FormalPara Hintergrund

Die akute Radiodermatitis (ARD) ist definiert als eine inflammatorische Hautveränderung, welche innerhalb von 90 Tagen nach Beginn einer Strahlentherapie auftritt. Die möglichen Schweregrade reichen von einem schwachen Erythem über trockene und feuchte Epitheliolysen bis hin zu Ulzerationen und Nekrosen. Sie ist eine der häufigsten Nebenwirkungen der Strahlentherapie und tritt in einem relevanten Maße insbesondere in der Radiotherapie maligner Brust- und Kopf-Hals-Tumoren auf. Eine ARD kann die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten unter Radiotherapie negativ beeinflussen und zu Therapieunterbrechungen, -verzögerungen und -abbrüchen führen.

Doch trotz dieser Bedeutung für die Lebensqualität und Therapieadhärenz der Patientinnen und Patienten ist die Evidenz für prophylaktische und therapeutische Ansätze ausgesprochen spärlich [1]. Ebenso ist die Pathogenese der ARD noch nicht vollständig geklärt. Die Rolle des Hautmikrobioms in der Entstehung der ARD ist dabei Gegenstand aktueller Untersuchungen [2,3,4,5]. Eine Dysbiose der Hautflora, zwischen kommensalen und fakultativ pathogenen Hautkeimen, scheint eine wesentliche Rolle zu spielen [3, 4]. Hypothesen gehen davon aus, dass eine bakterielle Kolonisation mit Staphylococcus aureus (SA) durch eine Aktivierung von T‑Zellen mit darauffolgender Zytokinausschüttung eine inflammatorische Reaktion exazerbieren kann [6]. Eine im vergangenen Jahr von Kost et al. publizierte prospektive Kohortenstudie konnte die Hypothese einer pathogenetisch relevanten Rolle von SA bei der Entstehung einer ARD untermauern [7]. In einer randomisierten Folgestudie konnte durch eine entsprechende antibakterielle Prophylaxe und Therapie die Häufigkeit von schweren radiogenen Hautreaktionen signifikant gesenkt werden [8].

FormalPara Prospektive Kohortenstudie

Die erste Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen einer SA-Kolonisation und dem Schweregrad einer ARD. Sie wurde als prospektive, monozentrische Kohortenstudie in einem städtischen akademischen Krebszentrum in den USA, dem Albert Einstein College of Medicine, durchgeführt. Eingeschlossen wurden erwachsene Patientinnen und Patienten, die aufgrund eines Mammakarzinoms oder eines Kopf-Hals-Karzinoms eine Radiotherapie in kurativer Intention erhielten. Abstriche für Bakterienkulturen wurden von drei verschiedenen Körperstellen (nasal, von der Haut im Bestrahlungsgebiet sowie von der nichtbestrahlten kontralateralen Haut) vor Beginn der Strahlentherapie (Baseline) und in der letzten Woche der Radiotherapie entnommen. Der Grad der ARD (klassifiziert nach den Common Terminology Criteria for Adverse Events (CTCAE)) wurde wöchentlich durch die behandelnden Strahlentherapeuten festgestellt, welche keine Kenntnis über den Status der Kolonisation der Patientinnen und Patienten hatten. Primärer Endpunkt war das Auftreten einer ARD Grad ≥ 2 während der Strahlentherapie. 76 Patientinnen und Patienten wurden eingeschlossen, davon 56 (74%) weiblich. 41 erhielten eine Radiotherapie bei Brustkrebs (53,9 %) und 35 bei Kopf-Hals-Karzinomen (46,1 %). Die durchschnittliche Gesamtstrahlendosis betrug 58,5 Gy, welche in durchschnittlich 28 Fraktionen appliziert wurden. Insgesamt hatten 16 Patienten (21,1 %) ein positives Ergebnis für SA im Baseline-Nasenabstrich. Alle 76 Patientinnen und Patienten entwickelten eine ARD, 47 CTCAE-Grad 1, 22 Grad 2 und sieben Grad 3. Die nasale SA-Kolonisations-Rate bei der Baseline-Untersuchung war statistisch signifikant höher bei Patienten mit einer ARD Grad ≥ 2 (10/29, 34,5 %) im Vergleich zu Patienten mit einer ARD CTCAE-Grad 1 (6/47, 12,8 %; p = 0,02). Zum Ende der Radiotherapie war die SA-Kolonisations-Rate bei Patientinnen und Patienten, die eine ARD Grad ≥ 2 oder höher aufwiesen, an allen getesteten Stellen signifikant höher im Vergleich zu Patienten, die nur eine ARD Grad 1 entwickelten. In den Bakterienkulturen der entnommenen Abstriche wurden auch Nicht-Staphylococcus-aureus-Bakterien identifiziert. Allerdings bestand bei diesen Kulturen kein Unterschied in den Baseline- und Post-Radiotherapie-Raten zwischen den beiden Gruppen.

