FormalPara Infobox Fachgesellschaften und Zugehörigkeiten

Guido Michels, Stefan John, Uwe Janssens, Stefan Kluge und Hans-Jörg Busch: stellvertretend für die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN e. V., German Society of Medical Intensive Care and Emergency Medicine), Berlin, Deutschland;

Philip Raake, Katharina Andrea Schütt und Johann Bauersachs: stellvertretend für die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK e. V., German Society of Cardiology – Cardiovascular Research), Düsseldorf, Deutschland;

Sandra Delis und Rüdiger Karpf-Wissel: stellvertretend für die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP e. V., German Respiratory Society), Sektion 9 Palliativmedizin, Berlin, Deutschland;

Thomas Barchfeld und Bernd Schucher: stellvertretend für die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP e. V., German Respiratory Society), Sektion 5 Intensiv- und Beatmungsmedizin, Berlin, Deutschland;

Matthias Kochanek und Simone von Bonin: stellvertretend für die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO e. V., German Society of Hematology and Medical Oncology), Arbeitskreis Intensivmedizin bzw. Intensive Care in Hematologic and Oncologic Patients (iCHOP), Berlin, Deutschland;

Christiane M. Erley und Susanne D. Kuhlmann: stellvertretend für die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN e. V., German Society of Nephrology), Berlin, Deutschland;

Wolfgang Müllges (✝) und Georg Gahn: stellvertretend für die Deutsche Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI e. V., German Society of Neuro-Intensive Care and Emergency Medicine), Jena, Deutschland;

Hans Jürgen Heppner: stellvertretend für die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG e. V., German Geriatric Society), Köln, Deutschland;

Christoph HR Wiese: stellvertretend für die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI e. V., German Society of Anaesthesiology and Intensive Care Medicine), gemeinsamer Arbeitskreis der DGAI und des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten e. V., Nürnberg, Deutschland;

Martin Pin: stellvertretend für die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA e. V., German Society for Interdisciplinary Emergency and Acute Medicine), Berlin, Deutschland;

Sandra Delis, Manuela Schallenburger, Claudia Bausewein und Martin Neukirchen stellvertretend für die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP e. V., German Association for Palliative Medicine), Berlin, Deutschland.

1. Grundsätzliches zur Therapiezielfindung

Der Prozess der Entscheidungsfindung über Behandlungsmaßnahmen in der klinischen Akut‑, Notfall- und Intensivmedizin sollte stets von der Prüfung folgender Frage geleitet werden: Wann und unter welchen Umständen ist die Einleitung oder die Fortführung einer akut- bzw. intensivmedizinischen Behandlung gerechtfertigt? Jede zulässige Behandlungsmaßnahme muss 2 Voraussetzungen erfüllen: Zum einen muss für den Beginn oder die Fortführung der Therapie eine medizinische Indikation vorliegen und zum anderen muss die Durchführung dem Patientenwillen entsprechen. Beide Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Behandlung eingeleitet bzw. fortgeführt werden kann. Liegt eine der beiden Voraussetzungen nicht vor, ist insoweit eine Therapiezieländerung nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Grundlegende ethische Prinzipien, die bei allen ethischen Entscheidungsfindungen, auch bei Entscheidungen zu Einleitung, Aufrechterhaltung oder Therapiezieländerung, diskutiert werden, sind der Respekt vor der Selbstbestimmung („autonomy“) des Patienten sowie im Hinblick auf therapeutische Maßnahmen das Nicht-Schaden („nonmaleficience“) und der Nutzen („beneficience“) und schließlich die Verpflichtung zur Gerechtigkeit („justice“). Als Grundlage einer jeden Behandlung muss das patientenzentrierte Therapieziel geklärt und festgelegt werden: Gibt es ein kuratives bzw. rehabilitatives Therapieziel oder ist das Ziel die Symptomlinderung? Ist das patientenzentrierte Therapieziel nicht mehr klar formuliert, muss im Konsens eine Therapiezieländerung umgesetzt werden. Begriffe wie „Therapiebegrenzung“, „Therapierückzug“ oder „Therapieabbruch“ sollten vermieden werden. Bei der Therapiezieländerung verschiebt sich die Behandlungsstrategie der bisherigen Maßnahmen zum Lebenserhalt zur Symptomlinderung. Der Behandler sollte auch in Akutsituationen erkennen, ob die Behandlung sinnvoll oder sinnlos ist.

2. Integration der Palliativmedizin in die klinische Akut- und Notfallmedizin sowie Intensivmedizin

Die Palliativmedizin sollte sowohl in der klinischen Akut- und Notfallmedizin als auch in der Intensivmedizin als integrativer Bestandteil betrachtet werden. Während für inkurable onkologische Patienten die seit 2020 erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nichtheilbaren Krebserkrankung existiert [1, 2], sollten auch lebenslimitiert erkrankte nichtonkologische Patienten eine optimale palliativmedizinische Behandlung vor allem in der klinischen Akut- und Notfallmedizin sowie Intensivmedizin erfahren. Die Palliativversorgung stellt dabei neben den akut- bzw. intensivmedizinischen Therapiezielen den Erhalt oder sogar die Steigerung der Lebensqualität der Patienten und ihrer An‑/Zugehörigen ins Zentrum aller Bemühungen [3].

Nicht nur bei Symptomlinderung, Patienten- und Angehörigenkommunikation, Advance Care Planning (ACP), supportiver An‑/Zugehörigenbegleitung und ggf. notwendiger gezielter (früher: palliativer) Sedierung kann die Palliativmedizin unterstützen [4, 5], sondern auch zur Prävention von Moral Distress oder bei der Umsetzung von spiritueller Begleitung (Spiritual Care, [6, 7]).

Um eine palliativmedizinische Versorgung 24 h/365 Tage im Jahr zu gewährleisten, ist es, unabhängig von der Verfügbarkeit der spezialisierten Palliativmedizin, notwendig, zumindest eine allgemeine palliativmedizinische Versorgung sowohl auf ärztlicher, aber auch auf pflegerischer Ebene in jeder Klinik zu gewährleisten [4]. Mitarbeitende in akutmedizinischen Kliniken sollten im Rahmen von regelmäßigen Fortbildungen eine Basisqualifikation erfahren. Palliativmedizinische Grundkenntnisse, wie Symptomlinderung, Kommunikation und Sterbebegleitung, sollten vermittelt und als hausinterne Standardvorgehensweise (Standard Operating Procedure, SOP) erarbeitet werden. Falls vorhanden ermöglicht eine enge Kooperation mit dem lokalen palliativmedizinischen Netzwerk bzw. einer spezialisierten Palliativmedizin neben der mit dem Zusatzentgelt (ZE 133/134) hinterlegten palliativmedizinischen Komplexbehandlung durch einen in- oder externen Palliativdienst (OPS 8.98 h.0 bzw. 8.98 h.1) auch eine rechtzeitige Übernahme auf eine hausinterne bzw. externe Palliativstation oder eine Verlegung nach Hause mit ambulanter Palliativversorgung. Dies kann eine unnötig lange Verweildauer von Palliativpatienten in der Notaufnahme oder auf der Intensivstation vermeiden, auch wenn dabei zu beachten ist, dass Patienten, die sich bereits in der finalen Phase einer Erkrankung befinden, aufgrund der dadurch ausgelösten Unruhe durch den Transport und den Umgebungs- und Personalwechsel nicht mehr verlegt werden sollten.

Die Effektivität der frühzeitigen Integration von Palliative Care konnte in der Onkologie bereits nachgewiesen werden [6, 7]. Wie wirkt sich frühzeitige Palliativmedizin in der Akutmedizin aus? Die frühzeitige Integration von Palliative Care kann zu einer Verkürzung der Intensiv- und Krankenhausverweildauer, einer Reduktion der Behandlungskosten, einer besseren Symptomlinderung (Lebensqualität), einer höheren Zufriedenheit von Patienten, An‑/Zugehörigen und Mitarbeitern und zu einer Verbesserung der Qualität der medizinischen Gesamtbehandlung führen. Die Mortalität bleibt dabei jedoch unverändert bzw. war in den Studien reduziert (Paradoxon; [8,9,10,11,12,13,14,15]). Durch eine frühzeitige Integration der Palliativversorgung kann bereits in der Notaufnahme eine verbesserte Lebensqualität und Symptomlinderung erreicht werden [16]. Auch der Rettungsdienst kann durch palliativmedizinisches Basiswissen dazu beitragen, vermeidbare Krankenhauseinweisungen zu reduzieren [17].

In der Weiterbildungsordnung der Bundesländer wird im Rahmen der Zusatzweiterbildung für Intensivmedizin palliativmedizinsche Handlungskompetenz gefordert. Die Palliativmedizin wird in der neuen Zusatzweiterbildung Klinische Akut- und Notfallmedizin unter der sog. sektorenübergreifenden Behandlung als kognitive und Methodenkompetenz abgebildet. Es sollte daher vorausgesetzt werden, dass Grundkenntnisse in der Palliativmedizin bei jedem akutmedizinisch tätigen Arzt vorhanden sind. Gerade in der Notaufnahme ist eine multiprofessionelle Ad-hoc-Entscheidungsfindung notwendig, die ohne Vorkenntnisse in dieser Thematik nur schwer umzusetzen ist [18].

Während in der Weiterbildung Fachgesundheits- und Krankenpfleger für Intensivpflege und Anästhesie die palliative Versorgung noch kein fester Bestandteil der gesetzlichen Vorgaben ist, wird auf „palliative Therapieansätze“ in der Weiterbildung Notfallpflege eingegangen. Zukünftig sollte gerade im Hinblick auf die alternde Bevölkerung ein „Basiswissen Palliativmedizin“ in den entsprechenden Weiterbildungscurricula integriert werden.

Nicht nur Patienten und An‑/Zugehörige, sondern auch das Behandlungsteam profitiert von der frühzeitigen Einbindung der Palliativmedizin [19,20,21]. Die Betreuung von schwerkranken und sterbenden Patienten kann Pflegende und Ärzte stark belasten [22]. Da die Betreuung von schwerkranken Patienten vor allem dann zu Moral Distress bis hin zu Burn-out führen kann, wenn bei dieser Behandlung Situationen entstehen, in denen Einzelne gegen ihre moralischen Überzeugungen handeln müssen, sollten verschiedene präventive Angebote, wie die gemeinsame Integration von Kommunikationsseminaren, angeboten werden. Derartige Modelle erwiesen sich in Kombination mit der regelmäßigen Durchführung von multiprofessionellen Team- und Fallsupervisionen sowie einer begleitenden frühzeitigen palliativmedizinischen Mitbehandlung von hochbelasteten COVID-19-Patienten und deren An‑/Zugehörigen auf den Intensiv- und Isolierstationen auch im Rahmen der aktuellen Pandemie als erfolgreich [23]. Die Stärkung und Manifestierung der interprofessionellen Zusammenarbeit durch gemeinsame Visiten und Fallbesprechungen kann die Arbeitssituation von akutmedizinischen Behandlungsteams verbessern und das Burn-out-Risiko verringern [24].

Basierend auf der demografischen Entwicklung, der Zunahme von chronischen Erkrankungen und der Notarzteinsätze bei Palliativpatienten (ca. 10 %) sollte sich jeder Akutmediziner mit der Palliativmedizin beschäftigen [25,26,27]. Das vorliegende Konsensuspapier soll zur Integration der Palliativmedizin in die klinische Akut- und Notfallmedizin sowie Intensivmedizin beitragen. Mehrere medizinische Fachgesellschaften wurden daher zu diesem Thema im Jahr 2018 von der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN e. V.) eingeladen: die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK e. V.), die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP e. V.), die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO e. V.), die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN e. V.), die Deutsche Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI e. V.), die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG e. V.), die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI e. V.), die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA e. V.) und die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP e. V.). Die jeweiligen Fachgesellschaften haben sich mit palliativmedizinischen Schwerpunktthemen auseinandergesetzt; abschließend fand eine fachspezifische Bewertung statt, in der Empfehlungen ausgesprochen wurden.

Allgemeine Empfehlungen zu palliativmedizinischen Aspekten in der klinischen Akut- und Notfallmedizin sowie Intensivmedizin

  • Palliativmedizin soll frühzeitig sowohl in die klinische Akut- und Notfallmedizin als auch in die Intensivmedizin integriert werden.

  • Ein Palliativdienst sollte idealerweise – wenn vorhanden – bei hochsymptombelasteten Notfall- und Intensivpatienten und deren An‑/Zugehörigen zur palliativen Beratung und folgend zur palliativmedizinischen Komplexbehandlung in potenziell lebenslimitierenden Situationen hinzugezogen werden.

  • Zur Behandlung allgemeiner Symptome und vor allem auch bei Nichtverfügbarkeit einer spezialisierten Palliativmedizin sollte bei Akut- und Intensivmedizinern sowie bei Pflegenden in Notaufnahmen und auf Intensivstationen eine palliativmedizinische Basisqualifikation vorliegen.

  • Palliativmedizinische Grundkenntnisse sollten im Rahmen von interdisziplinären und interprofessionellen Fortbildungen regelmäßig vermittelt und als hausinterne Standardvorgehensweise (SOP) erarbeitet werden.

3. Bausteine der Palliativmedizin in der klinischen Notfall- und Intensivmedizin

In der palliativmedizinischen (Mit‑)Behandlung von Notfall- und Intensivpatienten mit fortgeschrittenen malignen und nichtmalignen Grunderkrankungen sind eine gute Symptomlinderung in physischer, psychischer, sozialer und spiritueller Hinsicht, eine vorausschauende Behandlungsplanung, eine patienten- und angehörigenzentrierte Kommunikation sowie ein achtsamer Umgang innerhalb des Behandlungsteams von besonderer Bedeutung [2, 12, 28].

Kommunikation

Das Ziel der akutmedizinischen Maßnahmen im klinischen Notfall- und Intensivbereich liegt primär in der Lebensverlängerung. Daher scheint sich die Kommunikation mit kritisch Kranken und ihren An‑/Zugehörigen von der auf einer Palliativstation zu unterscheiden. In beiden Fachbereichen kann es jedoch in patienten- und angehörigenzentrierten Gesprächen um Therapiezieländerung und -limitierungen gehen. Die Grundvoraussetzungen einer solchen Kommunikation sind daher sehr ähnlich.

In einer hochtechnisierten Umgebung auf Patienten- und An‑/Zugehörigenwünsche einzugehen, eine spirituelle und psychologische Betreuung anzubieten sowie eine angenehme Gesprächsatmosphäre zu schaffen, stellt das Behandlungsteam oft vor große Herausforderungen. Hierbei kann bei der Behandlung von lebenslimitiert erkrankten Notfall- oder Intensivpatienten eine frühzeitige Einbindung der Palliativmedizin unterstützen [29]. Die Begleitung kritisch Kranker und ihrer An‑/Zugehörigen sollte immer durch eine aufrichtige und wertschätzende Haltung gegenüber dem Patienten als Person gekennzeichnet sein [30].

