Die Erfolge der modernen Intensivtherapie sind unzweifelhaft. Durch die Entwicklung neuer Möglichkeiten der überbrückenden Organersatztherapie mit modernen Ventilatoren, Dialysegeräten oder anderen extrakorporalen Unterstützungssystemen bis hin zum permanenten partiellen oder kompletten Kreislaufersatz können mittlerweile früher noch als unheilbar geltende akute Erkrankungen soweit stabilisiert werden, dass ein Leben nach und außerhalb der Intensivtherapie realistisch ist. Gleichzeitig ermöglichen verbesserte Lebensumstände und die Erfolge der modernen Medizin eine deutlich längere Lebenserwartung. Die Anzahl der alten und sehr alten Intensivpatienten nimmt zumindest in den hoch industrialisierten Ländern als Folge dieser Entwicklung permanent zu und damit gleichzeitig auch der Anteil von kritisch kranken Patienten mit einer Vielzahl an relevanten Komorbiditäten.

Ziel der Intensivmedizin ist es, dass die betroffenen Patienten, möglicherweise mit verbleibenden Defekten, ein Leben unabhängig von der Intensivstation führen können. Im Erfolgsfall ermöglicht die Intensivmedizin somit das Überleben und die Rückkehr des Patienten in ein möglichst unabhängiges und selbstbestimmtes Leben [7, 9]. Immer wieder kommt es jedoch zu einer kompletten, teilweise irreversiblen Abhängigkeit des Patienten von lebensunterstützenden Apparaturen. In manchen Fällen wird die intensivmedizinische Behandlung nur mit schweren seelischen und körperlichen Defiziten überlebt, die für den Patienten nach Entlassung eine erhebliche Einschränkung seiner Lebensqualität und für die Angehörigen eine große und anhaltende Belastung bedeuten können [2, 4, 5, 7].

Bei vielen Intensivpatienten finden sich nach einer vor allem prolongierten Intensivtherapie körperliche und psychische Einschränkungen, die als „post-intensive care syndrome“ (PICS) definiert werden [3]. Der Anteil der Publikationen zu dieser Thematik hat in den jüngsten Jahren kontinuierlich zugenommen (Abb. 1).

Abb. 1
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Zunahme der Publikationen zum Thema „post-intensive care syndrome“ zwischen den Jahren 1975 und 2017 entsprechend einer Suche in PubMed [8]

Manchmal wird die intensivmedizinische Behandlung nur mit schweren Defiziten überlebt

Vor diesem Hintergrund widmet sich diese Ausgabe der Zeitschrift Medizinische Klinik – Intensivmedizin und Notfallmedizin verschiedenen Aspekten des Lebens nach der Intensivtherapie. Der einleitende Beitrag von A. Valentin geht auf die Bedeutung der Intensivtherapie für das Langzeitüberleben ein. Die voraussichtlich erhaltene Lebensperspektive ist essenzieller Bestandteil der Begründung für den Beginn und die Fortführung einer intensivmedizinischen Behandlung. D. Senger und F. Erbguth stellen die Bedeutung der Critical-illness-Myopathie und -Polyneuropathie dar. Mittlerweile wird der deskriptive Begriff der „intensive care unit-acquired weakness“ (ICUAW) bevorzugt. Erschreckend ist, dass bei etwa 10 % der Betroffenen auch noch nach einem Jahr deutliche Langzeitresiduen beobachtet werden. Zwei Beiträge beleuchten die Auswirkungen eines Organversagens auf das weitere Leben. S. Klein et al. betonen in ihrem Beitrag zum Nierenversagen, dass langfristig nach einer akuten Nierenschädigung eine erhöhte renale Morbidität besteht, die auch chronische Dialysepflichtigkeit beinhaltet. Darüber hinaus zeigt sich auch ein erhöhtes Risiko für nichtrenale, insbesondere kardiovaskuläre und neurologische Erkrankungen, die zur deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität und Lebenserwartung nach einem Intensivaufenthalt führen können. Auch nach einem überlebten „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) leiden die Patienten unter erheblichen körperlichen, aber auch seelischen Einschränkungen bzw. Belastungen, wie B. Sensen et al. in ihrem Beitrag ausführen.

Auch Angehörige zeigen nach der Entlassung der Intensivpatienten Angstzustände und Depressionen

Auch Angehörige zeigen noch lange nach der Entlassung der Intensivpatienten erhöhte Inzidenzraten für bestimmte psychiatrische Erkrankungen wie Angstzustände, Depressionen oder posttraumatische Belastungsstörungen. A. Niecke et al. betonen in ihrem Beitrag, dass die Art der Kommunikation auf Intensivstationen einen wesentlichen Einfluss auf das aktuelle und langfristige seelische Befinden von Angehörigen hat.

Das Themenheft öffnet daher den Blick auf ein ganz entscheidendes, das weitere Leben des Intensivpatienten bestimmendes Kapitel. Mit der Verlegung von der Intensivstation beginnt ein langer und oftmals harter Kampf für den Patienten und die Angehörigen, den wir Intensivmediziner häufig gar nicht mehr im Blick haben. In Großbritannien wird diesem Punkt schon seit langer Zeit ein besonderes Augenmerk geschenkt. Das National Institute for Health and Care Excellence bietet auf seiner Homepage eine hervorragende klinische Leitlinie zur Rehabilitation nach einer kritischen Erkrankung bei erwachsenen Patienten [6]. Das Konzept spezieller Intensivnachsorgekliniken ist besonders in Großbritannien verbreitet. Auch in Deutschland gibt es erste Projekte zur Nachsorge bei Patienten, die eine Sepsis überlebt haben [1]. Zwar fehlen zum jetzigen Zeitpunkt noch aussagekräftige Studien, dennoch sind vor allem physische Rehabilitationsprogramme eine vielversprechende Intervention bei der sehr häufigen neuromuskulären Beeinträchtigung langzeitbehandelter Intensivpatienten [3].

Wir möchten allen Autorinnen und Autoren für die außerordentlich guten Beiträge und die damit verbundene Arbeit danken und Ihnen, den Leserinnen und Lesern, eine aufschlussreiche und spannende Lektüre wünschen.

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Prof. Dr. U. Janssens

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Prof. Dr. M. Joannidis