FormalPara Randomisierte klinische Studie

In der nachfolgenden randomisierten Phase-II/III-Studie wurde die Wirksamkeit einer bakteriellen Dekolonisation (BD) im Vergleich zum „standard of care“ auf die Reduktion des Schweregrads einer ARD bei Patientinnen und Patienten mit Mamma- und Kopf-Hals-Karzinomen getestet. Die BD erfolgte mit einer Anwendung von Mupirocin-Nasensalbe (2-mal täglich) und Chlorhexidin-Körperwaschlotion (1-mal täglich). Die Anwendung wurde jeweils an 5 aufeinanderfolgenden Tagen vor Beginn der Radiotherapie durchgeführt und für 5 Tage alle 2 Wochen während der Radiotherapie wiederholt. Der „standard of care“ sah eine „normale“ Körperhygiene und Feuchtigkeitspflege vor. Unter verblindeten Bedingungen erfolgte das Assessment der ARD sowohl zu Beginn der Radiotherapie als auch am letzten Bestrahlungstag mithilfe von standardisierten Fotografien der bestrahlten Haut entsprechend der CTCAE Version 4.03. In Fällen, in denen Patienten eine Fotografie verweigerten, wurde die Dokumentation der behandelnden Strahlentherapeuten in der elektronischen Akte herangezogen. Die Patienten unternahmen am ersten und am letzten Radiotherapietag eine Selbstbeurteilung ihrer Lebensqualität mithilfe des Skindex-16-Scores, eines validierten QoL-Messinstruments für Patienten mit Hauterkrankungen. Bakterienkulturen wurden zu Beginn, in der Mitte und am Ende der Radiotherapiebehandlung anhand von Nasenabstrichen gewonnen.

Die monozentrische Studie schloss erwachsene Patientinnen und Patienten ein, die eine kurativ intendierte Strahlentherapie mit mindestens 15 geplanten Fraktionen erhielten. Primärer Endpunkt war die Entwicklung einer ARD mindestens von Grad 2. Die Untersucher bemerkten jedoch eine große Variation in der klinischen Präsentation der ARD Grad 2, sodass dieser Endpunkt im Studienverlauf geändert wurde in eine ARD Grad ≥ 2 mit feuchten Epitheliolysen. Die subjektiv empfundene Lebensqualität anhand des Skindex-16-Scores wurde als sekundärer Endpunkt definiert. Die Randomisierung erfolgte 1:1, stratifiziert nach den beiden anvisierten Entitäten Mammakarzinom und Kopf-Hals-Karzinom. Da sich jedoch die Rekrutierung von Patienten mit Kopf-Hals-Karzinomen als schwierig herausstellte, wurde schließlich auf die Rekrutierung einer gleich großen Anzahl an Kopf-Hals- und Mammakarzinom-Patientinnen und -Patienten verzichtet.

