Der 40. Jahrestag der ersten Mondlandung der Menschheit liegt noch nicht lange zurück. Erinnern Sie sich noch an den Reportagemarathon in den Medien zum damaligen Ereignis? Wenn ja, dann haben Sie sicher auch den nun medial aufgearbeiteten Streit von Verschwörungstheoretikern und offiziellen Stellen mitbekommen, in dem es einzig um die Frage geht: Hat die Landung damals tatsächlich stattgefunden oder war sie nur inszeniert, eine – wenn man den Skeptikern Glauben schenken mag – technisch allenfalls mittelmäßig gut gelungene Fälschung?

Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass die Mondlandung 1969 tatsächlich stattgefunden hat. Neben den vielen stichhaltigen Beweisen, die alle Argumente der Verschwörungstheoretiker widerlegen, gibt es für mich eine, weil mit dem gesunden Menschenverstand einfach nachvollziehbare, Überlegung: Es ist doch völlig unplausibel, dass Hunderte von Menschen gemeinsam eine solch komplexe Fälschung von Tatsachen durchführen und keiner davon später „ausgepackt“ hat (was von den Medien als Skandalgeschichte sicherlich gut honoriert worden wäre).

Was aber, wenn nicht Hunderte von Menschen an einem wissenschaftlichen Projekt arbeiten (und sich damit mittelbar und unmittelbar gegenseitig „kontrollieren“), sondern nur eine kleine Gruppe, gar ein „Einzelkämpfer“ wissenschaftliche Daten erhebt und diese später publiziert? Um wie viel leichter können hier Manipulationen vorkommen?

Dass es solche Fälle von Wissenschaftsfälschungen gab und gibt, ist erst kürzlich wieder bekannt geworden. Dieses Mal nun steht ein Vertreter unseres Fachgebiets im Fokus. Überrascht uns das? Dachten wir bisher, dass so etwas in unserer netten Wissenschaftsgemeinde nicht passieren kann? Dass Fälschungen nur die stark boomenden Bereiche der Lebenswissenschaften betrifft – Molekulargenetik, Onkologie, überall dort wo Forschung hoch kompetitiv abläuft, wo es um viel Geld geht, von Fördergeldern (Deutsche Forschungsgemeinschaft und Deutsche Krebshilfe für die Forscher Herrmann und Bracht) bis hin zu lukrativen Patenten, zum geklonten Endprodukt (Hwang Woo Suk aus Südkorea). Letzterer hatte im Jahr 2004 Berühmtheit erlangt, nachdem er behauptet hatte, Stammzelllinien aus einem geklonten menschlichen Embryo entwickelt und diese später auf einzelne Patienten zugeschnitten zu haben. Am 26.10.2009 ist er zu 2 Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden, wohl gemerkt nicht wegen der Fälschung wissenschaftlicher Publikationen, sondern wegen Unterschlagung von Forschungsgeldern: Weltweit gibt es kein Land, in dem das Fälschen wissenschaftlicher Belege ein juristischer Straftatbestand ist!

So wird auch Dr. Scott Reuben wohl kein oder nur ein mildes juristisches Urteil erwarten dürfen. Mit dem US-amerikanischen Anästhesisten und „Schmerzforscher“, der über die letzten 15 Jahre mindestens 21 Publikationen z. T. frei erfunden hatte, ist nun erstmalig auch unser Fach in einen großen Forschungsskandal verwickelt.

Viele Fragen tun sich damit auf, mit denen sich wahrscheinlich weder Sie als Leser dieser Zeitschrift noch unsere ganze wissenschaftliche Profession zuvor tiefer auseinandergesetzt haben. Die Arbeitsgruppe um Heike Rittner und Alexander Brack hilft uns dabei, diesen ersten großen Betrugsfall in unserem Fachgebiet aufzuarbeiten und die Frage zu beantworten „Was können wir noch glauben?“ [5].

