Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die Vitamin-K-Antagonisten (VKA) als gerinnungshemmende Therapie zur Prävention und Behandlung von thrombotischen Erkrankungen eingeführt. Die VKA-Therapie wurde mittels einer Prothrombingerinnungszeit und einer gewissen Verlängerung überwacht. Die prothrombinzeitbasierte Laborüberwachung wurde zu einer standardisierten Lösung, der International Normalized Ratio (INR), weiterentwickelt. Trotzdem machen interindividuelle Unterschiede die Dosisanpassung von VKA schwierig.

Deswegen wurden die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK, nicht-Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien) zur Prophylaxe bei Hüft- und Kniegelenkersatz, Verhinderung von thromboembolischen Ereignissen bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern, Behandlung der venösen Thromboembolie und beim akutem Koronarsyndrom (ACS) eingeführt.

Die klinische Applikation der NOAK erfolgt mit einer festen Dosis und einer gewissen Möglichkeit zur Dosisanpassung basierend auf klinischen Kriterien (Nierenfunktion und/oder spezifische Wechselwirkungen). In großen klinischen Studien wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban gezeigt. In Deutschland haben allerdings nicht alle NOAK ein identisches Zulassungsprofil.

Aus theoretischer Sicht ist eine feste Dosis zur Antikoaguation bemerkenswert. Im Gegensatz zu den meisten Thrombozyteninhibitoren ist die Wirkung der NOAK nicht irreversibel. Kinetisch würde man einen Dosis-Wirkungs-Effekt und so eine Balance zwischen antithrombotischer Wirksamkeit und Blutungsrisiko erwarten. Dies wird zum Teil in der flachen Dosis-Wirkungs-Kurve und der großen therapeutischen Breite widergespiegelt. Pharmakokinetikdaten aus großen klinischen Studien zeigen auch erhebliche interindividuelle Unterschiede in den Wirkspiegeln und Aktivitäten.

Die Wirkung der nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien ist reversibel

Die zur Verfügung stehenden Empfehlungen für eine Dosisanpassung der NOAK in bestimmten Situationen, wie eingeschränkter Nierenfunktion oder bei Wechselwirkungen (z. B. mit Amiodaron), helfen, die optimale Dosis eines Medikaments für den einzelnen Patienten zu finden. Der Vorteil für NOAK liegt darin, dass nach der anfänglichen Optimierung der Dosis diese über einen längeren Zeitraum ohne weitere Anpassung bei Stabilität der Nierenfunktion beibehalten werden kann. Dennoch sollte die Mehrheit der Patienten mit Vorhofflimmern regelmäßig hinsichtlich Nebenwirkungen, Komplikationen und Compliance überwacht werden.

Die fehlende Notwendigkeit von regelmäßigen Labortests ist eine Erleichterung für den Arzt und Patienten gleichermaßen. Allerdings zeigt sich im klinischen Alltag die Notwendigkeit von Labortests. Die derzeitigen Empfehlungen zur Kontrolle der Nierenfunktion 2‑ bis 3‑mal pro Jahr zeigt gerade bei älteren Patienten, dass man nicht gut ohne Kontrolle auskommt. Gerade auch bei Intensivpatienten kann es zu einer vorübergehenden Verschlechterung der Nierenfunktion kommen. Auch die Interaktion mit anderen Medikamenten spielt eine wichtige Rolle und kann zur Wirkverstärkung oder Abschwächung der NOAK führen. Deswegen sind in speziellen Situationen spezifische Tests notwendig. Gerade wenn beim NOAK-Patienten notfallmäßige Prozeduren oder dringliche Operationen anstehen, stellt sich die Frage, wie vorgegangen werden muss – Bridging oder nicht?

Pro Jahr wird eine 2‑ bis 3‑malige Kontrolle der Nierenfunktion empfohlen

In der Notfallblutungssituation stellt sich die Frage, welche Gerinnungsfaktoren oder Antidote verabreicht werden sollten.

Das Leitthema „Neue orale Antikoagulanzien – was ist in der Intensivmedizin zu beachten?“ in Ausgabe 2/2017 der Zeitschrift Medizinische Klinik – Intensivmedizin und Notfallmedizin soll alle diese Fragen beantworten und einen Überblick über die aktuellen NOAK-Daten geben. So finden Sie Informationen:

  • zum Einsatz von NOAK (Zeitpunkt und Modalitäten);

  • zum Monitoring von NOAK;

  • zu Real-life-Daten von NOAK und zur Therapie von Blutungen mit dem Antikörper;

  • zur Notwendigkeit von Bridging;

  • zur rückenmarksnahen Anästhesie bei NOAK;

  • zu den Möglichkeiten von invasiven Eingriffen unter NOAK;

  • zu beachtenswerten begleitenden Maßnahmen bei Operationen unter NOAK.

Die wichtigsten Fragen und Antworten haben wir schon einmal für Sie in Infobox 1 zusammengefasst.

FormalPara Infobox 1 Was man schon immer zu NOAK wissen wollte – Fragen und Antworten

Welcher Patient ist längerfristig ein guter Kandidat für ein NOAK?

  • Patient mit Vorhofflimmern, CHA2DS2-VASc-Score mindestens 1 (Frau allein zählt nicht), Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC).

  • Patient nach venöser Thromboembolie.

  • Patient mit erhöhtem thrombotischem Risiko nach ACS.

Welche Patienten wurden in den klinischen Studien zum Vorhofflimmern nicht eingeschlossen?

  • Patienten mit „valvulärem“ Vorhofflimmern (mechanische Klappenprothese, moderate oder schwere Mitralklappenstenose).

