden Schnauzbart, trug knittrige Intensivkleidung und führte einen Rucksack mit sich, in dem sich das mehrbändige Werk Civetta’s Intensivtherapiebefand. Mit ziemlich melancholischer Stimme beschrieb er den Patienten:

„Herr K. Qualle wurde uns vor einer Woche mit akutem schwerem Atemversagen vorgestellt, von dem wir glaubten, dass es durch eine virale Pneumonie bedingt sei. Er wurde intubiert und eine Woche lang beatmet. Aus der Pneumonie entwickelte sich vor 3 Tagen ein ARDS.“

Alice fragte sich, was das bedeutete. Im Pathologiekurs hatte man ihr beigebracht, dass ARDS ein klinisches Syndrom sei mit Ausbildung eines pulmonalkapillären Lecks in der Folge von Schock, Trauma oder Sepsis. Sie dachte, dass eine Pneumonie eine Pneumonie sei und der Begriff ARDS reserviert sei für Zustandsbilder, bei denen die Ursache extrapulmonal zu suchen war. Da sie aber nun angefangen hatte zu begreifen, dass es unklug war, naive Fragen zu stellen, hörte sie zunächst einfach weiter zu.

„Herrn Qualles Blutdruck ist 110/70 mmHg. Sein ZVD ist 4 und sein Wedge-Druck ist 8. Sein Herzindex beträgt 3,2, und sein systemischer vaskulärer Widerstandsindex ist 24. Man könnte Letzteren auch mit 1900 dyn mal Sekunde mal Zentimeter hoch minus 5 pro Quadratmeter beziffern.“

„Wenigstens ein Patient mit einem normalen Widerstand“, sagte Dr. König zufrieden.

„Vielleicht sollten wir trotzdem seine Nachlast senken“, schlug Dr. Dame vor.

„Nein, das meine ich nicht“, sagte Dr. König. „Fahren Sie fort, Dr. Bube.“

„Er ist relaxiert, um ihn vernünftig zu beatmen. Sein Sauerstoffverbrauch ist 100 ml/min/m 2KOF, und sein Sauerstoffangebot ist 400 ml/min/m 2KOF. Seine arterielle Sättigung beträgt 95 % und seine venöse 70 %.“

„Sein DO 2beträgt nur das Vierfache seines VO 2“, beobachtete Alice. „Bedeutet das, dass sein Sauerstoffangebot nicht hoch genug ist?“

„Nein“, sagte Dr. König. „Es existiert eine große Angebotsreserve. Die kritische untere Schwelle ist ein DO 2-Wert, der doppelt so hoch ist wie der VO 2-Wert. Unterhalb dieser Schwelle entwickeln sich eine anaerobe Stoffwechsellage, Acidose und Sauerstoffschuld. Wir nennen das eine ‚pathologische Abhängigkeit zwischen Sauerstoffangebot und -verbrauch’.“

„Lassen Sie uns seine Nachlast verringern, um sein Sauerstoffangebot zu erhöhen“, schlug Dr. Dame vor. „Er hat ein ARDS, also muss eine ‚pathologische Abhängigkeit zwischen Sauerstoffangebot und -verbrauch‘ vorliegen.“

„Nein, diese Idee ist endgültig begraben worden“, sagte Dr. König. „Die Idee der ‚pathologischen Abhängigkeit zwischen Sauerstoffangebot und -verbrauch‘ war überwiegend ein Artefakt, dass daher stammte, dass man Patienten untersucht hatte, die im Knie der Sauerstoffkinetikkurve lagen und aus der mathematischen Verknüpfung der Variablen. Außerdem ist sein Sauerstoffangebot perfekt an seinen Sauerstoffverbrauch angepasst. Schauen Sie sich doch nur einmal seine S vO 2an.“

„Oh, Dr. König“, sagte Dr. Dame in gedämpftem Ton, „ich liebe es, wenn Sie über Physiologie sprechen.“ Dr. König reagierte so, wie es junge Mädchen zu tun pflegen, – sie errötete – aber eben altersentsprechend und mahnte Dr. Dame an, weiterzumachen.