Eine „Patienten- und An‑/Zugehörigenzentrierte Kommunikation“ beinhaltet:

  • aktives Zuhören,

  • Wahrnehmen von Emotionen,

  • eruieren, ob und wie der Patient und/oder der An‑/Zugehörige über die Situation informiert werden möchte, und aufrichtiges Vermitteln dieser Informationen,

  • eruieren individueller Belastungen, Problemlagen und Nöte,

  • kontinuierliche aktive Rückversicherungen, ob oder wie Botschaften „angekommen“ sind bzw. verstanden wurden (beispielsweise durch Paraphrasierung),

  • Ermutigung zur aktiven Beteiligung an Entscheidungsprozessen (partizipative bzw. gemeinsame Entscheidungsfindung).

Die an der Behandlung Beteiligten sollten daher in ihren kommunikativen Kompetenzen geschult bzw. trainiert werden [23, 29].

Vorausschauende Behandlungsplanung und gemeinsame Entscheidungsfindung

Bei Nichteinwilligungsfähigkeit des Patienten liegen idealerweise im Voraus verfasste Vorsorgeinstrumente (Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung) vor, sodass es möglich ist, neu zu formulierende Therapieziele, z. B. durch einen primär nicht erwarteten Behandlungsverlauf, an den Inhalt der Patientenverfügung anzupassen oder mit vorsorgebevollmächtigen Angehörigen zu besprechen. Patientenverfügungen sind jedoch nur in ca. 30 % der Fälle vorhanden. Aufgrund fehlender Konkretheit in Bezug auf die aktuell vorliegende Situation sind sie oftmals nur eingeschränkt zu verwenden [31,32,33]. Vor elektiven Eingriffen/Interventionen, bei denen eine sich anschließende intensivmedizinische Behandlung nicht auszuschließen ist, sollte den Patienten und ihren An‑/Zugehörigen dringend empfohlen werden, z. B. mithilfe eines moderierten Gesprächsprozesses im Rahmen von Advance Care Planning (ACP, deutsch: Behandlung im Voraus planen, BVP) derartige Vorsorgeinstrumente zu erstellen [34].

Im Fall eines protrahierten, intensivmedizinischen Verlaufs sollten auch bei Vorliegen von schriftlich fixierten Willensbekundungen des Patienten mindestens einmal pro Woche Therapiezielgespräche mit dem Patienten und seinen An‑/Zugehörigen über den aktuellen Gesundheitszustand sowie die aktuellen, realistischen Therapieziele geführt werden [35]. Auch die Zustimmung zu einer Behandlung auf der Intensivstation als solche sollte Teil dieser Gespräche sein. Im Fall von Unklarheiten können so Informationen besser vermittelt und mithilfe von partizipativer Entscheidungsfindung („shared decison making“) neue, an die Situation angepasste Therapieziele formuliert werden [36, 37]. Die gemeinsame Entscheidungsfindung von Patient, An‑/Zugehörigen und Ärzten setzt eine kontinuierliche und vertrauensvolle Kommunikation zwischen den Beteiligten voraus [38]. Hierbei sollten neben der aktuellen medizinischen Evidenz die patienteneigenen Werte, Ziele und Wünsche berücksichtigt werden [39].

Nur nach vorheriger Prüfung der medizinischen Indikation und des verbundenen patientenzentrierten Therapieziels durch den Arzt dürfen dem Patienten bzw. seinem Vertreter indizierte Therapiemöglichkeiten angeboten werden. Dies gilt für jede medizinische Intervention inklusive lebenserhaltender Maßnahmen wie die kardiopulmonale Reanimation (CPR) im Fall eines Kreislaufstillstands, Organ- oder Herz-Kreislauf-Unterstützung bzw. -ersatz, Operationen, Diagnostik sowie künstliche Ernährung und Flüssigkeitsgabe. Derartige Interventionen dürfen nach Indikationsstellung durch den Arzt nur durchgeführt werden, wenn der Patient oder sein juristischer Stellvertreter zustimmen. Fragliche oder zweifelhafte medizinische Indikationen sollten immer Anlass zu einer vermehrten Kommunikation mit dem Patienten oder seinem Vertreter geben, um die Sinnhaftigkeit gemeinsam zu prüfen [40].

Symptomlinderung und Lebensqualität

Palliativmedizin verfolgt das Ziel, die Lebensqualität von Patienten mit einer lebenslimitierenden Erkrankung und ihrer An‑/Zugehörigen zu verbessern oder zu erhalten. Dies wird sowohl durch Prävention erreicht als auch durch Linderung von Leiden im physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Bereich. Die für den Patienten wesentlichen Komponenten von Lebensqualität und ihre Priorisierung bestimmt der Patient selbst. Sie konstituiert sich aus allen individuell denkbaren Faktoren und geht über das Erleben krankheitsassoziierter Aspekte hinaus [2]. Die Palliativversorgung stellt die Lebensqualität der Patienten und ihrer An‑/Zugehörigen in das Zentrum aller Bemühungen.

Kritisch kranke Patienten mit lebenslimitierenden Erkrankungen oder Zuständen können verschiedene palliativmedizinische Bedürfnisse vorweisen. Belastende Symptome, wie Schmerzen, Atemnot, Übelkeit und Erbrechen, Delir, Angst und Unruhe, liegen oft gleichzeitig vor. Hinzu kommen Unsicherheiten und Ängste bezüglich der oft plötzlich einsetzenden existenziellen Bedrohung [41], schwierige Entscheidungen bezüglich Therapieziel, Therapieoptionen und Patientenwille, Unsicherheiten und Unterstützungsbedarf bei der weiteren Versorgungsplanung, stark belastete An‑/Zugehörige, Begleitung in der Sterbephase sowie Hilfe bei der Trauerbewältigung.

Für die Symptomlinderung kommen neben einer Pharmakotherapie (z. B. Opioide bei Atemnot, Haloperidol bei Übelkeit, Butylscopolamin bei terminaler Rasselatmung) auch maschinelle Unterstützungsmöglichkeiten (z. B. nichtinvasive Beatmung oder High-flow-Sauerstofftherapie) infrage [42, 43]. Sollte keine effektive Symptomlinderung gelingen, steht auch die Möglichkeit der gezielten Sedierung am Lebensende (z. B. auch beim „mitfühlenden bzw. Compassionate Weaning“) als Therapieoption zur Verfügung. Hierbei werden bei therapierefraktären Symptomen Sedativa mit dem Ziel verabreicht, eine verminderte bis aufgehobene Bewusstseinslage zu erreichen [44]. Das Ziel der gezielten Sedierung ist hierbei ausdrücklich nicht die vorzeitige Beendigung des Lebens. Die gezielte Sedierung stellt sowohl in der Notaufnahme als auf Intensivstation eine wichtige Behandlungsoption dar [45,46,47]. Nicht selten weisen gerade Intensivpatienten mit langer Liegedauer einen (latenten) Todeswunsch auf. Dieser sollte proaktiv vom Behandlungsteam angesprochen werden, damit sich Patienten mit ihren geäußerten Todeswünschen ernstgenommen fühlen und mit ihnen im Gespräch die Bedeutung eines solchen Wunsches ermittelt werden kann [48]. In diesem Zusammenhang kommt das ethische Prinzip der Doppelwirkung zum Tragen. Es besagt, dass eine Handlung mit sowohl (moralisch) schlechten wie auch (moralisch) guten bzw. neutralen Folgen dann erlaubt ist, wenn die schlechten Folgen nur unbeabsichtigte Nebenfolgen sind.

Unterstützung von An- und Zugehörigen

Die empathische Begleitung von An‑/Zugehörigen kritisch erkrankter Menschen ist vor allem bei oft knappen zeitlichen Ressourcen eine besondere Herausforderung für das Behandlungsteam. In einem Umfeld, das auf das Überleben der Patienten fokussiert ist, bedarf es besonderer Bemühungen, um Bezugspersonen von Menschen mit lebenslimitierenden Erkrankungen sowie Sterbende in ihren Bedürfnissen wahrzunehmen und zu begleiten. Unterstützende An‑/Zugehörige sind direkt betroffen, durch Sorgen und Ängste belastet und erleben oft den Krankheitsverlauf emotional wie auch teilweise körperlich mit dem Patienten mit. An‑/Zugehörige, die als Stellvertreter für den Patienten wichtige medizinische Entscheidungen zu treffen haben, fühlen sich oft doppelt belastet. Angst und Belastung von An‑/Zugehörigen können nachweislich reduziert werden, wenn ihnen in einem Gespräch z. B. mithilfe des VALUE-Modells mehr Zeit und Raum für Emotionen eingeräumt werden [49]. Beim Führen von Therapiezielgesprächen mit Patienten und An‑/Zugehörigen können Kommunikationsmoderatoren eine wichtige Hilfe sein [28, 50].

Unterstützung des Behandlungsteams

Zeitdruck, hohes Verantwortungsgefühl, die Identifikation mit Patienten oder An‑/Zugehörigen, Versagensgefühle und unterschiedliche Haltungen im Team können die Begleitung von Sterbenden für den einzelnen Behandelnden zu einer großen Belastung werden lassen. Nicht selten erleben dadurch Pflegekräfte und Ärzte im Lauf ihrer Tätigkeit Überlastungsanzeichen (Moral Distress bis Burn-out; [51]). Da das Versterben von Patienten in der Notaufnahme oder auf der Intensivstation in Zukunft noch erheblich zunehmen wird oder Therapien oft auch im Rahmen individueller Heilversuche gegen den Willen von Teilen des Behandlungsteams fortgeführt werden, sollten akutmedizinische Behandlungsteams Strategien etablieren, die den Umgang mit Sterben und Tod thematisieren. Hierzu gehören vor allem eine offene Gesprächskultur im multiprofessionellem Team, multiprofessionelle Entscheidungsprozesse, regelmäßige Teambesprechungen, Team- und Fallsupervisionen nicht nur bei besonders belastenden Begleitungen, sondern routiniert während der Arbeitszeit sowie die Möglichkeit der psychologischen Unterstützung für das Team [23, 52]. Auch Angebote klinischer Ethikberatung durch klinische Ethikkomitees oder Ethikvisiten, die im Bedarfsfall oder regelmäßig genutzt werden, können das Behandlungsteam bei schwierigen Begleitungen unterstützen und entlasten [53]. Außerdem sind mitarbeiterbezogene Faktoren, wie Humor und ein ausgeglichenes Privatleben, wichtige Ressourcen der einzelnen Teammitglieder, um in schwierigen Situationen emotional stabil zu bleiben [2, 54, 55].

Spirituelle Begleitung

Die spirituelle Haltung in der Notaufnahme oder auf einer Intensivstation sollte von Offenheit, der Ganzheit von Herz und Verstand und einer geistigen Freiheit geprägt sein. Diese Geisteshaltung ist offen für das Geschehenlassen, das Aushalten, das Da-Sein. Die spirituelle Begleitung beinhaltet die Arbeit mit Patienten, An‑/Zugehörigen und Mitarbeitenden, eine fließende Angebotsstruktur, das Ziel der Stärkung der psychischen und spirituellen Ressourcen, Beziehungsarbeit mit Aufmerksamkeit für die seelische Befindlichkeit, den Umgang mit existenziellen Ängsten und Fragen sowie eine würdigende Begleitung, auch Sterbebegleitung [56,57,58]. Bei der spirituellen Begleitung können im Fall der häufigen Konfessionen (katholische Kirche, evangelische Kirche) Klinikseelsorger unterstützen. Gelegentlich gelingt es auch in anderen großen Religionen, professionelle Seelsorger zu aktivieren. Spirituelle Sorgen und Nöte können im Notfall jedoch auch von jedem einzelnen Mitglied des multiprofessionellen Teams adressiert und gelindert werden, in dem z. B. sinnzentrierte Gespräche geführt werden.

Zeitlich begrenzter Therapieversuch

Der zeitlich begrenzte Therapieversuch („time-limited trial“, TLT) kann erwogen werden, wenn die Entscheidung für oder gegen eine akutmedizinische Therapie nicht unmittelbar getroffen werden kann [59, 60]. Gerade im Hinblick auf die oftmals in der Akutmedizin nicht sofort verfügbaren und/oder unsicheren Informationen (u. a. Patientenwille) und eine unklare Prognose ist ein zeitlich begrenzter Behandlungsversuch oftmals sinnvoll, um erst im festgelegten Verlauf im Team und mit dem Patienten bzw. den An‑/Zugehörigen den weiteren Behandlungsweg individuell festzulegen. Die Unsicherheiten betreffen nicht nur den Nutzen und das Risiko bezüglich der eingeschlagenen Therapie, die Ermittlung der Prognose, sondern auch das angestrebte patientenzentrierte Therapieziel selbst. Das Therapieziel sollte stets unter Berücksichtigung der zu erwartenden Lebensqualität und der zur Beurteilung herangezogenen Parameter definiert und transparent kommuniziert werden [59]. Im Fall einer Stabilisierung des Zustands des Patienten wird unter Berücksichtigung des patientenzentrierten Therapieziels die Behandlung fortgesetzt. Sollten die Behandlungsziele innerhalb des Behandlungszeitraums jedoch nicht erreicht werden, ist die Einleitung einer palliativmedizinischen Therapie indiziert. Der TLT ist gerade in der Akutmedizin eine nicht selten praktizierte Maßnahme, die u. a. auch verhindern soll, dass Belastungen bzw. ein Burn-out-Potenzial im Behandlungsteam entstehen [61]. Eine erhöhte prognostische Unsicherheit besteht vorwiegend innerhalb der ersten 7 Tage nach der Aufnahme. Die Dauer hängt vor allem von Patientenmerkmalen, wie Gebrechlichkeit und Schwere der kritischen Erkrankung sowie dem Umfang der Organunterstützung, ab [62].

Empfehlungen aus Sicht der Palliativmedizin

  • Die Eruierung der medizinischen Indikation und des Patientenwillens – als die Säulen einer patientenzentrierten Entscheidungsfindung – soll stets unter Berücksichtigung des patientenzentrierten Therapieziels erfolgen.

  • Vor elektiven Eingriffen/Interventionen, bei denen eine intensivmedizinische Nachbehandlung nicht ausgeschlossen ist, soll Patienten empfohlen werden, qualitativ hochwertige Vorsorgeinstrumente (Advance Care Planing oder Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung) zu erstellen.

  • Bei einer absehbar längeren Behandlung auf einer Intensivstation (> 5 Tage) sollen mindestens einmal wöchentlich Gespräche mit dem Patienten und seinen An‑/Zugehörigen über den aktuellen Gesundheitszustand unter Berücksichtigung palliativmedizinischer Aspekte geführt und daran angepasste Therapieziele durch eine gemeinsame Entscheidungsfindung („shared decison making“) vereinbart werden.