Von 77 eingeschlossenen Patientinnen und Patienten (39 in der Interventionsgruppe, 38 in der Vergleichsgruppe) war die überwiegende Mehrheit weiblich und erhielt eine Radiotherapie bei Mammakarzinom (je n = 75, 97,4 %). Die mediane Gesamtdosis betrug 52,4 Gy, in einem Median von 20 Fraktionen. Fünf Patienten erhielten eine simultane Chemotherapie, und 41 hatten eine Chemotherapie vor Beginn der Radiotherapie erhalten. 10 Studienteilnehmer (13 %) zeigten einen SA-Nachweis im Baseline-Nasenabstrich. Keiner der Patientinnen und Patienten in der Interventionsgruppe entwickelte eine ARD Grad 2 mit feuchten Epitheliolysen oder höher. Dagegen entwickelten 9 der 38 Patienten (23,7 %) in der Vergleichsgruppe eine entsprechende Hauttoxizität (p = 0,001). Die Analyse wurde ebenfalls mit dem vor Studienbeginn festgelegten Endpunkt, der Entwicklung einer ARD CTCAE-Grad 2, ohne die erst im Verlauf erfolgte Spezifizierung „mit feuchten Epitheliolysen“, durchgeführt. Hier zeigte sich zumindest ein Trend zugunsten der Intervention, wenn auch nicht signifikant: 14 Patienten der Interventionsgruppe (35,9 %) entwickelten eine ARD CTCAE-Grad 2 versus 20 Patienten (52,6 %) der Vergleichsgruppe (p = 0,14). Der durchschnittlich erhobene Grad der ARD lag signifikant niedriger unter BD im Vergleich zum Therapiestandard. Ein höheres Lebensalter hingegen war signifikant mit einem geringeren Grad der akuten Radiodermatitis assoziiert. In der Interventionsgruppe nahm die SA-Kolonisations-Rate von 10,8 % zu Beginn der Radiotherapie auf 5,4 % nach Beendigung ab, während sie in der Vergleichsgruppe von 16,2 % zu Anfang auf 24,3 % nach Ende der Radiotherapie anstieg. Der Unterschied in der Kolonisationsrate zwischen beiden Gruppen war signifikant nach Ende der Strahlentherapie (p = 0,02), nicht aber zu Beginn dieser (p = 0,5). Von den 39 Teilnehmern der Interventionsgruppe gaben 27 (69,2 %) eine Therapieadhärenz bezogen auf das Dekolonisationsregime an. Eine Person wurde aufgrund einer Nebenwirkung (Juckreiz) ausgeschlossen. Die selbst wahrgenommene Lebensqualität betreffend zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen.

FormalPara Schlussfolgerungen der Autoren

Eine nasale Kolonisation mit SA kann als unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung einer ARD ausgemacht werden und spielt mutmaßlich eine wichtige Rolle in deren Pathogenese. Die Autoren stellen die Hypothese auf, dass bei vorbestehender nasaler SA-Besiedlung eine durch die Radiotherapie geschädigte Hautbarriere die Proliferation der Bakterien in der Haut begünstigt und so die inflammatorische Reaktion verstärkt wird. Eine SA-Dekolonisations-Therapie konnte in einer randomisierten Folgestudie die Rate schwerer Hautreaktionen während der Radiotherapie des Mammakarzinoms effektiv senken und die Entstehung von feuchten Epitheliolysen verhindern.

Kommentar

Die hier vorgestellten hochrangig publizierten Studien zur Rolle der bakteriellen Kolonisation mit SA in der Pathogenese der ARD liefern nicht nur signifikante und interessante Ergebnisse, sondern möglicherweise auch einen neuen Ansatz zur Prophylaxe der höhergradigen ARD.

Die SA-Kolonisation spielt eine proinflammatorische und pathogenetisch relevante Rolle bei verschiedenen inflammatorischen Dermatosen (beispielsweise bei der atopischen Dermatitis [6, 9]). Ferner haben sich SA-Dekolonisations-Maßnahmen als effektiv zur Verhinderung von Komplikationen in diversen klinischen Kontexten erwiesen, wie etwa bei orthopädischen Eingriffen oder auf Intensivstationen [10, 11].