Die gute Nachricht zuerst: Die Kapitel über postoperative Schmerztherapie in unseren Lehrbüchern müssen nicht neu geschrieben werden. Fundamentale Prinzipien bleiben weiterhin gültig. Das gilt auch weitgehend für die aktuelle S3-Leitlinie zur postoperativen Schmerztherapie. Dennoch mussten hier gewisse Aspekte nachjustiert werden und zwar immer dann, wenn für eine Empfehlung nur eine einzige oder wenige weitere Studien verfügbar waren [1].

So können wir es jetzt nicht mehr als gesichert betrachten, dass eine postoperative Sympathikusblockade das erneute Auftreten eines „complex regional pain syndrome“ (CRPS, Morbus Sudeck) verhindert und Coxibe die Knochenheilung unbeeinträchtigt lassen. Ferner ist der Nachweis einer präemptiven Wirkung durch Nichtopioide nicht mehr gesichert, ebenso wenig wie durch Gabe von retardiertem Oxycodon bei ambulanten Eingriffen. Schließlich hat Pregabalin möglicherweise sogar mehr Nebenwirkungen als die ältere Substanz Gabapentin.

An diesen Beispielen wird ersichtlich, wie wichtig es ist, dass Studienergebnisse der biomedizinischen Forschung durch andere Autoren bestätigt werden. Journale und deren „editorial boards“ können an dieser Stelle nur ermuntert werden, auch Arbeiten mit vermeintlich „redundanten“ Fragestellungen zu publizieren, denn eine externe Validierung von Ergebnissen ist sicherlich eine unentbehrliche Voraussetzung für abgesichertes Wissen.

Und an noch anderer Stelle können die Publikationsorgane beitragen, Fälschungen zu reduzieren: Indem akzeptiert wird, dass auch eine nicht zu 100% perfekte Studie wertvolle Informationen enthalten kann. Wenn insbesondere die Journale mit höchstem „Impact“-Gewicht systematisch Studien zurückweisen, weil ihnen die „Innovativität“ fehlt, weil die Ergebnisse nicht „sexy“ und spektakulär genug sind oder weil das Studienprotokoll vielleicht kleinere Lücken aufweist, werden (leider!) bei einigen wenigen Forschern die falschen Reaktionen getriggert. Zum Glück sind solch schwerste Vergehen wie der jetzt bekannt gewordene Skandal um Scott Reuben absolute Ausnahmen. Doch Forschungsbetrug kennt viele Abstufungen: Das „Frisieren“ von Daten, Schönen von Abbildungen oder der Ausschluss einiger unliebsamer „Ausreißer“ aus einer sonst so homogenen Datenreihe ist wahrscheinlich viel häufiger und durchaus nicht in der Art geächtet, wie dies eigentlich sein sollte.

Und genau das ist eine der schlechten Nachrichten, die wir verdauen müssen: „Kleinere“ Betrügereien sind wahrscheinlich (wesentlich) häufiger als die großen spektakulären Fälle. Dennoch gibt es keinen Grund fatalistisch zu werden, gar nichts mehr zu glauben und womöglich sogar die evidenzbasierte Medizin abzulehnen. Denn das Glas ist nicht etwa halb leer. Nein, es ist fast ganz voll! Die überwältigende Zahl der publizierten Arbeiten ist korrekt durchgeführt, dokumentiert, ausgewertet und publiziert. Wir würden der großen Masse der aufrichtigen und wahrhaftigen Forscher bitteres Unrecht tun, wenn wir sie unter Generalverdacht stellten.