  • Ein zeitlich limitierter Therapieversuch („time-limited trial“) sollte bei Unsicherheiten bezüglich des Nutzens und des Risikos der eingeschlagenen Therapie, der Ermittlung der Prognose und des patientenzentrierten Therapieziels erwogen werden.

  • Die an der Behandlung von Akutpatienten beteiligten Berufsgruppen sollen zur Stabilisierung der Zusammenarbeit und zur Reduktion von Belastungen gemeinsam Wege zur Entscheidungsfindung vereinbaren.

  • Im gemischten Modell der interdisziplinären Zusammenarbeit erfolgt die allgemeine Palliativversorgung durch den Primärbehandler, bei komplexen Symptomgeschehen soll im stationären Setting, wenn verfügbar, ein palliativmedizinischer Dienst (PMD) der spezialisierten Palliativmedizin oder im ambulanten Setting ein Team der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) hinzugezogen werden.

4. Palliativmedizinische Aspekte bei geriatrischen Patienten

Die demografische Entwicklung sowie der Anstieg chronischer Erkrankungen und der Fortschritt in der Medizin bewirken, dass der Anteil alter und hochbetagter Patienten in den Krankenhäusern aller Versorgungsstufen stetig zunehmen wird. Dies bedeutet, dass diese Patienten immer häufiger in der Akutmedizin behandelt werden müssen. Wenn hierbei ein patientenzentriertes Therapieziel nicht mehr klar zu formulieren ist oder der Patientenwunsch der medizinischen Indikation entgegensteht, muss eine Therapiezieländerung auf ein palliatives Therapieziel besprochen und umgesetzt werden. Wesentliche Ziele der Palliativversorgung in der Akutmedizin sind die Symptomlinderung und die Verbesserung der Kommunikation [63].

Trotz vielfältiger Handlungsempfehlungen und Leitlinien ist es immer wieder schwer, den richtigen Zeitpunkt für eine Therapiezieländerung zu finden. Es muss schon frühzeitig im Behandlungsverlauf eine Vorgehensweise mit dem Patienten besprochen und diese immer wieder an die sich eventuell ändernde Situation angepasst werden. So müssen Gespräche zur Änderung des Therapieziels zum Zeitpunkt eines kompensierten Status der Erkrankung mit dem Patienten geführt werden. Nur so hat der Patient die Möglichkeit, den weiteren Fortgang seiner Erkrankung und die daraus entstehenden Konsequenzen zu erfassen.

Nach der gemeinsamen europäischen Definition von Malta ist der geriatrische Patient definiert durch die geriatrietypische Multimorbidität und das höhere Lebensalter ab dem 70. Lebensjahr, wobei die geriatrietypische Multimorbidität vorrangig vor dem chronologischen Alter zu sehen ist. Alternativ ist er gekennzeichnet durch das Lebensalter über 80 Jahre mit der alterstypisch erhöhten Vulnerabilität aufgrund des Auftretens von Komplikationen und Folgeerkrankungen, der Gefahr der Chronifizierung sowie des erhöhten Risikos eines Verlusts der Autonomie mit Verschlechterung der Selbstständigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL; [64]).

In der Geriatrie geht es um den Umgang mit sehr vulnerablen Menschen, die zunehmend in ihrer Selbständigkeit und Autonomie eingeschränkt sind und häufig in einem Umfeld leben, das sie nicht freiwillig gewählt haben. Eine große Bedeutung kommt dem Umgang mit Menschen am Ende ihres Lebens in der Geriatrie zu. Hierbei kann es wegen der fehlenden Gesamtsicht zu inadäquaten Therapieentscheidungen kommen. Der Körperbefund steht im Fokus, das psychobiosoziale Umfeld wird ausgeblendet und Einschränkungen der Alltagsaktivtäten werden nicht adäquat bewertet. Die Fragmentierung der medizinischen Behandlung sowie Behandlungsleitlinien für einzelne Körperbefunde und eingegrenzte Krankheitsbereiche führen dazu, dass die Gesamtsicht auf den multimorbiden geriatrischen Patienten verloren gehen kann.

Auch in der Notfallversorgung ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten. Bei der Therapiezieländerung steht die Pflicht der Behandelnden, Leben zu erhalten, Gesundheit wiederherzustellen und Leiden zu lindern, im Vordergrund. Bei den Therapieoptionen muss geprüft werden, ob Maßnahmen im Einzelfall nicht nur nicht angemessen, sondern unter Umständen „schlimmer als der Tod“ erscheinen mögen [65].

Im Zusammenhang mit einer Therapiezieländerung wird immer wieder auch eine Leistungsbegrenzung diskutiert, die in Teilen auch durch eine Mittelknappheit im Gesundheitswesen bedingt sein kann. Sie geht dann mit einer Rationierung einher, wenn nicht zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden können oder Rationalisierungsmaßnahmen ausgeschöpft sind. Es ist also keine Entscheidung aufgrund medizinischer Indikationen.

Eine frühzeitige Planung und Willensäußerung seitens des Patienten [66] und ein klares Verständnis für palliative Situationen im Behandlungsteam sind die Grundvoraussetzungen für eine optimale Behandlung [67].

Multimorbidität und Gebrechlichkeit (Frailty)

Die Übergänge von kurativer Therapie hin zu einer symptomorientierten bzw. palliativen Medizin sind bei geriatrischen Patienten oftmals fließend. Eine zuverlässige Einschätzung der Prognose ist nicht immer möglich, da verschiedenste Einflussfaktoren – insbesondere Multimorbidität und Frailty (Gebrechlichkeit) – zum Tragen kommen. Die Konstellation aus Multimorbidität und Gebrechlichkeit lässt den betagten Patienten und den älteren Organismus empfindlicher auf äußere Einflüsse und akute Erkrankungen reagieren. Der Verlust von Funktionalität ist meistens die Folge [68]. Im Rahmen der akutmedizinischen Behandlung geriatrischer Patienten ist die Frailty mit einem komplikativen Verlauf, einer erschwerten Rekonvaleszenz und nicht zuletzt mit einer höheren Mortalität assoziiert [69]. Die klinische Frailty-Skala [70] eignet sich hierfür als zusätzliche Einschätzungshilfe für die Prognose und sollte auch in der Akutmedizin angewandt werden (Tab. 1).

Tab. 1 Klinische Gebrechlichkeitsskala. (Modifiziert nach [71])

Das Ziel der Anwendung der klinischen Gebrechlichkeitsskala ist die Identifizierung von Patienten mit einem erhöhten Risiko für einen ausbleibenden Behandlungserfolg, die nicht von einer akut- und intensivmedizinischen Intervention profitieren dürften. Die hohe diagnostische Aussagekraft hinsichtlich Kurz- und Langzeitprognose konnte bereits für Intensivpatienten belegt werden [72].

Sicherlich ist die frühzeitige, individuelle und zielgerichtete gesundheitliche Vorsorgeplanung entscheidend. So lassen sich bei einer Therapiezieländerung Lebensqualität und Zufriedenheit sowohl vom Patienten als auch der An‑/Zugehörigen verbessern. Palliativmedizinische Konzepte müssen zu einem integralen Bestandteil in der geriatrischen Notfall- und Intensivmedizin werden.

Empfehlungen zu palliativmedizinischen Aspekten bei geriatrischen Patienten

  • Die Gebrechlichkeit hat eine große Bedeutung für das Outcome von Notfall- und Intensivpatienten und sollte regelhaft anhand der klinischen Gebrechlichkeitsskala erhoben werden, um bei der Prognoseabschätzung zu unterstützen.

  • Sofern der Patient akutmedizinische Maßnahmen nicht grundsätzlich ablehnt, stellt das höhere Lebensalter alleine keinen Grund dar, eine akutmedizinische Behandlung in der Notaufnahme oder auf der Intensivstation zu unterlassen.

5. Palliativmedizinische Aspekte der terminalen Herzinsuffizienz

Trotz deutlich verbesserter Therapie der Herzinsuffizienz kommt es bei ca. 1–10 % der Patienten zu einer terminalen Herzinsuffizienz. Der Begriff terminale Herzinsuffizienz umfasst alle Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz unabhängig von der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF), die trotz optimaler medikamentöser Therapie schwer symptomatisch bleiben.

Definition der terminalen Herzinsuffizienz

Die Heart Failure Association (HFA) der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) hat eine Definition der terminalen Herzinsuffizienz vorgeschlagen [73, 74]. Die folgenden Kriterien müssen alle erfüllt sein, damit die Diagnose einer terminalen Herzinsuffizienz gestellt werden kann:

  1. 1.

    schwere und persistierende Herzinsuffizienzsymptome (NYHA Klasse III [fortgeschritten] oder IV);

  2. 2.

    schwere kardiale Dysfunktion definiert durch einen der folgenden Punkte:

    • eine reduzierte linksventrikuläre Funktion (LVEF ≤ 30 %),

    • isoliertes rechtsventrikuläres Versagen (z. B. arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie),

    • inoperable schwere valvuläre Abnormitäten oder kongenitale Abnormitäten,

    • persistierend hohes (oder steigende) „Brain-natriuretic-peptide“(BNP)- oder „N-terminal-pro-B‑type-natriuretic-peptide“(NT-proBNP)-Spiegel und Vorliegen einer schweren systolischen oder diastolischen Dysfunktion oder linksventrikulären strukturellen Abnormalität;

  3. 3.

    Episoden pulmonaler oder systemischer Kongestion mit der Notwendigkeit hochdosierter, intravenöser Diuretikagaben (oder einer diuretischen Kombinationstherapie) oder Episoden eines „low output“ mit notwendiger Gabe von Inotropika oder vasoaktiven Medikamenten oder maligne Herzrhythmusstörung, die mehr als einen ungeplanten Arztkontakt oder eine Hospitalisierung in den letzten 12 Monaten bedingten;

  4. 4.

    Schwer eingeschränkte Belastungskapazität mit einem 6‑Minuten-Gehtest < 300 m oder einer maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) < 12–14 ml/kgKG/min aufgrund kardialer Ursachen.

Zusätzlich zu den genannten Punkten können extrakardiale Organdysfunktionen aufgrund der Herzinsuffizienz (z. B. kardiale Kachexie, Leber- oder Nierendysfunktion) oder eine pulmonale Hypertonie bei Linksherzerkrankung vorliegen, die für die Definition der terminalen Herzinsuffizienz jedoch nicht notwendig sind.

Behandlung der terminalen Herzinsuffizienz

Zunächst sollte überprüft werden, ob eine optimale Herzinsuffizienztherapie inklusive pharmakologischer, Device- und Resynchronisationstherapie entsprechend der ESC-Leitlinien vorliegt [75] und die Therapie in Abhängigkeit von der medizinischen Indikation und dem Patientenwillen verbessert werden kann. Insbesondere in Situationen der akuten Dekompensation oder Endorgandysfunktion sind mitunter temporäre Therapieverfahren notwendig, um den Zustand des Patienten für eine weiterführende Therapie zu optimieren. Hierbei kommen oftmals kurzfristige Gaben von Inotropika oder eine nichtinvasive Beatmung (NIV) infrage [76, 77].

Insbesondere Levosimendan, dessen hämodynamische Effekte aufgrund seiner langen Halbwertszeit mindestens 7 Tage nach einer 12- bis 24-stündigen Infusion anhalten, wird nicht selten angewandt [76]. Während kleinere, heterogene Studien einen positiven Effekt auf das Überleben und eine reduzierte Rate an Hospitalisierungen nahelegen [78], konnte ein solcher Überlebenseffekt in einer prospektiven Studie nicht gezeigt werden [79]. Die Ergebnisse der Studien Repetitive Levosimendan Infusion for Patients With Advanced Chronic Heart Failure (LeoDOR) und Repetitive use of Levosimendan in Ambulatory Heart Failure patients (LEIA-HF) bleiben abzuwarten.

Im kardiogenen Schock kommen nicht selten temporäre mechanische Kreislaufunterstützungsverfahren zur Anwendung, um eine Wiederherstellung der kardialen Funktion und anderer Organe, wie Nieren, Leber oder Gehirn, zu ermöglichen. Grundsätzlich sollte bei allen Patienten mit therapierefraktärer Herzinsuffizienz geprüft werden, ob diese möglicherweise Kandidaten für eine Herztransplantation und/oder ein dauerhaftes mechanisches Kreislaufunterstützungssystem (Ventricular Assist Devices, VAD) sind. Wie bereits erwähnt, sollte auch hier die patientenzentrierte Therapieentscheidung unter Berücksichtigung der medizinischen Indikation und des Patientenwillens erfolgen. Im Fall von LVAD-Patienten kann durch die frühzeitige und kontinuierliche Einbindung der Palliativmedizin die Behandlungsqualität verbessert werden [80].

Palliative Therapiezieloptionen sollten im Rahmen der terminalen Herzinsuffizienz frühzeitig integriert werden [74]. Hierzu zählen die Symptomlinderung zur Verbesserung der Lebensqualität, die Unterstützung bei der Entscheidungsfindung, die vorausschauende Versorgungsplanung, die psychosoziale Unterstützung von Familienangehörigen und Behandlungsteams sowie eine gute Koordination des Behandlungsteams bei vorhandenen Komorbiditäten [75]. Bezüglich der Integration von Palliativmedizin bei Patienten mit Herzinsuffizienz wurde jüngst ein Positionspapier der European Society of Cardiology Heart Failure Association verabschiedet [81]. Die Entscheidungsfindung setzt eine verständliche und vollumfängliche Information des Patienten über die Erkrankung, die Therapieoptionen und die individuelle Prognose voraus. Hierbei kann neben der klinischen Einschätzung der Gebrauch von Risikokalkulatoren, z. B. das Seattle Heart Failure Modell (SHFM), hilfreich sein. Die Prognose sollte aktiv mit dem Patienten besprochen werden. Der optimale Zeitpunkt für eine integrierte palliative Therapie kann zwischen den Patienten variieren und ist primär vom Bedarf des Patienten und nicht seiner Prognose abhängig.

Patienten mit Herzinsuffizienz werden im Vergleich zu Tumorpatienten in den letzten 30 Tagen vor ihrem Tod deutlich häufiger hospitalisiert (60 % vs. 45 %; Aufnahme auf die Intensivstation 19 % vs. 7 %; [82]). Jeder dieser Krankenhausaufenthalte aber auch ein intensiver Kontakt zum Hausarzt eröffnet die Möglichkeit, palliative Therapiekonzepte zu implementieren oder zu optimieren, Therapieziele zu diskutieren und gemeinsam mit dem Patienten und seiner Familie eine vorausschauende Behandlungssplanung (ACP) festzulegen [83].

