Zusammenfassung
Operationsziel
Verringerung einer erhöhten Reklination des Tibiaplateaus („posterior slope“) zur Verbesserung der anterioren Stabilität des Kniegelenks.
Indikationen
Erhöhte posteriore Reklination des Tibiaplateaus von mehr als 12° in Kombination mit einer Rezidivinstabilität nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands (VKB).
Kontraindikationen
Hyperextension von mehr als 15 (relativ)°.
Operationstechnik
Anteriore Hautinzision von ca. 8–10 cm über der Tuberositas tibiae. Einbringen von zwei konvergierenden Führungsdrähten direkt unterhalb der Patellarsehne schräg aufsteigend im Bereich der HKB-Insertion endend. Kontrolle der Drahtlage mit dem Bildverstärker. Osteotomie mit oszillierender Säge. Entnahme des Keils und Verschluss der Osteotomie. Osteosynthese mit interfragmentärer Zugschraube und medialer winkelstabiler Platte.
Weiterbehandlung
Zwei Wochen Teilbelastung mit 10–20 kg, danach schrittweise Belastungssteigerung. Beweglichkeit: frei.
Ergebnisse
Bisher haben wir diese Operation in der beschriebenen Weise bei 36 Patienten mit einer Rezidivinstabilität nach VKB-Rekonstruktion durchgeführt (20 Männer, 16 Frauen, durchschnittliches Alter: 34,4 Jahre). In 25 Fällen wurde zeitgleich eine Auffüllung bestehender Knochentunnel durchgeführt. Die posteriore Reklination des Tibiaplateaus konnte von durchschnittlich 14,5° auf 8,8° reduziert werden. In 28 Fällen erfolgte nach einem Intervall von 4 bis 12 Monaten eine erneute VKB-Plastik. Der Lysholm-Score erhöhte sich signifikant von 76,3 Punkten auf 89,2 Punkte.
Abstract
Objective
Reduction of increased reclination of the tibial plateau (posterior slope) to improve the anterior stability of the knee joint.
Indications
Increased posterior reclination of the tibial plateau greater than 12° in combination with recurrent instability after anterior cruciate ligament (ACL) reconstruction.
Contraindications
Hyperextension of more than 15° (relative).
Surgical technique
Anterior skin incision approximately 8–10 cm above the tibial tuberosity. Insertion of two converging guidewires directly below the patellar tendon ending obliquely in the area of the posterior cruciate ligament (PCL) insertion. Control of the wire position with the image intensifier core. Oscillating saw osteotomy. Removal of the wedge and closure of the osteotomy. Osteosynthesis with interfragmentary screw and medial angle-stable plate.
Postoperative management
Partial load with 10–20 kg for 2 weeks, then step by step increase in load. Mobility: free.
Results
To date we have operated on 36 patients with recurrent instability after ACL reconstruction (20 men, 16 women, average age 34.4 years) in the manner described in this article. In 25 cases, enlarged bone tunnels were filled with allogeneic bone at the same time. The posterior slope of the tibial plateau could be reduced from an average of 14.5° to 8.8°. In 28 cases another ACL reconstruction was performed after an interval of 4–12 months. The Lysholm score significantly increased from 76.3 points to 89.2 points.
Vorbemerkungen
Der Einfluss der sagittalen Neigung oder posterioren Reklination des Tibiaplateaus auf die Stabilität des Kniegelenks hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen [1, 2, 4,5,6,7,8,9, 15, 16]. Biomechanische Studien konnten zeigen, dass eine Erhöhung des posterioren Slopes unter Last zu einer vermehrten anterioren Translation der Tibia und somit auch zu einer erhöhten Belastung des vorderen Kreuzbands führt [1, 11]. Klinische Studien haben diese Ergebnisse verifiziert [2, 5,6,7, 15, 16]. Danach besteht bei einer posterioren Reklination des Tibiaplateaus von mehr als 12° ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Rezidivinstabilität nach einer VKB-Rekonstruktion [17]. Daher gelten beide Parameter in Kombination (Rezidivinstabilität und „posterior slope“ > 12°) als Indikationskriterien, um die Reklination des Tibiaplateaus vor einer erneuten VKB-Plastik zu korrigieren [2, 7, 8].
Eine operative Technik, um dieses Ziel zu erreichen, ist die supra- oder intratuberositäre, anterior schließende Osteotomie [2, 5,6,7, 12]. Nachteil dieser Technik ist jedoch, dass dabei die Tuberositas tibiae abgelöst werden muss. [2, 5,6,7, 12]. Die Ablösung der Tuberositas tibiae ist bei Osteotomien zur „Slope-Erhöhung“ oft notwendig, da bei hohen Korrekturen ein schmerzhafter Knochensporn durch die Rotation der Tuberositas tibiae entstehen kann. Bei der Reduktion der Tibiareklination besteht dieses Risiko nicht. Daher stellt hier die subtuberositäre, anterior schließende Osteotomie eine gute Alternative zur Korrektur der erhöhten Tibiareklination dar, ohne dabei die Tuberositas tibiae abzulösen [9].
Ziel dieses Beitrags ist es, die operative Technik der subtuberositären, anterior schließenden Osteotomie der proximalen Tibiae vorzustellen.
Operationsprinzip und -ziel
Ziel der anterior schließenden Osteotomie an der proximalen Tibia ist es, die erhöhte posteriore Reklination des Tibiaplateaus zu korrigieren.