Und dennoch: Aufmerksamkeit tut not. Das gilt für Sie als Leser eines wissenschaftlichen Journals und viel mehr noch natürlich für die aktiven Forscher, die Koautoren, die Forschungsbeauftragten der Kliniken vor Ort, die Ethikkommissionen, Regulierungsbehörden und die Gutachter sowie Verantwortlichen der Wissenschaftsjournale. Es gibt Merkmale („red flags“) an manipulierten Studien und Publikationen, die uns aufhorchen lassen müssen. Rittner et al. haben sie uns in einem gut recherchierten und lesenswerten Artikel aufbereitet:

Sei skeptisch bei unplausibel positiven Effekten von Medikamenten! Es ist eher unwahrscheinlich, dass nach Jahrzehnten intensiver Forschung auf unserem Fachgebiet ein Medikament oder eine Methode sich plötzlich als die „magic bullet“ entpuppt, die ein klinisch erfahrungsgemäß schwierig anzugehendes Problem plötzlich auflöst. Bei Scott Reuben waren dies vor allem unerhört gute Ergebnisse bei der Vermeidung chronischer Schmerzen durch vergleichsweise simple Interventionen: 5 mg Morphin sollen, statt in die Vene direkt an den Ort einer Operation (Knochenspanentnahme) injiziert, die Häufigkeit chronischer Schmerzen an der Entnahmestelle um fast das Zehnfache (!) reduzieren [2]? Ist das plausibel, noch dazu, wenn Metaanalysen, die ja einen kompletten Überblick über vergleichbare Studien geben, die Effektivität von Maßnahmen zur Beeinflussung chronischer Schmerzen eher skeptisch beurteilen? Gerade die Technik der Metaanalyse erlaubt es, systematische Abweichungen der Ergebnisse eines Autors zu detektieren und damit eine kritische Diskussion anzuregen [3].

Natürlich dürfen wir jetzt auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Unerwartete Therapieerfolge in einer Publikation dürfen nicht von vorneherein als potenziell gefälscht betrachtet werden. Aber ein gesundes Maß an Skepsis kann sicher nicht schaden, und Journale sowie deren Gutachter sollten dann durchaus von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Originaldaten anzufordern und diese mit den verfügbaren statistischen Methoden akribisch auf Plausibilität zu testen [4].

Die größte Verantwortung liegt aber zweifelsohne bei den Autoren und den Institutionen, von denen Arbeiten eingereicht werden. Hier möchte ich auf meinen Vergleich mit der Mondlandung vor 40 Jahren zurückkommen. Könnten Hunderte Menschen über eine solch lange Zeit eine derartige Unwahrheit bewahren: Nein! Alle bekannt gewordenen Forschungsfälschungen wurden vor Ort durch Doktoranden, Mitarbeiter oder wie im Fall Scott Reuben durch Abgleich publizierter Studien mit den vorliegenden Forschungsanträgen aufgedeckt.

Im Wissenschaftsbetrieb gibt es also eine ganz natürliche soziale Kontrolle. Aus welchen Motiven auch immer (es gibt neben den vielen problematischen Motiven dafür auch ehrenhafte: ehrliches wissenschaftliches Interesse für die Arbeit des Kollegen!), man beobachtet doch die Arbeit der Kollegenschaft. Im Klinikbetrieb fallen klinische Studien auf, meist weil sie „störend“ den Routinebetrieb bremsen. Wie kann es sein, dass Publikationen erscheinen, in die kein einziger Patient involviert wurde? Welche Rolle haben hier die Koautoren der Arbeiten gespielt? Diese waren nicht alle institutsfremd, müssen doch also irgendeine Form der Unterstützung bei der Datenerhebung, -analyse oder -interpretation geliefert haben. Die Ermittlungen des Baystate Medical Center haben diese Personen allesamt exkulpiert. Die Details des Untersuchungsberichts sind jedoch nicht öffentlich zugänglich, sodass in Bezug auf die Rolle der Koautoren ein schaler Nachgeschmack zurückbleibt.

Aber lesen Sie selbst den spannenden und gut recherchierten Artikel von Rittner et al. Ich wäre gespannt zu erfahren, welche Ideen Sie haben, um Betrugsfälle in unserem Fachgebiet zu vermeiden. Letztlich würden davon alle profitieren: alle Leser, aber auch die große Masse der aufrichtigen Forscher.

L. Eberhart