Hintergrund

Diemedizinische Ernährungstherapie von kritisch kranken PatientInnen umfasst die Gabe von Makronährstoffen (Kohlenhydrate, Proteine und Fette) sowie die Supplementierung von Mikronährstoffen. Der Begriff Mikronährstoff umfasst eine pathophysiologisch und funktionell stark heterogene Gruppe von Substanzen wie Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente. Im Folgenden wird auf 2 Mikronährstoffe eingegangen, die für intensivmedizinische PatientInnen von besonderer Relevanz sein könnten: die wasserlösliche Ascorbinsäure (Vitamin C) und das fettlösliche Vitamin D, das biochemisch eine ganze Gruppe fettlöslicher Stoffe umfasst und eher ein Hormon als ein Vitamin ist.

Supplementierung mit Vitamin C

Vitamin C ist ein essenzieller, wasserlöslicher Mikronährstoff mit einer Vielzahl von Funktionen im menschlichen Körper. Es ist ein starkes Antioxidans und wird für > 60 enzymatische Vorgänge benötigt, wodurch es Einfluss auf nahezu alle Organsysteme nimmt (Übersicht in Abb. 1; [4]).

Abb. 1
figure 1

Aufgaben von Vitamin C in verschiedenen Organsystemen (Auswahl)

Auch wenn PatientInnen mit schwerwiegendem Vitamin-C-Mangel und klinischen Symptomen im Sinne eines Skorbuts (Gingivitis, hämorrhagische Diathese, Immundefizienz, Panzytopenie, Schwäche) in Europa aufgrund der guten Versorgungslage eher unwahrscheinlich sind, gibt es im intensivmedizinischen Bereich verschiedene Subpopulationen, die aufgrund ihrer Erkrankung oft schwere Defizite aufweisen und die pathophysiologisch betrachtet von einer Vitamin-C-Supplementierung profitieren könnten, insbesondere da Studien gezeigt haben, dass bei IntensivpatientInnen die Vitamin-C-Spiegel regelhaft erniedrigt sind [5]. Eine Übersicht über den potenziellen Nutzen und die Risiken einer Vitamin-C-Gabe gibt Infobox 1.

Indikationen

Der größte Nutzen einer Vitamin‑C-Gabe ist bei PatientInnen mit hohem oxidativem Stress zu erwarten, wobei Vitamin C als starkes Antioxidans nicht nur freie Radikale und reaktive Sauerstoffspezies neutralisiert, sondern auch andere antioxidative Moleküle wiederherstellt und so möglicherweise Zell- und Organschäden vermindert. Beispielhaft wurden Vorteile einer hochdosierten Vitamin-C-Gabe bei ischämischem Apoplex [6], PatientInnen mit herzchirurgischem Eingriff [7], nach Reanimation, oder nach Operationen mit Abklemmen arterieller Blutgefäße erwähnt [4], was auch für PatientInnen mit chronischem hohem oxidativem Stress, (chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung oder koronarer Herzkrankheit) gilt [4]. Ferner könnten PatientInnen mit systemischer Inflammation (Polytrauma, Verbrennung, Sepsis und Schock) von einer Vitamin-C-Gabe profitieren.

PatientInnen mit Inflammation und oxidativem Stress können von einer Vitamin‑C-Gabe profitieren

In diesen Populationen kann Vitamin C die Sensitivität für kreislaufwirksame Medikamente erhöhen, sowie die endotheliale Funktion und Mikroperfusion verbessern [4, 8]. Auch PatientInnen mit größeren Verlusten an wasserlöslichen Mikronährstoffen, wie z. B. bei extrakorporaler Zirkulation (Hämofiltration oder extrakorporale Membranoxygenierung [ECMO]) oder größeren Mengen an Exsudat (Wundflächen, Verbrennung, Laparostoma), könnten von einer erhöhten Vitamin-C-Supplementierung profitieren [9].

Den genannten klinisch besonderen Situationen wird in aktuellen Leitlinien besondere Aufmerksamkeit gewidmet und demnach empfehlen die europäischen Leitlinien für Mikronährstoffe, dass PatientInnen mit erhöhter Entzündungsreaktion und oxidativem Stress 2–3 g/Tag Vitamin C intravenös erhalten sollen, während der Bedarf für normale PatientInnen bei 100–200 mg/Tag liegt [2]. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass im Fall von nachgewiesenen oder vermuteten schweren Defiziten die parenterale Verabreichung von Vorteil sein kann, um möglichst schnell und effektiv das Defizit auszugleichen.

