Vorbemerkungen

Schenkelhalsfrakturen im Kindesalter weisen eine niedrige Inzidenz von 1 bis 2 Frakturen pro Jahr auf, was sich auch in etwa mit den persönlichen Erfahrungen der Autoren über die letzten Jahre deckt [1, 2]. Das bedeutet, dass Schenkelhalsfrakturen in etwa 0,3–0,5 % aller Frakturen bei Kindern vorkommen. Trotz oder gerade wegen des relativ seltenen Auftretens dieser Frakturen ist die Durchführung einer korrekten Behandlung umso wichtiger, da die insuffiziente Behandlung mit konsekutiver Fehlstellung, Hüftsteife bis hin zur Notwendigkeit einer Hüftprothese für den jungen Patienten schwerwiegende Folgen im weiteren Leben hinsichtlich sozialer Integrität (Sport, Freizeit) oder auch Berufswahl haben kann. Um eine möglichst komplikationsarme Behandlung zu ermöglichen, sollte die operative Reposition von Schenkelhalsfrakturen beim Kind analog zur Behandlung des Erwachsenen so schnell wie möglich erfolgen [3]. Die am meisten gefürchtete Komplikation ist die Femurkopfnekrose durch eine Schädigung der Hüftkopfdurchblutung durch das Trauma selbst oder durch eine unkontrollierte, meist geschlossene Reposition oder aber auch durch eine Überreposition mit sekundärer Schädigung der hüftkopfversorgenden Gefäße [4]. Die Behandlung von Schenkelhalsfrakturen im Kindesalter mittels transglutealen Zugangs gewährt eine exzellente Übersicht, sodass eine anatomische Reposition der Fraktur unter Erhaltung der Femurkopfdurchblutung möglich ist. Die Fixation der Fraktur kann alternativ mittels Schrauben, Drähten oder einer Platte erfolgen. Schenkelhalsfrakturen bei Kindern können ebenfalls durch die AO (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) Pediatric Comprehensive Classification of Long-Bone Fractures (PCCF) klassifiziert werden [5].

Operationsprinzip und -ziel

Exposition des Oberschenkelhalses durch Präparation eines Muskellappens/Sehnenlappens bestehend aus dem proximalen Anteil des M. vastus lateralis inklusive des anterolateralen Anteils des M. glutaeus medius. Ablösen des M. glutaeus minimus von der Gelenkkapsel und Weghalten mittels eines tiefen, gerundeten Hakens nach dorsal, ohne die Insertion des Muskels am Trochanter major dabei vollständig abzutrennen. Die anteriore sowie inferiore (entlang des Kalkars) Gelenkkapsel kann nun vollständig exponiert werden. Bei intraartikulären Frakturen T‑förmige Arthrotomie der Gelenkkapsel und Darstellen des Schenkelhalses respektive der Fraktur. Unter Sicht kann nun eine vorsichtige, kontrollierte Reposition der Fraktur unter Schutz der retinakulären Gefäße erfolgen. Das Grundprinzip besteht in der Simulation eines Trochanter-Flip-Zuganges, ohne den Trochanter zu osteotomieren. Dies sollte absolut vermieden werden, da sonst die Stabilität der Plattenosteosynthese gefährdet wird.

Vorteile

  • Darstellung des Schenkelhalses/Hüftgelenkes bei intraartikulär gelegenen Frakturen

  • Exzellente Übersicht der Fraktur, besonders im Kalkarbereich

  • Anatomische Reposition unter Visualisierung der Fraktur

  • Schonung der hüftkopfversorgenden Blutgefäße durch Vermeidung einer Überreposition oder unkontrollierten Manipulation

  • Visuelle Kontrolle der Hüftkopfzirkulation durch Anbohren mittels 1,0-mm-Bohrers

Nachteile

  • Aufwendiger Zugang mit relativ großer Operationsnarbe

  • Ablösen von Muskeln mit der Gefahr des Kraftverlustes

  • Eröffnen des Gelenkes bei intraartikulären Frakturen mit Gefahr von intraartikulären Verwachsungen

  • Erfordert größere Erfahrung in der Hüftchirurgie und exakte Kenntnisse der Anatomie

Indikationen

  • Dislozierte Schenkelhalsfrakturen AO 31-M/2.1I-III; 31-M/3.1 I‑III; 31-M/3.2 I‑III [4]

  • Intertrochantäre Frakturen

Kontraindikationen

  • Keine

Patientenaufklärung

  • Allgemeine Operationsrisiken: Infektion, Blutung, Gefäß‑/Nervenverletzungen, Narkoserisiko