Nachteile
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Erfahrung in der Durchführung kniegelenknaher Osteotomien notwendig
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Kosten für Implantate
Indikationen
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Rezidivinstabilität nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands mit tibialer Reklination von > 12° [5]
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Primäre vordere Instabilität bei stark erhöhter posteriorer Reklination des Tibiaplateaus von > 15°, deutlich erhöhter anteriorer tibialer Translation (> 10 mm) und weiteren Risikofaktoren (ausgedehnte posteriore Meniskusschäden, VKB-Ruptur oder Rezidivinstabilität der Gegenseite etc.; [15])
Kontraindikationen
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Offene Wachstumsfugen
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Hyperextension > 15°
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Hintere Kniegelenkinstabilität,
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Relativ:
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„Body-Mass-Index“ (BMI) > 35
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Unfähigkeit, das Rehabilitationsprogramm einzuhalten
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Mangelnde Compliance
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Patientenaufklärung
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Allgemeine Operationsrisiken
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Hinge-Fraktur
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Verzögerte Osteotomieheilung
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Gabe von Tranexamsäure
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Verletzungen des Innenbands
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Verletzungen des N. peroneus
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Zusätzliche Arthroskopie bei intraartikulären Erkrankungen oder Verletzungen
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Simultane Auffüllung der Knochentunnel mit autologem oder allogenem Knochen bei Tunnelweitung oder Fehllage
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Verwendung von Fremdmaterial (Osteosyntheseplatte und Schrauben) mit ggf. notwendiger Implantatentfernung
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Stationärer Aufenthalt 2–4 Tage
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Teilbelastung für 2 Wochen notwendig
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Arbeitsunfähigkeit ca. 6 Wochen (bei Schreibtischarbeit wahrscheinlich ggf. früher, bei schwerer körperlicher Arbeit ggf. auch länger)
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Zweizeitige erneute Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands
Operationsvorbereitung
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Röntgenaufnahmen des Kniegelenks unter Belastung (a.-p. in 0° und 45° Beugung und seitlich) zur Bestimmung des Arthrosegrads
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Lange Aufnahme der seitlichen Tibia zur Bestimmung der posterioren Reklination des Tibiaplateaus nach Angaben von Dejour und Bonnin [4] und Hees et al. [10]
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Ganzbeinaufnahme zur Bestimmung der Varus- oder Valgusdeformität
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Klinische Untersuchung mit Lachman-Test, Pivot-shift-Test, hinterer Schublade und Varus- und Valgus-Stresstest
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MRT zum Nachweis zum Nachweis von Binnenschäden
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Operationsplanung am seitlichen Röntgenbild der Tibia und ggf. auch an der Ganzbeinaufnahme, wenn zusätzlich zur sagittalen Korrektur ebenfalls eine koronare Korrektur notwendig ist
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Perioperative Antibiotikaprophylaxe mit Cephalosporin (Cave: bei Allergie auf Alternativpräparat ausweichen)
Anästhesie und Lagerung
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Vollnarkose oder Spinalanästhesie
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Rückenlage
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Elektrischer Beinhalter hilfreich (nicht zwingend erforderlich)
Postoperative Behandlung
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Unmittelbar nach der Operation Beginn mit Quadrizepsübungen (Streckabhebung) und passiven Bewegungsübungen (optional passive Bewegungsschiene)
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Entfernung der Redon-Drainagen am ersten postoperativen Tag
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Am ersten postoperativen Tag Beginn der Mobilisation unter Teilbelastung (10 kg) des operierten Beins für 2 bis 3 Wochen, danach schrittweise Belastungssteigerung
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Beweglichkeit frei
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Entfernung der Fäden am 10.–12. postoperativen Tag
Fehler, Gefahren, Komplikationen
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Verletzung der Gefäße im Bereich der Fossa poplitea: Füllen der Blutsperre, Komplettierung der Osteotomie und Osteosynthese, CT-Angiographie oder konventionell Angiographie und evtl. gefäßchirurgische Intervention
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Über- oder Unterkorrektur: je nach Symptomen Rekorrektur
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Brechen des Scharniers („Hinge-Fraktur“): Teilbelastung für 6 Wochen, ggf. Reosteosynthese
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Bakterielle Infektion: Spülung, ggf. Reosteosynthese, antibiotische Behandlung
Ergebnisse
In der in dieser Arbeit beschriebenen Operationstechnik wurden in unserer Klinik zwischen 2016 und 2021 36 Patienten (16 weiblich, 20 männlich) mit einer erhöhten Reklination des Tibiaplateaus und einer Rezidivinstabilität nach Ersatz des vorderen Kreuzbands behandelt. Das mittlere Alter lag bei 34,4 Jahren. In 25 Fällen erfolgte zeitgleich eine Füllung der erweiterten Knochentunnel mit allogenen Knochenchips. In 2 Fällen erfolgte simultan eine erneute Kreuzbandplastik. In 28 Fällen erfolgte nach einem Intervall von 4 bis 12 Monaten eine sekundäre Kreuzbandplastik.
Die mittlere präoperative Tibiareklination betrug präoperativ 14,5° und postoperativ 8,8°.
Nach einem Nachverfolgungszeitraum von 2 Jahren stieg der Lysholm-Score von durchschnittlich 76,3 Punkten auf 89,2 Punkte. Eine erneute Rezidivinstabilität ist bisher nicht aufgetreten.
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Petersen, W., Al Mustafa, H., Häner, M. et al. Subtuberositäre anterior schließende Osteotomie zur Korrektur der erhöhten posterioren Reklination des Tibiaplateaus. Oper Orthop Traumatol 36, 117–124 (2024). https://doi.org/10.1007/s00064-024-00845-x
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00064-024-00845-x
Schlüsselwörter
- Vorderes Kreuzband
- Rezidivinstabilität
- „Posterior slope“
- Kreuzbandrekonstruktion
- Vordere tibiale Translation