„Er wird volumenlimitiert mit 10 ml/kgKG beatmet. Sein PEEP Footnote 10ist 10 und sein Beatmungsspitzendruck ist 50. Die F IO 2beträgt 0,7 und die Frequenz 30. Mit dieser Respiratoreinstellung können wir seinen pCO 2bei 40 halten, sein pH liegt bei 7,5 und sein pO 2ist 70 bei einer Sättigung von 95 % auf dem Pulsoxymeter.“

„Sehr schöne, normale Blutgase! Ein wenig hypoxämisch, aber ansonsten normale Blutgase. Sie haben einen sehr guten Job gemacht, Dr. Bube“, sagte Dr. Dame.

„In der Physiologie haben sie uns beigebracht, dass die Alveolen vollständig entfaltet sind, wenn der Inspirationsdruck 35 cm H 2O beträgt“, sagte Alice. „Was passiert, wenn man sie bis auf 50 dehnt?“

„Hören Sie auf, uns zu unterbrechen“, schrie Dr. Dame. „Das hier ist nicht Physiologie, sondern maschinelle Ventilation. Fahren Sie fort Dr. Bube!“

„Danke sehr“, sagte Dr. Bube. „Ich habe immer und immer wieder geübt, die Beatmungsmaschinen so einzustellen, dass normale Blutgase resultieren. Eigentlich ist es nicht so schwer, wenn man nur genügend Druck und ausreichend Sauerstoff zur Anwendung bringt.“

„Ich habe den Eindruck, dass Sie langsam den Bogen raus haben, Bube. Was ist das für ein Plastikschlauch, der in seiner Seite steckt?“

„Vor einigen Tagen hat er einen Pneumothorax entwickelt, da haben wir eine Thoraxdrainage eingelegt. Beinahe hätte ich vergessen zu erwähnen, dass wir das Atemzugvolumen auf 900 ml erhöhen mussten, um unsere gewünschten 700 ml exspiratorisches Atemzugvolumen zu halten ( Abb. 3).“

Abb. 3
figure 3

Das hier ist nicht Physiologie, sondern maschinelle Ventilation. „Diese Beatmungsmaschine kann Drücke jenseits von 100 cm H 2O aufbauen“ sagte Dr. Bube. (Zeichnung: R.H. Bartlett, mit freundl. Genehmigung)

„Sehr gut geplant“, sagte Dr. Dame. Alle nickten.

„Bezüglich seiner Ernährung“, fuhr Dr. Bube fort, der sich inzwischen selbstsicherer fühlte, „er hatte noch niemals Darmgeräusche – wahrscheinlich wegen des ganzen Morphins, das wir ihm verabreichen – also haben wir ihn auf totale parenterale Ernährung (TPN) umgestellt. Am nächsten Tag haben wir einen zentralvenösen Katheter angelegt und einige Verordnungen aufgeschrieben. Gestern gaben wir ihm die halbe Menge, heute geht es mit voller Kraft voraus – 2 l/Tag parenterale Ernährungslösung. Somit erhält er 2000 Kalorien aus Zucker und 80 g Protein/Tag. Dies, plus der anderen Flüssigkeiten und der Trägerlösungen für Antibiotika, Morphin und Pancuronium summieren sich auf 4 l/Tag. Das ist vielleicht auch die Erklärung für seine Gewichtszunahme von 8 kg seit Aufnahme.“

„Das hört sich alles nach einer ausgezeichneten Behandlung an, Dr. Bube. Wie entscheiden Sie über Menge und Zusammensetzung der parenteralen Ernährungslösung? Haben Sie seinen Sauerstoffverbrauch gemessen und seinen Kalorienbedarf berechnet? Haben sie seine Urineiweißausscheidung gemessen und die Rate seines Proteinabbaus berechnet?“

„Nein. Wir haben das in einer Tabelle nachgeschaut. Um genau zu sein, die Typen vom Ernährungsteam haben das in so einer Tabelle nachgeschaut und mir gesagt, dass ich 2 l/Tag von dem Standardzeug geben soll. Es scheint irgendwie zu helfen, da sich sein Serumalbumin bei 2,4 g/l eingeregelt hat.“