  • Operationsnarbe ca. 10–15 cm

  • Risiko der Muskelschwächung durch Ablösen von M. vastus lateralis und M. Glutaeus medius

  • Schädigung (Traktion) des N. glutaeus superior (durch Traktion bei Weghalten des M. Glutaeus medius und minimus nach dorsal)

  • Repositionsverlust

  • Malunion

  • Nonunion

  • 4 bis 6 Wochen Mobilisation an Gehstöcken (Touch-down-Belastung)

Operationsvorbereitungen

  • Analyse der radiologischen Diagnostik (Frakturmuster)

  • Auswahl des Osteosynthesematerials (von den Autoren wird eine Plattenosteosynthese, wie in der Operationstechnik beschrieben, empfohlen)

  • Selten CT(Computertomographie)- oder MRT(Magnetresonanztomographie)-Diagnostik notwendig (z. B. Luxationsfrakturen, zusätzlich Acetabulumfraktur)

  • Exakte Kenntnis der proximalen femoralen Anatomie

Instrumentarium

  • Hohmann-Haken (8 + 16 mm)

  • An der Spitze abgerundete Hohmann-Haken (sog. weiche Eva-Haken)

  • Langenbeck-Haken

  • Vollgewinde-Kirschner-Drähte/Kirschner-Drähte (Joystick, präliminare Fixation)

  • Plattenosteosynthese (z. B. LCP Pediatric Hip Plate, Depuy Synthes, Zuchwil, Schweiz)

  • Kanülierte Schrauben (eher nicht empfohlen)

  • Bildwandler

Anästhesie und Lagerung

  • Intubationsnarkose inklusive vollständiger Muskelrelaxation des Patienten bis zur definitiven Fixation der Fraktur

  • Seitenlagerung (v. a. bei adipösen Patienten empfohlen, bessere Übersicht) mit stabiler Auflage des zu operierenden Beines, vorzugshalber stabiler Lagerungsblock (Abb. 1)

  • Rückenlagerung möglich (von den Autoren nicht empfohlen)

  • Gewichtsadaptierte Antibiotikaprophylaxe

Abb. 1
figure 1

Lagerung des Patienten. Es wird von den Autoren die Seitenlagerung empfohlen, da die Präparation und Reposition hierdurch gerade bei adipösen Patienten vereinfacht wird. Das zu operierende Bein sollte dabei stabil gelagert werden können. Am besten eignet sich ein durch eine Sattlerei hergestellter solider Block oder ein Block mit Tunnel. Es ist unbedingt vom Operateur oder der Assistenz zu prüfen, dass die ventrale Symphysenstütze korrekt positioniert ist, um Druckschäden der abdominalen Organe (z. B. Harnblase) bei zu proximaler Platzierung oder des äußeren Genitale (zu kaudale Platzierung) zu vermeiden

Operationstechnik

Abb. 23456789101112

Abb. 2
figure 2

Seitenlagerung mit dem zu operierenden Bein auf einer stabilen Unterlage, vorzugsweise stabiler Block oder für adipösere Patienten „Block-Tunnel“ (Abb. 1). Steriles, mobiles Abdecken des gesamten Beines inklusive Beckenkamm. Bei der Hautdesinfektion ist strengstens darauf zu achten, die Fraktur nicht durch zu viel Zug oder Rotation am Bein mehr zu dislozieren und die Hüftkopfdurchblutung zu kompromittieren. Dies gilt v. a. für mediale Schenkelhalsfrakturen

Abb. 3
figure 3

Hautschnitt ca. 3–5 cm proximal des Trochanter major (je nach Größe des Patienten) und bis ca. 8 cm distal des Trochanters. Der Hautschnitt sollte über dem Femur zentriert verlaufen (cave: Trochanter überlappt das Femur nach dorsal)

Abb. 4
figure 4

Rechte Hüfte: Spalten des Tractus iliotibialis proximal im Gibson-Intervall zwischen M. glutaeus medius und M. glutaeus maximus. Eröffnen des Tractus nach distal ca. 8 cm subtrochantär, um ausreichend Platz für eine Plattenanlage zu bekommen. Werden kanülierte Schrauben oder Kirschner-Drähte verwendet, kann die Inzision nach distal etwas sparsamer erfolgen

