Vorbemerkungen

Die Behandlung des kongenitalen Klumpfußes erfolgt üblicherweise im Säuglingsalter nach der Ponseti-Methode [2]. Das Ziel der Ponseti-Redression ist eine subtalare Derotation durch Abduktion des Vorfußes nach Anhebung des ersten Strahls zur Korrektur des Hohlfußes. Neben der Gipsredression gehört zum Ponseti-Schema als weichteiliger Eingriff die perkutane Achillotenotomie ab einer Vorfußabduktion von 70° zur Korrektur der Spitzfußkomponente [8]. Die Rezidivrate nach Behandlung mit dem Ponseti-Schema wird in der Literatur recht heterogen angegeben und schwankt zwischen 20 und 41 % [1, 6].

Als erstes Anzeichen eines Klumpfußrezidivs zeigen sich in der klinischen Untersuchung häufig die Achillessehnenverkürzung sowie der Rückfußvarus. In der Schwungphase kommt es zu einer vermehrten Supinations- und Adduktionshaltung des Fußes [11]. Unterschieden werden das frühe Rezidiv innerhalb der ersten 2 Lebensjahre, welches in der Regel mit einer erneuten Ponseti-Gipsredression und ggf. erneuter perkutaner Achillotenotomie behandelt werden kann, und das späte Rezidiv ab dem 3. Lebensjahr.

Zur Behandlung der späten Rezidivkomponente beschrieben erstmalig Garceau und später auch Ponseti als Teil des Ponseti-Behandlungsschemas den Tibialis-anterior-Sehnentransfer (TAST) [4, 13]. Hierbei erfolgt das Lösen der Tibialis-anterior-Sehne im Bereich der Basis des Os metatarsale 1 und wird auf das Os cuneiforme mediale oder laterale transferiert. Alternativ veröffentlichten Hoeffer et al. erstmals 1974 den Teiltransfer der Tibialis-anterior-Sehne bei Kindern mit Zerebralparese [9]. In der Arbeit von Ponseti und Smoley erfolgt die Transposition ohne Lösen der Sehne aus dem Retinaculum extensorum mit 2 Inzisionen im Bereich des Fußrückens [13]. Andere Autoren beschreiben eine dritte Inzision auf Höhe oder proximal des Retinaculum extensorum mit Herauslösen der Sehne aus dem Begleitgewebe und Neupositionierung [11]. Die Fixation erfolgt laut Ponseti in der Regel transossär mit anschließender Ruhigstellung im Unterschenkelgips [13].

Bis dato werden in der Literatur mehrere operative Modifikationen des TAST beschrieben. Unterschiede zeigen sich bezüglich der Neupositionierung der Sehne (Belassen im Retinaculum extensorum vs. Neupositionierung) sowie in der Fixationstechnik der Sehne (Fadenanker [16], Kirschner-Draht-Fixierung [18] oder Interferenzschrauben [17]). Die postoperative Behandlung erfordert eine 6‑wöchige Ruhigstellung im Unterschenkelgips mit Teil- bzw. Entlastung an Unterarmgehstützen [13, 18]. Bis dato zeigt sich keine klare Überlegenheit eines operativen Verfahrens [12]. In der Kadaverstudie von Knutsen et al. führt der totale Sehnentransfer mit 3 Inzisionen zu einer verbesserten Korrektur der Fehlstellung im Vergleich zum partiellen Sehnentransfer und dem totalen Sehnentransfer mit 2 Inzisionen [10].

Die Verfahren, die die Sehne nach proximal aus dem Retinaculum extensorum herauslösen, nutzen zur Neupositionierung eine Kornzange, welche unterhalb des Retinaculums hindurchgeschoben wird [3]. Bei sehr jungen Patienten ist diese Methode oft erschwert aufgrund der anatomischen Enge. Hierdurch kann es zu Verletzungen der umgebenden Strukturen kommen.

In der vorliegenden Publikation beschreiben wir erstmals den TAST mittels Tunnelierer als atraumatische Operationstechnik ohne Verletzung des Retinaculums. Im Vergleich zur aktuellen Literatur favorisieren wir eine vereinfachte postoperative Nachbehandlung mit schmerzadaptierter Vollbelastung für 6 Wochen im Unterschenkelgehgips, die gerade beim jungen Patientenkollektiv zu einer einfacheren Umsetzung und guten Compliance führt [5].