    • Patienten mit anderen Klappenveränderungen, wie Mitralklappeninsuffizienz, Aortenklapppenstenose, Trikuspidalklappeninsuffizienz oder Patienten mit Bioprothese wurden eingeschlossen und können somit NOAK erhalten.

  • Patienten mit einer Kreatininclearance <25–30 ml/min (aber alle Faktor-Xa-Inhibitoren sind bis zu einer Kreatininclearance >15 ml/min zugelassen).

  • Patienten mit Apoplex vor 7–14 Tagen.

Welche Patienten mit Vorhofflimmern sollten mit Vitamin-K-Antagonist und nicht mit NOAK behandelt werden?

  • Patienten mit mechanischen Herzklappen.

  • Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz (Kreatininclearance <15 ml/min).

  • Patienten, die zusätzlich duale Thrombozytenaggregationshemmer benötigen, cave wenige Daten/n zur Kombination von NOAK und Plättchenhemmern, aktuelle Studien laufen.

Wie erfolgt bei einem Patienten der Wechsel von Vitamin-K-Antagonist zu NOAK?

  • Stoppen Sie die Gabe des Vitamin-K-Antagonisten. Warten Sie bis der INR ≤ 2,0 ist und starten Sie dann mit NOAK.

Welche Laborwerte sollten bei der Gabe von NOAK überwacht werden?

  • Jährlich: Hämoglobin, Nieren- und Leberfunktion.

  • Mindestens alle 6 Monate: Nierenfunktion wenn Kreatininclearance 30–60 oder bei Dabigatran >75 Jahre oder bei gebrechlichem Patient.

  • Nierenfunktion alle 3 Monate wenn Kreatininclearance 15–30.

Wie sollen Patienten mit NOAK betreut werden?

  • Nach Beginn der NOAK-Therapie Follow-up-Termin in 1 Woche, dann in 1 Monat, dann in 3 Monaten.

  • Starten in der Klinik: ambulante Kontrolle in 3 Monate.

  • Überprüfung von Compliance, Beantwortung von Fragen, Nierenfunktion.

Wie kann man die Einnahme der NOAK messen oder verbessern?

  • Fragen Sie den Patienten:

    • Haben Sie Probleme mit dem NOAK?

    • Was sind die Vorteile der NOAK?

  • Beteiligung von Familienmitgliedern, um die Einnahme sicherzustellen.

  • Patienten die Bedeutung der strikten Einnahme klar machen.

  • Messung der Prothrombingerinnungszeit – erhöhte Werte sind mögliches Indiz für NOAK-Einnahme.

Kann ich die NOAK-Wirkung überprüfen?

  • Gerinngungstest:

    • Dabigatran: Bestimmung der Thrombinzeit

    • Rivaroxaban: chromogener Anti-Faktor-Xa-Test

    • Apixaban: chromogener Anti-Faktor-Xa-Test

    • Edoxaban: chromogener Anti-Faktor-Xa-Test

Was mache ich, wenn eine Operation geplant ist?

  • Bestimmung des thromboembolischen Risikos der Prozedur:

    • geringes Risiko für Blutungen: bei Faktor-Xa-Inhibitoren 24 h Pause;

    • mittleres/hohes Risiko: bei Faktor-Xa-Inhibitoren 48 h Pause (länger bei Dabigatran je nach Kreatininclearance).

  • Fortsetzung der NOAK-Gabe nach Hämostase möglich, in der Regel 24–48 h nach der Operation. Entscheidungen müssen auf Basis von Blutungsrisiko und Risiko für einen Schlaganfall getroffen werden.

Was macht man, wenn ein Patient blutet und ein NOAK genommen hat?

  • Lokale Maßnahmen

  • Aktivkohle innerhalb von 2–4 h nach NOAK-Einnahme

  • Hämodialyse für Dabigatran

  • Bei lebensbedrohlichen Blutungen Antidot für Dabigatran, bei Anti-Faktor-Xa-Inhibitoren PPSB (4-Faktoren-Präparat).

Wie kann man bei Hochrisiko-NOAK-Patienten Blutungen verhindern?

  • Vermeiden der Gabe von Azetylsalizylsäure (ASS), cave: Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS).

  • Cave: Gabe von nichtsteroidalen Entzündungshemmern (NSAID) – erhöhte Blutungsrate auch bei kurzfristiger Gabe.

  • Gabe von Protonenpumpenhemmern (PPI) bei gastrointerstinaler (GI-)Blutung in der Vorgeschichte (cave: Dabigatran).

  • Ggf. Gabe der niedrigen NOAK-Dosis, wenn nach Fachinformation indiziert.

  • Apixaban hatte im Vergleich zu Warfarin das geringste Blutungsrisiko.

Was muss ich bei der NOAK-Dosierung bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion beachten?

  • Keine Gabe von NOAK bei Kreatininclearance <15 ml/min.

  • Cave: bei Kreatininclearance <30 ml/min kein Dabigatran.

  • Dabigatran: 110-mg-Dosis wenn Kreatininclearance <50 ml/min.

  • Rivaroxaban: 15-mg-Dosis wenn Kreatininclearance <50 ml/min.

  • Apixaban: 2,5-mg-Dosis, wenn mindestens 2 der folgenden 3 Punkte zutreffen: Kreatinin ≥1,5; Alter ≥80; Gewicht ≤60.

  • Edoxaban: 30 mg wenn Kreatininclearance <50.

Sind gastrointestinale Blutungen unter NOAK häufiger als bei Vitamin-K-Antagonisten (Warfarin)?

  • Ja: bei Dabigatran, Rivaroxaban und Edoxaban.

  • GI-Blutung unter Apixaban vergleichbar oder etwas niedriger als unter Warfarin.

Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre!

figure c

Prof. Dr. M. Buerke

figure d

Prof. Dr. H.M. Hoffmeister