Abb. 5
figure 5

Abheben des M. vastus lateralis vom lateralen Femur und Erweitern des Faszienlappens nach proximal anterior, so dass ca. 30 % des anterolateralen Anteils des M. glutaeus medius vom Trochanter major abgelöst werden (a). Es ist wichtig, maximal 30–40 % des ventralen Anteils des M. glutaeus medius vom Trochanter major abzulösen, um den Muskel nicht signifikant in seiner Funktion zu beeinträchtigen. Die Ablösung sollte scharf und nicht etwa mit Elektrokoagulation erfolgen, um keine Nekrosen hervorzurufen, was die Anheilung der Muskulatur am Trochanter verhindern könnte. Der N. glutaeus superior verläuft aus dem Foramen suprapiriforme nach kranial und kann durch ein zu ausgedehntes Splitten des Muskels nach proximal respektive zu viel Traktion durch die Hohmann-Haken verletzt werden. Das korrekte Intervall des M. glutaeus medius kann durch Aufspreizen mit einer Schere in einer Raphe des Muskels am einfachsten gefunden werden. Schnittführung entlang der roten Linie. Der M. vastus lateralis wird etwa ab Höhe der Insertion des M. glutaeus maximus an seinem Hinterrand vom Femur epiperiostal abgelöst. Es ist sehr wichtig den M. vastus lateralis epiperiostal abzulösen, um nicht bei der Präparation nach proximal in die Gelenkkapsel zu schneiden. Nach proximal wird die Insertion der Sehne vom Tuberculum innominatum und distalen Trochanter major abgelöst, ohne jedoch die Kontinuität des Muskellappens zu unterbrechen. Von der abgelösten Vastus-lateralis-Insertion geht die Präparation in den anterolateralen Anteil des M. glutaeus medius weiter, der ebenfalls von seiner Insertion am Trochanter major abgehoben wird. Der Muskel sollte L‑förmig abgelöst werden, dies ermöglicht später eine gute Readaptation (b). Das intraoperatives Bild der rechten Hüfte (c) zeigt den schon abgehobenen Vastus lateralis. Die Fortsetzung in dem anterioren Teil des M. glutaeus medius ist angezeichnet

Abb. 6
figure 6

Nachdem der gebildete Muskel-Faszien-Lappen (30 % M. glutaeus und M. vastus lateralis) nach anteroinferior weggehalten wird, kann der intakte Anteil des M. glutaeus medius nach dorsal-kranial mit einem Langenbeck-Haken weggehalten werden. Der M. glutaeus minimus wird vorsichtig von der Gelenkkapsel mobilisiert und distal an seiner Insertion am Trochanter major, wenn nötig, etwas eingekerbt ohne ihn jedoch vollständig abzulösen. Der Glutaeus minimus wird ebenfalls nach dorsokranial gehalten, sodass nun die Gelenkkapsel sichtbar wird. Hier kann nun durch eine T‑förmige Inzision die Gelenkkapsel türflügelartig eröffnet und der Hämarthros entlastet werden. Danach Visualisierung des Frakturmusters und Anbohren des Hüftkopfes mit 1,0–2,0 mm Bohrer zur Kontrolle der persistierenden Hüftkopfzirkularisation.

Abb. 7
figure 7

Vorsichtige Darstellung der Frakturenden durch Abschieben des Periostes mit dem Raspatorium. Durch Flexion/Abduktion des Beines kann nun je nach Frakturmuster die Fraktur etwas mobilisiert werden. Cave: Das Femur muss von einem Assistenten jederzeit gehalten werden, um unbedachte Bewegungen oder Traktion zu vermeiden

Abb. 8
figure 8

Die Reposition erfolgt direkt und je nach Dislokationsgrad mithilfe von Kirschner-Drähten, die als Joystick verwendet werden können, oder durch die vorsichtige Manipulation des Beines (distales Fragment) durch den Assistenten. Bei der Joysticktechnik wird ein Kirschner-Draht (meist 2,5 mm mit partiellem Gewinde) ins proximale Frakturfragment eingebracht (a). Mit diesem kann das proximale Fragment an den distalen Schenkelhals reponiert werden (bc)

Abb. 9
figure 9

ad Präliminare Fixation der Reposition mit Weber-Zange (a). Weitere Fixation der Reposition mit 2 Kirschner-Drähten, wobei zur besseren Stabilität möglichst ein Draht ventral und ein Draht dorsal gerichtet sind (b, c), und Kontrolle der Reposition unter BV (C-Bogen) (d). Wichtig ist, dass die präliminare Fixation proximal gesetzt wird, um nicht die Platzierung der Zieldrähte für die definitive Fixation zu behindern