Die aktuell robustesten Daten bezüglich einer palliativen Behandlung kommen aus der Palliative CARE in Heart Failure Study (PAL-HF). Diese Studie randomisierte 150 hospitalisierte Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz und einem hohen Risiko für eine Rehospitalisierung oder Mortalität. Die Patienten erhielten entweder eine Standardbehandlung oder eine Standardbehandlung plus eine 6‑monatige multiprofessionelle Behandlung durch die spezialisierte Palliativmedizin mit Fokus auf körperliche, psychische, soziale und spirituelle Symptomen. Im Vergleich zur Standardbehandlung war die Behandlung durch die spezialisierte Palliativmedizin mit einer signifikanten Verbesserung der herzinsuffizienzspezifischen Lebensqualität nach 6 Monaten assoziiert [84]. Zwei weitere randomisierte klinische Studien untersuchten den Effekt einer Intervention während des stationären Aufenthalts mittels eines spezialisierten, multiprofessionellen Teams im Vergleich zu einer Normalversorgung. In beiden Studien zeigte sich kein Benefit bezüglich des Überlebens der Patienten [85, 86]. Auch führte die Intervention nicht dazu, dass sich die Patienten nach 3–6 Monaten häufiger für eine Comfort Care und gegen eine CPR entschieden [86]. In einer weiteren prospektiven kontrollierten nichtverblindeten Multizenterstudie soll der Nutzen der frühzeitigen interdisziplinäre Palliativversorgung bei Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz (NYHA ≥ II) untersucht werden [87].

Symptomlinderung bei Herzinsuffizienz

Herzinsuffizienzpatienten haben viele verschiedene Symptome wie Beinödeme, Aszites, Schlafstörungen, Leistungs- und Konzentrationsschwäche, Dyspnoe bis hin zu schwerster Orthopnoe [88]. Auch Angst und depressive Störungen sowie Mangelernährung werden in diesem Krankheitsstadium häufig relevant [88]. Schmerzsymptome werden ebenso wie depressive Störungen häufig nicht erkannt und sind daher gerade in diesem Kollektiv nicht ausreichend behandelt. Zudem werden terminal herzinsuffiziente Patienten häufiger hospitalisiert als z. B. Krebspatienten, was mit einer exzessiven Steigerung der Mortalität und einer schlechteren Lebensqualität vergesellschaftet ist [88]. Ziel der Therapie sollte in diesem Stadium immer die Verbesserung oder zumindest der Erhalt der Lebensqualität darstellen [81]. Relevant ist hier, dass die Therapie für die Patienten möglichst optimal verträglich ist, da nur so eine Symptomlinderung zu erreichen ist. Eine wichtige (palliative) Intervention ist daher immer eine leitliniengerechte Herzinsuffizienztherapie mit dem Ziel, die Lebensqualität zu verbessern [88]. Dies schließt die Optimierung der pharmakologischen Ansätze und die kardiale Resynchronisationstherapie (ohne Defibrillatorfunktion) ein. Bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz mit Hypotonie und möglichem prärenalem Nierenversagen müssen oftmals ACE-Hemmer, AT-1-Rezeptor-Blocker, Angiotensinrezeptor-Neprilysininhibitoren (ARNI), Aldosteronantagonisten und ggf. β‑Blocker reduziert oder abgesetzt werden. Hier ist zu überlegen, inwieweit Inotropika, intravenöse Schleifendiuretika und ggf. Ultrafiltration oder Peritonealdialyse zum Einsatz kommen, dies muss sich immer an den individuellen Bedürfnissen des Patienten ausrichten.

Atemnot ist ein zentrales Symptom bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz. Sollte die kontinuierliche Optimierung des Volumenstatus (Diuretika, Nachlastsenkung, Inotropika und ggf. Ultrafiltration) nicht mehr ausreichen, kann eine Therapie mit Opioiden initiiert werden. Opioide können Symptome minimieren und die körperliche Leistungsfähigkeit verbessern und sollten nur in therapierefraktären Fällen angewandt werden [89]. Die Gabe von Sauerstoff kann jedoch ausschließlich bei hypoxischen Patienten zur Symptomlinderung beitragen [75]. Eine temporäre nichtinvasive Beatmung (NIV) ist nicht selten notwendig [81]. In der S3-Leitlinie zur „Nichtinvasiven Beatmung als Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz“ wird der Einsatz von NIV zur Verringerung der Dyspnoe in der Palliativmedizin empfohlen [90].

Übelkeit, wahrscheinlich verursacht durch gastrointestinale Stauung und Leberstauung, tritt häufig bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz auf. Auch hier steht die optimale Herzinsuffizienztherapie inklusive Volumenmanagement im Vordergrund. Zusätzlich können Antiemetika helfen, wenngleich die Nebenwirkungen beachtet werden müssen (z. B. QT-Zeitverlängerung bei Metoclopramid).

Depressionen oder depressive Symptome beeinträchtigen die Lebensqualität in besonderem Ausmaß. Da Depressionen häufig durch die Herzinsuffizienzsymptome und die eingeschränkte Leistungsfähigkeit verursacht werden, sollte zunächst hier angesetzt werden. Studien zur Behandlung mit Antidepressiva liegen bisher nur wenige vor. Beispielhaft sei auf SADHART-CHF und MOOD-HF hingewiesen, die keine vorteilhaften Effekte eines Antidepressivums (Sertralin bzw. Escitalopram) bei Patienten mit Herzinsuffizienz und Depression nachweisen konnten [91, 92]. Dennoch werden Antidepressiva in derartigen Fällen immer wieder verordnet, hier muss gezielt auf Nebenwirkungen geachtet werden (u. a. QT-Zeitverlängerung). Angesichts der schwachen Evidenz für die Wirksamkeit einer medikamentösen Therapie und der mit dieser Therapie verbundenen möglichen Nebenwirkungen können durch einen multiprofessionellen palliativmedizinischen Dienst zusätzliche Gesprächsangebote etabliert werden, die u. a. existenzielle Ängste und spirituelle Sorgen thematisieren und der Entlastung von Patienten und An‑/Zugehörigen dienen.

Weitere, weniger bedachte Symptome können Mundtrockenheit und/oder Trockenheit der Nasenschleimhäute durch Medikamente oder Sauerstoffgaben sein, die für die Betroffenen im Vordergrund stehen. Maßnahmen wie die Befeuchtung der Mundschleimhäute und Lippen sowie Hautpflege mit feuchtigkeitsspendenden Cremes können Linderung schaffen [93].

Spezielle Maßnahmen bei Device-Patienten

Insbesondere am Lebensende kann eine Deaktivierung eines implantierten Defibrillators oder auch die Deaktivierung eines mechanischen Kreislaufunterstützungssystems erwogen werden [81, 94]. Dies sind analog zur Beendigung einer Chemotherapie oder einer Entscheidung gegen eine erneute Operation bei einer Komplikation hochsensible, individuelle Entscheidungen, die letztlich nur gemeinsam mit dem Patienten oder seinen gesetzlichen Vertretern getroffen werden können. Viele Patienten wissen nicht, dass die Defibrillatorfunktion ausgeschaltet werden kann [94], weswegen bereits im Vorfeld eine individuelle und ausreichende Aufklärung erfolgen sollte. Im Notfall kann bei den meisten Fabrikaten durch Magnetauflage die Sensing-Funktion und damit die Therapieabgabe unterdrückt werden [94]. Die Deaktivierung eines Herzschrittmachers oder Resynchronisationsschrittmachers ohne Defibrillatorfunktion ist meist nicht sinnvoll.

Die Entscheidung zur Deaktivierung eines mechanischen Herz-Kreislauf-Unterstützungssystems ist ebenfalls anspruchsvoll, da dann in der Regel eine hämodynamische Verschlechterung eintritt, die dann zeitnah zum Tod führen kann. Ethisch und rechtlich zulässig sind, sofern es dem Patientenwillen entspricht, das Unterlassen oder die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen. Grundsätzlich sollte bereits vor Implantation dieser Systeme routiniert und standardisiert – z. B. im Rahmen interdisziplinärer Gespräche – analog zur frühzeitigen Integration in der Onkologie die Palliativmedizin eingebunden und im Rahmen von Advance Care Planning das individuelle Vorgehen auch unter Berücksichtigung von Notfallbedingungen festgelegt werden.

Empfehlungen zu palliativmedizinischen Aspekten bei terminaler Herzinsuffizienz

  • Die Einbindung palliativmedizinischer Konzepte sollte bei Patienten mit terminaler Herzinsuffizienz früh im Krankheitsprozess erfolgen („integrated palliative care“). Der optimale Zeitpunkt für den Beginn einer integrierten palliativen Versorgung ist individuell sehr variabel.

  • Das Deaktivieren von unmittelbar lebenserhaltenden technischen Unterstützungssystemen ist immer eine sehr schwierige und belastende Entscheidungssituation und sollte bereits vor der Implantation im Rahmen von Advance Care Planning besprochen werden.

6. Palliativmedizinische Aspekte in der Beatmungstherapie

Die invasive wie auch die nichtinvasive Beatmungstherapie (NIV) stellen wesentliche Bestandteile der klinischen Akut- und Notfallmedizin sowie Intensivmedizin dar. Beide Beatmungsoptionen kommen bei Patienten mit schwerer respiratorischer Insuffizienz infolge eines hyperkapnischen Atempumpenversagens sowie beim hypoxämischen Atemversagen infolge direkter oder indirekter Lungenparenchymschädigung zum Einsatz. Der überwiegende Anteil an Patienten kann nach kurzer Zeit wieder von der Beatmung entwöhnt werden. Bei ca. 20 % der Patienten muss die Beatmung auch dann fortgesetzt werden, wenn die ursprünglich zur Beatmung führende Störung (z. B. schwere Pneumonie) behoben ist. Man spricht in diesen Fällen von prolongierter Entwöhnung (mehr als 3 Spontanatemversuche oder Beatmung länger als 7 Tage nach dem ersten Spontanatemversuch; [95]). Häufig tragen hohes Lebensalter (insbesondere Frailty) und Komorbiditäten zum prolongierten Weaningprozess bei [95]. Im prolongierten Weaningprozess gelingt es in spezialisierten Weaningzentren in ca. 50 % der Fälle, ein Weaningversagen abzuwenden. Bei den übrigen Patienten schlagen auch wiederholte Weaningversuche fehl, sodass gegebenenfalls eine dauerhafte invasive Beatmung in außerklinischer Umgebung erforderlich ist. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Beatmungstherapie ist daher bereits bei der Initiierung der Behandlung zu stellen [96]. Zudem ist nach einer gewissen Beatmungsdauer das grundsätzliche Hinzuziehen der spezialisierten Palliativmedizin im Sinne einer zeitgerechten Integration angemessen.

Im Rahmen der palliativmedizinischen Aspekte in der Beatmungstherapie können 4 Patientengruppen unterschieden werden:

  • Patienten im prolongierten Weaning: Bei diesen Patienten muss oftmals im Behandlungsverlauf über eine Therapiezieländerung diskutiert und ggf. eine Beendigung der Beatmung eingeleitet werden.

  • Patienten mit fortgeschrittenen nichtonkologischen Erkrankungen: Hierbei handelt es sich meist um Patienten mit terminaler pulmonaler, kardialer oder neurologischer Erkrankung mit akut-auf-chronischer respiratorischer Insuffizienz, bei denen die NIV erfolgreich eingesetzt werden kann [90].

  • Symptomlinderung bei Dyspnoe: Bei Patienten mit akut-auf-chronischer respiratorischer Insuffizienz kann die NIV zur Symptomlinderung eingesetzt werden [77].

  • Patienten mit außerklinischer Beatmungstherapie: Einige Patienten werden nach Intensivaufenthalt einer außerklinischen Beatmung zugeführt, sodass diese Patienten ebenfalls eine bedeutsame Gruppe darstellen.

Beendigung einer prolongierten Beatmungstherapie bzw. Entwöhnung

Eine Beatmungstherapie wird in den allermeisten Fällen zur Überbrückung einer akuten oder akut verschlechterten chronischen Erkrankung durchgeführt. Nicht immer gelingt es, das Behandlungsziel oder eine mit dem Patientenwunsch übereinstimmende Lebensqualität zu erreichen. Daher muss insbesondere bei prolongierter Beatmung oder Beatmungsentwöhnung eine regelmäßige Überprüfung der medizinischen Indikation zur Fortführung der Beatmungstherapie erfolgen. Wie bereits in den vorherigen Kapiteln betont sollte das 2‑Säulen Modell – medizinische Indikationsstellung und Evaluierung des Patientenwillens – stets im Mittelpunkt der patientenzentrierten Therapieentscheidung stehen. Das angestrebte Therapieziel soll dabei realistisch erreicht und vom Patienten gewünscht werden. Sollte eine dieser beiden Voraussetzungen nicht bzw. nicht mehr erfüllt sein, sollte dies mit dem Patienten bzw. seinem gesetzlichen Vertreter besprochen und ggf. eine Therapiezieländerung vereinbart werden, die auch eine Beendigung der Beatmung beinhalten kann [95]. In einem solchen Gespräch sollten alle Möglichkeiten der palliativmedizinischen Begleitung im Rahmen einer Beatmungsbeendigung besprochen werden. Alle akutmedizinischen Maßnahmen müssen dann kritisch hinterfragt werden [95].

Im Wesentlichen existieren 2 Vorgehensweisen zur Beendigung der Beatmung, zum einen die schrittweise Reduktion der Beatmung mit Belassen des Beatmungszugangs (Compassionate Weaning) und zum anderen die unmittelbare Beendigung der Beatmungstherapie (Compassionate Extubation; [46]). Die stufenweise Reduzierung der Beatmung erscheint zunächst weniger eingreifend, kann aber zur Prolongierung des Prozesses führen. Demgegenüber steht der abrupte Prozess der Beatmungsbeendigung, der insbesondere bei Anwesenheit der An‑/Zugehörigen eine intensive Begleitung und Aufklärung über kurzfristige körperliche Reaktionen erfordert. Da diese Maßnahmen auch beim Behandlungsteam zu einer Stresssituation führen können, sollte das Team über die Themen „Compassionate Weaning“ und „Compassionate Extubation“ adäquat aufgeklärt und geschult sein (Tab. 2; [97]).

