Joachim S. „JS” Gravenstein (Abb. 1) hat in Bonn Medizin studiert und wurde 1950 promoviert. Er ging 1951 für eine Facharztausbildung in der Anästhesiologie zu Prof. Hügin nach Basel; von dort wechselte er anschließend an das Massachusetts General Hospital in Boston zu Prof. Beecher. Obwohl sein deutsches Medizinstudium nach einer Prüfung für Ausländer anerkannt wurde, studierte er an der Harvard University ein zweites Mal Medizin, weil er seine „Kriegsausbildung“ für nicht so gut hielt wie ein US-Medizinstudium in der damaligen Zeit. Noch bevor er sein Medizinstudium und die Facharztausbildung in Anästhesiologie an der Harvard Medical School gleichzeitig erfolgreich abgeschlossen hatte, wurde er 1958 an die neu gegründete Universitätsklinik für Anästhesiologie an der University of Florida in Gainesville berufen. (Er war wohl der einzige Student in Harvard, der das jemals geschafft hat.) Nachdem er bis 1969 das Department of Anesthesiology in Gainesville geleitet hatte, ging er bis 1979 als Chairman zur Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio, und kehrte dann als Graduate Research Professor of Anesthesiology an die University of Florida zurück. Im Jahr 1988 wurde er wegen seiner großen Verdienste um das Fach Anästhesiologie von der Universität Graz zum Dr. h.c. ernannt. Er war seit 1998 Corresponding Editor von Der Anaesthesist. Prof. Gravenstein hatte acht Kinder, von denen zwei Anästhesisten wurden; sein Sohn Nikolaus folgte ihm sogar auf das Ordinariat an der University of Florida. Im Herbst 2008 konnte er noch das 50-jährige Jubiläum seines Department of Anesthesiology in Gainesville feiern; Joachim Gravenstein starb am 16.01.2009 im Alter von 83 Jahren.

Abb. 1
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Prof. Dr. med. Dr. h.c. Joachim S. Gravenstein, Graduate Research Professor of Anesthesiology, University of Florida, Gainesville

Patientensicherheit stand im Mittelpunkt

Bis kurz vor seinem Tod war Prof. Gravenstein täglich morgens um 7 Uhr in der Klinik, um Studierende und Assistenzärzte am Anästhesiesimulator zu unterrichten, den er selbst mitentwickelt hatte. Joachim Gravenstein hat in mehr als 50 Jahren akademischer Medizin entscheidende Beiträge zur Patientensicherheit in der Medizin geleistet. Während die anästhesiebedingte Mortalitätsrate in den 1950ern noch bei ca. 1:2000 lag, ist sie auch dank seiner Aktivitäten auf ca. 1:200.000 in der heutigen Zeit zurückgegangen. So hat Prof. Gravenstein nicht nur die Anesthesia Patient Safety Foundation mitgegründet, sondern dieses Thema auch über Jahrzehnte in Büchern, Artikeln, Kongressen, Kommissionen und wissenschaftlichen Gesellschaften nachhaltig geprägt. Prof. Gravenstein sah die Untersuchung postoperativer Gedächtnisstörungen als sein wichtigstes Arbeitsgebiet in der Zukunft. Er hat darüber hinaus unzählige Kollegen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an seiner Abteilung in Gainesville und Cleveland aus- oder weitergebildet. Es war für ihn eine Selbstverständlichkeit, seine klinisch-wissenschaftlichen Gäste nicht nur mit in den OP oder das Forschungslabor zu nehmen, sondern auch in Konzerte oder in das Theater.

Joachim Gravenstein hatte immer leuchtende Augen, wenn er junge Menschen in der Anästhesie unterrichtete. Seine Tür war stets offen, wenn sein Rat gesucht wurde; er hat Manuskripte auch dann gewissenhaft bearbeitet, wenn er kein Autor war. Allerdings musste man aufpassen, seine Kommentare nicht zu übersehen – er schrieb seine Anmerkungen mit dünnem Bleistift. Wie er selbst sagte, stammte er aus einer „Schreibmaschinenzeit“, in der man einzelne Seiten „retten“ musste, um nicht ständig ein gesamtes Manuskript mit der Schreibmaschine abtippen zu müssen. Auf die Frage, ob er sich nach all den Jahren in den USA als Amerikaner oder Deutscher fühlte, sagte er: „Ich bin amerikanischer Staatsbürger, aber ich werde meine Heimat niemals vergessen“.