Das Monitoring verschiedenster Organfunktionen besitzt einen zentralen Stellenwert in der Intensivmedizin. Für Niere, Leber, Gastrointestinaltrakt und Gerinnung sind allerdings „Online-bedside“-Monitoringmethoden, wie sie z. B. beim hämodynamischen oder respiratorischen Monitoring längst Standard sind, nicht oder nur in Ausnahmefällen verfügbar. Scoringsysteme in der Intensivmedizin wurden ursprünglich für strategische und wissenschaftliche Zwecke zur Charakterisierung des Schweregrads der Erkrankung von Intensivpatienten entwickelt, erlauben jedoch auch gewisse Rückschlüsse auf Funktionszustände.

Aufgrund der fixen algorithmischen Wertung einzelner Parameter in Scoringsystemen ist die individuelle Einschätzung von Patienten oft erschwert. Bei einigen spezifischen Krankheitsbildern können einzelne Laborparameter oder ein charakteristisches Muster mehrerer Laborwerte aussagekräftiger sein als ein Score, wobei gängige Routinelaborwerte häufig Spezifität vermissen lassen. Zunehmend stellt sich daher auch die Forderung nach organspezifischen Biomarkern zur besseren Einschätzung von Organfunktionen bzw. Funktionsänderungen. Der vorliegende Artikel versucht eine Integration verschiedener Scores unter Einschluss von bekannten und neuen Biomarkern für das Monitoring der Organfunktion für Niere, Leber, Gastrointestinaltrakt und Gerinnung.

Niere

Akute Beeinträchtigungen der Nierenfunktion können unterschiedliche Schweregrade aufweisen. Das Spektrum reicht von einer verminderten Urinausscheidung über einen Anstieg der renalen Retentionsparameter (Kreatinin, Harnstoff) bis hin zur Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie. Die bislang übliche Subsumierung all dieser Zustandsbilder unter dem Begriff akutes Nierenversagen erscheint unter dem Aspekt der je nach Schweregrad der Nierenfunktionsbeeinträchtigung stark divergierenden Mortalität und Morbidität ungeeignet. Als eine alternative Terminologie wurde der weiter gefasste Begriff der akuten Nierenschädigung („acute kidney injury“; AKI) eingeführt, zu dem bereits kleinere Veränderungen der Nierenfunktion gerechnet werden [5, 25].

Biomarker der Nierenfunktion

Im Klinikalltag beruht die Beurteilung der Nierenfunktion im Wesentlichen auf Parametern wie der Harnproduktion oder der Ausscheidung von wasserlöslichen Stoffwechselendprodukten, welche beide im starken Ausmaß von der glomerulären Filtrationsrate (GFR) abhängig sind. Eine Abnahme der GFR stellt die pathophysiologische Gemeinsamkeit der vielfältigen Ursachen von akuten Nierenschädigungen dar [4]. Als eine näherungsweise Abschätzung der GFR gelten die Serumkreatininwerte (S Cr ), da eine lineare Beziehung zwischen 1/SCr und der GFR besteht und eine Verdoppelung des Serumkreatinins einer Reduktion der GFR um etwa 50% entspricht [4].

Ein wesentliches Problem des Serumkreatinins besteht jedoch darin, dass dieser Parameter unter Nicht-steady-state-Bedingungen (also gerade bei akuter Nierenschädigung) keine zuverlässige Aussage über die Filtrationsleistung darstellt und diese zumeist überschätzt. Dementsprechend ist auch die errechnete glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) in dieser Situation, im Gegensatz zur chronischen Nierenschädigung, nicht aussagekräftig. In dieser Situation scheint die Dynamik der Veränderung des Serumkreatinins eine verlässlichere Aussage über die akute Nierenfunktionsstörung zu geben als statische Grenzwerte.

RIFLE-Kriterien

Im Jahr 2004 wurden von der Acute Dialysis Quality Initiative (ADQI) die sog. RIFLE-Kriterien, ein Akronym der beinhalteten Klassen, entwickelt und drei Schwergrade der Nierenschädigung definiert [5]. Diese Klassifizierung beruht zum einem auf der Bestimmung von Serumkreatinin oder der Berechnung der GFR, zum anderen auf der Aufzeichnung der Harnausscheidung als sensitiver Parameter für Nierenfunktionsstörungen. Auf Basis dieser beiden Werte erfolgt eine Einteilung des Schweregrades in die Klassen

  • „risk“, „injury“ und „failure“.

Zwei weitere Klassen werden durch die Dauer der Abhängigkeit von einer Nierenersatztherapie bestimmt (> 4 Wochen bzw.  >3 Monate) und sind somit Outcome-Kriterien, nämlich

  • „loss” und“end stage renal disease”.

Für die RIFLE-Kriterien ist ein bekannter Referenzkreatininwert notwendig, der die Ausgangsnierenfunktion widerspiegelt, auf welche sich die Veränderungen beziehen. Bei Fehlen eines solchen wird empfohlen, von einer primär uneingeschränkten Nierenfunktion auszugehen und das Serumkreatinin auf Basis einer vereinfachten Formel aus der Studie Modification of Diet in Renal Disease (MDRD) unter der Annahme einer GFR von mindestens 75 ml/min/1,72 m2 Körperoberfläche zu berechnen.

Grundsätzlich wird ein Beobachtungszeitraum für die Veränderungen des Serumkreatinins von maximal einer Woche vorgeschlagen. Die RIFLE-Kriterien wurden seit ihrer Publikation in mehreren Studien sowohl im Hinblick auf die Definition des Schweregrads der Nierenfunktionseinschränkung als auch im Hinblick auf das Outcome bei über 550.000 Patienten validiert.