Operationsprinzip und -ziel

Identifikation der M.-tibialis-anterior-Sehne über einen Schnitt proximal des Retinaculum extensorum im Übergang des mittleren zum distalen Drittel der Tibiavorderkante, anschließend Lösen des Sehnenansatzes möglichst knochennah im Bereich der Basis des Os metatarsale I. Führen der Sehne nach proximal aus dem Retinaculum extensorum, anschließendes Shutteln der Sehne unterhalb des Retinaculum mithilfe des „Tunnelators“ und transossäre Fixierung am Os cuneiforme laterale.

Vorteile

  • Atraumatisches Vorgehen durch Shutteln der Sehne mittels „Tunnelator“

  • Keine präformierten Höhlen

  • Geringeres Risiko der Einblutung z. B. bei Hämophilie

  • Postoperative schmerzadaptierte Vollbelastung im Gehgips

  • Verbesserte Dorsalextension bei komplettem Tibialis-anterior-Transfer [10]

  • Verbesserte Neutralstellung

  • Keine Fixierung plantar mit möglicher Affektion des N. plantaris

Nachteile

  • Mögliche Überkorrektur bei Verlagerung des Sehnenansatzes zu weit lateral

  • Mögliche Unterkorrektur bei Verlagerung des Sehnenansatzes zu weit medial

Indikationen

  • Passive korrigierbare Klumpfußrezidive bei muskulärer Dysbalance (überbalancierter Tonus des M. tibialis anterior)

Kontraindikationen

  • Strukturell bedingte Bewegungseinschränkungen des Fußes

  • Muskuläre Insuffizienz des M. tibialis anterior

  • Lokale Hautläsionen im Operationsgebiet

  • Lokale Infektionen im Operationsgebiet

  • Allgemeine Kontraindikation, wie z. B.: systemische Infektionen, eingeschränkte Narkosefähigkeit

Patientenaufklärung

  • Allgemeine Operationsrisiken (Infektion, Thrombose, Embolie, Gefäß- oder Nervenschäden, Nachblutung, Wundheilungsstörungen u. a.)

  • Unzureichende Korrektur mit konsekutiver muskulärer Dysbalance (Überkorrektur/Unterkorrektur)

  • Ausriss an der Re-Insertionsstelle nach erfolgtem Sehnentransfers

  • Erneutes Klumpfußrezidiv

  • Druckulzera/Nervendruckschädigung durch Gips

  • Nervenschäden mit konsekutiver Dysästhesie, Kraftminderung

  • Postoperative schmerzadaptierte Vollbelastung im Gehgips für 6 Wochen

  • Unterschenkelgips für 6 Wochen postoperativ

  • Stationärer Aufenthalt von ca. 2 Tagen postoperativ

Operationsvorbereitungen

Instrumentarium

  • „Tunnelator“ (z. B. Peritoneal-Tunnelierer, Fa. Integra®, Saint Priest, Frankreich)

  • 2er-Vicryl zur Armierung der Sehne

  • Ledige Knochennadel zur ossären Transfixation

  • Pfriem

  • Zubehör zur Weißgipsanlage (Gewebeschlauch, Watte, Krepppapier, Weißgipsrollen, handwarmes Wasser)

  • Bildverstärker mit Dosisreduktionseinstellung (mit Kupferfilter)

Anästhesie und Lagerung

  • Intubationsnarkose. Hilfreich ist eine Muskelrelaxation

  • Durchleuchtbarer Operationstisch (z. B. Carbontisch)

  • Rückenlagerung des Patienten

  • Bewegliches Abdecken des zu operierenden Beines

  • Keine Blutsperre, dadurch Vermeidung vielfacher assoziierter Risiken [15].

Operationstechnik

Abb. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 8.