Die Evidenz für Therapie und Prophylaxe der ARD ist ausgesprochen niedrig. Denn obwohl es eine Vielzahl an klinischen Studien gibt, die sich entsprechenden Fragen widmen, beispielsweise zu Interventionen mit Photobiomodulation, Mepitel-Film oder topischen Glukokortikoiden, können aus methodischen Gründen oder aufgrund von widersprüchlichen Ergebnissen keine klaren Empfehlungen zu therapeutischen oder prophylaktischen Maßnahmen bei der ARD getroffen werden. Zu diesem Schluss kommt ein im vergangenen Jahr publiziertes systemisches Review der verfügbaren Literatur [1]. Auch die deutsche S3-Leitlinie zur supportiven Therapie bei onkologischen Patienten aus dem Jahre 2020 erzielt eine ähnliche Einschätzung [12]. Diese uneinheitliche oder mangelhafte Evidenzlage führt schließlich zu einer großen Variabilität in der klinischen Praxis [13] und unterstreicht die Notwendigkeit verstärkter Forschungsbemühungen auf dem Gebiet der ARD. Insbesondere sind mehr qualitativ hochwertige klinische Studien zu vielversprechenden therapeutischen und prophylaktischen Ansätzen notwendig, um einheitliche Empfehlungen mit starker Evidenz zur Therapie und Prophylaxe der ARD formulieren zu können.

Sowohl die Beobachtungsstudie als auch die anschließende randomisierte Interventionsstudie haben zwar relevante Limitationen [14], nicht zuletzt wegen der kleinen Kohortengrößen, jedoch liefern sie erstmalig prospektive klinische Daten, welche die pathogenetische Rolle des SA in der Entstehung der ARD unterstreichen. Dennoch erklären sie die Pathogenese sowie interindividuell unterschiedliche Verläufe der ARD nur unzureichend. Denn hierfür reicht die Betrachtung von SA allein wohl nicht aus und wird der Komplexität der zugrunde liegende Pathomechanismen nicht gerecht. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass das Hautmikrobiom, also die Zusammensetzung der Hautflora und die Homöostase zwischen kommensalen und pathogenen Hautkeimen, in der Entstehung einer höhergradigen ARD wesentlich zu sein scheint [2,3,4]. Die Komposition des Hautmikrobioms sowie das komplexe Zusammenspiel der einzelnen Mikroorganismen und ihr Einfluss auf metabolische und immunologische Prozesse im Kontext onkologischer Therapien sind längst noch nicht ausreichend verstanden [5]. Die pathogenetisch relevante Rolle des SA i. S. einer Dysbiose der Hautflora hin zu opportunistischen, fakultativ pathogenen Keimen ist sicherlich ein wesentliches Element, jedoch erklärt die nasale SA-Besiedlung allein nicht die interindividuellen Unterschiede in Entstehung und Verlauf einer ARD. Hierfür muss das komplexe Zusammenspiel des gesamten Hautmikrobioms betrachtet und die interindividuell unterschiedliche Komposition und Dynamik der Hautflora während einer Strahlentherapie gewürdigt werden. Eine dysbiotische Hautflora hat hierbei eventuell sogar einen prädiktiven Wert für schwere Verläufe und könnte dabei ein Schlüssel hin zu personalisierten Interventionen zur Prophylaxe der ARD sein [2, 4]. Die Rolle des SA sollte daher in der Gesamtheit des Hautmikrobioms gesehen und weiterführend untersucht werden.

Fazit

Die hier vorgestellten Studien könnten die Basis für einen neuen prophylaktischen Ansatz bei der Linderung der ARD bilden. Die Ergebnisse ergänzen dabei aktuelle Studien zum Hautmikrobiom, bei denen eine Dysbiose der Hautflora mit schweren Verläufen der ARD assoziiert war. Die Rolle des SA als opportunistischer, fakultativ pathogener Hautkeim, der bei dysbiotischer Hautflora und unter Radiotherapie schwere Verläufe einer ARD begünstigen und gleichzeitig als Ansatzpunkt prophylaktischer Interventionen dienen kann, ist eine spannende Erkenntnis, die es verdient hat, zukünftig in größeren, ggf. multizentrischen Studien und bei verschiedenen Tumorentitäten weitergehend untersucht zu werden.

Nwabata Oji, Köln