„Hier ist sein Röntgenbild“, sagte Dr. Bube und zeigte auf die a.-p.-Röntgenthoraxaufnahme, die ans Fenster geklebt war. „Bitte beachten Sie die diffusen, lockeren, bilateralen pulmonalen Infiltrate.“

„Entschuldigen Sie, mein Herr“, sagte Alice. „Ich bin nur eine Medizinstudentin, aber ist nicht das ganze Weiße auf der Thoraxröntgenaufnahme überwiegend Wasser?“

„Na klar“, sagte Dr. Bube gönnerhaft.

„Wenn er das ganze Wasser in den Lungen hat und 8 l im Plus ist, warum nennen wir das Ganze dann nicht ‚Überwässerung’?“

„Haaaa“, schnaubte Raupe verächtlich.

„Haaaa“, sagten auch alle anderen Assistenzärzte.

„Sehen Sie, junge Frau“, erklärte Dr. König. „Sein Wedge-Druck ist 8, also ist er wahrscheinlich nicht flüssigkeitsüberladen. Tatsächlich ist er wahrscheinlich eher auf der trockenen Seite.“ Alle nickten wissend.

„Aber das macht keinen Sinn“, insistierte Alice. „Der Wedge-Druck hängt nur von der linksventrikulären Funktion und dem zentralen Blutvolumen ab. Er ist kein Maß für das extrazelluläre Flüssigkeitsvolumen. Wenn er 8 l im Plus ist, ist sein Extrazellularraum doppelt so groß wie normal. Sehen Sie ihn sich an. Sie erkennen, dass er aufgequollen ist. Und seinen Lungen sind ödematös. Das sehen Sie auf der Röntgenaufnahme. Ich schlage vor, dass es eine wenig bedeutsame Verbindung gibt zwischen chronischen Veränderungen des Extrazellularraums und der Funktion des linken Ventrikels, aber sie funktionieren im Wesentlichen unabhängig voneinander und werden nicht durch den Wedge-Druck erfasst.“

„Das ist absurd. Runter mit seiner Nachlast“, sagte Dr. Dame.

„Wo haben Sie Ihnen diesen ganzen Mist beigebracht?“

„Direkt hier an der medizinischen Fakultät“, antwortete sie kleinlaut. „Wir haben ein ganzes Jahr mit dem Studium der Physiologie und Anatomie verbracht und uns davon einige Monate mit kardiopulmonaler Physiologie beschäftigt.“

„Was ist eigentlich los mit diesen Grundlagenforschern?“ sagte Dr. Dame. „Haben die denn noch niemals etwas von Starling, Pappenheimer, Landis, Sarnoff, Fishmanund Staubgehört?“ ( Tab. 3).

Tab. 3 Berühmte Physiologen und Forscher

„Aber ja doch“, sagte Alice erfreut, „das sind genau die Namen, die sie erwähnt haben. Das ist alles sehr merkwürdig, in der Tat, sehr merkwürdig.“

„Ich glaube, sie hat nicht ganz unrecht“, sagte Dr. König vorsichtig.

„Papperlapapp. Lächerlich. Ich vermute, dass sie als Nächstes hochprozentiges Albumin vorschlagen wird. Und ein Diuretikum. Bei einem niedrigen Wedge-Druck! Lächerlich. Fahren Sie fort, Dr. Bube. Wie sind Ihre Vorstellungen über die Respiratoreinstellung?“

„Ich bin ein wenig besorgt über die Hypoxämie mit einem pO 2von 70. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich ein größeres Atemzugvolumen wählen soll, oder ein höheres PEEP-Niveau oder eine höhere F IO 2. Tag für Tag suche ich den ‚best PEEP’, indem ich eine Druck-Volumen-Schleife erstelle, deshalb habe ich ihn auf 10 eingestellt.“