Tab. 2 Gegenüberstellung von Compassionate Weaning und Compassionate Extubation

Bei Beendigung einer Beatmungstherapie stehen die Symptome Atemnot und Angst im Mittelpunkt der Symptomlinderung. Die vorbestehenden Symptome sollten unbedingt vorbehandelt werden, bevor die Beatmungstherapie eingestellt wird oder eine Extubation erfolgt. Eine situationsangepasste Analgosedierung sollte daher initiiert oder ggf. intensiviert werden. In der Finalphase werden Opioide oftmals in Kombination mit Benzodiazepinen in Form einer gezielten Sedierung angewandt („double effect“, Doppelwirkung). Die Dosisfindung der Medikamente erfolgt unter regelmäßiger Kontrolle der Symptomlast. Da es oftmals in den letzten Stunden des Lebens zu einer präfinalen Rasselatmung bedingt durch vermehrte pharyngotracheale Sekretbildung und/oder ein terminales Lungenödem kommt, sollte auch hier eine entsprechende Symptomlinderung erfolgen. Flüssigkeiten, in Form von parenteraler Ernährung und/oder intravenöser Volumengabe, sollten bei Rasselatmung in der Sterbephase nicht zugeführt werden, um eine Dyspnoe durch Volumenbelastung zu verhindern. Pharyngeale oder endotracheale Absaugmanöver sind nicht nur für den sterbenden Menschen sondern auch für die An‑/Zugehörigen belastend und sollten minimiert bis vermieden werden. Eine Ausnahme stellen tracheotomierte Patienten dar, die mit den Absaugmaßnahmen vertraut sind. Zur Symptomlinderung des präfinalen Rasselns kommen daher oftmals Anticholinergika (z. B. N‑Butylscopolamin oder Glycopyrroniumbromid) zur Anwendung.

Empfehlungen zu palliativmedizinischen Aspekten im Rahmen der Beendigung einer prolongierten Beatmungstherapie bzw. Entwöhnung

  • Eine Beatmungstherapie soll beendet werden, wenn das angestrebte Therapieziel realistisch nicht erreicht werden kann oder vom Patienten nicht gewünscht wird. Hier sollte transparent, empathisch und authentisch sowohl im Team als auch mit dem Patienten und den An‑/Zugehörigen kommuniziert werden.

  • Bei der Beendigung der Beatmung soll eine in der Dosis ausreichende medikamentöse Opiattherapie zur Prophylaxe von Atemnot sowie eine Benzodiazepintherapie zur Prophylaxe von Angst im Rahmen einer gezielten Sedierung durchgeführt werden. Eine eventuelle Lebenszeitverkürzung durch unvermeidbare Nebenwirkungen ist zu tolerieren.

  • Bei Anwesenheit der An‑/Zugehörigen sollten diese über mögliche körperliche Reaktionen des Patienten auf die Beendigung der Beatmung aufgeklärt und entsprechend begleitet werden.

  • Die verantwortlichen Ärzte sollen die Umsetzung sowohl der sofortigen Extubation als auch die Einleitung des Compassionate Weaning persönlich vornehmen und begleiten. Diese Aufgabe sollte nicht alleinig an das Pflegepersonal übertragen werden. Die ureigenste Aufgabe von Ärzten ist es, ihren Patienten beim Sterben beizustehen.

Patienten mit fortgeschrittenen nichtonkologischen Erkrankungen

Bei Patienten mit weit fortgeschrittenen pulmonalen (z. B. Lungenfibrose) oder kardialen (z. B. Herzinsuffizienz), aber auch neurologischen Erkrankungen (z. B. amyotrophe Lateralsklerose) ist bei Auftreten einer akuten oder akut dekompensierten chronisch-respiratorischen Insuffizienz der Beginn einer invasiven Beatmung stets kritisch hinsichtlich der möglichen medizinischen Erfolgsaussichten, der drohenden intensivmedizinischen Langzeittherapie und natürlich des Patientenwillens zu evaluieren. Hier kann der temporäre Einsatz einer NIV eine sinnvolle Option darstellen, die akute respiratorische Insuffizienz im Sinne eines kurativen Ansatzes erfolgreich zu behandeln [90].

Bei Patienten, bei denen aufgrund der fortgeschrittenen Erkrankung eine Intubation medizinisch nicht indiziert ist oder die eine Intubation abgelehnt haben, kann die NIV auch über die sonst geltenden Grenzen für Einschluss- oder Abbruchkriterien hinaus fortgeführt werden. Allerdings muss sichergestellt sein, dass die NIV nicht selbst zu höhergradigen Nebenwirkungen, wie Druckstellen, ausgeprägter Aerophagie, Angst und Dyspnoe, führt; auch soll ein Sterbeprozess nicht unnötig verlängert werden. In diesem Fall ist eine NIV zu beenden [98, 99].

Vor der Anwendung der NIV ist bei vorliegender Ablehnung der Intubation durch den Patienten zu evaluieren, ob nur die Intubation abgelehnt wird oder ob generell eine Beatmung und somit auch eine NIV vom Patienten nicht gewollt werden.

Empfehlungen zu palliativmedizinischen Aspekten von Patienten mit fortgeschrittenen nichtonkologischen Erkrankungen mit respiratorischer Insuffizienz

  • Bei Patienten mit fortgeschrittenen pulmonalen, kardialen oder neurologischen Erkrankungen kann die NIV eine Therapiemöglichkeit darstellen, wenn eine Intubation mit prolongiertem Intensivaufenthalt nicht indiziert oder gewünscht ist.

  • Die Anwendung der NIV soll nicht einen bereits eingesetzten Sterbeprozess verlängern.

Einsatz der nichtinvasiven Beatmung zur Symptomlinderung

Die Anwendung der NIV einschließlich der High-flow-Sauerstofftherapie in der Akutmedizin zur Linderung von Dyspnoe ist als Ultima Ratio anzusehen [100]. Der potenzielle Nutzen durch die Linderung der Dyspnoe muss stets kritisch gegen mögliche negative Auswirkungen (Schäden) der NIV (z. B. Klaustrophobie, Austrocknung der Atemwege, mögliche Verschlechterung der Dyspnoe) abgewogen werden. Die NIV kann sinnvoll sein, um einen begrenzten Lebenszeitgewinn, z. B. für An‑/Zugehörigenkontakte, zu erreichen. Zudem sei darauf hingewiesen, dass einerseits bei kontinuierlicher Nutzung der NIV oftmals eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität besteht, andererseits es ohne NIV zur Symptomexazerbation mit ausgeprägter Luftnot kommen kann [101]. Die Verwendung der NIV kann den Bedarf an Morphin zur Dyspnoekontrolle senken, was wiederum eine zu starke sedierende Wirkung verhindert [98].

Empfehlungen zu palliativmedizinischen Aspekten bezüglich NIV zur Symptomlinderung

  • Die NIV kann als palliative Maßnahme zur Symptomlinderung bei Atemnot eingesetzt werden.

Patienten mit außerklinischer Beatmungstherapie

Die außerklinische Beatmung – meist nach erfolglosem Weaning – ist eine zunehmende Behandlungsoption für Patienten mit chronisch-respiratorischer Insuffizienz. Diese Patienten werden nichtinvasiv oder invasiv in einem häuslichen Setting beatmet und müssen im Rahmen von AkutProblemen (meist bronchopulmonale Infektionen) immer wieder akutstationär behandelt werden. In einer 2019 publizierten Studie (Datenanalyse von 2006 bis 2016 des Deutschen Statistischen Bundesamts) wurden alle stationären Aufnahmen analysiert, bei denen eine Langzeitabhängigkeit (mindestens 3 Monate) von der Beatmungsmaschine bestand [102]. In dieser Arbeit konnte eine exponentielle Zunahme von stationären Behandlungsfällen nachgewiesen werden. Führende Diagnosen waren die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung bzw. COPD (58 %), die Herzinsuffizienz (32 %) und eine chronische ischämische Herzerkrankung (25 %), während 32 % einen Diabetes mellitus Typ 2 und 24 % der Patienten eine chronische Niereninsuffizienz aufwiesen. Knapp 10 % der Patienten hatten motorische Funktionseinschränkungen und bei 8,3 % der Patienten lag eine Depression vor. Der Anteil von Patienten mit hypoxisch-ischämischer Enzephalopathie scheint mit 2,2 % niedrig, jedoch die Absolutzahl der Patienten mit n = 1886 veranschaulicht die große Dimension dieser speziellen Patientengruppe. Die deutliche Zunahme der außerklinischen Beatmung hat wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Krankenhauslandschaft in Deutschland, sodass die gesundheitspolitische Situation bezüglich der außerklinischen Beatmung neubewertet werden sollte [102].

In einer Kohortenstudie konnte gezeigt werden, dass Lebensqualität und Lebenszufriedenheit bei Patienten mit invasiver außerklinischer Beatmung und nicht erfolgreichem Weaning nach einem Jahr Langzeitüberleben erheblich eingeschränkt waren [103]. Hierbei konnte ein deutlicher Unterschied zwischen Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen und COPD bezüglich der Entscheidung zur Tracheotomie festgestellt werden. 43 % der Patienten mit COPD (v. 18 % der neuromuskulären Erkrankungen) hätten eine erneute Tracheotomie mit Langzeitbeatmung im Interview abgelehnt. Als wesentliche Einschränkungen bezüglich der aktuellen Lebenssituation wurden Defizite im Bereich der Mobilität, Kommunikation, sozialen Kontakte und Abhängigkeit in der Behandlung angegeben. Bemerkenswert war, dass mehr als 30 % der gesamten Kohorte angab, lieber sterben zu wollen als weiter invasiv beatmet zu werden.

Die Beatmung im außerklinischen Bereich kann somit das Leiden dieser Patienten unnötig verlängern und ein würdevolles Sterben am Ende einer langen Krankengeschichte verhindern. Daher ist eine routinierte und standardisierte palliativmedizinische Betreuung dieser Patienten z. B. auch im Rahmen der spezialisierten, ambulanten Palliativversorgung (SAPV) dringend erforderlich. Diese umfasst nicht nur die Symptomlinderung von Dyspnoe und Schmerzen, auch psychosoziale und spirituelle Themen sollten berücksichtigt werden. Besteht bei Patienten mit außerklinischer Beatmung keine Hoffnung bzw. Sinnhaftigkeit mehr, eine Stabilisierung des Zustands und deren Lebensqualität zu erreichen, dann ist es angezeigt, eine Therapiezieländerung mit ggf. einer Beendigung der Beatmungstherapie mit dem Patienten und seinen Nahestehenden zu besprechen und ggf. vorzunehmen [104].

Empfehlungen zu palliativmedizinischen Aspekten von Patienten mit außerklinischer Beatmungstherapie

  • Patienten mit außerklinischer Beatmungstherapie sollten im Rahmen ihrer häuslichen Versorgung eine ambulante Palliativversorgung erhalten.

  • Die Indikation zur Fortsetzung der Langzeitbeatmung sollte unter Würdigung der Prognose und der Lebensqualität des Patienten im Verlauf individuell, kritisch und idealerweise unabhängig geprüft werden.

7. Palliativmedizinische Aspekte von Patienten mit terminaler COPD, idiopathischer Lungenfibrose sowie Lungenkarzinom

Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD)

Die COPD ist bezüglich Morbidität und Mortalität weltweit eine der führenden Erkrankungen [105, 106]. Gemäß der aktuell gültigen Leitlinie werden schwere Exazerbationen stationär behandelt. Es wird vorgeschlagen, solche Ereignisse als sehr schwere Exazerbationen zu bezeichnen, bei denen eine Therapie in der Notaufnahme oder auf einer Intensivstation als erforderlich angesehen wird. Dabei gelten als Kriterien für eine intensivierte Therapie die schwere, durch die Akuttherapie nicht korrigierbare Dyspnoe, die trotz Sauerstoffgabe persistierende Hypoxämie (paO2 < 55 mm Hg), die progrediente Hyperkapnie mit respiratorischer Acidose (pH-Wert < 7,35) und die Kreislaufinsuffizienz. Je höher der Schweregrad der COPD desto höher ist die Mortalität der Erkrankung zu werten. Jede akute Exazerbation der COPD ist mit einer erhöhten Mortalität assoziiert und eine größere Häufigkeit an Exazerbationen erhöht die Mortalität der Erkrankung zusätzlich [107].

Neben der akutmedizinischen Basistherapie der sehr schweren Exazerbation (Gabe von Bronchodilatatoren und Steroiden, ggf. Antibiotikatherapie, Sauerstofftherapie, NIV) ist eine offene Kommunikation mit dem Patienten (sofern möglich) und seinen An‑/Zugehörigen Voraussetzung für eine umfassende Begleitung. Hierzu gehört auch das Gespräch über den Tod und den bevorzugten Sterbeort des Patienten. Auch das Thema Advance Care Planning sollte bei Patienten mit fortgeschrittener COPD frühzeitig angesprochen werden [5, 108]. Die Beendigung einer Beatmung unter Mitbetreuung durch die (spezialisierte) Palliativmedizin sollte kein Tabuthema, sondern ein selbstverständliches Angebot sein [105]. In Anlehnung an die S3-Leitlinie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie soll bei Patienten, die eine schwere Grunderkrankung mit einer infausten Prognose aufweisen, eine Palliativversorgung mit dem Ziel einer optimalen Symptomlinderung erfolgen [100]. Allerdings ist es bei COPD-Patienten deutlich schwieriger, den passenden Zeitpunkt einer palliativmedizinischen Begleitung zu bestimmen als beispielsweise bei Patienten mit malignen Erkrankungen [109]. Unvorhersehbarkeit des Krankheitsverlaufs, Schwierigkeiten in der Benennung der Prognose und das häufige Fehlen einer Terminalphase sind Gründe hierfür [110]. Im Vergleich zu anderen schweren und zum Tode führenden Erkrankungen ist es bei COPD-Patienten – trotz ihrer zum Teil deutlich ausgeprägteren Komorbidität – weniger wahrscheinlich, dass ihnen eine palliativmedizinische Versorgung zuteilwird. Dabei ist im Vergleich mit Lungenkrebspatienten die Symptomlast ähnlich hoch. In der nationalen Versorgungsleitlinie wird daher die Förderung des Verständnisses von COPD als eine chronische Erkrankung, die dauerhafter Betreuung insbesondere auch spezialisierter palliativmedizinischer Versorgung bedarf, als eine Zielsetzung hervorgehoben [106]. COPD-Patienten erleben leider ihren ersten Kontakt zur Palliativmedizin im Rahmen von rezidivierenden Exazerbationen häufig erst in der Notaufnahme oder auf der Intensivstation, während dies bei Patienten mit Lungenkrebs bereits im ambulanten Setting erfolgt. Daher sollte das primäre Behandlungsteam sowohl in der Notaufnahme als auch auf der Intensivstation in der Behandlung schwerkranker COPD-Patienten geschult sein und die Anforderungen einer allgemeinen palliativmedizinischen Betreuung erfüllen [111]. Bei komplexen Fragestellungen und/oder hoher Symptomlast sollte frühzeitig Kontakt zur spezialisierten Palliativversorgung aufgenommen werden [112,113,114].