Als weiterer schützender Mechanismus von Vitamin C wird die Reduktion von Medikamententoxizität erwähnt, auch wenn dies aktuell im klinischen Alltag noch wenig Anwendung findet. PatientInnen, die Vitamin C erhalten, haben ein geringeres Risiko für eine kontrastmittelinduzierte Nephropathie [10], für Medikamententoxizität [11], reduzierte Apoptose und DNA-Schäden während einer Radio- und/oder Chemotherapie [12].

Mögliche Nachteile einer Vitamin‑C-Gabe

Vitamin C kann generell als nebenwirkungsarmer Mikronährstoff eingestuft werden. Nebenwirkungen sind in Einzelfällen bei pharmakologischer Dosierung über längere Zeiträume beobachtet worden. Beispielhaft genannt seien die mögliche

  • Bildung von Nierensteinen bei PatientInnen mit Niereninsuffizienz,

  • Hämolyse bei PatientInnen mit einem hereditären Glucose-6-Phosphatdehydrogenase(G6PD)-Mangel,

  • Aggravierung der Eisenüberladung bei Hämochromatose sowie

  • artifizielle Hyperglykämie bei einigen Blutzuckermessgeräten [4].

Infobox 1 Vitamin C: potenzieller Nutzen und Risiken

  • Vitamin C wirkt pleiotrop und stark antioxidativ und kann auf diese Weise Schäden an Molekülen und Organen verhindern.

  • Dies ist insbesondere interessant bei PatienInnen mit

    • Ischämie- und Reperfusionsschaden (Herz- und Gefäßchirurgie, Abklemmen großer Gefäße, Reanimation);

    • starker systemischer Inflammation (Sepsis, Acute Respiratory Distress Syndrome [ARDS], thermisches Trauma, Polytrauma und Apoplex);

    • erhöhtem Vitamin-C-Verlust (Exsudation, Hämodialyse, ECMO);

    • chronischer Inflammation (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung [COPD], koronare Herzerkrankung, Nikotinabusus, Alkoholismus, Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz);

    • Einnahme von bestimmten Arzneimitteln (Kontrastmittel, Chemotherapie).

  • Vorsicht ist geboten bei PatientInnen mit

    • Neigung zu Nierensteinen und schwerer chronischer Nierenerkrankung;

    • hereditären Erkrankungen (G6PD-Mangel, Hämochromatose);

    • Blutzuckermessung mit einigen Point-of-Care-Geräten.

  • Die Datenlage zu den einzelnen Patientengruppen bleibt spärlich und uneinheitlich.

Aktuelle Evidenz

Seit eine kleine retrospektive Studie der Gruppe um Paul Marik im Jahr 2017 zur sog. HAT-Therapie (Hydrokortison, Ascorbinsäure und Thiamin, „Marik-Cocktail“) bei PatientInnen mit schwerer Sepsis und septischem Schock, die Vitamin C im Rahmen eines metabolischen Cocktails erhielten, einen deutlichen Überlebensvorteil und reduzierte Raten von Organversagen in der Gruppe zeigte [8], gab es in den vergangenen Jahren eine regelrechte Forschungsflut um das eigentlich altbekannte und erste synthetisch hergestellte Vitamin.

Exemplarisch genannt seien hier die Pionierstudien von Fowler et al., die eine Reduktion von Entzündungsmarkern und Organversagen bei SepsispatientInnen [13] sowie eine Reduktion der Mortalität bei ARDS-PatientInnen („CITRIS-ALI“-Studie; [14]) in den jeweiligen Vitamin-C-Gruppen zeigte. Zudem gibt es verschiedene systematische Übersichtsarbeiten, die – erneut exemplarisch für viele – bei herzchirurgischen [7] oder allgemein intensivmedizinischen PatientInnen [15] teilweise deutliche klinische Vorteile einer Vitamin-C-Monotherapie nachwiesen. Wichtig anzumerken ist hier, dass die klinisch signifikanten Effekte in verschiedenen Metaanalysen nur erzielt werden konnten, wenn Vitamin C hochdosiert alleine verbreicht wurde, während diese Ergebnisse nicht nachweisbar waren, wenn Vitamin C als Kombinationstherapie gegeben wurde [16].

