So ist also der Tod – das schrecklichste der Übel – für uns ein Nichts: Solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir es nicht mehr. (Epikur, um 341–270 v. Chr.; Philosophie der Freude)

Die Intensivmedizin hat in den letzten 2 Jahrzehnten dank wissenschaftlicher, klinischer und technischer Entwicklungen einen enormen Wandel im Behandlungsspektrum durchgemacht. Abgesehen davon, dass „traditionelle“ Altersgrenzen für nahezu alle Arten von Operationen oder interventionellen Maßnahmen aufgehoben sind, führen rapide Fortschritte in Techniken des Organersatzes (Beatmung, Dialyse, pharmakologische sowie extrakorporale Kreislauf- und Lungenunterstützung) zu Behandlungserfolgen, die bis vor Kurzem noch nicht vorhersehbar waren. Auf der anderen Seite werden intensivmedizinisch Tätige zunehmend mit Situationen konfrontiert, in denen der (prolongierte) Einsatz eben dieser hochspezialisierten, supportiven Methoden nicht mehr erkennen lässt, ob eine echte – sei es noch so geringe – Perspektive auf ein qualitativ befriedigendes Überleben besteht oder ob der Sterbeprozess mithilfe von „High-tech“-Methoden zum Stillstand gebracht wird [1].

Bisher galt in der Intensivmedizin noch generell: „Maximale Therapie für jeden und um jeden Preis“. Mittlerweile beginnen Intensivmediziner, ihre Grenzen zu erkennen, und sie akzeptieren, dass im Einzelfall die Einschränkung der Therapie notwendig werden kann. Hierbei gilt, dass in Anlehnung an die Grundsätze der Bundesärztekammer [2] eine Begrenzung intensivmedizinischer Maßnahmen mindestens eine der folgenden Bedingungen voraussetzt:

- Die medizinische Indikation für die intensivmedizinische Therapie ist nicht (mehr) gegeben.

- Die Ablehnung von medizinischen Maßnahmen durch den Patienten ist dokumentiert oder wird angenommen.

Diese Rahmenbedingung enthält naturgemäß einen breiten Spielraum und ruft häufig erhebliche Unsicherheit sowie Unklarheit im Behandlungsteam hervor, wie konkret bei Zweifeln am Sinn der Fortführung intensivmedizinischer Maßnahmen vorgegangen werden soll.

Janssens und die Mitglieder der Sektion Ethik der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) haben sich große Verdienste mit der Verabschiedung des Positionspapiers „Therapiezieländerung und Therapiezielbegrenzung in der Intensivmedizin“ erworben, das in dieser Ausgabe von Der Anaesthesist zum Abdruck gekommen ist. Die Präambel stellt klar formuliert heraus, dass in der modernen Intensivmedizin die Erreichbarkeit eines Therapieziels – über momentane stabilisierende Organersatzstrategien hinaus – immer wieder überprüft werden muss: Trotz grundsätzlich anzunehmendem „Therapieoptimismus“ und trotz einer ständig erforderlichen Besonnenheit stellt das „Nichtstun“ in einer aussichtslosen Situation auch eine Entscheidung dar, und zwar eine zum Schaden des Patienten und seiner Würde.

Grundsätzliche Schwierigkeiten und ethische Konflikte bestehen häufig darin, dass inhaltlich ausreichende und tragfähige Kriterien für die Therapiezielbegrenzung nicht zugänglich sind und im Intensiv-Team ohne eine strukturierte Basis immer wieder emotional und unsicher argumentiert wird [3]. Das Positionspapier der DIVI gibt hier konkrete Hilfen; es ist somit eine praxisgerechte Anweisung zum ethischen Handeln. Das Abarbeiten einer ethischen „Arbeitsliste“ [4] fokussiert das Team und die behandelnden Ärzte auf die Kriterien einer Entscheidungsfindung, die im ethisch abgesicherten Handeln münden kann: Ist nach sorgfältiger Prüfung kein Therapieziel erkennbar, sollte der Sterbeprozess nicht mehr aufgehalten werden – auch wenn dieses Vorgehen mit dem Abbruch organstützender Maßnahmen verbunden ist. Voraussetzung hierfür ist allerdings neben der Analyse des Therapieziels die fundierte Ermittlung des Patientenwillens in einem abgestuften Prozess.

