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Die erste Beschreibung des akuten Lungenversagens („acute respiratory distress syndrome“, ARDS) und des respiratorischen Managements dieses Syndroms ist auf das Jahr 1967 durch Ashbaugh et al. [1] zurückzuführen. Leitsymptome und -signale dieses Syndroms waren Tachypnoe, Hypoxämie und reduzierte Dehnbarkeit des respiratorischen Systems, die nicht nur nach primärer Lungenschädigung, wie z. B. bei Pneumonie oder Lungenkontusion, sondern auch nach sekundärer Lungenschädigung, d. h. nicht nach unmittelbar von den Lungen ausgehenden Erkrankungen wie z. B. Pankreatitis, zu verzeichnen waren.
Obwohl Veränderungen des Lungenparenchyms mit u. a. hyalinen Membranen, Ödem und Bildung von Atelektasen in dieser Publikation bereits erkannt wurden, stand die Therapie der refraktären Hypoxämie im Vordergrund [1]. Dementsprechend fand die Verwendung von höheren Tidalvolumina und inspiratorischen Sauerstoffkonzentrationen (FIO2) mit moderatem positiven end-exspiratorischen Druck („positive end-expiratory pressure“, PEEP) statt. Zirka 4 Jahre später wurde durch die gleiche Gruppe deutlich gemacht, dass die Priorität der Therapie des ARDS in der Hypoxämie festgelegt war [13], was häufig mit einer aggressiven Beatmungsstrategie einherging.
In der Zeit zwischen diesen Publikationen wurde eine theoretische und physikalische Analyse der Kräfte, die sich auf eine inhomogene Lungenstruktur auswirken, veröffentlicht [11]. Es wurde postuliert, dass die Schnittstelle zwischen benachbarten Lungenbezirken, die unterschiedliche mechanische Eigenschaften aufweisen, erhöhten mechanischen Stress erleiden. Diese Ergebnisse fanden nicht die notwendige Beachtung, und die Anwendung von Tidalvolumina von 12–15 ml/kgKG im Rahmen der maschinellen Beatmung des ARDS-Patienten setzte sich noch einige Jahre fort, selbst als die möglichen schädlichen Auswirkungen der Beatmung auf das Lungenparenchym schon erkannt waren und das Konzept der „baby lung“, d. h. einer reduzierten Lungenfläche mit beibehaltener „compliance“, von Gattinoni et al. [7] vorgeschlagen wurde. In einer retrospektiven Studie hat Hickling [9] kurz danach festgestellt, dass die Anwendung niedrigerer Beatmungsspitzendrücke bei Patienten mit ARDS mit einer reduzierten Letalitätsrate verbunden war.
Es wurde jedoch früh erkannt, dass die Schädigung des Lungenparenchyms nicht nur durch direkte mechanische Ruptur des Gewebes entsteht, sondern auch durch die Verwandlung des mechanischen Stresses in eine biochemische Reaktion mit Freisetzung von Zytokinen und sogar Dekompartmentierung des inflammatorischen Vorgangs [8, 15, 20]. In kleinen Tieren kann die Beatmung mit exzessiv hohen Tidalvolumina von 30–40 ml/kgKG sogar das ARDS hervorrufen [6], dies ist der sog. beatmungsinduzierte Lungenschaden („ventilator induced lung injury“, VILI). An Patienten geht man eher davon aus, dass VILI keine Rolle spielt und dass die Beatmungsstrategie erst die Lungen schädigen kann, wenn diese sich bereits in einem inflammatorischen Prozess befinden. Dabei ist vielmehr die Rede von einem beatmungsassoziierten Lungenschaden („ventilator associated lung injury“, VALI), was mit dem Konzept eines notwendigen primären Reizes oder der „Double-hit“-Theorie in Verbindung steht [21]. Folgt man diesem – nicht unumstrittenen [5, 17] – Konzept, würden nur vorher geschädigte Lungen von einer protektiven Beatmung mit niedrigeren Tidalvolumina profitieren [14]. Umgekehrt wird befürchtet, dass niedrigere Tidalvolumina und Beatmungsdrücke bei gesunden Lungen Nachteile im Sinne der Entwicklung eines vermehrten Kollapses abhängiger Abschnitte nach sich ziehen können, wobei auch diese Auffassung nicht unwidersprochen geblieben ist [3].
