Hintergrund

Bei Schlaganfall- und anderen Notfallpatienten kann das Ergebnis einer RT-PCR zum Nachweis von SARS-CoV‑2, dem Erreger der COVID-19, aus einem Abstrich in der Mehrzahl der Fälle nicht abgewartet werden. Zudem ist eine Risikoanamnese (Fieber, respiratorische Infektion, Kontakt, …) häufig nicht möglich. Ein solcher Patient wird also wie ein COVID-19-Verdacht betrachtet, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass er mit SARS-CoV‑2 infiziert ist, eher gering erscheint. Das wünschenswerte Szenario ist nun, dass der Patient die Bereiche Computertomographie (CT), Angiographie und Intensivstation wie ein COVID-19-Patient durchläuft sowie Isolierung und Verdacht nach negativem RT-PCR-Ergebnis aufgehoben werden [1,2,3].

Dennoch sollte die Erkrankungswahrscheinlichkeit bei knappen Ressourcen (an Schutzmaterialien) zumindest abgeschätzt werden und vor der Durchführung des CT eine Fiebermessung erfolgen. Es wird auch diskutiert, ob ein aufgrund der Schlaganfalldiagnostik angefertigtes multimodales CT (natives CT, CT-Angiographie, CT-Perfusion) durch ein „Low-dose“-Thorax-CT ergänzt werden soll, das die Lungenabschnitte unterhalb der bereits mithilfe der CT-Angiographie abgedeckten Abschnitte erfasst, oder die CT-Angiographie bei kraniokaudaler Abtastung bis zu den Zwerchfellhälften zu „fahren“. Das Argument für ein Low-dose-Thorax-CT ist die in vielen Studien angegebene hohe Sensitivität in der Erfassung von COVID-19. Ob diese wirklich im Durchschnitt 85 % beträgt (Tab. 1), muss jedoch kritisch hinterfragt werden, da durch die Untersuchung hospitalisierter und damit symptomatischer COVID-19-Patienten in den publizierten Studien ein Selektion-Bias vorgelegen haben könnte [4]. Argumente gegen den Einsatz des Low-dose-CT sind die niedrige Spezifität, der nur moderate negative prädiktive Wert und die zeitliche Abhängigkeit des Auftretens der CT-Veränderungen. Hieraus resultieren Empfehlungen von Fachgesellschaften, das Low-dose-CT nicht als Screeninguntersuchung zu verwenden [5,6,7]. Chinesische Organisationen plädieren für einen weitflächigen Einsatz [8] und Fachgesellschaften wie die Radiological Society of North America (RSNA) und die Fleischner Society „sehen“ einen gewissen Stellenwert des Low-dose-Thorax-CT, wenn die RT-PCR nicht sofort verfügbar ist [5, 9]. In einer eigenen Handlungsempfehlung wurde das Thema einer notfallmäßigen Einschätzung weitgehend ausgeblendet [10]; in dieser Arbeit werden das Vorgehen neuroradiologischer Abteilungen in Deutschland dargestellt und der Einsatz des Low-dose- Thorax-CT analysiert.

Tab. 1 Vergleich der diagnostischen Genauigkeit von RT-PCR und Low-dose-Thorax-CT

Material und Methoden

Am 08.04.2020 wurde per E‑Mail-Verteiler des Berufsverbands der Deutschen Neuroradiologen (BDNR) e. V. eine Umfrage darüber gestartet, welche diagnostischen und Schutzmaßnahmen in den einzelnen Kliniken bei Patienten mit möglicher SARS-CoV-2-Infektion getroffen werden. Nach zunächst freier Mitteilung wurden die Zusender gebeten, ihr Vorgehen einer der in Tab. 2 genannten Kategorien zuzuordnen.

Tab. 2 Schutzmaßnahmen in deutschen neuroradiologischen Abteilungen bei der Untersuchung von Patienten mit möglicher COVID-19

Ergebnisse

Bis zum 21.04.2020 haben 25 Abteilungen geantwortet; die Ergebnisse sind in Tab. 2 zusammengefasst.

Elf Abteilungen (44 %) fertigen ein Low-dose-CT des Thorax an, und zwar bei jedem Patienten (n = 3) oder bei Temperaturerhöhung, Risikokonstellation oder fehlender Anamnesemöglichkeit (n = 8). Es verlassen sich 14 Abteilungen auf die klinische Einschätzung der Zuweiser und legen bei COVID-19-Verdacht entsprechende Schutzkleidung an (FFP2-Maske, Schutzbrille, OP-Kittel, doppelte Schutzhandschuhe; n = 7). In 2 Abteilungen wird die oben genannte Schutzkleidung nur bei positivem COVID-19-Nachweis angelegt; Mitarbeiter in 5 Abteilungen angiographieren nach Anlegen von MNS, OP-Kittel und Handschuhen.