Signifikante Effekte wurde nur bei alleiniger hochdosierter Vitamin-C-Gabe erzielt

In diesem Jahr folgte allerdings die große randomisiert-kontrollierte Studie (RCT) „LOVIT“, in der die Gabe von Vitamin C signifikant mit einem häufigeren Eintritt des kombinierten Endpunkts „Tod und persistierende Organdysfunktionen an Tag 28“ assoziiert war. Auch wenn diese Studie mit 872 PatientInnen Zweifel über den Nutzen einer hochdosierten intravenösen Vitamin-C-Therapie bei septischen PatientInnen aufkommen ließ, muss erwähnt werden, dass in dieser Studie kein Unterschied in den einzelnen Organdysfunktionen, Biomarkern, 6‑Monats-Überleben oder Lebensqualität zwischen den Gruppen bestand. Ebenso wurde kritisiert, dass die Schwere der Erkrankung in beiden Gruppen nicht balanciert war und die Initiierung der Vitamin-C-Gabe erst mit deutlicher Verspätung (> 10 h) erfolgte und hohe Varianz zeigte [17], sodass eher ein neutraler Effekt anstelle einer schädigenden Wirkung vermutet wird.

Gegenwärtig rekrutierende RCT z. B. an PatientInnen mit ARDS, Sepsis, Coronaviruserkrankung 2019 (COVID-19), Herzoperation oder Verbrennungen (NCT04138394) werden zeigen, ob die Vitamin-C-Gabe bei IntensivpatientInnen tatsächlich Vor- oder Nachteile mit sich bringt.

Vitamin C im intensivmedizinischen klinischen Alltag

Resümierend kann nach den vorrangegangenen Abschnitten festgestellt werden, dass Vitamin C ein breites Spektrum von potenziellen Wirkmechanismen mit im Verhältnis dazu geringen Raten an Nebenwirkungen bietet. Vitamin C ist in der Applikation und im Monitoring weder zeit- noch kostenaufwändig und wird in aller Regel bei Überdosierung vom Körper rasch renal eliminiert und ausgeschieden.

Studien haben gezeigt, dass auch in der allgemeinen Intensivpopulation die Vitamin-C-Spiegel regelhaft erniedrigt sind [5]. Allerdings ist besonders im intensivmedizinischen Setting die Interpretation der Serum- oder Plasma-Vitamin-C-Spiegel durch z. B. Umverteilungs- und Dilutionsprozesse erschwert [18]. Zudem ist zu beachten, dass die Messung der Vitamin-C-Spiegel durch die pH-Wert-, thermo- und UV-Labilität des Mikronährstoffs im klinischen Alltag deutlich erschwert und fehleranfällig ist und strikte Standards in der Probenprozessierung eingehalten werden müssen, um valide Ergebnisse zu erhalten [18].

Die Vitamin-C-Spiegel sind in der allgemeinen Intensivpopulation regelhaft erniedrigt

Der Blutzucker sollte bei hochdosierter intravenöser Vitamin-C-Gabe mit geeigneten Messgeräten gemessen werden, um einer artifiziellen Hyperglykämie bei tatsächlicher Normo- oder Hypoglykämie vorzubeugen. Enterale Ernährung enthält bei ausreichender Dosierung genügend Vitamin C in physiologischer Dosierung. Bei teilweiser oder vollständiger parenteraler Ernährung sollen leitliniengerecht Vitamine und Spurenelemente ebenfalls supplementiert werden [1] und bei PatientInnen mit erhöhter Entzündungsreaktion sollte eine zusätzliche Gabe von Vitamin C mit erwogen werden [2].

Es gibt aktuell keine zufriedenstellende Evidenz, um die Fragen nach Indikation, Dosierung, Applikationsform, Dauer und Monitoring einer Vitamin-C-Therapie ausreichend zu beantworten, dennoch sind in Infobox 2 einige Kernaussagen für den klinischen Alltag zusammengefasst.

Infobox 2 Vitamin C: Kernaussagen für den klinischen Alltag

  • Die Messung von Vitamin C im klinischen Alltag bleibt schwierig: Fehler bei der Probenprozessierung und den Umverteilungs- und Dilutionsprozessen können zu falsch-niedrig gemessenen Vitamin-C-Spiegeln beitragen.

  • Für supraphysiologische Vitamin-C-Dosierungen gibt es derzeit keine Evidenz und Leitlinien empfehlen unisono keine pharmakologisch dosierte Vitamin-C-Gabe [1,2,3].

  • Bei Vitamin-C-Supplementierung in höherer Dosierung ist auf die häufigsten Nebenwirkungen zu achten:

    • artifizielle Hyperglykämie,

    • Nierenschäden und Neubildung von Nierensteinen,

    • Hämolyse.