In dieser Ausgabe von Der Anaesthesist knüpfen David, Bodenstein und Markstaller an die aktuelle Diskussion an und setzen sich detailliert mit dem Thema der protektiven Beatmung im OP auseinander [4]. Dabei ist der Hauptschlussfolgerung der Autoren zuzustimmen, wonach nämlich die heutige Datenlage die Übertragung des Protektiven-Beatmung-Konzeptes auf die gesunden Lungen nicht unterstützt. Die Frage nach optimalen Beatmungsstrategien bei lungengesunden Patienten ist bislang nicht befriedigend beantwortet. Dennoch ist hier Vorsicht geboten. Auch wenn die klinische Evidenz fehlt, sollte sich der Anästhesist fragen: Was ist die Rationale für die Anwendung einer nichtprotektiven Beatmung bei lungengesunden Patienten? Die befürchtete Bildung von Atelektasen während der Beatmung mit niedrigeren Tidalvolumina kann durch die Anwendung adäquater PEEP-Werte z. T. bis fast ganz vermieden werden. Ferner sind niedrigere Tidalvolumina von 6 ml/kgKG, wie es bei der Beatmung des ARDS empfohlen wird [19], nicht wirklich niedrig. Säugetiere, ob Maus, Mensch oder Wal, weisen ein durchschnittliches Tidalvolumen von ca. 6 ml/kgKG auf [18]. Außerdem stellt sich die Frage, ob ein ausgedehnter chirurgischer Eingriff mit Freisetzung von inflammatorischen Mediatoren in die Blutbahn [12, 16] nicht bereits als primärer „hit“ der Lungen anzusehen ist.
Die Begrenzung von Tidalvolumina auf 6 ml/kgKG (oder sogar niedriger im Rahmen der Einlungenanästhesie) und inspiratorischem Plateaudruck auf 20 cmH2O, wenn die Compliance des respiratorischen Systems nicht eingeschränkt ist (z. B. bei laparoskopischen Eingriffen, erhöhtem abdominalen Druck und Thoraxverbrennung), erscheint bei ausgedehnten chirurgischen Eingriffen sinnvoll, bis klinische Studien dies endgültig geklärt haben. Wenn die chirurgische Intervention jedoch mit einer minimalen Freisetzung von inflammatorischen Mediatoren verbunden ist, ist die Relevanz der protektiven Beatmung anzuzweifeln bzw. sogar infrage zu stellen. In einer ganz aktuellen experimentellen Arbeit haben Hong et al. [10] nämlich gezeigt, dass bei gesunden Lungen und minimaler chirurgischer Intervention die Beatmung mit Tidalvolumina von 15 ml/kgKG und einem PEEP von 3 cmH2O zu weniger Inflammation und Lungenschädigung führt als eine Beatmung mit Tidalvolumina von 6 ml/kgKG und einem PEEP von 3 bzw. 10 cmH2O. Inwiefern sich diese experimentellen Ergebnisse reproduzieren bzw. auf die klinische Praxis übertragen lassen, ist noch ungewiss.
Die Frage nach dem adäquaten PEEP bleibt im Kontext der protektiven Beatmung im OP bislang ebenso unbeantwortet, wie es beim ARDS der Fall ist. Intraoperativ muss noch berücksichtigt werden, dass die Erhöhung des PEEP und somit des mittleren Atemwegsdrucks mit einem Anstieg des Zentralvenendrucks einhergehen kann, der unter bestimmten chirurgischen Bedingungen Nachteile mit sich bringen kann, wie z. B. in der Leberchirurgie. Außerdem ist es bekannt, dass sich die Kombination von niedrigeren Tidalvolumina mit inadäquaten hohen PEEP-Werten wenig protektiv bis lungenschädlich auswirken kann [2].
Unter Berücksichtigung von potenziellen Nebenwirkungen ist die Meinung vertretbar, dass die Prinzipien der protektiven Beatmung mit niedrigeren Tidalvolumina bei ausgedehnten chirurgischen Eingriffen bzw. erhöhtem Risiko, ein akutes Lungenversagen zu entwickeln, bis zum Beweis des Gegenteils auch im OP Anwendung finden sollen. Die pathophysiologische Rationale ist evident, und die heute fehlende klinische Evidenz ist nicht mit einer Evidenz fehlender Wirkung gleichzusetzen.
M. Gama de Abreu
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Gama de Abreu, M., Güldner, A. & Koch, T. Protektive Beatmung im Operationssaal. Anaesthesist 59, 593–594 (2010). https://doi.org/10.1007/s00101-010-1746-2
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