Abb. 1
figure 1

Der erste (proximale) Hautschnitt von ca. 3 cm Länge erfolgt proximal des Retinaculum extensorum, lateral der Tibiavorderkante im Übergang vom mittleren zum distalen Drittel zum Auffinden der Sehne des M. tibialis anterior. Es folgen die stumpfe Präparation auf die Faszie des M. tibialis anterior, Fasziensplit und folgend Identifizierung der Sehne. Zweiter Hautschnitt von ca. 2 cm Länge auf Höhe Os cuneiforme mediale und der Basis des Os metatarsale I im Verlauf der Sehne des M. tibialis anterior. Durch Zug an der proximal freigelegten Sehne lässt sich der distale Ansatz leicht identifizieren. Folgend Darstellung des Sehnenansatzes. Unterfahren des kompletten Sehnenansatzes mittels Overhold

Abb. 2
figure 2

Armierung des Sehnenansatzes mittels 2er-Vicryl-Faden in Whip-Stitch-Technik. Anschließend knochennahes scharfes Ablösen des Sehnenansatzes (cave: es ist essenziell, die komplette Sehne abzulösen, sowohl den anterioren als auch posterioren Anteil). Die Sehne wird unterhalb des Retinaculums nach proximal herausgezogen. Zum Schutz der Sehne wird eine feuchte Kompresse um diese gelegt, um Hautkontakt mit der Sehne zu vermeiden (s. auch Abb. 3)

Abb. 3
figure 3

Dritte Inzision von ca. 2 cm Länge auf Höhe des Os cuneiforme laterale. Als Landmarke (zur Vermeidung des intraoperativen Röntgens) hilft hier eine gedachte Linie in Verlängerung des 2. und 3. Interdigitalraumes bei Neutralstellung im unteren Sprunggelenk. Folgend Präparation auf das Os cuneiforme laterale

Abb. 4
figure 4

Der „Tunnelator“ wird von distal über den dritten Hautschnitt nach proximal unterhalb des Retinaculums vorgeschoben (cave: Fehllage des Tunnelators oberflächlich des Retinaculum extensorum vermeiden). Beispielsweise wird hier der Peritoneal-Tunnelierer, Fa. Integra®, Saint Priest, Frankreich verwendet. Anschließend Einfädeln beider Enden der Armierungsnaht der M.-tibialis-anterior-Sehne in den Tunnelator und vorsichtiger Zug des Tunnelators nach distal zum Shutteln der Tibialis-anterior-Sehne an die Stelle der geplanten Neupositionierung

Abb. 5
figure 5

Mithilfe eines Pfriems wird eine zentrale Vertiefung, je nach Knochengröße ca. 3–5 mm tief, im Os cuneiforme laterale zur transossären Fixierung der Sehne angelegt, um eine knöcherne Einheilung des Sehnenansatzes zu ermöglichen. Die Autoren empfehlen, keinen Bohrer zu verwenden, um bei den empfindlichen kindlichen Knochen auch leichte Hitzeentwicklung auszuschließen

Abb. 6
figure 6

Mithilfe einer ledigen Knochennadel erfolgt die transossäre Fixierung der Sehne. Einstechen in das präformierte Loch im Os cuneiforme laterale und anschließend seitliches perkutanes Ausstechen aus dem Knochen. Kein plantares Ausstechen notwendig! Rückstich über dieselbe Ausstichstelle der Haut. Das erfolgt mit beiden Fadenenden, welche zur Armierung der Sehne verwendet wurden, anschließend Verknoten der beiden Fadenenden. Der Fuß sollte dabei vom Assistenten in Neutralstellung gehalten werden, sodass die Sehne mit Vorspannung fixiert werden kann

Abb. 7
figure 7

Abschließend erfolgen eine Spülung des Operationssitus mit Ringer-Lösung und der schichtweise Wundverschluss. Intrakutane Hautnaht mit 4‑0-Monocryl-Faden. Steri-Strips (cave: aufgrund der 6‑wöchigen Gipsbehandlung resorbierbares Nahtmaterial für die Haut)

Abb. 8
figure 8

Direkt postoperativ Anlage eines zirkulären Weißgipses in Neutralstellung des Fußes und Sprunggelenkes. Am Folgetag wird dieser mit einem synthetischen Stützverband, z. B. ScotchCast, zum Gehgips hybridisiert. Zur besseren Mobilisation erhält der Patient zusätzlich noch Verbandsschuhe

Besonderheiten

  • Erster Schnitt proximal des Retinaculum extensorum, sodass dieses nicht verletzt wird

  • Atraumatisches Neupositionieren durch Shutteln der Sehne mithilfe des Tunnelators