Idiopathische Lungenfibrose (IPF)

Die idiopathische Lungenfibrose (IPF) ist eine schwere und fortschreitende Erkrankung unbekannter Ursache, die vor allem bei älteren Erwachsenen auftritt. Sie ist die weltweit häufigste interstitielle Lungenerkrankung mit einer Prävalenz von 2–29 pro 100.000 Einwohnern. Obwohl es einige Fortschritte bei der pharmakologischen Behandlung der IPF gibt und einige Patienten sich einer Lungentransplantation unterziehen, ist die IPF immer noch eine Krankheit mit hoher Mortalität und Morbidität. Das mediane Gesamtüberleben von IPF-Patienten variiert zwischen 2 und 7 Jahren in verschiedenen Studien und ist vergleichbar mit vielen malignen Erkrankungen. Patienten mit einer IPF weisen bereits frühzeitig im Krankheitsverlauf belastende Symptome wie Dyspnoe und Husten auf. Aktuelle Leitlinien empfehlen daher eine frühzeitige Integration von Palliative Care für IPF-Patienten [114,115,116,117].

Vor allem im Rahmen von Infektexazerbationen kann es bei Lungenfibrosepatienten zu einer Verschlechterung der respiratorischen Situation kommen, die eine akutmedizinische Behandlung notwendig macht. Der Einsatz einer invasiven Beatmung geht bei diesen Patienten mit einer hohen Mortalität einher. Eine High-flow-Sauerstofftherapie kann eine Alternative zur konventionellen Sauerstofftherapie bei einigen Patienten darstellen, um eine Hypoxämie zu korrigieren und Dyspnoe zu lindern. Weder durch den Einsatz einer NIV noch einer invasiven mechanischen Beatmung kann die Letalität im Zusammenhang mit fortgeschrittenen Lungenfibrosestadien verändert werden [118].

Lungenkarzinom

Lungenkrebs ist weiterhin die häufigste Todesursache aller Krebsarten. Durch in den letzten Jahren erweiterte und verbesserte diagnostische Verfahren, ein genaueres Staging und zusätzliche Behandlungsoptionen hat sich das Überleben auch von inoperablen Patienten deutlich verbessert [119]. Dies wiederum hat dazu geführt, dass heutzutage Patienten mit nichtheilbarem Lungenkrebs sowohl in Notaufnahmen als auch auf Intensivstationen wesentlich häufiger als noch vor einigen Jahren aufgenommen werden. Patienten mit einem nichtheilbaren Lungenkarzinom sollen in Anlehnung an die S3-Leitlinie nach Diagnosestellung frühzeitig das Angebot einer Integration von Palliativberatung und -versorgung erhalten. Vor allem Komplikationen im Rahmen der tumorspezifischen Therapie sowie behandlungspflichtige Komorbiditäten sind bei diesen Patienten akutmedizinische Behandlungsindikationen. Dennoch haben Patienten mit Tumorerkrankungen eine schlechte Prognose, was manchmal zu einer Verweigerung der Patientenübernahme von der Notaufnahme auf die Intensivstation oder zu einer Stigmatisierung während des Aufnahmeprozesses führen kann [119, 120].

Die Letalität von Patienten mit Lungenkrebs, die auf einer Intensivstation behandelt wurden, hat sich in den letzten 2 Jahrzehnten verbessert, ist aber mit 30–40 % weiterhin hoch. Verbesserungen des Outcomes sind vor allem Durchbrüchen bei der Behandlung von Lungenkrebs, wie gezielten Therapieoptionen und Inhibitoren der Immuncheckpoints, zuzusprechen. Durch eine frühzeitige Aufnahme und eine sorgfältige Evaluation von Patienten können ausgewählte Patienten von einer akutmedizinischen Therapie profitieren [121, 122]. Zwei wichtige Fragen vor Beginn der akutmedizinischen Maßnahme sind: Ist eine Entlassung des Patienten von der Notaufnahme, Intensivstation bzw. aus dem Krankenhaus mit einer akzeptablen Lebensqualität möglich? Können, sofern dies gerechtfertigt ist, weitere tumorspezifische Therapien in Anspruch genommen werden? Bei Patienten mit unheilbarer Lungenkrebserkrankung und drohendem Ausfall eines Organs (z. B. Nieren‑, Leberinsuffizienz, respiratorische Insuffizienz) sollte frühzeitig über die eventuelle Notwendigkeit einer akutmedizinischen, symptomlindernden Behandlung gesprochen und entschieden werden. Eine zeitnahe Diskussion und Behandlung ist hierbei zu favorisieren, um eine verspätete Aufnahme auf die Intensivstation, den Einsatz von Vasopressoren oder eine invasive Beatmung zu vermeiden (mit höherer Mortalität verbundene Faktoren). Bei Patienten, die ohne Therapielimitierung aufgenommen werden, ist der Prozess der Entscheidungsfindung dem anderer Patienten auf der Intensivstation ohne maligne Grunderkrankung ähnlich.

Die intensivmedizinische Behandlung sollte – unter Berücksichtigung des Patientenwillens – mit oder ohne Einschränkung der Therapieverfahren über einen begrenzten Zeitraum erfolgen. Die Dauer und das Ausmaß des zeitlich begrenzten Therapieversuchs (Time-limited Trial) sollte idealerweise schon bei Aufnahme des Patienten über die Notaufnahme oder die Intensivstation zwischen dem Behandlungsteam und dem Patienten bzw. seinen An‑/Zugehörigen festgelegt werden. Eine regelmäßige Reevaluation der Prognose und erneute Therapiezielfestlegung sollte im engen Austausch mit dem Patienten und seinen An‑/Zugehörigen sowie den Primärbehandlern (Pneumologen, Thoraxchirurgen, Onkologen) erfolgen. Bei Patienten mit bestehender Therapielimitierung und schlechter Prognose kann – immer stets unter Berücksichtigung von Patientenwillen und medizinischer Indikationsstellung – eine eingeschränkte, jedoch symptomlindernde Unterstützung bei Aufnahme über die Notaufnahme oder die Intensivstation angeboten werden (z. B. NIV oder High-flow-Sauerstofftherapie bei Dyspnoe). Diese zu berücksichtigenden Aufnahmebedingungen sollten dem Patienten und seinen An‑/Zugehörigen verständlich erklärt werden. Bei einer längeren Intensivbehandlung sollten mindestens einmal pro Woche Gespräche mit dem Patienten und seinen An‑/Zugehörigen über den aktuellen Zustand geführt werden. In die Gespräche und Entscheidungsprozesse mit Patienten und An‑/Zugehörigen sollten alle in die Behandlung involvierten Behandler einbezogen werden [122].

Advance Care Planning (ACP) sollte insbesondere bei Patienten mit Lungenkrebs frühzeitig thematisiert werden. Gespräche zu Inhalten des ACP führen oftmals zur Verbesserung der Lebensqualität und des Gemütszustands der Patienten. Die Dokumentation sollte leicht zugänglich und im Notfall verfügbar sein (deutliche Sichtbarkeit im Krankenhausinformationssystem). Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund bedeutsam, dass der Patient selten in der Lage ist, die noch möglichen onkologischen Behandlungsoptionen in seiner Situation zu überblicken. Bei der Entscheidung für oder gegen eine akutmedizinische Behandlung spielen Faktoren wie weiterer Versorgungsbedarf des Patienten nach Entlassung aus dem Krankenhaus (z. B. Pflegeeinrichtung, Heimbeatmung) sowie das Ansprechen auf die tumorspezifische Therapie teilweise eine größere Rolle als die Ausdehnung der Tumorerkrankung. Dies gilt insbesondere für Patienten, die für eine gezielte Therapie infrage kommen oder auf Inhibitoren des Immuncheckpoints ansprechen [123, 124].

Empfehlungen zu palliativmedizinischen Aspekten von Patienten mit terminaler COPD, idiopathischer Lungenfibrose und Lungenkrebs

  • Bei Patienten mit einer fortgeschrittenen pneumologischen Grunderkrankung und schlechter Prognose soll eine palliativmedizinische Versorgung mit dem Ziel einer optimalen Symptomlinderung durch medikamentöse und nichtmedikamentöse Maßnahmen erfolgen.

  • Das Gespräch über den Tod und den bevorzugten Sterbeort des Patienten sollten grundsätzlich Teil ärztlicher Beratung sein. Auch in der Akutsituation sollten diese Themen adressiert werden, sobald die Symptome soweit reduziert sind, dass der Patient dazu in der Lage ist.

  • Die Beendigung einer Beatmungstherapie unter palliativmedizinischer Betreuung sollte auf Intensivstationen ein selbstverständliches Angebot sein.

8. Palliativmedizinische Aspekte von Patienten mit hypoxisch-ischämischer Enzephalopathie und Delir

Hypoxische Enzephalopathie mit und ohne epileptische Anfälle

Die hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE) ist Folge einer Minderversorgung des Gehirns mit Sauerstoff, die typischerweise Folge eines Kreislaufstillstands ist. Die Inzidenz beträgt 5–9 pro 100.000 Personen [125]. Aus neurologischer Sicht ist in der Akutphase die Aufdeckung fokaler Pathologien des Zentralnervensystems (ZNS), die weitreichende therapeutische oder prognostische Konsequenzen haben können, relevant (z. B. CPR in Folge einer Hirnblutung; [126, 127]). Die Beurteilung des Ausmaßes einer HIE und damit die Prognosebeurteilung erfolgt entsprechend den aktuell gültigen Leitlinien multidimensional. Die vorhandenen Prognosemarker sind gut etabliert für die Vorhersage einer ungünstigen Prognose, jedoch schlecht für eine günstige Prognose [125]. Die apparative Zusatzdiagnostik umfasst in der Regel eine zerebrale Bildgebung, eine elektrophysiologische Untersuchung (Elektroenzephalogramm [EEG], ggf. somatosensorisch evozierte Potenziale, kurz SSEP) und die laborchemische Bestimmung der neuronenspezifischen Enolase (NSE). Sedierungseffekte sind bei der klinischen Prognosebeurteilung und bei der EEG-Diagnostik zu beachten bzw. soweit möglich zu vermeiden. Die neurologische Diagnostik zur Prognosevorhersage sollte mit ausreichendem Abstand zur CPR durchgeführt und frühestens 72 h nach CPR zusammenfassend beurteilt werden. Ausnahmen sind z. B. Patienten mit schon vorher vorhandenen klinischen Zeichen des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls [125]. Sofern sich aus der Prognosebeurteilung ergibt, dass keinerlei Aussicht auf eine Erholung der zerebralen Funktionen und ein Wiedererlangen des Bewusstseins besteht, sollte aus ethischen Gründen eine Therapielimitierung mit den An‑/Zugehörigen besprochen und empfohlen werden [128]. Der Einsatz eines Prognosealgorithmus kann zur Anwendung kommen, wobei hier die folgenden Nomenklaturen mitsamt der auszusprechenden Empfehlung verwendet werden können: sehr schwere HIE unwahrscheinlich → Therapie fortsetzen; Prognose offen → Therapie fortsetzen; Prognose sehr wahrscheinlich schlecht → Therapiezieländerung diskutieren; Prognose infaust → Therapiezieländerung empfehlen [125, 129]. Ein Wechsel des Behandlungsziels (Therapiezieländerung) findet in der Regel in der Frühphase (wenige Tage nach Initialereignis) oder erst nach mehrwöchigem neurologischem Rehabilitationsversuch ohne Erreichen einer klinischen Verbesserung statt [125]. Komorbiditäten bzw. der prämorbide Status sind in der realistischen Einschätzung eines erreichbaren Therapiezieles zu berücksichtigen und offen mit den An‑/Zugehörigen zu kommunizieren.

Myoklonien treten bei ca. 20–30 % der HIE-Patienten während des Behandlungsverlaufs auf, wobei nur das Auftreten innerhalb der ersten 24 h (postanoxische Frühmyoklonien) als ein sicher ungünstiges klinisches Zeichen zu werten ist [129]. Eine EEG-Untersuchung sollte bei persistierender Bewusstseinsstörung nach CPR durchgeführt werden, um einen behandelbaren nicht-konvulsiven Status epilepticus (SE) nicht zu übersehen [130]. Nach abgeschlossener Diagnose‑/Prognosebeurteilung im Rahmen einer HIE sollten beim Auftreten epileptischer Anfälle weitere Zusatzuntersuchungen im Verlauf nur durchgeführt werden, wenn einerseits eine therapeutische Konsequenz resultiert und andererseits der Aufwand der Untersuchung einen Erkenntnisgewinn rechtfertigt [131]. Da ein intensivmedizinisches Monitoring per se keine Verbesserung der Lebensqualität/Symptomlinderung bietet, sollte kritisch überprüft werden, ob die Aufrechterhaltung gerechtfertigt ist [132]. Zur Präsentation epileptischer Anfälle bei palliativen Patienten gibt es keine direkten Studien, jedoch kann über den Verweis auf geriatrische Patienten postuliert werden, dass evtl. häufiger ein nicht-konvulsiver als ein konvulsiver SE vorliegen könnte. Eine verzögerte Diagnosestellung und Behandlung können die Folge sein [133]. Ein SE (klinisch und/oder im EEG) nach HIE ist mit einer schlechten Prognose assoziiert, beweist sie aber nicht. Wenn die Ergebnisse der weiteren Diagnostik keine infauste Prognose belegen, sollte ein antiepileptischer Therapieversuch unternommen werden, je nach Konstellation ggf. auch über einen längeren Zeitraum und entsprechend hochdosiert [134,135,136]. Insgesamt besteht für die Behandlung eines SE/epileptischer Anfälle und auch postanoxischer Myoklonien nach HIE keine ausreichende Evidenz [125]. Bei den intravenös verfügbaren Antiepileptika für den SE gibt es keine Evidenzklasse-I-Empfehlung bezüglich der Wahl des Medikaments [137]. Zur Therapie werden die gängigen Antikonvulsiva (u. a. Valproinsäure, Levetiracetam, Piracetam) eingesetzt, jedoch besteht oft ein schlechteres Ansprechen. In der Akutphase werden zusätzlich Benzodiazepine und/oder Propofol verwendet. Die Therapie postanoxischer Myoklonien ist rein symptomorientiert und hat keinen Effekt auf die Prognose [138]. Im Verlauf auftretende epileptische Anfälle, die die Lebensqualität (Quality of Life, QoL) beeinträchtigen, sollten medikamentös behandelt werden, jedoch sollte im Umkehrschluss die antikonvulsive Therapie die QoL nicht beeinträchtigen [131]. Bei der Auswahl der Medikamente sollten die zu erwartenden Nebenwirkungen im Hinblick auf die QoL beachtet werden. Beim Vorliegen eines refraktären oder superrefraktären SE oder persistierendem Status myoclonicus im Rahmen einer HIE kann eine gezielte Sedierung diskutiert werden [131]. Die Behandlung epileptischer Anfälle im Rahmen einer palliativen Therapie sollte alternative Applikationsarten (nasal, bukkal, intramuskulär, subkutan oder rektal) – spätestens vor Verlegung von der Intensivstation – berücksichtigen. Hierbei handelt es sich in der Regel um eine Off-label-Anwendung. Die Etablierung eines entsprechenden palliativmedizinischen Behandlungsstandards kann empfohlen werden [139].

