Nach aktuellen Kalkulationen werden in diesem Jahr in Deutschland ca. 320.000 perkutane Koronarinterventionen (PCI) vorgenommen. Dabei werden zur Vermeidung der Restenose in nahezu 90% der Interventionen Koronarstents – davon geschätzt ca. 240.000 „drug eluting stents“ (DES) und ca. 224.000 „bare metal stents“ (BMS) – implantiert. Diese Patienten stehen bei Vorliegen eines akuten Koronarsyndroms (ACS) und nach Implantation eines DES über mindestens 12 Monate unter einer dualen Thrombozytenaggregationshemmung mit Aspirin und einem Thienopyridin (Clopidogrel und sicherlich zukünftig häufiger auch Prasugrel). Oft wird von dem interventionell tätigen Kardiologen bei komplexen Maßnahmen, bei Patienten mit früheren Stent-Thrombosen und Diabetes mellitus Typ 2 eine individuell über 12 Monate hinausgehende duale Thrombozytenaggregationshemmung empfohlen. Damit nimmt die Wahrscheinlichkeit einer unvorhergesehenen dringenden, aber auch elektiven nichtkardialen Operation dramatisch auf weit über 10.000 Eingriffe bei diesen „Stent-Patienten“ jährlich zu, zumal es sich meist um ältere Patienten mit einer statistisch ohnehin zunehmenden Wahrscheinlichkeit eines operativen Eingriffs bei beispielsweise neu diagnostizierter Malignomerkrankung oder einer akut notwendigen unfallchirurgischen Operation handelt. Früher, als die Problematik und das Risiko einer akuten Stent-Thrombose noch nicht systematisch erfasst und beschrieben wurden, führte ein unvorhergesehener operativer Eingriff, selbst bei Zahnbehandlungen und Koloskopien, häufig zum vorzeitigen spontanen Absetzen der Thrombozytenaggregationshemmung. Dieses vorzeitige Absetzen stellt mit 30% die mit Abstand häufigste Ursache einer akuten Stent-Thrombose dar, die zwangsläufig zum akuten Myokardinfarkt mit einer hohen Letalitätsrate von 30–60% führen kann.

Die ganze Dimension dieser präoperativen Risikoabschätzung zwischen Vermeidung von perioperativen Blutungen und einem durch Absetzen von Thrombozytenaggregationshemmern induzierten erhöhten Risiko einer Stent-Thrombose oder einer akuten Atherothrombose wird durch eine Metaanalyse unterstrichen, wonach das häufig routinemäßig vom Operateur angeordnete Absetzen von Aspirin zu einem dreifach höheren Risiko eines kardialen Ereignisses führt. Die perioperative Weiterführung der Aspirinmedikation hätte lediglich das Blutungsrisiko um 1,5 erhöht [1]. Offenbar gibt es eine Art Rebound-Phänomen nach Absetzen von Aspirin, bei dem es zu einer verstärkten Aktivierung von Thrombozyten kommt. Vor dem Hintergrund der pathophysiologischen Mechanismen in der Ätiologie des perioperativen Myokardinfarkts, bei dem externe Stressoren einschließlich eines Überwiegens von prothrombogenen Faktoren bei gleichzeitig reduzierter Fibrinolyse und reaktiv verstärkter Blutplättchenadhäsivität und -aggregation eine Plaqueruptur bei vaskulären Risikopatienten begünstigen können, wiegt das Absetzen von Aspirin bei gefäßchirurgischen Patienten mit arterieller Verschlusserkrankung und Karotisstenosen um so schwerer. Vielmehr sollte die präoperative Verordnung von Aspirin bei diesen Patienten eine IA-Empfehlung darstellen. Wahrscheinlich kann eine duale Thrombozytenaggregationshemmung bei Karotisdesobliterationen das Auftreten von zerebral embolisierenden Mikrothromben reduzieren.

Aktuelle Daten bei kardiochirurgischen Bypass-Patienten belegen diesen Paradigmenwechsel. So fiel die ischämische Ereignisrate nach Clopidogrelvorbehandlung innerhalb von 30 Tagen postoperativ signifikant geringer ohne wesentliche Erhöhung der Blutungsrate aus [2].

In der perioperativen Praxis wird häufig ein „bridging“ mit niedermolekularen Heparinen nach Absetzen der Thrombozytenaggregationshemmer auch bei Patienten nach koronarer Stent-Implantation in dem Irrglauben über die pathophysiologischen Zusammenhänge vorgenommen, damit die protektive Wirkung von Thrombozytenaggregationshemmern zu ersetzen. Ein solches Bridging kann eine Stent-Thrombose nicht verhindern!

Anlässlich des Europäischen Kardiologenkongresses in Barcelona im September 2009 wurden die neuen „Guidelines for pre-operative cardiac risk assessment and perioperative cardiac management in non-cardiac surgery“ der European Society of Cardiology [5] vorgestellt. In diesen Leitlinien werden Empfehlungen zum prä- und perioperativen Management von Patienten nach Koronarinterventionen mit BMS und DES formuliert. Trotzdem bleibt die konkrete Umsetzung in der individuellen Risikostratifizierung des Patienten nach DES- und/oder BMS-Implantation sowie im Umgang mit der notwendigen Thrombozytenaggregationshemmung offen. Hier enttäuschen die Leitlinien, da sie in der konkreten Diskussion zwischen niedergelassenen Kollegen, den Hausärzten der betroffenen Patienten und dem Operateur sowie dem interventionell tätigen Kardiologen lediglich Rahmenbedingungen vorgeben, aber keine konkreten Vorgaben liefern. Die Dimension der jährlich wachsenden Patientenzahl mit Stent-Implantationen verlangt eine weitaus differenzierte Empfehlung zum perioperativen Management dieser Patienten.