AKIN-Kriterien

Eine erste Modifikation dieser Kriterien wurde vom Acute Kidney Injury Network (AKIN) vorgeschlagen. Darin wurde einerseits versucht, die Sensitivität der RIFLE-Kriterien zu erhöhen, und andererseits zuvor identifizierte Schwachstellen der RIFLE-Kriterien, wie die fehlende Berücksichtigung einer Nierenersatztherapie, zu lösen [25]. Analog zu RIFLE wurden drei Stadien des AKI definiert, die Outcome-Kriterien jedoch nicht mehr berücksichtigt. Die Urinkriterien blieben unverändert und das Stadium 1 wurde durch den Anstieg des Serumkreatinins  ≥0,3 mg/dl als ein zusätzliches Kriterium erweitert. Weiters wurde ein 48-Stunden-Zeitfenster eingeführt, in dem der Anstieg von Serumkreatinin stattfinden soll.

Die Beurteilung der Kreatininkriterien und die daraus resultierende Einteilung in das jeweilige Stadium 1, 2 oder 3 soll sich immer auf den niedrigsten gemessenen Wert in den vorangegangenen 48 h beziehen, was mindestens zwei gemessene Werte innerhalb dieses Zeitfensters voraussetzt. Die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie wird als Stadium 3 gewertet.

Die Performance beider Klassifikationen wurde in mehreren Studien verglichen. Es zeigten sich ähnliche Charakteristika, allerdings scheinen sowohl RIFLE als auch AKIN einige Patienten mit AKI falsch als Non-AKI zu klassifizieren [19]. Die angestrebte Sensitivitätserhöhung durch die AKIN-Kriterien konnte in größeren retrospektiven Studien nicht sicher bestätigt werden. Vielmehr werden Patienten mit zum Zeitpunkt der Aufnahme erhöhten Kreatininwerten und geringem weiterem Anstieg oft nicht erkannt, oder nur aufgrund der Urin- oder der neuen Nierenersatztherapiekriterien klassifiziert, was dazu führt, dass die jeweilige AKIN-Klasse in höherem Maße durch die Urinausscheidung beeinflusst wird als bei den RIFLE-Kriterien [19].

RIFLE- und AKIN-Klassen, die durch das Kriterium Harnzeitvolumen bestimmt werden, scheinen mit einem besseren Outcome assoziiert zu sein, als die durch Veränderungen der Serumkreatininwerte definierten Klassen. Eine mögliche Unausgeglichenheit zwischen Kreatinin- und Urinkriterien muss noch weiter evaluiert werden.

Einige Autoren äußerten Unklarheit über die tatsächliche Anwendung des neu eingeführten 48-h-Beobachtungszeitraums und die mögliche Wertung eines Rückgangs des Serumkreatinins innerhalb dieses Zeitfensters als AKI. Letzteres steht zwar im Widerspruch zur ursprünglichen Publikation, würde aber Patienten mit initial erhöhtem Kreatinin und nachfolgendem Rückgang einschließen [19].

Zur Lösung dieser Probleme wurde von Kidney Disease: Improving Global Outcome (KDIGO) 2012 eine Zusammenführung beider Klassifikationen vorgeschlagen (Tab. 1).

Tab. 1 Diagnose und Klassifikation des AKI nach den KDIGO-Guidelines. (Aus [22])

Obwohl alle erwähnten Klassifikationssysteme primär für die Einteilung des Schweregrads der akuten Nierenfunktionsstörung entworfen wurden, hat sich zwischenzeitlich vielerorts die tägliche Klassifikation (z. B. mittels RIFLE) auch als Monitoring für die Nierenfunktion etabliert, v. a. mit dem Ziel, eine automatisierte „Warnung“ bei Verschlechterung der Nierenfunktion zu ermöglichen.

Neue Biomarker zur Früherkennung

Sowohl die RIFLE- als auch die AKIN- Klassifikation orientieren sich an den „klassischen“ Parametern Serumkreatinin und/oder Harnzeitvolumen. Kreatininwerte sind unter Nicht-steady-state-Bedingungen nur eingeschränkt aussagekräftig. Sie sind beeinflusst von Veränderungen des Volumenstatus des Patienten oder von Medikamenten, welche die Tubulusfunktion und damit die Kreatininsekretion ändern, und steigen erst verspätet und nach erheblicher Nierenschädigung an. Die Urinausscheidung wird außerdem beeinflusst durch Diuretika, den Volumenstatus des Patienten und die Sekretion von antidiuretischem Hormon. Auch werden Veränderungen in der Tubulusfunktion durch diese Klassifikationen nicht abgebildet.

Eine daraus resultierende Forderung nach neuen und sensibleren Markern für AKI und deren Berücksichtigung in einem Klassifizierungssystem ist nahe liegend. Einige neue Biomarker scheinen eben diesen Anspruch erfüllen zu können. Zum einen handelt es sich dabei um Stoffe, wie z. B. Cystatin C, die analog zu Kreatinin frei filtriert werden und deren Serumkonzentration die glomeruläre Funktion und somit die GFR widerspiegeln, zum anderen um Proteine (z. B. Neutrophil gelatinase-associated lipocalin (NGAL), Kidney Injury Molecule-1 (KIM-1), Natrium/hydrogen exchanger-3 (NHE-3) oder Interleukin-18 (IL-18)), deren Konzentration im Harn konzeptuell vom Grad der Tubulusschädigung abhängen. Für eine umfassende und verlässliche Beurteilung einer akuten Beeinträchtigung der Niere scheint insbesondere die Kombination von Parametern der GFR mit Biomarkern für renale Schäden viel versprechend [12].