Delir

Sowohl akutmedizinische als auch palliative Krankheitsverläufe bieten oft multiple Risikofaktoren und Ursachen für ein Delir (Polypharmazie inklusive medikamentöser Nebenwirkungen, metabolische Veränderungen, zerebrale Pathologien), die sich ggf. gegenseitig beeinflussen [140]. Angaben zur Prävalenz des Delirs im palliativmedizinischen Kontext schwanken je nach Grunderkrankung und Fortschritt derselben zwischen 13 und 88 % [141]. Der Zustand eines Delirs ist für die betroffenen Patienten, aber auch für die (pflegenden) An‑/Zugehörigen und professionellen Teammitglieder beängstigend und aufwühlend. Die offene Kommunikation mit den An‑/Zugehörigen und die Erklärung des Krankheitsbilds ggf. unter Nutzung von Informationsmaterial (An‑/Zugehörigenflyer) sind wichtig.

Bei der empfohlenen Verwendung von gut etablierten und standardisierten Delirscoringsystemen (z. B. „confusion assessment method“, CAM) ist zu beachten, dass diese für palliative Patienten nicht etabliert sind und grundsätzlich nur unter Beachten des Nutzens/Aufwands für den Patienten durchgeführt werden sollten [142, 143]. Die Verlaufsformen eines Delirs können in hyperaktiv, hypoaktiv und gemischt eingeteilt werden, wobei ein Delir oft zu selten erkannt und häufig nicht oder falsch behandelt wird [144]. Beim Vorliegen eines primär hypoaktiven Delirs kann ein EEG zur Differenzierung eines potenziell behandelbaren nicht-konvulsiven SE durchgeführt werden. Vor dem Einsatz medikamentöser Therapien sollten soweit möglich Allgemeinmaßnahmen, wie ruhige und orientierungsfördernde Umgebung, Sturzprophylaxe, ruhige Kommunikation und Kontinuität in der Betreuung, durchgeführt werden [2]. Die Indikation zur medikamentösen Therapie eines Delirs sollte sich primär an den Symptomen und der QoL orientieren. Die Wahl der medikamentösen Therapieoption im palliativen Setting kann ggf. stärker nach alternativer Applikationsform (z. B. subkutan) oder Nebenwirkungsprofil getroffen werden. Die allgemeinen leitlinienbasierten Therapieempfehlungen des Delirs [145] können oft auch für Patienten im palliativen Kontext übernommen werden und sind niedrig dosiert mit Haloperidol, Risperidon, Olanzapin oder Quetiapin durchzuführen [141, 146]. Die Auswahl der Medikation sollte symptomorientiert erfolgen. Die grundsätzliche Wirksamkeit von Antipsychotika auf die Symptome eines Delirs ist gegeben, wird jedoch in den vorhandenen Studien unterschiedlich bewertet, wobei speziell zur Therapie des hypoaktiven Delirs bei Intensivpatienten keine evidenzbasierten Empfehlungen existieren [145]. Bisher konnte keine Überlegenheit eines Antipsychotikums gegenüber einem anderen nachgewiesen werden, wobei die beste Datenlage aktuell für den Einsatz von Haloperidol vorliegt [141, 147]. Der primäre Einsatz von Benzodiazepinen beim Delir ist aufgrund prodelirogener Effekte zu vermeiden [145]. Sofern Haloperidol auf die hyperaktive Symptomatik keinen ausreichenden Effekt zeigt, kann eine Kombination aus Haloperidol mit einem Benzodiazepin erwogen werden [148, 149]. Wird ein sterbender/palliativer Patient von der Notaufnahme oder Intensivstation auf die Palliativstation oder Normalstation verlegt, ist auch dort die adäquate weitere Aufrechterhaltung der analgetischen und ggf. sedierenden Therapie zu sichern [145]. Zusätzlich zur medikamentösen Therapie sind bei der Versorgung von Patienten mit Delir allgemeine Maßnahmen notwendig, um eine reizarme und orientierungsgebende Situation zu schaffen [150]. Sturzprophylaxe und ruhige Kommunikation gehören ebenso dazu.

Empfehlungen zu palliativmedizinischen Aspekten von Patienten mit hypoxisch-ischämischer Enzephalopathie und Delir

  • Die Prognoseabschätzung nach hypoxisch-ischämischer Enzephalopathie (HIE) sollte unter Anwendung eines standardisierten Prognosealgorithmus erfolgen.

  • Sofern im Gefolge einer HIE epileptische Anfälle klinisch oder elektroenzephalographisch nachweisbar sind, soll eine antikonvulsive Therapie in ausreichend hoher Dosierung und über eine ausreichend lange Zeit durchgeführt werden.

  • Patienten mit persistierender Bewusstseinsstörung nach HIE sollten ebenso wie Patienten mit der Verdachtsdiagnose eines hypoaktiven Delirs eine EEG-Diagnostik erhalten, um einen potenziell behandelbaren nicht-konvulsiven Status epilepticus differenzialdiagnostisch nicht zu übersehen.

  • Die Therapie des Delirs soll grundsätzlich aus nicht-medikamentösen und medikamentösen Anteilen bestehen. Beim hyperaktiven Delir ist Haloperidol die Therapie der Wahl, für das hypoaktive Delir besteht derzeit keine medikamentöse Therapieoption.

9. Palliativmedizinische Aspekte bei terminaler Niereninsuffizienz (Dialysepflichtigkeit)

Patienten mit akuter Nierenfunktionsverschlechterung

In Abhängigkeit von der Definition und der untersuchten Population haben große Studien eine Inzidenz der akuten Nierenfunktionsverschlechterung (Acute Kidney Injury, AKIN) auf der Intensivstation von 6–60 % gezeigt mit der geringsten Inzidenz bei elektiven chirurgischen Patienten und der höchsten bei Patienten mit Sepsis [151]. Etwa 5 % der Patienten mit AKIN müssen einem extrakorporalen Blutreinigungsverfahren zugeführt werden [152]. Nicht nur das Auftreten einer AKIN, gemessen an den hierfür nötigen Diagnosekriterien, sondern auch der Einsatz eines extrakorporalen Nierenersatzverfahrens erhöht die Mortalität und die Dauer des Intensivaufenthalts erheblich (Mortalität um 50 %, Dauer um ca. 9 Tage; [153]).

Die allgemeine Krankenhausmortalität von Patienten mit AKIN liegt bei 30 % [154]. Bei Vorliegen eines dialysepflichtigen Nierenversagens auf der Intensivstation steigt die Mortalität auf 50–60 % an [155]. Bis zu einem Drittel der Patienten, die im Rahmen eines intensivmedizinischen Aufenthalts dialysiert werden müssen, sind bei Entlassung aus dem Krankenhaus auf ein Nierenersatzverfahren angewiesen [156]. Eine zumindest partielle Erholung der Nierenfunktion tritt meist innerhalb der ersten 3 Monate ein und bei optimaler Therapie können 20–60 % dieser Patienten wieder unabhängig von einem Nierenersatzverfahren leben [156].

Chronische Dialysepatienten

Immer häufiger werden chronische Dialysepatienten bzw. Patienten mit sog. End Stage Renal Disease (ESRD) akutmedizinisch behandelt. Wesentliche Ursache dafür sind kardiovaskuläre Erkrankungen, Infektionen und die Tatsache, dass die Dialysepopulation zunehmend älter wird. Diese Patientengruppe ist ähnlich wie ältere Intensivpatienten durch das häufige Vorliegen einer sog. Frailty gekennzeichnet: Schwäche und Gebrechlichkeit, geringere körperliche Ressourcen (inklusive der Muskelmasse), eingeschränkter Ernährungszustand, Immobilität und eingeschränkte Kognition [157]. Damit besteht ein erhöhtes Risiko für eine erhöhte Mortalität, eine eingeschränkte Lebensqualität und eine geringere Wahrscheinlichkeit, nach Hause entlassen zu werden [158]. Zusätzlich liegen bei Patienten mit ESRD meist bereits bei Aufnahme ins Krankenhaus zahlreiche Komorbiditäten vor. Der stationäre Aufenthalt ist durch diese und weitere Besonderheiten, wie z. B. das Vorhandensein eines Dialysezugangs und/oder eines Peritonealdialysekatheters, und die zugrunde liegenden metabolischen Störungen erschwert.

Aspekte der Behandlung eines terminalen Nierenversagens bei Älteren

Generell kann auch bei älteren Patienten bei Eintritt einer Urämie die Durchführung einer Nierenersatztherapie lebensverlängernd [159] sein, allerdings gilt dies nur, wenn nicht zu viele und schwerwiegende Komorbiditäten vorliegen [160]. Als Alternative zur maschinellen Nierenersatztherapie wurden daher in den letzten Jahren auch in der Nephrologie Konzepte für eine maximale konservative und palliative Therapie entwickelt und untersucht [161].

Beendigung der Dialyse

Aufgrund der hohen körperlichen und psychischen Symptomlast gewinnt die Palliativmedizin bei Patienten mit ESRD in der letzten Lebensphase zunehmend an Bedeutung. Der palliative Ansatz ist patienten- und angehörigenzentriert, im Vordergrund stehen die Minderung der Symptomlast und des Leidens sowie die Besserung der Lebensqualität und des Wohlbefindens. Anstelle von Diagnose und starren Therapiekonzepten und einer Verpflichtung zur Maximaltherapie steht jetzt der individuelle Patient im Fokus, der mit einem Minimum an Therapie ein Maximum an Lebensqualität in der verbleibenden Lebenszeit möchte [162]. So werden ein konsentierter Verzicht auf eine Dialysebehandlung (Dialysevorenthalt) und eine Beendigung der Dialyse in dieser Phase zu Alternativen. Konservatives Management und Symptomlinderung lösen die Nierenersatzverfahren im Sinne einer Therapiezieländerung ab.

Wird bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz eine einmal begonnene Dialysebehandlung eingestellt, tritt der Tod im Durchschnitt innerhalb von 7 Tagen ein [163], bei Patienten auf Intensivstationen allerdings meist schneller, da hier weitere schwere Erkrankungen vorliegen. Wie oft eine Beendigung der Dialyse für den Tod an der Dialyse ursächlich ist, wurde für Deutschland bislang statistisch nicht aufgearbeitet. Daten aus Amerika und Frankreich legen aber eine Zunahme in den letzten Jahren nahe [163, 164]. Patienten, bei denen eine Dialysebehandlung abgebrochen wird, sind meist multimorbider, haben häufiger starke Schmerzen, sind häufiger und schwerer dement und sind gebrechlicher.

Die American Society of Nephrology (ASN) und die Renal Physicians Association (RPA) haben im Jahr 2000 erstmals gemeinsam Leitlinien zu Dialysebeginn und -beendigung veröffentlicht [165]. Die Leitlinien liegen mittlerweile in einer überarbeiteten Version vor. Sie berücksichtigen ethische Grundprinzipien, den Stand der evidenzbasierten Medizin und die Rechtslage in den USA. Vorgeschlagen wird ein stufenweises, prozessuales Vorgehen, das sich an Empfehlungen orientiert und als „shared decision making“ bezeichnet wird [166]. Eine Beendigung der Dialyse ist dementsprechend bei Patienten zu diskutieren, die eine stark eingeschränkte Lebenserwartung, eine schlechte Lebensqualität, therapierefraktäre Schmerzen oder einen fortschreitenden Abbau aufgrund einer unbehandelbaren Erkrankung haben. Patient, Arzt und An‑/Zugehörige nähern sich – ggf. unter Beteiligung von Psychologen oder Ethikern – der Entscheidung zu einem Dialyseabbruch in einem schrittweisen Informations‑, Diskurs- und Vertrauensbildungsprozess an.

Eine fundierte Diskussion der individuellen Prognose und der möglichen therapeutischen Strategien ist erforderlich, bevor der Patient selbst oder, im Fall einer Einwilligungsunfähigkeit, der gesetzliche Vertreter an dessen Stelle eine Entscheidung hinsichtlich der Durchführung eines Nierenersatzverfahrens treffen kann. Standardisierte prozessuale Abläufe unter Einbeziehung von ärztlichem und pflegerischem Personal, idealerweise auch von Sozialarbeitern, Psychologen, Seelsorgern und Ethikern, angelehnt an den Grundsätzen des „shared decision making“, sollten implementiert werden. Patienten mit kontinuierlichen Nierenersatzverfahren sollten regelmäßig zu ihren Wünschen und Vorlieben befragt werden, um eine vorausschauende Therapieplanung zu ermöglichen. Dabei ist es sinnvoll, auch die Möglichkeit einer Therapiezieländerung zu thematisieren, damit der Patient bei Eintritt einer Verschlechterung auf Veränderungen in der Zielpriorisierung vorbereitet ist und im Fall einer Einwilligungsunfähigkeit der gesetzliche Vertreter den tatsächlichen Willen des Patienten entsprechend verwirklichen kann.

Möglichkeiten der Symptomlinderung bei Beendigung der Dialyse

Hier sind die gleichen Prinzipien wie bei anderen lebensbedrohlichen Erkrankungen vor allem mit dem Ziel der Symptomlinderung anzusetzen. Auch eine begrenzte (z. B. nur bei Bedarf und/oder einmal wöchentlich angesetzte) Fortführung der Dialyse, beispielsweise zur Besserung der Luftnot, ist dabei eingeschlossen.

Folgende Symptome sind bei Beendigung der Dialyse entsprechend zu kontrollieren: Müdigkeit/Energielosigkeit, Schlafstörungen, Malnutrition, Dyspnoe, Angst, Mundtrockenheit, Juckreiz, Depression, Übelkeit, Schmerzen und Obstipation [167].

Beendigung der Dialyse bzw. Entscheidung gegen Dialysebeginn (Dialysevorenthalt)

Bei AKIN oder ESRD sollte eine Dialysebehandlung in folgenden Situationen beendet oder vorenthalten werden:

  • Einwilligungsfähige Patienten können jederzeit eine Dialysebehandlung ablehnen oder beenden. Der behandelnde Arzt hat in diesem Kontext aber die Pflicht, über Prognose und Folgen der Therapiezieländerung umfassend zu informieren und aufzuklären. Zudem muss sichergestellt sein, dass die Entscheidung freiwillig gefällt wird und es ist auszuschließen, dass medizinisch beherrschbare Symptome ursächlich sind.