Nach den Ergebnissen einer im Spiegel veröffentlichten Forsa-Umfrage [5] wurde die Frage „Welche Art des Sterbens würden Sie bevorzugen, wenn es Ihnen möglich wäre?“ folgendermaßen beantwortet:

- „plötzlich, aus guter gesundheitlicher Verfassung – ohne Dinge regeln oder Abschied nehmen zu können“ (67% der Befragten),

- „nach schwerer Krankheit über 2 bis 3 Jahre und klarem Bewusstsein“ (27%) oder

- „nach schwerer Krankheit und Demenz über 8 bis 10 Jahre“ (2%).

Darüber hinaus wünschten sich 66% der Teilnehmer die eigenen vier Wände als bevorzugten Sterbeort. Diese Daten legen nahe, dass viele Menschen neben dem Wunsch nach einem langen und erfüllten Leben zunehmend im Fall einer schweren Erkrankung von der Furcht vor einer hochtechnisierten, inhumanen Medizin bedrängt werden, die einen Sterbeprozess nicht zulassen kann und den Leidensprozess unnötig verlängert.

Die Umsetzung der im Positionspapier der Sektion Ethik der DIVI vorgelegten Strukturhilfe ist auf allen Intensivstationen dringend geboten. Die Konzentration auf Therapiezielfindung und Patientenwillen sowie der Hinweis auf das wichtige Instrument der ethischen Fallberatung [6] stellen eine essenzielle Basis für die fundierte Entscheidung dar. Jedem intensivmedizinisch Tätigen ist allerdings auch klar, dass sowohl die Definition eines Therapieziels als auch die zweifelsfreie Bestimmung des Patientenwillens – genau auf diese Entscheidungssituation passend! – mit Schwierigkeiten verbunden sein kann: Ist die Durchführung einer Tracheotomie bei gleichzeitiger Dialysepflichtigkeit mit zu erwartender langfristiger Pflegebedürftigkeit eine vom Patienten mutmaßlich akzeptierte Perspektive?

Selbst bei Vorliegen einer Patientenverfügung ist eine solche Frage manchmal nicht leicht zu beantworten, und ohne zuvor verfasste Patientenverfügung ist die Evaluation des mutmaßlichen Willens über die Angehörigen nicht selten aussichtslos. Viele Angehörige fühlen sich angesichts der Komplexität der Entscheidung schlichtweg überfordert [7].

Das DIVI-Positionspapier zu Therapiezieländerung und Therapiebegrenzung stellt einen großen Fortschritt zur Umsetzung praktizierter Ethik im intensivmedizinischen Alltag dar. Es enthebt uns alle und die gesellschaftlichen Verantwortungsträger allerdings nicht von der Aufgabe, sich beizeiten mit Fragen der Endlichkeit sowie dem persönlichen Lebens- und Sterbensentwurf zu befassen. Bemerkenswert ist, dass gerade in Zeiten der Hochleistungsmedizin das Thema Tod und Sterben derzeit zunehmend in den Blickpunkt von Mediendarstellungen und öffentlichen Diskussionen rückt. Das ist prinzipiell gut so – wünschenswert ist allerdings ein (leider nicht immer durchgängig eingehaltenes) hohes Niveau einer Beschäftigung mit diesem Thema. Dem Positionspapier der DIVI ist es gelungen, dieses existenzielle Thema sachlich und respektvoll aufzugreifen – nachahmenswert für andere Disziplinen der Medizin.

T. Bein