Glomeruläre Funktion

Cystatin C ist ein kleines (13 kD), von kernhaltigen Zellen produziertes und frei filtriertes Protein. Aufgrund seines kleinen Verteilungsvolumens führen Veränderungen der GFR zu einem Anstieg von Cystatin C im Serum.

Vorteile dieses Proteins sind eine geringere Beeinflussbarkeit des Serumspiegels durch tubulär eliminierte Substanzen (z. B. Cephalosporine), wie sie bei Kreatinin auftritt, und die bereits evaluierte Anwendung bei Patienten mit Leberzirrhose, bei denen eine reduzierte Muskelmasse bekanntermaßen zu falsch niedrigen Serumkreatininwerten führt [29]. Obwohl beispielsweise in einer klinischen Studie gezeigt werden konnte, dass in einer Hochrisikopopulation eine akut eingeschränkte Nierenfunktion mittels Cystatin C im Serum bereits 24 h vor einem Anstieg des Serumkreatinins festgestellt werden kann [18], konnte in einer allgemeinen, heterogenen ICU-Population weder der Serum- noch der Urinspiegel dieses Markers befriedigend ein AKI oder die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie voraussagen [34]. Einschränkungen für den breiten Einsatz von Cystatin C ergeben sich außerdem aus

  • der fehlenden Standardisierung,

  • dem hohem Preis und

  • der potenziellen Beeinflussbarkeit durch Entzündung und Hormonstörungen sowie durch einige Medikamente (z. B. Hydrocortison, Cyclosporin A).

Darüber hinaus scheint die renale Exkretion von niedermolekularen Proteinen wie Cystatin C oder NGAL wesentlich durch Proteinurien (z. B. Albuminurie) beeinflusst zu werden [27]. Somit bleibt die Forderung nach einem zuverlässigen GFR-Monitoring beim kritisch kranken Patienten offen. Erste tierexperimentelle Daten z. B. zur Bestimmung der GFR mittels endovaskulärer fiberoptischer Messung der Elimination von fluoreszenzmarkiertem Inulin und Dextran lassen auf neue „Bedside“-Methoden hoffen [40].

Tubuläre Funktion

Seit mehreren Jahren werden auch Biomarker für die Diagnostik einer Tubulusschädigung im Frühstadium der AKI untersucht. Dabei handelt es sich entweder um Proteine, die aus geschädigten Tubuluszellen freigesetzt werden oder um solche, die bei Schädigung vermehrt an der Zelloberfläche exprimiert und mit dem Harn ausgeschieden werden. Einige viel versprechende Kandidaten haben sich dabei in letzter Zeit herauskristallisiert.

NGAL ist ein 25-kD-Protein, das in Leukozyten und allen Epithelien des Körpers produziert und speziell in der Niere nach Ischämie vermehrt gebildet wird. Ein Anstieg von NGAL im Harn konnte sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen nach herzchirurgischen Eingriffen bis zu 24 Stunden früher als Serumkreatinin das Auftreten einer akuten Nierenschädigung vorhersagen [26]. Aber auch ein Anstieg des NGAL im Serum konnte bei erwachsenen Intensivpatienten und bei unselektierten Patienten aus der Notfallaufnahme das Auftreten eines AKI etwa 24 Stunden früher als die RIFLE-Kriterien aufzeigen [9, 28].

Es stellt sich aber berechtigterweise die Frage, ob ein Anstieg des Serum-NGAL, das ebenfalls glomerulär filtriert wird, nicht eher eine Änderung der GFR als eine tubuläre Schädigung reflektiert. Eine Metaanalyse bestätigt die Effektivität von NGAL [16], allerdings mit geringerer Aussagekraft bei Erwachsenen verglichen mit Kindern. Bei schwerer Sepsis scheint Serum-NGAL als Frühmarker kaum geeignet, zumal die Produktion von NGAL durch Leukozyten bei diesem Krankheitsbild auch ohne AKI erhöht ist [41]. Trotz der viel versprechenden ersten Studien kann aufgrund der oben erwähnten Einschränkungen der generelle Einsatz von NGAL in der täglichen klinischen Praxis noch nicht empfohlen werden [7].

KIM-1 ist ein Oberflächenprotein, welches in proximalen Tubuluszellen bei Ischämie exprimiert wird. Für die Ausscheidung von KIM-1 im Harn konnte einerseits eine hohe Spezifität für „akute tubuläre Nekrose“, andererseits eine gute Korrelation mit der Letalität bei AKI nachgewiesen werden [22].

Weitere Biomarker wie NHE-3, ein membrangebundenes Protein, waren ebenfalls im Harn von Patienten mit ischämischem Nierenversagen nachweisbar. Das Zytokin IL-18 scheint ein vielversprechender Marker für eine akute Nierenschädigung im Rahmen von systemischen Inflammationsprozessen zu sein. Bei Patienten mit ALI / ARDS und AKI war erhöhtes IL-18 im Harn mit erhöhter Sterblichkeit assoziiert [30].

Der Einsatz der genannten Biomarker bei der klinischen Diagnose und der Klassifizierung der akuten Nierenschädigung könnte in Zukunft sowohl das frühere Erkennen einer Nierenfunktionsbeeinträchtigung ermöglichen und durch den daraus resultierenden früheren Behandlungsbeginn die Therapie optimieren als auch die Sensitivität und Spezifität der existierenden Systeme (RIFLE, AKIN) wesentlich verbessern sowie möglicherweise sogar verlässliche Aussagen über das Outcome der Patienten ermöglichen. Dabei sind noch zahlreiche offene Fragen zu beantworten, wie beispielsweise die Bedeutung einer Stratifizierung der Patienten nach der basalen Nierenfunktion und/oder Dauer der Nierenschädigung vor der Anwendung dieser neuen Biomarker [13]. Auch die richtige Auswahl der Bezugsgröße für Biomarker im Harn scheint erheblichen Einfluss auf deren Performance zu haben [24].