  • Einwilligungsunfähige Patienten bedürfen eines gesetzlichen Vertreters, der in Verwirklichung des schriftlich verfügten, mündlich geäußerten oder mutmaßlichen Patientenwillens den Beginn sowie die Fortführung einer Dialysebehandlung ablehnen kann.

  • Spezielle Patientengruppen: Eine Beendigung der Dialyse bzw. eine Entscheidung gegen einen Dialysebeginn sind bei Patienten mit AKIN oder ESRD zu diskutieren, die irreversible ausgeprägte neurologische Störungen oder eine fortschreitende unheilbare Krankheit haben oder aufgrund ihres Gesundheitszustands eine Dialysebehandlung nicht tolerieren.

Empfehlungen zu palliativmedizinischen Aspekten bei terminaler Niereninsuffizienz (Dialysepflichtigkeit)

  • Patienten im fortgeschrittenen Alter mit hoher Krankheitslast sollten grundsätzlich die Alternative einer konservativen Versorgung ohne Dialyseeinleitung angeboten werden.

  • Generell sollten alle Patienten, bei denen eine Dialyse beendet oder bei denen eine Entscheidung gegen eine Dialyse getroffen wird, eine integrierte palliativmedizinische Versorgung erhalten.

  • Patienten, bei denen aufgrund einer unsicheren Prognose zunächst ein zeitlich begrenzter Therapieversuch (Time-limited Trial) angeboten wird, sollte eine integrierte palliativmedizinische Versorgung angeboten werden.

10. Palliativmedizinische Aspekte bei hämato-/onkologischen Patienten

Von einer anfänglichen Ablehnung über eine deutliche Skepsis hat es lange gedauert, bis Krebspatienten den Weg von der Notaufnahme auf die Intensivstation gefunden haben. Onkologische Akutpatienten sollten frühzeitig fachspezifisch in der Notaufnahme und auf der Intensivstation gesehen werden.

Neben den vielen Chancen durch neue Krebstherapien und den parallelen positiven Entwicklungen in der modernen Intensivmedizin müssen bei Krebspatienten auf der Intensivstation immer wieder die Grenzen des Machbaren evaluiert werden. In einer Publikation über die Prävalenz von krebserkrankten Patienten auf deutschen Intensivstationen zeigte sich, dass fast jeder 4. Patient auf der Intensivstation eine Krebserkrankung hatte [168]. Eine gute Balance zwischen Möglichem, Machbarem und Sinnvollem ist dringend erforderlich. Das zeigt, wie wichtig hier eine sorgfältige Betrachtung dieser Patienten innerhalb der Intensivmedizin unter palliativmedizinischen Gesichtspunkten ist.

Die Prognose einer Krebserkrankung hat sich in den letzten Jahren um eine weitere Qualität erweitert. Neben einer kompletten Remission, was in vielen Fällen einer Heilung der Krebserkrankung gleichkommt, und einem progredienten Tumorwachstum bzw. Progress einer hämatologischen Erkrankung, was zum Tod führt, hat sich eine 3. Qualität, eine sog. Langzeitremission oder stabile/chronische Krebserkrankung etabliert. Gerade letztere Gruppe stellt vor allem aufgrund der prognostischen Unsicherheit eine besondere Herausforderung für Akut- und Intensivmediziner sowie für Palliativmediziner dar.

Bei der Diagnose einer Krebserkrankung sollte unbedingt auch über die Prognose der Erkrankung gesprochen und aufgeklärt werden. Idealerweise steht das Erstellen einer Patientenverfügung bzw. Vorsorgevollmacht am Ende eines Aufklärungsprozesses. Unklarheit besteht, ob dies direkt am Anfang bei Diagnosestellung erfolgen sollte oder erst im Verlauf der Erkrankung [169].

Aufgrund der oben beschriebenen Prognosemöglichkeiten sollten daher vor Aufnahme eines Krebspatienten auf die Intensivstation mit dem Patienten oder seinem Bevollmächtigten bereits in der Notaufnahme über die Optionen einer intensivmedizinischen Behandlung gesprochen und diese erläutert werden. Eine Aufnahme auf die Intensivstation gegen den Willen des Patienten, seines bevollmächtigten Betreuers oder den niedergeschriebenen Wunsch des Patienten darf nicht erfolgen. Andererseits bedeutet ein ausdrücklicher Wunsch nicht unbedingt, dass eine intensivmedizinische Behandlung zwingend erfolgen sollte. Entscheidend ist, ob eine Indikation für eine intensivmedizinische Behandlung vorliegt und die Aufnahme auf einer Intensivstation sinnvoll ist. Patienten mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung, fehlender Reversibilität, geringem Karnofsky-Status und fehlenden Behandlungsoptionen sollten nicht auf eine Intensivstation aufgenommen werden. In der Regel gilt das sog. Full-Code-Management für Patienten mit kurativen Therapiemöglichkeiten, Patienten mit Remission ihres Malignoms sowie für Patienten, bei denen eine Heilung zwar unwahrscheinlich ist, die erwartete Lebenserwartung jedoch erheblich ist (stabile Krebserkrankung) oder für Patienten mit therapieassoziierten Nebenwirkungen, z. B. im Rahmen von neuen Immuntherapien.

Patienten mit schlechtem Gesamtzustand, die keine weiteren Krebstherapieoptionen haben, sterbende Patienten sowie Patienten, die eine Intensivbehandlung ablehnen, sollten nicht auf die Intensivstation aufgenommen werden. Für alle Patienten, die nicht einer dieser 3 Aussagen zugeordnet werden können, z. B. in Notfallsituation oder Situationen, wo nicht alle Informationen für eine Entscheidungsfindung vorliegen oder umfassend geklärt werden können, sollte eine zeitlimitierte Maximal‑/Erstversorgung in der Notaufnahme bzw. auf der Intensivstation ggf. mit Therapielimitationen („do not escalate“/„do not intubate“ oder „do not attempt resuscitation“) durchgeführt werden, um dann anschließend in Kooperation mit dem behandelnden Hämatoonkologen die Situation zu besprechen und neu zu evaluieren (Time-limited Trial). Bei Krebspatienten, die auf einer Intensivstation aufgenommen wurden, sind der aktuelle Behandlungsstatus, therapieassoziierte Probleme und die geschätzte Prognose dem Intensivteam meistens unbekannt. Daher wird dringend empfohlen, einen Onkologen sowie einen Palliativmediziner zu konsultieren, um eine individuelle Prognoseabschätzung und mögliche Differenzialdiagnosen zu erhalten.

Krebspatienten sollten eine Palliativversorgung möglichst frühzeitig angeboten werden. Untersuchungen zeigen, dass eine frühzeitige Integration eines spezialisierten, multiprofessionellen Palliativteams für hospitalisierte Patienten zu einer Verringerung der Intensiveinweisungen führt [170]. Auch die Etablierung eines „Palliative-care“-Teams in den Arbeitsablauf der Intensivstation (Palliativ-Visite) hat zu einem kürzeren Intensiv- und Krankenhausaufenthalt geführt [171, 172]. Die Mortalität bleibt dabei unverändert [8].

Die Aspekte der End-of Life-Versorgung werden in unterschiedlichen Leitlinien und Empfehlungen beschrieben und unterscheiden sich nicht bei Krebspatienten [2, 173].

Empfehlungen zu palliativmedizinischen Aspekten bei onkologischen Patienten

  • Grundsätzlich soll vor einer Intensivstationsaufnahme eines Patienten mit einer Krebserkrankung geklärt werden, ob eine intensivmedizinische Versorgung medizinisch indiziert und vom Patienten bzw. gesetzlichen Betreuer gewünscht ist.

  • Allen schwerkranken Krebspatienten sollte eine akutmedizinische Versorgung (ohne Einschränkung der Ressourcen) angeboten werden, wenn das dadurch angestrebte Therapieziel mit der allgemeinen Prognose der zugrunde liegenden Malignität vereinbar sein könnte.

  • Strukturen für eine Palliativversorgung von Krebspatienten sollen frühzeitig etabliert und dem Patienten bzw. Betreuer vorgestellt und angeboten werden.

  • Dem vorausverfügten Patientenwillen oder den Angaben eines Bevollmächtigten muss, wenn medizinisch inhaltlich sinnvoll, Folge geleistet werden. Bei fehlender Sinnhaftigkeit soll dies offen und empathisch mit den Betroffenen unter Aufzeigen der Alternativen kommuniziert werden.

  • Um die Qualität der End-of-Life-Versorgung bei kritisch kranken Krebspatienten zu verbessern, z. B. die Beurteilung und das Arzneimittelmanagement bei Notfällen, das Beenden der Behandlung und die Überwachung oder die Wahrung der Würde und der individuellen Wünsche, sollte eine enge Kooperation mit der spezialisierten Palliativmedizin erfolgen.

11. Management palliativer Notfälle

Die Palliativmedizin scheint im Widerspruch zu dem in Deutschland existierenden Notfall- und Intensivsystem zu stehen. Steht die Behandlung „palliativer Notfälle“ im Gegensatz zu den sog. lebenserhaltenden Systemen oder gibt es gute Möglichkeiten, dem Willen des Palliativpatienten unter Berücksichtigung einer medizinischen Option gerecht zu werden? Im Folgenden werden Möglichkeiten aufgezeigt, in welcher Form „palliative Notfälle“ behandelt werden können, ohne dass sich eine medizinische Disziplin vermeintlich der anderen medizinischen Disziplin unterordnen müsste.

In der aktuellen S3-Leitlinie Palliativmedizin wird u. a. die Behandlung akuter Symptomexazerbationen bei Palliativpatienten beschrieben [2]. Die beschriebenen Symptome entsprechen auch den häufigsten notfallmedizinischen Einsatz- und Handlungsindikationen bei „palliativen Notfällen“. Weiterhin sollte in der medizinischen Versorgung „palliativer Notfälle“ die aktuelle schottische sowie die tasmanische Leitlinie zur Behandlung von Notfallsituationen bei Palliativpatienten Berücksichtigung finden [174, 175]. In diesen beiden Leitlinien wird explizit auch auf Notfallsituationen eingegangen, die national und international als „palliativer Notfall“ definiert werden [26, 174,175,176].

Palliativer Notfall

Bis zu 10 % aller präklinischen Notfallsituationen sind als „palliative Notfälle“ definiert [26, 177, 178]. Innerklinische Auswertungen zu solchen speziellen Notfallsituationen sind in Deutschland nicht existent. „Palliative Notfälle“ werden in Deutschland in 4 bzw. 5 Kategorien eingeteilt. Von diesen Kategorien ist auch in der Folge die medizinische Indikation für das notfallmedizinische Handeln sowie die Entscheidung über die Invasivität der therapeutischen Maßnahmen abhängig. Weiterhin gilt es bei einem „palliativen Notfall“ die verschiedenen Dimensionen (medizinisch, rechtlich, spirituell, ethisch, psychosozial) zu berücksichtigen, da auch diese in ihrer Gesamtheit das Notfallgeschehen beeinflussen und somit einen nachfolgenden Einfluss auf die Therapie haben können.

Der „palliative Notfall“ wird in der Regel in die folgenden 4 Kategorien eingeteilt ([176, 179]; Tab. 3).

Tab. 3 Einteilung von palliativen Notfällen

Von Bedeutung ist, dass jede Kategorie des „palliativen Notfalls“ durch psychosoziale Faktoren des Patienten und/oder der Betreuungspersonen getriggert und in ihrer Wahrnehmung beeinflusst werden können [176]. Im Zusammenhang mit diesen Faktoren wird auch ersichtlich, dass die Notfallteams die verschiedenen Dimensionen des „palliativen Notfalls“ kennen sollen. Zu den Dimensionen des (palliativen) Notfalls zählen die physische, psychische, soziale, spirituelle, ethische und rechtliche Dimension [176].

Symptome „palliativer Notfall“

Die häufigsten Symptome/Erkrankungen, die zu „palliativen Notfällen“ führen, sind:

  • Atemnot,

  • Krampfleiden/Bewusstseinsstörungen,

  • Schmerzexazerbationen,

  • akute Blutungssituationen,

  • psychosoziale Krisen,

  • kardiopulmonale Reanimation.

Im Vordergrund der therapeutischen Maßnahmen stehen bei den „palliativen Notfällen“ vor allem eine sehr gute symptomlindernde Therapie zum Erhalt einer möglichst hohen Lebensqualität und die medizinische Indikation zu therapeutischen Maßnahmen unter Berücksichtigung des Patientenwillens. Die palliativmedizinischen Therapieempfehlungen der häufigsten Symptome sind in den tasmanischen, den schottischen und den deutschen Leitlinien zur Behandlung von Palliativpatienten integriert [2, 174, 175]. Vor allem in den beiden internationalen Leitlinien wird explizit auf die therapeutischen Maßnahmen in Notfallsituationen eingegangen.

Der „palliative Notfall“ ist sowohl für präklinische als auch für klinische Notfallteams eine Herausforderung, wenn 1. die Intention besteht, den Patienten gemäß seiner Wünsche zu behandeln oder eben nicht zu behandeln; 2. die medizinische Indikation für die therapeutische Entscheidung berücksichtigt wird: 3. die Besonderheit der symptomatischen therapeutischen Möglichkeiten in Erwägung gezogen werden und 4. der mögliche Effekt der medizinischen Handlung objektiv und sachlich betrachtet wird. Hierbei wird jedoch die Sichtweise immer die Wahrnehmung der Effekte bestimmen. Die objektiv, sachlich und fachlich korrekt durchgeführte CPR, die zur Rückkehr eines Spontankreislaufs führt, ist aus Sicht des Behandlers am ehesten ein ideales Ergebnis, während es aus Sicht desjenigen, der wiederbelebt wurde, der aber nicht mehr wollte, eine Katastrophe darstellen kann. Die entscheidende Frage des „palliativen Notfalls“ ist das Problem des Patienten im Allgemeinen, die Möglichkeit, die Ursachen für das Problem zu reduzieren oder ggf. zu beseitigen und die Prognose der Erkrankung des Patienten mit in die therapeutische Entscheidung einzubeziehen. Eine hohe Expertise in diagnostischer Erfahrung ist von besonderer Bedeutung, um eine adäquate Therapie zu gewährleisten. Die gültigen therapeutischen Leitlinien und die Möglichkeiten der sozialgesetzlichen Versorgungsstrukturen sind vom Behandler zu beachten und in die Therapie mit einzubinden.

Empfehlungen zum Management von palliativmedizinischen Notfällen:

  • Klinische Notfall- und Intensivmediziner sollen die Besonderheiten des „palliativen Notfalls“ kennen und Grundkenntnisse in der Palliativmedizin erwerben.

  • Eine Integration von Palliativdiensten bzw. Teams der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) sollte in den notfallmedizinischen Strukturen stattfinden.