  • Die Empfehlungen zur Dosierung:

    • Patienten mit (teil-)parenteraler Ernährung sollen immer eine Supplementierung von Vitaminen erhalten [1,2,3]; Dosierung von Vitamin C: 100–200 mg/Tag [2].

    • PatientInnen mit chronisch erhöhtem Bedarf [2] erhalten 200–500 mg Vitamin C pro Tag.

    • PatientInnen in der Akutphase einer kritischen Erkrankung erhalten 2–3 g Vitamin C pro Tag [2].

Supplementierung von Vitamin D

Vitamin D ist genau genommen kein Vitamin, sondern ein Steroidhormon mit einer großen Bandbreite an zellulären, antiinflammatorischen und immunmodulatorischen Effekten. Ein Vitamin-D-Mangel, definiert als ein 25(OH)D-Wert < 20 ng/ml, ist häufig und kommt bei fast der Hälfte der Normalbevölkerung und bei bis zu 70 % aller IntensivpatientInnen vor [19]. Insbesondere Brandverletzte sind hiervon stark betroffen und auffallend ist, dass ein Vitamin-D-Mangel weltweit bei IntensivpatientInnen unabhängig von Breitengraden, d. h. UV-Einstrahlung, vorzukommen scheint. Präexistente Erkrankungen, Mangelernährung und Störungen der Leber‑, Nieren- oder Nebenschilddrüsenfunktion können genauso wie therapeutische Interventionen zu reduzierten Vitamin-D-Spiegeln führen und eine erhöhte Mortalitätsrate und schlechtere Resultate mit sich bringen.

Ein Vitamin-D-Mangel (< 20 ng/ml) ist häufig und besteht bei bis zu 70 % aller IntensivpatientInnen

Die Assoziation zwischen niedrigem Vitamin D und schlechtem klinischem Outcome bei kritisch kranken Erwachsenen und Kindern konnte mehrfach in Beobachtungsstudien nachgewiesen werden (Sepsis, akutes Lungenversagen, akute Niereninsuffizienz, längere Aufenthalte auf der Intensivstation sowie erhöhte Mortalität und Morbidität; [20, 21]). Auch ist es plausibel, dass ein Vitamin-D-Mangel bei kritisch Kranken zu einer schlechteren Prognose beiträgt. Vitamin D spielt nicht nur im Kalziumhaushalt und in der Knochengesundheit eine tragende Rolle, sondern ist auch ein essenzieller Immunmodulator, der in vielen biologischen Prozessen des angeborenen und adaptiven Immunsystems mitwirkt. Immunzellen, wie Lymphozyten, Monozyten, Makrophagen und dendritische Zellen, exprimieren Vitamin-D-Rezeptoren und Vitamin D reduziert respiratorische Infekte (Übersicht in Abb. 2).

Abb. 2
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Vielfältige Effekte eines Vitamin-D-Mangels auf den Körper. ARDS Acute Respiratory Distress Syndrome, COVID Coronaviruserkrankung

Hochdosierte Bolusgabe von Vitamin D

Die einmalige Hochdosissupplementierung gilt mittlerweile als problematisch/obsolet, da sie sich in verschiedenen Settings als nicht ausreichend, teils sogar schädlich erwiesen hat (im Gegensatz zu einer täglich/wöchentlich verabreichten Vitamin-D-Dosis). Nicht einmal die klassische Vitamin-D-Mangel-Erkrankung Rachitis lässt sich mit einer Bolusgabe behandeln [22]. Biologisch lässt sich dies vermutlich durch die induzierte Aktivierung der katabolen Enzyme 24-Hydroxylase und „fibroblast growth factor 23“ (FGF-23) erklären, die beide Vitamin D inaktivieren können [23]. Auch in der Prävention von respiratorischen Infekten ist nur die tägliche oder wöchentliche Niedrigdosisgabe effektiv [24]. Im Intensivsetting sollte dennoch – da es sich um zeitkritische Situationen handelt – zu Beginn eine hochdosierte Initialdosis erfolgen, die von einer Erhaltungstherapie gefolgt wird.