Leber

Abnormitäten der Leberparameter sind bei Patienten an der Intensivstation (ICU) oftmals weniger als ausgeprägter hepatozellulärer Schaden zu interpretieren, sondern eher als Kollateralschaden eines schweren Krankheitsbildes (Sepsis, Infektion) und medikamentös-toxischer Kofaktoren.

Für eine umfassende Bewertung von Auffälligkeiten bei Leberparametern sollten auch Testungen auf folgende mögliche Ursachen erfolgen:

  • gängige Infektionen (z. B. Hepatitisviren, Cytomegalievirus, Herpes-simplex-Virus, Humanes Immundefizienzvirus, etc.),

  • Autoimmunerkrankungen (z. B. antinukleäre oder „Anti-smooth-muscle“-Antikörper, IgG),

  • toxikologische Schäden (z. B. Paracetamol, Alkohol) oder

  • metabolisch-genetische Krankheiten (z. B. Ceruloplasmin).

Ebenso sollten bildgebende Verfahren wie Ultraschall eingesetzt werden.

Leberspezifische Scores wurden primär zur Prognoseabschätzung oder zur Indikationsstellung für eine Lebertransplantation und Organallokation entwickelt und validiert. Prinzipiell unterscheidet man Scores für chronisches bzw. Akut-auf-chronisches-Leberversagen, und Scores für akutes Leberversagen (ALV). Aber auch allgemeine Organscores erlauben eine Einschätzung der Prognose bzw. des Schweregrads bei Patienten mit Lebererkrankungen, da sie Parameter der Lebersynthese beinhalten.

Zwei bei Patienten mit Leberzirrhose häufig verwendete, jedoch ursprünglich nicht für Intensivpatienten entwickelte Scores, sind der Child-Turcotte-Pugh (CTP)-Score und der validierte Model for End-stage Liver Disease (MELD)-Score mit diversen Abänderungen. Der CTP-Score beinhaltet neben den Laborwerten Serumalbumin, Serumbilirubin sowie der International Normalized Ratio (INR) bzw. Prothrombinzeit (PT) auch eher subjektive Werte wie den sonographischen Grad eines Aszites und den Grad der Enzephalopathie. In die Berechnung des MELD-Scores hingegen fließen ausschließlich objektive Laborwerte (Serumbilirubin, Serumkreatinin, INR) ein.

Zur Prognosebeurteilung bei ALV finden häufig die für die Lebertransplantationsindikation verwendeten King’s-College- oder die Clichy-Kriterien Anwendung. Bei Paracetamol-bedingtem ALV wird durch die zusätzliche Berücksichtigung des Serumlaktats bei den King’s-College-Kriterien die prognostische Wertigkeit verbessert [6].

Vergleicht man hepatologische Scores mit allgemeinen ICU-Scores [Sequential Organ Failure Assessment Score (SOFA) und Simplified Acute Physiology Score (SAPS II) 24 Stunden nach ICU-Aufnahme berechnet [21]; bzw. SOFA und Organ System Failure (OSF, [8])] bei Patienten mit Leberzirrhose, zeigt sich die Überlegenheit der nichtorganspezifischen Scores für die Prognoseabschätzung [8, 21]. Misst man 48 Stunden nach, anstatt direkt bei ICU-Aufnahme, zeigen mehrere prognostische Scores [CTP, MELD, Acute Physiology and Chronic Health Evaluation (APACHE) II, SOFA] eine höhere Wertigkeit [8]. Eine prognostische Bedeutung des MELD-Scores konnte sowohl bei Patienten ohne Hinweis auf eine vorbestehende Lebererkrankung, mit nicht-Paracetamol-induziertem Leberversagen [20] als auch bei zirrhotischen Patienten mit Sepsis [38] gefunden werden.

Um die Prognose bei leberzirrhotischen Patienten mit hepatorenalem Syndrom (HRS) abzuschätzen, bietet sich die Kombination aus MELD-Score und HRS-Subtyp an [1].

Zusammenfassend beziehen leberspezifische Scores, vermutlich aufgrund ihrer Fokussierung auf Leberparameter, andere wichtige Mortalitätsdeterminanten nicht mit ein und sind daher für eine verlässliche Beurteilung der Überlebensprognose bei ICU-Patienten nur bedingt nützlich.

Die an einer ICU verwendeten Parameter zum Monitoring der Leber sind im Grunde Leberfunktionstests sowie gängige Labortests, die üblicherweise in Synthese-, Entgiftungs-, Cholestase- und Leberzerfallsparameter unterteilt werden (Tab. 2).

Tab. 2 Übersicht häufig verwendeter Leberfunktionstests und Leberparameter

Leberfunktionstests

Dynamische Leberfunktionstest sind, abgesehen von der Indocyanine Green Plasma Disappearance Rate (ICG-PDR) und des Maximal Liver Function Capacity based on 13C-methacetin Kinetics (LiMAx™) Tests, für Routineuntersuchungen wegen der teilweise anspruchsvollen technischen Voraussetzungen nur bedingt praktikabel.

Die ICG-PDR kann nichtinvasiv relativ schnell gemessen werden und hat, wenn bei ICU-Aufnahme gemessen, einen hohen prognostischen Wert, welcher mit üblichen Scoringsystemen wie SAPS II oder APACHE II vergleichbar ist [35]. Da nicht nur die parenchymale Funktion die ICG-PDR beeinflusst, sondern auch die Leberperfusion und die biliäre Exkretion, sind insbesondere kurzfristige Änderungen dieses Parameters nicht spezifisch für Leberfunktionseinschränkungen. Vielmehr scheinen kurzfristige Änderungen durch Variationen der Splanchnikusfunktion bzw. Leberperfusion bedingt zu sein.