„Dr. Bube, erläutern Sie unserer neugierigen Medizinstudentin, wie man eine Druck-Volumen-Schleife zur Feststellung des ‚best PEEP‘ erstellt. Ich bin mir sicher, dass die aus der Physiologie ihr das nicht beigebracht haben.“

„Wir halten das Atemzugvolumen konstant und variieren den PEEP zwischen 5 und 20 rauf und runter. Wir messen das Herzzeitvolumen und den pO 2auf jedem PEEP-Niveau und wählen jenes Niveau aus, bei dem der pO 2am höchsten ist, aber gleichzeitig niedriger ist als das Niveau, das zu einem Abfall des Herzzeitvolumens führt. Das ergibt dann den besten PEEP für diesen Tag.“

„Sie meinen, Sie messen den Punkt des höchsten systemischen Sauerstoffangebots in Beziehung zur metabolischen Rate?“ fragte Alice.

„Wenn Sie es unbedingt so ausdrücken wollen, ja, dann ist es genau das, was wir tun“, sagte Dr. Dame hämisch grinsend.

„Warum messen Sie dann nicht einfach kontinuierlich die S vO 2und wählen das PEEP-Niveau, das mit der höchsten S vO 2korreliert? Ist es nicht das Gleiche, nur einfacher?“ fragte Alice.

„Oh je, oh je“, sagte Dr. Dame und sah dabei sehr entnervt aus.

„Und wenn wir schon einmal dabei sind“, fuhr Alice fort: „Warum halten Sie das Atemzugvolumen konstant? Mir scheint, dass dies zu überproportional hohen Atemwegsspitzendrücken führt, wenn Sie die hohen PEEP-Niveaus testen. Das liegt an der Form der Compliance-Kurve. Nicht nur, dass der mittlere Atemwegsdruck sich überproportional erhöht und den venösen Rückstrom behindert. Wäre es nicht besser, wenn man den Atemwegsspitzendruck auf irgendeinen sicheren Wert begrenzen würde und dann den PEEP veränderte? Man würde ein variables Atemzugvolumen in Kauf nehmen, dafür aber hohe Drücke und Überblähung vermeiden.“

„Das zeigt Ihr erbärmliches Wissen“, unterbrach Dr. Raupe. „Wenn das Atemzugvolumen erniedrigt wird, wird er hypoxischer.“

„Nein, das Atemzugvolumen ist nicht mit der Oxygenierung korreliert. Da bin ich mir sicher“, sagte Alice. „Er könnte hyperkapnisch werden, aber ob man das Atemzugvolumen vergrößert oder verkleinert, beeinflusst die Oxygenierung nicht.“

„Was meinen Sie, Dr. Bube?“, sagte Dr. König, die anfing zu denken, dass Alice recht haben könnte. „Haben Sie schon permissive Hyperkapnie versucht? Das ist gerade der letzte Schrei.“

„Ich habe das versucht, Dr. König, aber ich bringe seinen pCO 2einfach nicht über 45. Es war sogar so, dass, nachdem ich gestern das PEEP-Niveau für einige Stunden auf 20 angehoben hatte, sein pCO 2auf 50 stieg, jedoch stellte er die Urinproduktion ein, und sein Pleuraleck wurde größer. Der Beatmungsspitzendruck war dabei ungefähr 65. Ich verstehe nicht, was so Besonderes an diesem Hyperkapnie-Quatsch ist.“

„Eigentlich“, sagte Dr. König, „ist es ja der Witz, den Beatmungsspitzendruck auf 40 zu limitieren, um das Risiko einer Überblähung zu minimieren, und die resultierende Hyperkapnie in Kauf zu nehmen. Alice hat recht, weil die Form der Druck-Volumen-Schleife die Gleiche für einen einzigen Alveolus wie für die gesamten Lungen ist. Es gibt keine Rationale dafür, den alveolären Füllungsdruck auf über 35 anzuheben. Jede weitere Erhöhung führt nur zur Überblähung der meisten normalen Alveolen. Wir müssen mehr auf Barotraumen achten. Oder Volutraumen oder Stresstraumen oder, wie immer Sie das nennen wollen.“

„Aber diese Beatmungsmaschine kann Drücke jenseits von 100 cm H 2O aufbauen“, sagte Dr. Bube. Ich habe einen ganzen Monat gebraucht, um zu erlernen, wie man Druck und Fluss so anpasst, dass ein Atemzugvolumen von 10 ml/kgKG resultiert.“

„Das könnte genau Ihr Problem sein“, sagte Alice überwiegend zu sich selbst, aber viel zu laut.