Methodische Limitationen bisheriger Studien

Klinische Studien haben oft keine Vorteile von Vitamin-D-Supplementierung auf klinische Endpunkte gefunden – und das ist nicht überraschend. Bei vielen, auch großen Interventionsstudien fallen bei kritischer Analyse multiple, grundlegende methodische Probleme auf – z. B. die Untersuchung einer Studienpopulation ohne Vitamin-D-Mangel, sehr kleine Fallzahlen, übertriebene/unrealistische Effektgrößen, sehr unterschiedliche Vorgaben zu Dosis und verwendeten Metaboliten (s. Übersicht in Tab. 1) oder eine erlaubte, (un-)kontrollierte Einnahme von Vitamin D in der Placebogruppe. Ein direkter Vergleich der VIOLET-Studie [25] mit der laufenden europäischen VITDALIZE-Studie [26] wird in Tab. 2 dargestellt.

Tab. 1 Überblick über verfügbare Vitamin-D-Präparate
Tab. 2 Vergleich der großen Interventionsstudien VIOLETa und VITDALIZEb

Auch bei der US-amerikanischen Vital-Studie mit einer Studienpopulation von 25.871 Personen, die über 5 Jahre eine Vitamin-D-Supplementierung von 2000 IU mit/ohne Omega-3-Fettsäuren bekamen, konnten weder die Supplementierung von Vitamin D3 mit noch ohne die Gabe von Omega-3-Fettsäuren einen Schutz vor Stürzen, kardiovaskulären Ereignissen oder Krebserkrankungen bewirken [27]. Der Vitamin-D-Status vor Beginn der Supplementierung war bei den StudienpatientInnen normal und lag im Mittel bei 30,8 ng/ml, nur 12,7 % der TeilnehmerInnen hatten Spiegel < 20 ng/ml. Eine Erklärung könnte sein, dass amerikanischen Nahrungsmitteln wie Milch oftmals Vitamin D zugesetzt wird und es den TeilnehmerInnen erlaubt war, täglich bis zu 800 IU (20 µg) Vitamin D zu sich zu nehmen, was der üblichen Tagesempfehlung für Erwachsene entspricht.

Zur Evaluation seltener Endpunkte ist eine hohe Fallzahl erforderlich

Eine weitere wichtige Größe ist die adäquate Stichprobengröße, die in randomisierten Studien primär durch den geschätzten Effekt der Intervention relativ zur Standard‑/Placebogruppe, aber auch durch die gewünschte Power bestimmt wird. Für viele, eher seltene Endpunkte ist eine hohe Fallzahl erforderlich, um z. B. einen Effekt auf die Mortalität zu erkennen. Allenfalls könnte es hier in der Zukunft hilfreich sein, kombinierte Endpunkte (primäre Endpunkte, die aus mehreren einzelnen Endpunkten bestehen) zu verwenden – wie es in anderen Fachgebieten, z. B. der Kardiologie schon lange üblich ist.

Bisherige Vitamin-D-Studien waren praktisch immer „underpowered“ für den geplanten Endpunkt. In einer kürzlich publizierten Metaanalyse konnten Stoppe et al. in den verfügbaren 16 Interventionsstudien mit 2449 PatientInnen einen signifikanten Vorteil einer Vitamin-D-Gabe für Mortalität (Risk Ratio 0,78) sowie einen kürzeren Intensivstationsaufenthalt (−3,1 Tage) und eine kürzere Beatmungsdauer (−5,1 Tage) zeigen [28].

Coronaviruserkrankung 2019

PatientInnen mit niedrigen Vitamin-D-Werten weisen ein erhöhtes Risiko auf, sich mit „severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“ (SARS-CoV-2) zu infizieren, mit ARDS auf einer Intensivstation behandelt zu werden oder im weiteren Verlauf zu versterben [29]. Vitamin D scheint vielfältige Effekte auf Zellen und Gewebe zu haben, die schließlich in klinisch messbare Endpunkte münden und auch die Progression von COVID-19 reduzieren sowie die Aggravierung eines ARDS verhindern. Vitamin D ist ein Regulator wichtiger Mechanismen im Immunsystem, ist u. a. an der Abwehr von respiratorischen Infekten beteiligt und spielt auch im Renin-Angiotensin-System, das von SARS-CoV‑2 zum Eindringen in Wirtszellen benutzt wird, eine steuernde Rolle.

Vitamin D ist ein Regulator wichtiger Mechanismen im Immunsystem

Die Hochdosisgabe von Calcifediol (25[OH]D) konnte im Vergleich zur Standardtherapie ohne Calcifediol in einer kleinen RCT in dieser Gruppe eine signifikante Reduktion der Notwendigkeit einer Intensivbehandlung von hospitalisierten PatientInnen zeigen [30].