Im Rahmen von Leberresektionen oder Lebertransplantationen könnte künftig der LiMAx™-Test helfen, die Restkapazität der Leber bzw. die initiale Leberfunktion nach Transplantation zu bestimmen [37]. Dieser „Bedside“-Test misst 13C-CO2 in der Ausatemluft, welches durch die hepatische Metabolisierung des injizierten 13C-markierten Methacetin entsteht.

Syntheseparameter

Gängige Lebersyntheseparameter sind

  • Albumin,

  • Serumglobuline (v. a. α- und β-Globuline) sowie

  • verschiedene Gerinnungsfaktoren.

Albumin eignet sich wegen der langen Halbwertszeit von etwa 20 Tagen eher für die Beurteilung chronischer Leberfunktionsstörungen. Eine Hypalbuminämie tritt häufig bei Intensivpatienten auf und ist keineswegs ein leberspezifisches Zeichen, sondern kann aus zahlreichen anderen Zuständen wie einer Malnutrition, einem nephrotischen Syndrom, einer Eiweißverlustenteropathie oder einem chronischen Infekt resultieren. Auch das Vorliegen eines Aszites kann durch die Verteilungsstörung die Wertigkeit des Albumins einschränken.

Zur Beurteilung einer akuten Leberfunktionsstörung sind wegen ihrer kurzen Halbwertszeiten (von 6 h bei Faktor VII bis 5 Tage bei Fibrinogen) die von der Leber produzierten Gerinnungsfaktoren geeignet. Die Testung der Prothrombinzeit (PT) integriert die Faktoren II, V, VII, X und Fibrinogen, also auch Vitamin-K-abhängige Faktoren.

Zusammenfassend bietet sich zur Erfassung sowohl chronischer als auch akuter Einschränkungen der Leberfunktion v. a. die Kombination aus Serumalbumin und PT an.

Entgiftungs- und Ausscheidungsparameter

Eine isolierte Erhöhung des konjugierten Bilirubins im Serum ist meist mit einer Erkrankung der Leber und/oder der Gallenwege assoziiert. Bei ICU-Patienten mit Zirrhose ist die Höhe des Bilirubins bei Aufnahme ein unabhängiger Prädiktor für ICU-Mortalität [21].

Ein weiterer Wert, der die Entgiftungsfunktion der Leber widerspiegelt, ist das Serumammoniak. Obwohl die Höhe dieses Parameters wenig mit dem Schweregrad der hepatischen Enzephalopathie und der Leberfunktion korreliert und ebenso bei portovenösen Shunts trotz relativ normaler Leberfunktion erhöht sein kann, besteht eine gute Korrelation zwischen arteriellem Ammoniak und intrakraniellem Druck bei ALV [39].

Leberzerfallsparameter

Zwei Enzyme, die einen hepatozellulären Schaden anzeigen, sind die in zahlreichen Organen vorkommende Aspartat-Aminotransferase (AST) und die relativ leberspezifische Alanin-Aminotransferase (ALT).

Erhöhungen bis etwa 300 U/l sind häufig unspezifisch und können bei vielen Entitäten von Lebererkrankungen auftreten (häufig schwere Fettlebererkrankung). Das beispielsweise für eine ischämische Hepatitis typische Muster ist eine plötzliche, mehr als 10-fache Erhöhung der Transaminasen mit einem Verhältnis von AST / ALT > 1 und eine Erhöhung der leberspezifischen Laktatdehydrogenase (LDH), welche etwa 3 bis 11 Tage andauert.

Ein gutes prognostisches Zeichen und Indikator für hepatologische Regeneration nach akutem Leberversagen ist eine Hypophosphatämie [3]. Hohe Werte von AFP (α-Fetoprotein), neben seiner Bedeutung bei Neoplasien vermutlich ebenso ein Marker für Leberregeneration, stellen bei paracetamolinduziertem ALV ein gutes prognostisches Kriterium dar [36].

Cholestaseparameter

Typische cholestaseanzeigende Laborparameter sind die alkalische Phosphatase (AP), die 5’Nukleotidase sowie die γ-Glutamyl-Transferase (γ-GT). Obwohl keines dieser Enzyme isoliert spezifisch für Cholestase ist, spricht eine simultane Erhöhung für das Vorliegen einer Gallengangsbehinderung. Bei einer durch totale parenterale Ernährung oder medikamentös induzierten Cholestase zeigt sich typischerweise mit einer Latenz von etwa 3 Wochen das Muster einer cholestatischen Hepatitis.

Gastrointestinaltrakt

Magen-Darm-Trakt

Als funktionelles Monitoring des Gastrointestinaltrakts gilt im Wesentlichen die Darmfunktion, bestehend aus Toleranz der enteralen Ernährung, Darmtätigkeit und Stuhlentleerungsfrequenz. Zum gastrointestinalen Monitoring im weiteren Sinne können auch Werte wie der Hämatokrit, Hämoglobin, Gerinnung, Herzfrequenz, Blutdruck und andere eine gastrointestinale Blutung anzeigende Parameter hilfreich sein.

Spezielle Krankheitsbilder wie eine mesenteriale Durchblutungsstörung präsentieren sich oft unspezifisch durch Leukozytose, LDH- und Laktaterhöhung. Vorläufige Ergebnisse lassen auf neue wertvolle Biomarker wie das ischämiemodifizierte Albumin hoffen [15].