  • Kein plantares Fixieren/Ausstechen der Sehnennaht (Vermeidung von Wundheilungsstörungen plantar sowie Vermeidung eines N.-plantaris-lateralis-Entrapments) [14]

  • Intraoperative Röntgenkontrolle in der Regel nicht notwendig

  • Nach Hybridisierung des Weißgipses schmerzadaptierte Vollbelastung möglich

Postoperative Behandlung

  • Intraoperative zirkuläre Unterschenkelgipsanlage mit Weißgips in Neutralstellung

  • Nach abschließendem Aushärten des Weißgipses Hybridisierung auf Gehgips mit synthetischem Stützverband. Die Autoren hybridisieren den Gips in der Regel am 1. postoperativen Tag

  • Tragedauer des Gipses 6 Wochen postoperativ

  • Vollbelastung im Gehgipses

  • Gipsabnahme ambulant 6 Wochen postoperativ

  • Sportkarenz für insgesamt 8 Wochen postoperativ, adaptiert an die individuellen Voraussetzungen

Fehler, Gefahren, Komplikationen

  • Nur partielles Lösen des Sehnenansatzes (Verbleibt der anteriore Anteil auf dem Os metatarsale I, ist das Zurückziehen der Sehne nach proximal nicht möglich)

  • Zu weit proximales Ablösen des Sehnenansatzes kann dazu führen, dass der armierbare Sehnenanteil zur Refixation zu kurz ist (ein möglichst knochennahes Ablösen ist daher essenziell)

  • Durchführen des Tunnelators unterhalb des Retinaculums sicherstellen

  • Keine Manipulation mehr am Fuß nach transossärer Fixierung bis zur Gipsanlage, um ein Ausreißen der Sehne zu vermeiden. Anderes „Stabilitätsempfinden“ der Refixation als beim Erwachsenen Sehnen-Graft berücksichtigen!

Ergebnisse

Im Zuge einer retrospektiven Studie wurde zwischen 2013 und 2019 das oben genannte operative Verfahren bei 20 Patienten (weiblich n = 7 [35 %], männlich n = 13 [65 %]) durchgeführt. Bei 6 Patienten erfolgte der TAST bilateral, sodass insgesamt n = 26 TAST nachuntersucht wurden. Das Durchschnittsalter zum Operationszeitpunkt lag bei 8 Jahren und 1 Monat (MIN = 3 Jahre, MAX = 38 Jahre). Das Follow-up betrug im Mittel 43,9 Monate (SD ± 24,9 Monate, MIN = 3 Monate, MAX = 78 Monate). Zwei Patienten wurden in das Follow-up nicht eingeschlossen, da nach Gipsabnahme (6 Wochen postoperativ) die weiteren Kontrollen heimatnah erfolgen.

Bei n = 17 Patienten bestand die Indikation im Rezidiv eines idiopathischen Klumpfußes, bei n = 3 Patienten war die ursächliche Erkrankung ein neurogener Klumpfuß.

Als zusätzliche Operationen an Fuß und Sprunggelenk erfolgte bei 90 % der Patienten eine perkutane Achillotenotomie nach Hoke [7]. Weitere zusätzliche Operationen waren das perkutane Plantarfaszienrelease (n = 9 Patienten). Bei 11,5 % der operierten Fälle (n = 3 Füße) zeigte sich ein Rezidiv nach 12 Monaten. Bei 2 der 3 Patienten zeigt sich im Rahmen der Follow-up-Untersuchung nach 12 Monaten eine erneute Achillessehnenverkürzung, welche in 1 Fall erneut operativ behandelt wurde mittels perkutaner Achillotenotomie, im zweiten Fall erfolgte eine intensive physiotherapeutische Behandlung mit Aufdehnen der Achillessehne. Der dritte Patient hatte zudem neben der Achillessehnenverkürzung eine erneute Hohlfußkomponente, beides wurde operativ mit einer perkutanen Achillotenotomie und einem perkutanen Release der Plantarfaszie behandelt.

Bei der beschriebenen Fallserie ist es zu keinen allgemeinen oder neben den beschriebenen Rezidivfällen spezifischen Operationskomplikationen gekommen. Insbesondere die spezifischen technischen Risiken wie Sehnenausriss oder Über‑/Unterkorrektur traten nicht auf.