„Das war’s“, schrie Dr. Dame mit hochrotem Kopf. „Damit ist unsere Visite beendet. Junge Frau, Sie sind die nervigste Medizinstudenten, die mir seit Jahren über den Weg gelaufen ist. Sie kommen hier ohne jede Erfahrung herein und stellen uns die naivsten Fragen über Dinge, die wir jeden Tag tun, um Leben zu retten. Sie sind entschuldigt. Kommen Sie erst dann wieder, wenn Sie sich gründlicher mit klinischer Physiologie beschäftigt haben. Auf Wiedersehen.“ Alle drehten sich ab, um wegzugehen, aber inzwischen hatte Alice beschlossen, abschließend noch einmal Klartext zu sprechen.

„Geben Sie mir noch eine Minute“, sagte Alice nachdrücklich. „Ich mag nur eine Medizinstudentin sein, und ich weiß, dass dieses Krankenhaus ein wunderbarer Ort ist, und ich weiß, dass Sie alle sehr erfahren sind. Das Meiste von dem, was Sie hier tun ist wunderbar, aber es ist nicht geheimnisvoll.“

„Halten Sie Ihre Zunge im Zaum“ erwiderte der purpurfarben anlaufende Dr. Dame.

„Tue ich nicht“, sagte Alice.

„Runter mit seiner Nachlast“, schrie Dr. Dame.

„Dummes Zeug“, sagte Alice. „Es ist leicht durchschaubar, dass einige der Dinge, die Sie tun töricht sind oder wenigstens traditionell, und manche resultieren aus verquertem Denken. Bei ein paar Dingen, die Sie tun, fehlt der gesunde Menschenverstand, und andere sind eindeutig gefährlich. Das kann sogar ich erkennen. Und schließlich sind Sie nicht sehr höflich. Sie sind nichts anderes als ein Haufen von Klinikern!“ Und mit diesen Worten verließ sie das Krankenhaus durch einen langen Tunnel, der sie zurück in die medizinische Fakultät führte ( Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

„Bei ein paar Dingen, die Sie tun, fehlt der gesunde Menschenverstand, und andere sind eindeutig gefährlich.“ (Zeichnung: R.H. Bartlett, mit freundl. Genehmigung)

Alice sieht klar

Zusammen mit ihrem Laborpartner saß Alice auf einem Schemel im Physiologielabor. Sie untersuchten einen narkotisierten Hund während maschineller Ventilation und hatten eine Vielzahl von Messkathetern eingeschwemmt. Alice hatte während ihres Besuchs auf der Intensivtherapiestation viele wertvolle Erfahrungen gesammelt und testete diese nun an ihrem Hund. Zum Ende des Experiments schrieb sie diese in ihr Labornotizbuch.

  1. 1.

    Benutze stets den Herzindex, wenn du den system- oder pulmonalvaskulären Widerstand berechnest. Ist der Widerstand abnormal, behandle das Herzzeitvolumen oder den Druck, aber nicht den Widerstand.

  2. 2.

    Das Sauerstoffangebot sollte das 4- bis 5-Fache des Sauerstoffverbrauchs betragen, unabhängig von der metabolischen Rate. Üblicherweise autoreguliert das Herzzeitvolumen das Sauerstoffangebot, um Anämie, Hypoxie oder Veränderungen der metabolischen Rate zu kompensieren. Die kontinuierliche Messung der S vO 2bietet die beste Möglichkeit, sämtliche Variablen der Sauerstoffkinetik gleichzeitig zu überwachen.

  3. 3.

    Der Wedge-Druck ist keinMaß für das extrazelluläre Flüssigkeitsvolumen.

  4. 4.