Obwohl der Funktion des Gastrointestinaltrakts große Bedeutung bei kritisch kranken Patienten zugeschrieben werden kann, gibt es derzeit noch keinen allgemein akzeptierten und gut validierten Score für dieses Organsystem. Einige klinische Konstellationen wurden bereits bezüglich ihrer prognostischen Relevanz getestet. Reintam et al. [33] beispielsweise fanden bei einem Kollektiv von 264 ICU-Patienten eine prognostische Wertigkeit bezüglich ICU-Mortalität des mittleren Gastrointestinal Failure (GIF) Scores, bestehend aus den relativ allgemeinen Parametern intraabdominelle Hypertension und Nahrungsmittelintoleranz.

Pankreas

Eine intensivmedizinisch bedeutende Erkrankung des Pankreas ist insbesondere die akute Pankreatitis. Für deren initiale Diagnose sind eine mindestens 3-fach erhöhte Amylase oder eine Erhöhung der spezifischeren Lipase im Serum wegweisend [42]. Bei durch Gallensteine verursachten Pankreatitiden und in den ersten Stunden nach Symptombeginn ist v. a. die Amylase hilfreich, für eine spätere Diagnose einer Pankreatitis anderer Genese eher die Lipase [42].

Im klinischen Alltag ist für die Beurteilung des Schweregrads und der Prognose einer akuten Pankreatitis besonders das C-reaktive Protein 48 Stunden nach Beginn der Symptome hilfreich [10]. Künftig potenziell nützliche prognostische Parameter könnten inflammatorische Marker wie Interleukin-6 und Interleukin-8 sein [31].

Für das Krankheitsbild der akuten Pankreatitis, werden sowohl organspezifische (Ranson-Score, modifizierte Glasgow-Kriterien) als auch allgemeine Scores (APACHE-II-Score, oder ein den Body-Mass-Index einbeziehender APACHE-O-Score) zur Prognosebeurteilung und zur Abgrenzung einer schweren Verlaufsform verwendet. Der Ranson-Score und die modifizierten Glasgow-Kriterien basieren auf Parametern der ersten 48 Stunden, der APACHE-Score kann hingegen sowohl bei Aufnahme als auch darauf folgend wiederholt bestimmt werden.

Das laufende Monitoring des Pankreas besteht bei Pankreatitis somit im Wesentlichen aus der Amylase und Lipase. Stuhlelastase und Pankreolauryltest finden derzeit ihre Anwendung als Monitoringparameter für die exokrine Pankreasfunktion.

Gerinnung

Für das Monitoring der Blutgerinnung fehlen Outcome-Vergleiche und Leitlinien. Die folgenden Einschätzungen und Empfehlungen gründen auf vieljähriger klinisch-akademischer Praxis, punktuell untermauert durch publizierte Evidenz.

Komponenten und Funktionen

Eine gestörte Hämostase kann zu zwei gegensätzlichen Folgen führen: Blutung und/oder Thromboembolie. Wirksame (Blutungsstillung) und treffsichere (keine Thrombose) Hämostase erfordert die Funktionstüchtigkeit der drei wesentlichen Komponenten:

  1. 1.

    Blutplättchen (Thrombozyten),

  2. 2.

    plasmatische Faktoren, und

  3. 3.

    Blutgefäßwände, Endothel.

Weitere Faktoren können die Hämostase modulieren, vor allem Blutfluss (Rheologie), Erythrozyten und Leukozyten, weiters auch biologische Membranen (Phospholipide) und exogene Faktoren (z. B. mikrobielle Bestandteile).

Die multifaktorielle Komplexität des Systems Hämostase – Blutgerinnung wird nachvollziehbar, wenn man die funktionellen Anforderungen und die inhärente Gefährlichkeit von Gerinnung analysiert.

  1. 1.

    Geschwindigkeit: rechtzeitiges Abdichten der Gefäßlücke (verhindert Verbluten oder Schäden durch raumfordernden Effekt des Hämatoms).

  2. 2.

    Begrenzung/Regulation: Gerinnung nur in der Gefäßlücke (Hämostase), aber nicht im Gefäß (Thrombose).

  3. 3.

    Qualität des Gerinnsels: Stabilität/Reißfestigkeit, Überleitung zu und Matrix für Vernarbung/Heilung.

Die Abb. 1 soll diese Anforderungen am Beispiel der plasmatischen Gerinnung veranschaulichen.

Abb. 1
figure 1

Anforderungen an die Blutgerinnung: Ablauf rasch genug, reguliert/kontrolliert, adäquate Qualität des Gerinnsels. Die angeführten Faktoren bilden das biochemische Rückgrat der plasmatischen Gerinnung, die nicht explizit genannten Faktoren können als Reglersysteme zusammengefasst werden. Der kleinere Regler steht für die Regulation von Fibrin (Fibrin kann stabilisiert oder aufgelöst werden durch F.XIII bzw. die Fibrinolyse). TF Tissue Factor, Fib.lyse Fibrinolyse

PT, PTT und Plättchenkonzentration

Es gibt keinen einzelnen Labortest, der im Einzelfall die Frage beantworten könnte: „Funktioniert die Gerinnung in diesem Patienten normal?“, wie dies auch für andere komplexe Systeme nicht möglich ist, z. B. Entzündung.

Die Kombination von PT mit partieller Thromboplastinzeit (PTT) und Plättchenkonzentration ist der übliche Mindeststandard zumindest jener Intensivstationen, die Gerinnung überwachen, üblicherweise als Teil des Laborroutinemonitorings. Die Schwelle zur Bestimmung dürfte allgemein relativ niedrig liegen, weil das benötigte Blutvolumen relativ klein ist, die Tests allgemein verfügbar und relativ billig sind.

Die Standardkombination erfasst wohl einzelne wesentliche Aspekte der Blutgerinnung, aber einige andere wichtige Aspekte nicht (Tab. 3). Für korrekte Interpretationen und treffsichere Rückschlüsse sind ihre Lücken und Grenzen hinderlich.

