Im April 2009 informierten die mexikanischen Gesundheitsbehörden über den Ausbruch eines neuen H1N1-Influenza-Virus in Mittelamerika, das sich rasch global ausbreitete [1]. Das Influenza-A-Virus gehört zur Gruppe der Orthomyxoviridae, die über ein breites Wirtsspektrum verfügen; ihr wichtigstes natürliches Reservoir stellen Wasservögel dar. Influenza-A-Viren sind behüllte Negativstrang-RNA-Viren, deren Hülle aus der Zellmembran gebildet wird und ganz überwiegend viruseigene Oberflächenproteine enthält. Besonders prominent sind Hämagglutinin (HA) und Neuraminidase (NA) sowie ein M2-Protonenkanal [2]. Influenza-A-Viren mit dem HA-Subtyp H1 traten vermutlich erstmals 1918 auf und lösten in der dem Ersten Weltkrieg folgenden schweren sozioökonomischen Krise eine kontinentübergreifende Pandemie mit geschätzt 20 Mio. bis 50 Mio. Todesfällen aus. Von besonderer Bedeutung ist die erhebliche genetische Variabilität der Influenza-A-Viren; bei einer Gesamtgröße des Genoms von rund 13.600 Nukleotiden wird eine Mutationsrate von 1–10% der Nachfolgeviren angenommen [2].

Das aktuelle Virus ist nach bisheriger Einschätzung zoonotischen Ursprungs und eine Reassortante aus einem nordamerikanischen H1-Stamm und dem eurasischen H1N1-Schweinegrippe-Virus. Dieses neue Influenzavirus zeigt eine ungewöhnliche Provinienz (Mittelamerika statt Asien), eine ungewöhnliche Ausbruchssaison (Frühjahr statt Spätherbst) und neue Risikokollektive (Kinder, junge Erwachsene und Schwangere). Am 11.06.2009 erklärte die WHO die Pandemie mit dem „A(H1N1) swine-origin influenza virus“ (S-OIV; [3]). Klinisch imponieren 3 intensivmedizinisch relevante Entitäten im Rahmen der neuen Influenza [4]:

  • virusassoziierte Pneumonitis mit akutem Lungenversagen,

  • sekundäre bakterielle Pneumonie und

  • virusassoziierte Dekompensation einer „chronic obstructive pulmonary disease“ (COPD).

Aufgrund ihrer Lage auf der Südhalbkugel haben Australien und Neuseeland die diesjährige H1N1-Influenza-Saison bereits hinter sich, sodass erste Erfahrungen zu Verlauf und Prognose der Erkrankung vorliegen. Insgesamt traten dort in den 3 Monaten von Juni bis August 2009 bei 25 Mio. Einwohnern 36.028 bestätigte Fälle von H1N1 auf, von denen 13% – entsprechend 18,6/100.000 Einwohner – zur Hospitalisierung führten [5]. In einer aktuellen Publikation wurde die Situation in allen 187 Intensivstationen (ITS) dieser Länder, die 722 Patienten mit bestätigter H1N1-Infektion behandelt hatten, evaluiert [6]. In dieser Studie betrug der Anteil adipöser Patienten (BMI>35 kg/m2) 29%; Schwangere waren zu 9% betroffen, die Intensivletalitätsrate betrug 17% (Variationsbreite 13,7–20,3%). Zusätzlich liegen Daten der 15 australischen ITS vor, die auf die Behandlung des akuten Lungenversagens, einschließlich der Anwendung von extrakorporalem Gasaustausch mit Membranlungen (ECMO), spezialisiert sind [7]. Der Anteil der dort behandelten Patienten mit akutem Lungenversagen und Nachweis des neuen A(H1N1)-Virus betrug während der dreimonatigen Influenzawelle 7,8 Fälle/1 Mio. Einwohner; 31% dieser Patienten benötigten ECMO.

Daten aus Spanien bestätigten Schwangerschaft und Adipositas als Risikofaktoren für eine ITS-Aufnahme [8]. In einer Studie aus den USA, die den Nutzungsgrad von Intensivressourcen während der aktuellen H1N1-Influenza berichtete, benötigten 25% der hospitalisierten Patienten eine Intensivtherapie; insgesamt 7% starben; dies entspricht einer ITS-Letalitätsrate von 28% [9]. Daraus ergibt sich auch für Deutschland die Frage, ob die Intensivtherapiemöglichkeiten für die neue A(H1N1)-Influenza ausreichend sein werden. Insbesondere die Untersuchungen aus Australien und Neuseeland [6, 7] sind wegen des vollständigen Einschlusses aller ITS hierbei von Bedeutung und ermöglichen eine Abschätzung der infolge A(H1N1) benötigten Ressourcen, wie sie aktuell von Wenzel u. Edmond für die Vereinigten Staaten erfolgte [10]. Eine Extrapolation der australischen Daten auf Deutschland ist in Tab. 1 dargestellt. Die hier überschlagene Kapazität muss additiv zu den ohnehin genutzten Intensivbetten mit ECMO-Option für die Dauer von 2 Monaten verfügbar sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die erforderlichen Intensivressourcen um noch einmal ca. 50% höher anzusetzen wären, sofern der H1N1-bedingte zusätzliche Bedarf nicht gleichmäßig während der Influenzasaison, sondern im Wesentlichen während 4 bis 6 Wochen auftreten sollte.

Tab. 1 Abschätzung des infolge von Influenza-A(H1N1)-Infektionen Anfang 2010 zusätzlich zu erwartenden Intensivbedarfs in Deutschland

In der aktuellen Ausgabe des Anaesthesist entwickeln Bürkle et al. auf der Grundlage der derzeit vorliegenden Daten praktische Handlungsempfehlungen für die Intensivmedizin [11]. Die Zahlen zeigen, welche ernsthafte Herausforderung die zu erwartenden Influenza-A(H1N1)-Infektionen bezüglich der Bereitstellung zusätzlicher Intensivressourcen darstellen könnte, die im Wesentlichen von den spezialisierten Einrichtungen mit ECMO-Option geleistet werden müsste. Bei Extrapolierung der australischen Daten wäre in Deutschland, selbst wenn die zusätzlichen Intensivkapazitäten zur Verfügung stünden, immer noch mit rund 100 Todesfällen nach Influenza-A(H1N1) bedingtem respiratorischen Versagen zu rechnen. Vor allem jüngere Patienten werden betroffen sein. Derzeit stehen in Deutschland ca. 50 Behandlungsplätze mit ECMO zur Verfügung (http://www.ardsnetwork.de/, 07.12.2009). Es erscheint kaum möglich, die entsprechenden Kapazitäten technisch und personell kurzfristig zu erhöhen. Dies unterstreicht die Bedeutung der in Deutschland angelaufenen Impfaktionen. Eine aktuelle Untersuchung der Centers for Disease Control (CDC) aus den USA weist darauf hin, dass bei 25% der gegen saisonale Influenza Geimpften im Alter von 18 bis 64 Jahren eine Kreuzreaktivität auch gegen das neue A(H1N1)-Virus vorlag [12]. Es ist daher postuliert worden, dass die Impfung gegen die saisonale Influenza ebenfalls zum Impfschutz gegen das neue A(H1N1)-Virus beiträgt [10]. So bleibt zu hoffen, dass beide Impfungen die Zahl der Patienten mit H1N1 und schwerem respiratorischen Versagen auf ein beherrschbares Maß reduzieren werden.

U. Kaisers

R. Rossaint