Abb. 10
figure 10

Bei Verwendung einer Plattenosteosynthese (Empfehlung der Autoren: LCP Pediatric Hip Plate, Depuy Synthes, Zuchwil, Schweiz, Frakturplatte 130°) nun Anlage eines Zielgerätes zur Platzierung der Zieldrähte (a, lila Markierung). Fixation der Platte mit winkelstabilen Schrauben zunächst im Schenkelhals, danach am Schaft (bc). Bei der Verwendung kanüllierter Schrauben kann die Fraktur bereits mit den entsprechenden Kirschner-Drähten für die Schrauben fixiert werden. Nach Fixation der Fraktur Kontrolle der Hüftkopfdurchblutung durch erneutes Anbohren

Abb. 11
figure 11

Anatomische Rekonstruktion nach Osteosynthese wie in Abb. 10b, c. Ausspülen des Gelenkes und Verschluss der Gelenkkapsel mit 2/0 Vicryl. Reinsertion des Muskel-Faszien-Lappens aus proximal M. glutaeus medius und distal M. vastus lateralis am Trochanter major und Tuberculum innominatum. Je nach Alter kann die Refixation durch das dicke Periost (junge Kinder) oder transossär (ältere Kinder > 10 Jahre) erfolgen. Der M. vastus lateralis wird an den Weichteilen der Linea aspera mit 3/0 Vicryl refixiert, damit er sich nicht retrahiert und die Platte überdeckt. Dadurch werden postoperative Irritationen durch die Osteosyntheseplatte in der Regel vermieden. Fortlaufende Naht des Tractus iliotibialis mit 0er-PDS. Danach schichtweiser Wundverschluss und steriler Verband

Abb. 12
figure 12

a Mädchen, 14 Jahre, Sturz vom Pferd. Mediale Schenkelhalsfraktur AO 31-M/3.1 I., präoperatives Röntgenbild Becken a.-p. b Postoperative Kontrolle Becken a.-p. nach Osteosynthese mit LCP Pediatric Hip(Depuy Synthes, Zuchwil, Schweiz)-Frakturplatte 130° 5,0 mm. c 6 Monate postoperative Becken‑a.-p.- und Lauenstein-Aufnahme

Postoperative Behandlung

  • Teilbelastung an Gehstöcken „touch down“ für 4 bis 6 Wochen (je nach Alter des Patienten)

  • Bei Bedarf Motorschiene zur Verbesserung der passiven Mobilisation

  • Flexion bis 90° erlaubt

  • Keine aktive Abduktion und passive Adduktion (Schutz des M. glutaeus medius)

  • 4 bis 6 Wochen postoperativ Konsolidationsröntgen und bei ausreichender Konsolidation Belastungsaufbau innerhalb 7 bis 14 Tagen

  • Radiologische Kontrolle nach 3 Monaten, dann bei gutem Verlauf Sportfreigabe

  • Langzeitkontrollen bis mindestens 2 Jahre postoperativ sind zu empfehlen.

Fehler, Gefahren, Komplikationen und ihre Behandlung

  • Operationszeitpunkt so schnell wie möglich, bei dislozierten medialen Schenkelhalsfrakturen, um das Risiko einer avaskulären Hüftkopfnekrose (AVN) zu minimieren

  • Präparation zu weit nach dorsal (Gefahr der Schädigung der retinakulären Äste der A. circumflexa medialis) mit Gefahr der AVN

  • Verletzung des N. glutaeus superior bei zu proximaler Splittung des M. glutaeus medius oder zu viel Traktion mit den Hohmann-Haken, meist spontane Erholung nach 3 bis 6 Monaten

  • Insuffiziente Reposition (Malunion), schnellstmögliche Revision

  • Insuffiziente Stabilisation (Schmerz, sekundäre Dislokation), Revisionsosteosynthese

Ergebnisse

In den letzten 10 Jahren wurden 29 Patienten (17 Jungen, 12 Mädchen) im Durchschnittsalter von 10 Jahren mithilfe dieses Operationszuganges operiert. Die klinischen und radiologischen Ergebnisse sind exzellent. Die Abduktorenkraft wurde nicht beeinträchtigt, und die Hüftbeweglichkeit 3 Monate postoperativ war symmetrisch. Eine Materialentfernung erfolgte im Durchschnitt nach 9 bis 12 Monaten bei vollständiger Konsolidation der Fraktur. Eine operationszugangsbedingte Revision oder Komplikation trat nicht auf. Lediglich bei 3 Patienten musste eine Revisionsoperation aufgrund einer insuffizienten Reposition (1 Patient) oder einer insuffizienten Fixation der Fraktur (2 Patienten, Platte zu kurz, Schrauben nicht winkelstabil fixiert) durchgeführt werden. Eine fraktur- und/oder operationsbedingte Hüftkopfnekrose wurde in keinem Fall beobachtet.