Tab. 3 Lücken der Routinetests PT, PTT, Plättchen

Lücken und Grenzen

Von den drei Hauptkomponenten der Hämostase (Plättchen, plasmatische Faktoren, Gefäße) ist das komplexe System der plasmatischen Faktoren am besten zugänglich, eben durch die Globaltests (PT und PTT). Die beiden Tests messen in erster Linie die Geschwindigkeit bis zur Plasmagelierung. Im Gegensatz zur Geschwindigkeit der Fibrinbildung ist die Aussagekraft von PT und PTT für die Einschätzung der anderen beiden Aspekte – Regulation/Begrenzung und Gerinnselqualität – undefiniert, und bestenfalls schwach.

Diese Einschränkungen können wohl am besten erklärt werden durch die biologisch-biochemische Komplexität und die unvermeidlichen Artefakte der In-vitro-Untersuchungen (Blutabnahme, Transport, Zitrat, Rekalzifizierung, unphysiologische Aktivierung und Milieu, Fehlen von Fluss und Endothel). Beide, Komplexität und Artefakte, tragen zu zwei Aspekten bei, die für die korrekte Interpretation von Gerinnungsuntersuchungen besonders relevant sind:

  1. 1.

    relativ hohe Anfälligkeit gegenüber technischen Störfaktoren (Präanalytik), und

  2. 2.

    relativ eingeschränkte Standardisierbarkeit und damit Vergleichbarkeit von Tests [32].

Dementsprechend sind z. B. Sensitivität und Cutoffs unscharf und relativ willkürlich definiert, z. B. wie empfindlich die Tests für klinisch relevante Defekte sind oder ab welcher Auslenkung eine spezifische Therapie veranlasst werden soll.

Zusätzliche Tests

Für wichtige Aspekte der Blutgerinnung fehlen aussagekräftige praktikable Labormethoden, insbesondere für die Fibrinolyse, die Plättchenfunktion, die globale Balance der Gerinnung (eu-, pro- oder antikoagulant), und für die Gefäßfunktion (pro- bzw. antikoagulant). Zur Beurteilung der Gerinnse lqualität, zumindest seiner Festigkeit, könnten Thrombelastogramme (TEG) beitragen, durch den TEG-Parameter Maximalamplitude („clot firmness“). Bisherige Daten sind allerdings weitgehend auf Massenblutung und perioperative Volumenexpansion beschränkt, ganz überwiegend in Beobachtungsstudien und ohne kontrollierte Outcome-Daten.

Für die Fibrinolyse ist bislang kein praktikabler aussagekräftiger Test etabliert. Thrombelastogramme könnten diese Lücke etwas verkleinern, aber Sensitivität und Spezifität für Hyperfibrinolyse sind weitgehend undefiniert.

Zur Plättchenfunktion sind in den letzten Jahren zunehmend mehr praktikable, automatisierbare Methoden entwickelt worden, v. a. zur Einschätzung von Plättchenfunktionshemmern in der Kardiologie. Diese Tests ergeben im Vergleich untereinander bemerkenswert diskrepante Ergebnisse, auch bei den bisher überwiegend sehr eng gestellten Fragen (z. B. Clopidogrel-Resistenz). Bislang bleibt die klinische Aussagekraft vage, widersprüchlich und dementsprechend unübersichtlich [11].

Für die einfache umfassende Frage, ob die globale Plättchenfunktion eines konkreten Patienten in klinisch relevantem Maße eingeschränkt oder gesteigert ist, fehlen aussagekräftige Methoden und Daten, auch für das PFA-System [17].

Für Hyperkoagulabilität oder Thromboserisiko fehlt bislang ein aussagekräftiger Globaltest (sozusagen eine „Thrombose-PTT“).

Störungen der Blutgefäße können im Gerinnungslabor nicht erfasst werden, ja generell nicht mit Labormethoden; die seltenen Ausnahmen (z. B. Skorbut, Vaskulitiden) bestätigen die Regel. Störungen der Gefäßwände liegen vielen Blutungen zugrunde, und sehr wahrscheinlich auch Thrombosen [14].

Fragen an das Gerinnungsmonitoring

Gerinnungsdefekte und abnorme Gerinnungstests sind bei kritisch Kranken häufig zu beobachten, und auch zu erwarten, wegen der engen Koppelung von Gerinnung mit Gewebeschädigung und Entzündung. Gerinnungstests allein können Fragen zur Blutgerinnung beantworten, allerdings je nach Frage mit unterschiedlicher Aussagekraft und Ausbeute (Tab. 4).

Tab. 4 Fragen an die Blutgerinnung und semiquantitative Wertung des Informationsgewinns aus Gerinnungstests

Standard + Fibrinogen + D-Dimer

Mit der Standardkombination allein (PT, PTT, Thrombozyten) können die in Frage kommenden Ursachen oft schon bedeutsam eingegrenzt werden.

Die zusätzliche Bestimmung von Fibrinogen erlaubt früh, billig und zuverlässig die Eingrenzung, ob eine plasmatische Störung potenziell alle oder nicht alle Faktoren betrifft. Bei höhergradiger DIC oder Lebersyntheseeinschränkung sind alle 3 Parameter abnorm (PT, PTT, Fibrinogen), bei z. B. Hämophilie (Einzelfaktordefekt) oder Vitamin-K-Antagonisten ist Fibrinogen normal.