Frakturrisko/Osteoporose nach kritischer Erkrankung

Das Frakturrisiko nach einem Aufenthalt auf der Intensivstation ist erhöht. Ursächlich verantwortlich dafür sind einerseits die Immobilisierung und der dadurch bedingte Muskelverlust, der häufig präsente Vitamin-D-Mangel sowie inflammatorische Zytokine, aber auch Malnutrition oder Medikamente wie Steroide oder Protonenpumpeninhibitoren (PPI).

Frühzeitige Mobilisierung und zurückhaltende Medikation mit PPI und Steroiden stellen Grundpfeiler der Osteoporoseprophylaxe dar. Insbesondere bei PatientInnen mit besonders hohem Risiko zu versterben zeigten Bisphosphonate einen signifikanten Überlebensvorteil [31]. Bei prolongierter Immobilisation könnten als Einzelfallentscheidung antiresorptive Substanzen, wie Bisphosphonate/Denosumab, versucht werden – Grundvoraussetzungen dafür sind ein ausreichender Vitamin-D-Spiegel, sowie eine ausreichende Kalziumzufuhr, da sonst schwere Hypokalzämien auftreten können. Interessant werden hier die Resultate der australischen „Bone-Zone“-Studie sein (NCT04608630). Kernaussagen für die klinische Praxis zu Vitamin D sind in Infobox 3 zusammengefasst.

Infobox 3 Vitamin D: Kernaussagen für die klinische Praxis

  • Ein Vitamin-D-Mangel ist mit bis zu 70 % unter allen PatientInnen auf der Intensivstation weltweit (Kinder und Erwachsene) häufig und stellt einen rasch behebbaren Risikofaktor bei kritisch Kranken dar.

  • Bei (par)enteraler Ernährung sollen immer Vitamine und Spurenelemente supplementiert werden: üblicher Tagesbedarf für Erwachsene: 600–2000 IU Vitamin D.

  • Ein Vitamin-D-Mangel kann nach der hyperakuten Phase einer akuten Erkrankung durch den stabilen und gut verfügbaren Laborwert 25(OH)D (< 20 ng/ml) zuverlässig erkannt werden.

  • Kritisch Kranke benötigen höhere Dosen als Gesunde (bis zu 2000 IU täglich) und auch eine Ladedosis (z. B. einmalig 500.000 IU), um innerhalb weniger Tage auf normale 25(OH)D-Werte zu kommen.

  • Für eine Reduktion des erhöhten Frakturrisikos nach kritischer Erkrankung ist die Gabe von antiresorptiven Substanzen, wie Bisphosphonate/Denosumab, bei prolongierter Immobilisation als Einzelfallentscheidung zu erwägen; Grundvoraussetzungen dafür sind ein ausreichender Vitamin-D-Spiegel sowie eine ausreichende Kalziumzufuhr, da sonst schwere Hypokalzämien auftreten können.

  • Nebenwirkungen einer Vitamin-D-Supplementierung sind selten und inkludieren:

    • Hyperkalzurie/-kalzämie;

    • Nierenschäden und Neubildung von Nierensteinen.

    • Bei seltenen oder einmaligen ultrahohen Ladedosen ist ein erhöhtes Risiko für Stürze und Frakturen beschrieben.

Fazit für die Praxis

  • Mikronährstoffe sind ein integraler Bestandteil der medizinischen Ernährungstherapie auf der Intensivstation und sowohl Vitamin C als auch Vitamin D bieten aufgrund ihrer zentralen Rolle bei vielfältigen Enzymen und Organsystemen ein breites Spektrum an potenziellen günstigen Wirkungen. Bei kritisch kranken PatientInnen sind Hypovitaminosen bei beiden Substanzen häufig und die aktuellen Leitlinien empfehlen den Ausgleich von Mikronährstoffdefiziten, um die optimale Funktion des Organismus zu unterstützen.

  • Für Vitamin C werden Dosierungen von 100–200 mg/Tag (bei Patienten mit parenteraler Ernährung) bis hin zu 2–3 g/Tag empfohlen. Für Vitamin D sollte eine Initialdosis gefolgt von einer Erhaltungsdosis gegeben werden, um den 25(OH)D-Spiegel in kurzer Zeit zu erhöhen.

  • Die Supplementierung mit Vitamin C und Vitamin D stellt eine kostengünstige, einfache Intervention mit ausgezeichnetem Sicherheitsprofil dar, die in multiple biologische Prozesse des Immunsystems, der Organ- und Knochengesundheit und der Mortalität involviert ist und somit wesentlich zum besseren Outcome von IntensivpatientInnen beitragen könnte.