    Hyperkapnie ist sicherer als Überblähung.

Zu ihrem Laborpartner sagte sie: „In unserem Tierversuch erscheint alles sehr einfach, aber du ahnst nicht im Traum, wie kompliziert es auf der Intensivtherapiestation zugeht, oder vielleicht könntest du es im Traum ahnen.“ „Und nebenbei bemerkt“, fügte sie noch hinzu, „wenn du dahin gehst, rate ich dir, Augen und Ohren offen, den Mund aber geschlossen zu halten, wenn du dich zu einem erfolgreichen Medizinstudenten entwickeln willst.“

Es grinst die Katze

Die meiste Zeit der nächsten 2 Wochen nach Alices Besuch verbrachten Dr. Hase und Dr. Bube auf der Intensivtherapiestation. Der Zustand von Herrn Walross verbesserte sich nach der Gabe von 5 Erythrozytenkonzentraten. Schwester Grinsekatze hatte niemals den Natriumnitroprussidtropf angeschlossen. Sie hatte behauptet, dass Natriumnitroprussid in der Krankenhausapotheke nicht mehr verfügbar gewesen sei. Herr Hutmacher hatte nach der ERCP eine nekrotisierende Pankreatitis entwickelt. Er hatte sich mehreren Operationen, einschließlich der Drainage des subphrenischen Abszesses unterzogen, war aber nach 10 Tagen gestorben. Als Todesursache hatte man „Pankreatitis“ angegeben. Herr Qualle hatte eine riesige bronchopleurale Fistel entwickelt, die es unmöglich gemacht hatte, den Beatmungsspitzendruck auf über 30 cm H 2O zu steigern. In der Folge lag sein pCO 2in den nächsten 3 Wochen um die 70. Er erhielt niemals mehr als 50 %igen Sauerstoff. Schwester Grinsekatze hatte verbreitet, dass die Krankenhausvorräte ausliefen. Seine arterielle Sättigung betrug in den nächsten 3 Wochen etwa 80. Dann erholte er sich recht gut und kehrte an seinen Arbeitsplatz zurück: Er kochte Austerneintopf in einer Suppenküche.

Und wenn sie nicht gestorben sind …

Dr. Dame nahm sich, ziemlich erschöpft, eine Auszeit und kehrte für 11 Monate in sein gut gefördertes Labor zurück, um die Expression von hochregulierten Zytokinrezeptoren auf die Eosinophilen im Nasenschleim zu untersuchen. Die Korrelation zwischen klinischer Sauerstoffkinetik und substratlimitierten Ereignissen in seiner Petrischale erschloss sich ihm nie. Dr. Raupe führte eine schöne klinische Studie zu Diurese, Flüssigkeitsbalance, Transfusion und linksventrikulärer Funktion bei ARDS-Patienten durch. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Manuskripts war er ziemlich überzeugt davon, dass dies alles seine Idee gewesen sei. Als Dr. B. Bube schließlich die volumenkontrollierte Beatmung gemeistert hatte, gab Dr. König die neue Strategie bekannt, den Beatmungsspitzendruck zukünftig auf 35 zu begrenzen. Dies zwang Dr. Bube, den Lernprozess erneut aufzunehmen. Dr. König platzierte zudem S vO 2-Monitore an jedem Bettplatz, da sie gelesen hatte, dass dies kosteneffektiv sei. Eines Tages, Monate später, sagte sie zu Schwester Grinsekatze: „Können Sie sich noch an die Zeiten erinnern, als wir so einen riesigen Wirbel um den Widerstand machten?“

„Ich versuche, nicht daran zu denken“, antwortete Schwester Grinsekatze.

„Warum taten wir das?“, fragte Dr. König.

„Das war damals ein Sieg der Mathematik über den gesunden Menschenverstand“, sagte Schwester Grinsekatze und grinste dabei so breit, dass der Rest von ihr zu verdämmern schien ( Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Schwester Grinsekatze: „Das war ein Sieg der Mathematik über den gesunden Menschenverstand.“ (Zeichnung: R.H. Bartlett, mit freundl. Genehmigung)

ENDE