D-Dimer kann wohl am besten als integrativer und sehr sensitiver Marker für Gerinnungsaktivierung und fibrinolysevermittelte Gegenregulation verstanden werden. Niedriges D-Dimer schließt eine bedeutsame Gerinnungsaktivierung mit hoher Sicherheit aus, und damit auch höhergradige Veränderungen der Hauptaktivatoren (Gewebeschädigung, Entzündung) und deren potenzieller Aktivierungsfolge (Thromboembolie). Umgekehrt weisen deutliche Anstiege auf neue oder zunehmende Prozesse hin: Gewebeschädigung, Entzündung und/oder Thromboembolie.

Krankheitsverlauf

Gerinnungstests sind generell nützlicher zum Einschätzen von Trends (Verschlechterung oder Verbesserung), als zur Einschätzung des absoluten Schweregrads einer Störung. Cutoffs für Interventionen beruhen überwiegend auf Expertenmeinung und etablierter Praxis (z. B. PT/INR-Grenzwerte für eine Substitution, [2]).

Systematische Analyse von Pathomechanismen

Defekte der Blutgerinnung bzw. auffällige Testergebnisse können durch einen oder mehrere Pathomechanismen bedingt sein: Syntheseminderung, Verbrauch, Verlust, Interferenz, und/oder Artefakt. Dies gilt sowohl für die Plättchenzahl als auch für die plasmatische Gerinnung (Abb. 2, Tab. 5).

Abb. 2
figure 2

Pathomechanismen gestörter Gerinnung bzw. abnormer Gerinnungstests: Syntheseminderung, Verbrauch, Verlust und Interferenz. Gerinnungstests sind besonders anfällig für Artefakte. vWF Willebrand-Faktor

Tab. 5 Pathomechanismen und Differenzialdiagnose abnormer Blutgerinnung

Differenzialdiagnosen

Die häufigsten Differenzialdiagnosen bei kritisch Kranken sind reduzierte Syntheseleistung der Leber und disseminierte intravasale Gerinnung (DIC, Verbrauchskoagulopathie). Normale Plättchen und/oder normales Fibrinogen und/oder normales D-Dimer schließen sowohl eine schwere DIC als auch eine schwere Einschränkung der Lebersynthese mit hoher Sicherheit aus.

Eine Verzögerung von Diagnose – und damit Therapie – ist besonders kritisch bzw. riskant bei den thrombotischen Mikroangiopathien (TMA; z. B. TTP/HUS oder medikamenteninduziert) und bei Hemmkörperhämophilie (Tab. 6).

Tab. 6 Typische Befundmuster nach Ursachea

Global oder selektiv?

Die Frage, ob die Störung die gesamte fassbare Gerinnung betrifft oder nur Teile, hat sich in der Praxis als besonders nützlich zur Eingrenzung der Differenzialdiagnosen erwiesen. Selektive Störungen schließen sowohl DIC, als auch Lebersyntheseversagen mit hoher Sicherheit aus, zumindest schwerere Grade.

DIC, Syntheseversagen der Leber und Blutung betreffen alle Komponenten der Blutgerinnung: sowohl Plättchenzahl als auch alle plasmatischen Faktoren sinken. Alle anderen Pathomechanismen wirken selektiver (Tab. 5), z. B. nur auf die Plättchen (z. B. TTP) oder nur auf einzelne oder mehrere plasmatische Faktoren (z. B. Hemmkörperhämophilie, Vitamin-K-Mangel).

Gerinnungstests ergänzen Klinik

Die treffsichere Differenzierung der Pathomechanismen und Differenzialdiagnosen (Tab. 5) und die Therapieentscheidungen hängen kritisch vom Gesamtbild und Verlauf des Patienten ab. Auch bei Anforderung aller verfügbaren Spezialtests liefern Gerinnungstests allein in aller Regel ein nur unvollständiges Puzzle ohne klares Gesamtbild. Gerinnungstests allein können z. B. DIC und Leberversagen nicht voneinander abgrenzen, in Gegensatz zum meist sehr klaren klinischen Gesamtbild. Diskrepanzen zwischen klinischem Bild und Testergebnissen sind fast immer bedingt durch Laborartefakte.

Gerinnungsexperten beiziehen

Wir empfehlen, bei Unklarheiten im Gerinnungsmonitoring eher frühzeitig Gerinnungsexpertise einzuholen. Dies begründen wir mit der auch für Gerinnungsexperten nicht leicht zu überschauenden Komplexität der Gerinnung – Pathophysiologie, Testdetails, Testinterpretation –, dem Nutzen einer möglichst effizienten und zeitnahen Klärung von Differenzialdiagnosen, und – last but not least – mit den relativ aufwändigen und nicht ungefährlichen Therapieoptionen.

Fazit für die Praxis

  • Für den klinischen Alltag sind neben zahlreichen Scoringmethoden folgende Parameter zum Organmonitoring praktikabel:

  • Niere: v. a. Harnausscheidung und Serumkreatinin. Als Maß für die GFR, unter Berücksichtigung der Limitierungen, neben Serumkreatinin auch Cystatin C.

  • Leber: Beurteilung der Synthesefunktion mittels Kombination aus PT und Serumalbumin. Zur Bestimmung der metabolischen Kapazität können Verfahren wie die ICG-PDR oder die LiMAx™ hilfreich sein. Je nach Art der Lebererkrankungen Kombination zahlreicher weiterer Parameter.

  • Gastrointestinaltrakt: Auf gastrointestinale Funktion kann mittels klinischer Beobachtung geschlossen werden. Für die Diagnose einer akuten Pankreatitis sind Amylase und Lipase relevant, für die Abschätzung von deren Prognose verschiedenste Entzündungsparameter.

  • Gerinnung: als Basis zumindest die Kombination von PT, PTT und Plättchenkonzentration. Für spezielle Fragestellungen können spezifischere Parameter weiterhelfen; dafür sollte frühzeitig ein Gerinnungsexperte beigezogen werden.