Als Kardiologe, der täglich interventionell behandelte Patienten auch in der speziellen präoperativen Situation betreut, bin ich um die vorliegende Arbeit von Jambor et al. [3] zum perioperativen Management von Patienten mit Koronar-Stents bei nichtherzchirurgischen Eingriffen sehr dankbar. Dieses Management ist immer sehr anspruchsvoll, da wir individuell maßgeschneiderte Konzepte der Thrombozytenaggregationshemmung bzw. Antikoagulation in der Therapie akuter Koronarsyndrome mit unterschiedlichen Substanzen in Abhängigkeit vom Blutungsrisiko, vom individuellen Risikostatus und von den verwendeten Stents diskutieren. Häufig werden „Point-of-care“-Methoden zur Frage der adäquaten Thrombozytenaggregationshemmung eingesetzt. Eine inadäquate Reaktion in dieser Messung korreliert durchaus mit der zukünftigen koronaren Ereignisrate.

Demnächst ist mit der Zulassung des oralen, reversiblen direkten Inhibitors des Adenosindiphosphatrezeptors P2Y12, Ticagrelor, zu rechnen, der sich im direkten Vergleich mit Clopidogrel bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom überlegen erwies und aufgrund seiner Pharmakokinetik insbesondere im perioperativen Einsatz besonders interessant ist [7].

In der im vorliegenden Heft vorgestellten systematischen Übersicht werden alle wesentlichen Aspekte der Thrombozytenaggregationshemmung bei Koronarpatienten konkret in Abhängigkeit vom individuellen perioperativen Blutungsrisiko gegenüber dem Risiko einer Stent-Thrombose diskutiert. Meines Wissens wurden diese unterschiedlichen Silhouetten der vorliegenden aktuellen Thematik bisher nicht in der erwünschten Vollständigkeit präsentiert. Diese Zusammenhänge stellen jedoch häufige Fragestellungen in der Praxis des Haus- und Facharztes, aber erst recht in der Klinik dar. Aufgrund eigener Erfahrungen kann ich nur ein gehöriges Maß an Nichtwissen bezüglich des Managements mit Koronarpatienten mit Stents unter Klinikärzten konstatieren.

Wie umschrieb Medical Tribune diese Problematik im Vorfeld der neuen ESC-Guidelines am 14.05.2009 plakativ: „Bloß nicht ASS vor der Operation absetzen“, „Lieber 300 bis 400 ml Blut verlieren, als einen Myokardinfarkt riskieren“. Mit Ausnahme neurochirurgischer Eingriffe, die nur ohne Thrombozytenaggregationshemmung erfolgen dürfen, gelte dies für sämtliche Operationen.

Dabei stehen wir erst am Anfang einer interessanten Erkenntnisentwicklung im präoperativen Management vaskulärer Risikopatienten. So reduziert die rechtzeitige präoperative Gabe des Statinpräparates Fluvastatin bei arteriellvaskulären Eingriffen die postoperative kardiovaskuläre Komplikationsrate [6]. Ferner sind wir bisher davon ausgegangen, dass Patienten mit einem mittleren koronarvaskulären Risiko nicht unbedingt von einer präoperativen Revaskularisation mithilfe der PCI oder des aortokoronaren Bypasses (ACB) bei vergleichbarer perioperativer Myokardinfarktrate profitieren, wenn sie adäquat mit Statinen, β-Rezeptorenblockern und Thrombozytenaggregationshemmern behandelt werden. In einer aktuellen Arbeit konnte dagegen erstmals gezeigt werden, dass die routinemäßige Koronarangiograpie bei kardialen Risikopatienten mit arterieller Verschlusserkrankung vor elektiver gefäßchirurgischer Operation einem invasiven Vorgehen erst nach vorangegangener nichtinvasiver Ischämiediagnostik im langfristigen postoperativen Verlauf überlegen ist: Nicht nur die präoperative Myokardrevaskularisationsrate, sondern auch das postoperative Überleben war hier in der Gruppe mit routinemäßiger präoperativer Koronarangiographie erhöht [4].

Es bleibt abzuwarten, wie diese neuen Ergebnisse das perioperative Management kardialer Risikopatienten zukünftig verändern werden. Sicher festhalten kann man jedoch zum jetzigen Zeitpunkt, dass ein korrektes „timing“ der Operation und der richtige perioperative Umgang mit Thrombozytenaggregationshemmern bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit, speziell nach Stent-Implantation, von vitaler Bedeutung sind. Ich kann die vorliegende Übersicht in diesem Zusammenhang jedem Kollegen nur empfehlen. Die Lektüre wird hoffentlich dazu beitragen, manch offene Frage zu erhellen und vor allem Fehler im perioperativen Management zu vermeiden.

Matthias Leschke