Die Genauigkeit des Low-dose-Thorax-CT lässt sich bei den kleinen Fallzahlen RT-PCR-positiver Patienten noch nicht zuverlässig bestimmen. Erste Ergebnisse aus 5 Abteilungen sind in Tab. 3 zusammengefasst.

Tab. 3 Diagnostische Genauigkeit der Low-dose-Thorax-Computertomographie bei Patienten mit COVID-19-Verdacht

Diskussion

Wünschenswert ist, dass Patienten, bei denen eine SARS-CoV-2-Infektion möglich erscheint, wie Patienten mit nachgewiesener Infektion behandelt werden [3]. Allerdings wird ein solches Vorgehen zumindest in Deutschland bei knappen Schutzmaterialien nicht flächendeckend praktiziert. Vielmehr wird versucht, eine Risikoeinschätzung vorzunehmen, die sich auf die klinische Einschätzung der Zuweiser, eine Fiebermessung und in etwa 40 % der Abteilungen auf ein Low-dose-Thorax-CT stützt. Zu Low-dose-Thorax-CT-Untersuchungen gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Publikationen [11,12,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22,23,24]. Problematisch ist, dass es sich fast ausschließlich um mithilfe der RT-PCR bewiesene COVID-19-Fälle handelt, sodass Aussagen zu Spezifität, positivem prädikativem Wert („positive predictive value“, PPV), negativem prädikativem Wert („negative predictive value“, NPV) und Genauigkeit kaum möglich sind. Die Sensitivität des Low-dose-CT in der Frühphase der Erkrankung (0 bis 2 Tage) beträgt in retrospektiven Studien im Mittel 85 % (40–98 %; Tab. 1). Allerdings ist auch die Sensitivität der RT-PCR nicht höher; sie beträgt gerade in den initialen 2 Tagen nur 60–70 % [10, 16]: Einige RT-PCR werden erst im Verlauf positiv, und nur wenige Patienten werden mehrfach getestet [16]. Betrachtet man symptomfreie Patienten weist die Hälfte COVID-19-typische Veränderungen auf; etwa 30 % der Thorax-CT-Befunde sind unauffällig [22, 23]. Ein Großteil der Patienten mit akutem Schlaganfall wird klinisch symptomfrei sein, sodass diese niedrigere Sensitivität (50–70 %) realistischer erscheint. Sich allein auf das Low-dose-CT zu verlassen, ohne zumindest eine zusätzliche Temperaturmessung vorzunehmen, ist daher problematisch.

Die Unterscheidung gegenüber anderen atypischen Pneumonien soll bei 60–83 % der Patienten gelingen [25]. Das frühzeitige Erkennen einer SARS-CoV-2-Infektion ist auch für den weiteren klinischen Verlauf von Bedeutung: Früher diagnostizierte Patienten profitieren vom besseren klinischen Verlauf [26]. Thrombektomiepatienten sind in der Mehrzahl der Fälle ältere Patienten mit Grunderkrankungen. Ältere Patienten mit COVID-19 sind schwerer erkrankt und werden 3‑mal häufiger auf einer Intensivstation behandelt [2]. Sie erleiden häufiger „akute zerebrovaskuläre Erkrankungen (5,7 vs. 0,8 %)“ und Bewusstseinsstörungen (14,8 vs. 2,4 %), sodass gerade bei akuten Erkrankungen wie einem Schlaganfall an die Möglichkeit einer SARS-CoV-2-Infektion zu denken ist [27]. Für diese Patienten spielt schließlich die durch das Low-dose-CT erhöhte Strahlenexposition eine untergeordnete Rolle.

Fazit für die Praxis

  • Das unterschiedliche Vorgehen neuroradiologischer Abteilungen in Deutschland spiegelt die Unsicherheit im Umgang mit Schlaganfallpatienten und möglicher „coronavirus disease 2019“ (COVID-19) wider.

  • Ein Low-dose-CT des Thorax kann im Rahmen der multimodalen CT-Diagnostik einfach akquiriert und zur Risikoeinschätzung herangezogen werden.

  • Die Limitationen hinsichtlich der Sensitivität v. a. bei symptomfreien Patienten und der Tatsache, dass ein negativer Thorax-CT-Befund eine Infektion nicht vollständig ausschließen kann, sollten beachtet werden.